Drusenreich
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LE CHIEN
QUI LIT
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Drusenreich
– Teil 5
"Drusenreich" bedeutet, dass
Sie, liebe Leser, je nachdem, wie Sie den Inhalt dieser Seite beurteilen, von
den verschiedenen Bedeutungen des Wortes "Drusen" die ihnen passend
erscheinende auswählen können.
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Kupferstich
von Martin Schongauer;
Metropolitan
Museum of Art, N. Y.
Skulptur nach Auguste Rodin
Wikimedia Commons
As
steals the morn upon the night,
And
melts the shades away,
So
truth does fancy's charm dissolve,
And
rising reason puts to flight
The
fumes that did the mind involve,
Restoring
intellectual day.
Schön wär's!
Text
erstmalig eingestellt am 29.08.2006
Vorliegender
Textstand vom 13.05.2011
IN THE MACCHIA OF SPECIAL
INTERESTS ...
... A WELL OF CLEAR-CUT
ANALYSIS?
Bemerkungen
zur Studie „THE ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY“ der US-Politologen John
J. Mearsheimer und Stephen M. Walt und zu den publizistischen Reaktionen darauf
INHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkung
Einleitung
Struktur und allgemeine Beurteilung des Arbeitspapiers
Gliederung
des Arbeitspapiers von Mearsheimer und Walt
THE ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY
[Seite,
Überschrift des Kapitels (charakteristische Zitate bzw. Erläuterungen)]
1 - 2 THE ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY
2 - 3 THE GREAT BENEFACTOR
3 - 7 A STRATEGIC LIABILITY
8 - 14 A DWINDLING MORAL CASE
8 Backing the Underdog?
9 Aiding a Fellow Democracy?
9 Compensation for
Past Crimes
11 'Virtuous Israelis'
versus 'Evil Arabs'
14 - 26 THE ISRAEL LOBBY
14 What Is the Lobby?
16 Sources of Power
16 Strategies for Success
17 Influencing
Congress
18 Influencing the
Executive
20 Manipulating the
Media
21 Think Tanks That
Think One Way
22 Policing Academia
24 The Great Silencer
26 - 40 THE TAIL WAGGING THE DOG
26 Demonizing the Palestinians
30 Israel and the Iraq
War
31 The Lobby and the Iraq War
35 Dreams of Regional Transformation
37 Gunning for Syria
38 Putting Iran in the
Crosshairs
40 Summary
40 - 42 CONCLUSION
Auf den
Seiten 43 – 82 folgen dann noch 211
"Endnotes"
Eigene Anmerkungen zur Debatte und zu den ihr zu Grunde
liegenden Sachverhalten
Dimensionen
der Debatte
1) Bereich
des Faktischen:
2) Bereich
der Spekulation
3)
"Aktivierende" Elemente der Debatte
Inhaltliche
Einzelaspekte aus der Debatte
"Wessen
Land" oder "Moral und Geschichte: eine unendliche Geschichte"
Warum
scheiterte der Friedensprozess (Oslo, Camp David)?
Siedlungspolitik
Israels im Westjordanland
Zum Wirken der Lobby
"Split
Loyalties"?
US-Interessen
Irak 2003:
The WHATFORWAR oder die UMZUWAS-INVASION
Israel, die
USA und Deutschland/Europa und das Streben des Iran nach atomarer Bewaffnung
Wissenschaft,
Wissen schaffend – oder "Trash"? Zu Qualität und Funktion(en) der
Mearsheimer-Walt-Studie
Antisemitisch ja/nein?
BREITE
Debatte? Nein! - FURIOSE Debatte? Allerdings!
Gedanken,
diverse:
Recht und
Geschichte
Identität
Israels anders gegründet als amerikanische Identität)
Über die
Wahrscheinlichkeit und ggf. die Modalitäten eines Paradigmenwechsels in der
US-amerikanischen Nahostpolitik
Umfrage(n) zur Debatte:
Stimmen in der Debatte
Vorbemerkung:
Der Streit um das Mearsheimer-Walt-Papier und der Streit der Streiter
untereinander
Wissenschaftliche Analysen (Kommunikationsanalysen,
Medienanalysen)
Die nachfolgenden
Überlegungen stehen – wenn auch auf einer schon recht abstrakten Ebene – in
einem gewissen Zusammenhang mit meinen Aufsätzen
-
"Sinn substituiert die Konjunktion:
rettet er die Renten durch
ökonomische Akzeleration" auf meiner Webseite "Rentenreich"
und
- "The (b)rat in the box at
the ultimate lever?" auf meiner Blogseite.
Die gemeinsame Thematik
dieser Arbeiten ist die Untersuchung von Argumentationsstrategien
bei der gesellschaftlichen Verfolgung (und ggf. Durchsetzung) von Partikularinteressen.
. Konkret geht es dort um die:
- Einführung des
Kapitaldeckungsverfahrens in der gesetzlichen Rentenversicherung an Stelle des
Umlageverfahrens bzw. die
- Argumentationsstruktur
anti-ökologischer Kampagnen
- und vorliegend um die Durchsetzung
außenpolitischer Vorstellungen Israels in den USA zum Zwecke der Durchsetzung
außenpolitischer Interessen im Nahen Osten.
Auf einer noch abstrakteren
Ebene gehört die vorliegenden Notizen damit zu jenem Themenfeld, das mich
eigentlich immer beschäftigt, nämlich "Sprache – Denken – Wirklichkeit".
Daneben habe ich aber
natürlich auch ein inhaltliches Interesse, oder sogar zwei "Interessen":
Zum einen finde ich die
Thematik subjektiv interessant, also intellektuell reizvoll, mit ihren
ethisch-politisch-historischen Aspekten.
Zum anderen habe ich ein
konkret politisches, quasi "objektives" Interesse insofern, als
Deutschland und Europa derzeit ebenfalls in den Nahostkonflikt hineingezogen
werden und wir alle bald sehr viel direkter betroffen werden als wir das
derzeit (z. B. als Steuerzahler) sind. Der Einsatz deutscher Soldaten, nun auch
im Nahen Osten, steht bevor (bzw. ist, wenn Sie diese Zeilen lesen werden,
vielleicht schon Realität).
Prof. Alan Dershowitz schreibt
über sein gegen Mearsheimer und Walt (nachfolgend auch: "M-W"
genannt) gerichtetes Pamphlet, dass es "truly a 'working paper' — a work in
progress" (S. 8) sein soll und
rechtfertigt die gewissermaßen vorzeitige Veröffentlichung mit dem Satz "But because of the attention the original
paper has received, it is essential to publish and circulate this response as
soon as possible." Recht hat er (insofern zumindest), denn wer den
Mund zu spät aufmacht, braucht ihn gar nicht mehr zu öffnen!
Was dem berühmten Rechtsgelehrten
Recht ist, ist dem ruhmlosen Netzmeister billig: auch das vorliegende Papier
ist ein "work in progress". Denn im Hinblick auf die fortgeschrittene
Diskussion über den Einsatz (auch) deutscher Soldaten im Konfliktgebiet (wenn
auch voraussichtlich nur auf hoher See) möchte auch ich nicht noch Monate mit
der Veröffentlichung warten, um dann zwar vielleicht einen "runderen"
Text präsentieren zu können, aber den politischen Ereignissen hinterher zu
laufen.
Ich stelle deshalb zunächst
dasjenige ein, was ich bis zu dem oben genannten Datum ("Vorliegender
Textstand
vom") zusammengestellt habe. Im
Laufe der Zeit werde ich weitere Kommentare zu zahlreichen anderen
Debattenbeiträgen nachzutragen.
„Israelis tend to describe every threat in
the starkest terms“ schreiben die US-Politologen John Mearsheimer und
Stephen Walt in ihrer Studie „The Israel Lobby“
in der London Review of Books (LRB) vom 23.03.2006. (Die vollständige wissenschaftliche
Arbeit – auf die sich im Folgenden auch meine Seitenangaben beziehen - erreicht
man hier
oder, etwas umständlicher, da,
und auf Deutsch auf der Webseite eines gewissen Lutz Forster: TEXT
+ FUSSNOTEN.)
[Falls der direkte Link-Zugriff über die Harvard-URL nicht klappt, findet man
das Arbeitspapier auch über die Suchseite
für die "research papers" der Fakultät.]
Die „starkest terms“ riefen mir eine
Formulierung wieder ins Gedächtnis, die ungefähr einen Monat nach Erscheinen
des Arbeitspapiers von M-W durch die Presse ging:
„Nach dem Selbstmordanschlag in Tel Aviv hat Israel
vor einer neuen «Achse des Terrors» gewarnt. Die palästinensische
Hamas-Regierung sowie Syrien und der Iran säten «die Saat für den ersten
Weltkrieg des 21. Jahrhunderts», sagte der
israelische UN-Botschafter Dan Gillerman im Sicherheitsrat in New York.“
(Hervorhebung von mir.)
Diese
Meldung erschien am 18.04.2006 in zahlreichen
Zeitungen und hat mich doch ziemlich aufgeschreckt. Prima facie erscheint sie
als blanker Unsinn. Wie soll ein Selbstmordattentat einen Weltkrieg auslösen?
Wir leben nicht mehr im Jahre 1914. Die machtpolitischen Konstellationen sind
heute ganz anders und vor allem noch weitaus deutlicher asymmetrisch als damals.
Außerdem haben nicht einmal die Angriffe arabischer Staaten auf Israel in der
Vergangenheit einen Weltkrieg ausgelöst: Israel ist ganz allein und ganz locker
mit denen fertig geworden.
Man
kann die Formulierung aber auch ganz anders verstehen, nämlich als eine
versteckte Botschaft des israelischen Botschafters bei der Völkergemeinschaft
an die Völker der Welt: „Wenn die auf uns
losgehen, ziehen wir euch alle in die Sache mit rein“.
Und
nach der Lektüre der Arbeit von Mearsheimer und Walt könnte einem noch eine
weitere Verschiebung der Lesart in den Sinn kommen, hin zur Bedeutung von „Wir haben die Macht und die Mittel, um euch
in unsere Händel herein zu ziehen“.
Nun
ist es sicherlich manchmal gut oder nützlich, richtig oder wichtig, dass man
sich persönlich irgendwo „reinhängt“, oder dass sich ein Staat in die
Angelegenheiten anderer Staaten involviert. So sehr auch Nicht-Einmischung das
hehre Prinzip ist, leben wir nun einmal nicht in einer Welt abgeschotteter
Monaden: weder als Individuen noch auf der Ebene der Staaten.
Weniger
erfreulich ist es allerdings, von anderen irgendwo reingehängt zu werden. Das
mag ich persönlich nicht, und als Bürger meines Staates kann ich mir das für
diesen (ebenso wie auch für den Überstaat der EU) erst recht nicht wünschen.
Erst vor kurzem hatte Shimon (gelegentlich auch "Schimon"
geschrieben) Stein,
Israels Botschafter in Deutschland, die Nato aufgefordert, sich In die seinerzeitigen
Kämpfe Israels gegen die Hisbollah im Libanon reinzuhängen – vgl. "Israels Botschafter für Nato-Truppen in Nahost",
Netzeitung vom 21.07.06. Freilich will Israel die
Rolle der Nato (bzw. jetzt der internationalen Friedenstruppen)
darauf beschränken Soldaten abkommandieren. Bemühungen, einen dauerhaften
Frieden Israels mit den Palästinensern zu vermitteln, sind eindeutig nicht
willkommen.
Denn das heißt natürlich auch, einen Abzug der israelischen Besatzungssiedler
aus dem Westjordanland zu verlangen. Da wäre mit Sicherheit das Geschrei über
die Einmischung in die "inneren Angelegenheiten" Israels groß.
Wie
auch immer: Kaum liegt die israelische Forderung auf dem Tisch, wird sie – in
Gestalt einer internationalen Friedenstruppe – bereits umgesetzt.
Auch
wenn wir diesmal politisch auf der "richtigen" Seite stehen:
moralisch stehen wir vielleicht wieder einmal auf der falschen. Eine
bedingungslose Unterstützung Israels, die letztlich zu Lasten der Palästinenser
geht, ist nicht unsere historische Pflicht, sondern belädt uns mit einer neuen
historischen Hypothek.
Bereits
am 04.02.06 hatte ich mir unter dem Titel „Propheten-Karikaturen und Palästinenserfrage“
(aus dem damals aktuellen Anlass der "Mohammed-Karikaturen") Gedanken
über die Rolle gemacht, die Europa in dem Palästinakonflikt spielen könnte und
sollte – und über die Rolle, die Amerika spielt und (nicht) spielen sollte.
Dass sich, zumindest was die israelische Siedlungspolitik angeht, die
amerikanische Supermacht von den israelischen Nationalisten wie ein Tanzbär am
Nasenring durch die weltpolitische Arena führen lässt, sieht ein Blinder mit
dem Krückstock von Wächtersbach quer über den Atlantik bis Washington. Und
dieser Sachverhalt
wird übrigens nach meinem ersten Eindruck aus verschiedenen gegen Mearsheimer
und Walt gerichteten Artikeln nicht einmal von deren Gegnern bestritten. Er
wird (aus nahe liegenden Gründen) ganz einfach ausgeklammert.
Auch
in Amerika haben viele Menschen Bedenken gegen die massive Schieflage der
US-Politik in der Palästinafrage; aber John Mearsheimer und Stephen Walt sind
nicht irgendwelche obskuren Intellektuellen, sondern Politologie-Professoren an
geachteten Universitäten. Wie geht "die Lobby" mit denen um?
Politologen
schreiben, wenn sie nicht gerade Niccolo Machiavelli
heißen, nicht für die Ewigkeit. Nicht selten schreiben sie (wie schon Niccolo
Machiavelli) mit der Absicht, Einfluss auf die Politik ihrer Epoche zu nehmen.
Die
Studie von Mearsheimer und Walt ist nach Anspruch und Form ebenso wie vom
Inhalt und Niveau her eine wissenschaftliche Arbeit. Aber das ist nur die eine,
gewissermaßen „akademische“ Seite.
Treibendes
Motiv hinter dem Papier ist nicht akademischer Ehrgeiz, sondern klar erkennbar
der Patriotismus der beiden Autoren. Ganz offenkundig sind sie der Meinung,
dass die US-Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten total in der Sackgasse
steckt. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass sie die US-Soldaten
lieber gestern als heute aus dem Irak abgezogen sehen möchten, und erst recht
keine militärischen Konflikte mit weiteren Ländern in der Region (Iran, Syrien)
wünschen: „We don’t need another Iraq“
schreiben sie (S. 41). Mearsheimer und Walt lieben ihr Land und wollen es aus
der Sch. heraus holen, in die es dort ‚hineingeraten’ ist (oder hineingeraten
wurde?).
Diese
selbst gestellte Aufgabe gehen sie als Politologen systematisch an, indem sie
(sich und ihr Publikum) fragen, welche politischen Wirkmechanismen die USA dort
hineingebracht haben und dort halten.
Auch
wenn Kritik an evtl. Fehlern im Papier legitim ist: Erwiderungen gegen
Mearsheimer und Walt, die lediglich auf den Einfluss der US-amerikanischen
Israel-Lobby insgesamt abstellen, oder gar nur aus längst vergangenen Zeiten,
gehen weitgehend schon am Inhalt der Studie von Mearsheimer und Walt vorbei,
denn diese bezieht sich im Kern auf die aktuelle Situation (d. h. insbesondere
die Lage seit dem 11.09.2001. Erst recht verfehlen weit ausholende Rückgriffe
in die Vergangenheit (mit – mehr oder weniger überzeugenden – Beweisen gegen
eine besonders große innenpolitische Macht der US-amerikanischen Israel-Lobby)
eine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Anliegen der beiden amerikanischen
Patrioten (die übrigens auch in dieser Hinsicht Niccolo Machiavelli
vergleichbar sind, dessen kühle Kalkulationen letztlich von einem starken
Patriotismus - bzw. genauer: von zwei Patriotismen, für seine „beiden“
Vaterländer Florenz und Italien - gespeist waren), nämlich die Nahostpolitik
ihres Landes auf einen Weg zu führen, der den Interessen ihres Landes dient
(das nicht nur sie in diesem Zusammenhang als häufig von einer fremden – kleinen
- Macht ferngesteuert sehen).
Auch
die negativen Auswirkungen, welche diese ungewöhnlichen Staatenliaison für die
anderen Verbündeten der USA hat, bleiben nicht unerwähnt:
„Why has the US
been willing to set aside its own security and that of many of its allies in order
to advance the interests of another state?“ (S. 2)
„The Lobby’s influence causes trouble on several fronts. It increases
the terrorist danger that all states face – including America’s European allies.“ (S.
42)
Was
die Brüskierung nicht nur der Alliierten, sondern der gesamten Welt angeht,
erinnere ich mich noch sehr deutlich daran, dass Jassir Arafat
vor längeren Jahren von der UNO (von irgend einem Ausschuss der UNO-Vollversammlung,
glaube ich) eingeladen worden war, seinen Standpunkt dort vorzutragen. Die USA
ließen ihn gleichwohl nicht einreisen, weil er ein Terrorist sei.
Ich
habe keinen Zweifel daran, dass er – bis wann? – ein Terrorist war. Aber zu
diesem Zeitpunkt war er persönlich sicherlich kein aktiver Terrorist mehr, und
vor allem wäre er bestimmt nicht mit ein paar Bomben im Gepäck in die USA
eingeflogen.
Jedenfalls
verweigerten die USA ihm das Einreisevisum; ob auf Druck der Lobby, weiß ich
nicht (formal wurde irgend ein Gesetz vorgeschoben).
Leider
ließen sich die Völker der Welt dann darauf ein, an einem anderen Ort (Genf?) zusammen
zu kommen. Mich hat das tief beschämt; nicht weil ich Arafat besonders
geschätzt hätte, sondern weil ich die amerikanische Weigerung, einen von der
Weltgemeinschaft eingeladenen Gast zum Sitz der Völkergemeinschaft einreisen zu
lassen, als einen ungeheuren Affront empfunden habe. Man durfte sich so richtig
als Angehöriger der World United Banana Republics fühlen.
Angemessen
wäre es aus meiner Sicht gewesen, wenn die UNO-Mitglieder die USA vor die Alternative
gestellt hätten, entweder Gäste der UNO einreisen, oder aber das
UN-Hauptquartier für immer ausreisen zu lassen, es also z. B. nach Genf zu
verlegen. Es kann nicht angehen (und wird nur von politischen Eunuchen wie den
Europäern hingenommen), dass man Gastgeber eines Völkerbundes ist und sein
will, und diesen dann, wenn einem irgend etwas nicht in den Kram passt, in den
A. tritt.
Man
mag einwenden, dass es erheblich schwerer wiegende Verstöße gegen das
Völkerrecht und Affronts gegen die UNO gegeben hat. Für mich war in diesem
Falle aber der Symbolwert um so größer, als alle Staaten brav gekuscht haben.
Wenn diese (also auch wir) sich da massiv auf die Hinterbeine gestellt hätten,
hätten sie/wir sich/uns mit Sicherheit gegen diese unglaubliche 'Arroganz der
Macht' durchgesetzt.
Nach dieser kleinen, eher
persönlichen Abschweifung nun aber zur Analyse des Arbeitspapiers von M-W. Da
es kein Inhaltsverzeichnis enthält, ist es vielleicht nützlich, die Gliederung
des Textes hier darzustellen, um die überzeugend klare Struktur der
Argumentation von Mearsheimer und Walt transparent zu machen.
1 - 2 THE
ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY
("... the overall thrust of U.S.
policy in the region is due almost entirely to U.S.
domestic politics, and especially to the activities of the “Israel Lobby.”)
("America's [finanzielle + politische] support for Israel is, in short, unique")
("Israel may have been a strategic asset during the
Cold War",
ist aber eine Belastung spätestens
seit dem 1. Golfkrieg
1990/91. Die USA
haben
"a terrorism problem in good part because it
is so closely allied with Israel.
.. U.S. support for Israel
is not the only source of anti-American terrorism, but ... an important one,
and it makes winning the war on terror more difficult.")
("Viewed
objectively, Israel’s past and present conduct offers no moral basis for
privileging it over the Palestinians.")
DARIN FOLGENDE UNTERKAPITEL:
(Israel ist – und war -
militärisch zumindest nicht schwächer als die Araber)
("Israel is formally democratic", verweigert aber den von ihm
kontrollierten Palästinensern volle politische Rechte)
("This history [d. h. die Verfolgung der
Juden] ... provides a strong moral case
for supporting Israel’s
existence. But the creation of Israel involved additional crimes against a
largely innocent third party: the Palestinians.")
("In terms of actual behavior, Israel’s
conduct is not morally distinguishable from the actions of its opponents.")
("unmatched
power", "ability to
manipulate the American political system")
DARIN
FOLGENDE UNTERKAPITEL:
("We use 'the Lobby' as a convenient short-hand term for the loose
coalition of individuals and organizations who actively work to shape U.S.
foreign policy in a pro-Israel
direction." "... this term is not meant to suggest that 'the Lobby '
is a unified movement with a central leadership, or that individuals within it
do not disagree on certain issues."..... "The Lobby also [d. h. außer amerikanischen
Juden] includes prominent Christian
evangelicals ... [and] neoconservative gentiles")
("The Lobby’s activities are not the sort of
conspiracy depicted in anti‐Semitic
tracts like the Protocols of the Elders of Zion*. For the most part, the individuals and
groups that comprise the Lobby are doing what other special interest groups do,
just much better.") *dt.:
Protokolle
der Weisen von Zion.
(Zweigleisige Strategie einer
direkten politischen Einflussnahme einerseits andererseits und einer
Beeinflussung der öffentlichen Meinung
"...
by repeating myths about Israel and its founding and by publicizing Israel’s side
in the policy debates of the day")
("...
in the U.S.
Congress, where Israel
is virtually immune from criticism" ..... "One reason for the Lobby’s
success with Congress is that some key members are Christian
Zionists"..... "Pro‐Israel
congressional staffers are another source of the Lobby’s power" .....
"The bottom line is that AIPAC,
which is a de facto agent for a foreign government,
has a stranglehold on the U.S.
Congress")
[Hervorhebung von mir]
("Jewish
voters have high turn-out rates ..."
..... "For example, pro-Israel forces make sure that critics of the Jewish
state do not get important foreign – policy appointments".
Über die Position der USA den
Friedensverhandlungen im Jahr 2000 in Camp David schreiben M-W, dass
"the American delegation took its cues from
Israeli Prime Minister Ehud Barak, coordinated negotiating positions in
advance, and did not offer its own independent proposals for settling the conflict.")
("...the Lobby strives to shape public
perceptions about Israel and
the Middle East. It does not want an open
debate on issues involving Israel,
because an open debate might cause
Americans to question the level of support that they currently provide." "...
the American media contains few criticisms of Israeli policy, rarely
questions Washington’s relationship with Israel, and only occasionally discusses the
Lobby’s profound influence on U.S.
policy.")
[Hervorhebung von mir]
(Dazu rechnen M-W: Das WINEP - Washington Institute for Near East Policy -, das American Enterprise Institute, die Brookings Institution, das Center for Security Policy, das Foreign Policy Research Institute, die Heritage Foundation, das Hudson Institute, das Institute for Foreign Policy Analysis und – naturgemäß – das Jewish Institute for National Security Affairs – JINSA.)
("The Lobby has had the
most difficulty stifling debate about Israel on college campuses, because
academic freedom is a core value and because tenured professors are hard to
threaten or silence." Trotzdem gibt es "Groups in
the Lobby ... [that] direct their
fire at particular professors and the universities that hire them." .....
"In sum, the Lobby ... has worked hard to stifle criticism of Israel
by professors and students and there is much less of it on campuses today.")
(= Antisemitismusvorwurf:
"Anyone who criticizes Israeli actions or says that
pro-Israel groups have significant influence over U.S. Middle East policy ...
stands a good chance of getting labeled an anti-Semite.")
(" ... the Lobby has ... sought to shape the
core elements of U.S. Middle East policy. In particular, it has worked
successfully to convince American leaders to back Israel’s
continued repression of the Palestinians and to take aim at Israel’s primary regional adversaries: Iran, Iraq,
and Syria.")
DARIN FOLGENDE UNTERKAPITEL:
("...
the Bush Administration failed to change Israel’s policies, and Washington
ended up backing Israel’s
hard-line approach instead. Over time, the Administration also adopted Israel’s justifications for this approach, so
that U.S.
and Israeli rhetoric became similar."
Den Grund für diese Politik, die
nicht dem amerikanischen Wählerwillen entspricht – "73 percent said that United States should not favor either side"
-, sehen M-W im Wirken der Lobby, nicht nur der jüdischen, sondern auch der
evangelikalen.)
30 Israel and the Iraq War
("Pressure
from Israel and the Lobby
was not the only factor behind the U.S.
decision to attack Iraq
in March 2003, but it was a critical element. Some Americans believe that this
was a 'war for oil,' but there is hardly any direct evidence to support this
claim. Instead, the war was motivated in good part by a desire to make Israel
more secure.")
(Mearsheimer
und Walt verkennen nicht, dass die Macht der vereinten zionistischen und neokonservativen
Lobby nicht ausgereicht hätte, um Bush in das Irak-Abenteuer zu treiben. Dazu
war 'Hilfe', nämlich der Eintritt eines außergewöhnlichen Ereignisses nötig:
"That
help arrived with 9/11. Specifically, the events of that fateful day led Bush
and Cheney to reverse course and become strong proponents of a preventive war
to topple Saddam. Neoconservatives in the Lobby ... played especially critical
roles in persuading the President and Vice-President to favor
war.")
Sie
beschließen dieses Unterkapitel mit dem Satz:
"Without the Lobby’s efforts, the United States
would have been far less likely to have gone to war in March 2003.")
(Hier beschreiben M-W den unter
Clinton vollzogenen 'Paradigmenwechsel' in der US-Nahostpolitik von einer durch
gegenseitiges Ausspielen der Regionalmächte – d. h. insbesondere Irak und Iran
– bewirkten Machtbalance hin zu einer Strategie des "dual containment",
d. h. einer gleichzeitigen Konfrontation der US-Politik gegen den Irak und den
Iran. Die Wurzeln dieses Paradigmenwechsels sehen sie offenbar in israelischen
und pro-israelischen Einflussnahmen auf die US-Außenpolitik.)
("Israeli leaders did not push the Bush
Administration to put its crosshairs on Syria
before March 2003, because they were too busy pushing for war against Iraq.
But once Baghdad fell in mid-April, Sharon and
his lieutenants began urging Washington to
target Damascus.
..... Syria was not on bad
terms with Washington before the Iraq war ...and it was no threat to the United States.
Playing hardball with Syria
would make the United States
look like a bully with an insatiable appetite for beating up Arab states. .....
Yet Congress insisted on putting the screws to Damascus,
largely in response to pressure from Israel officials and pro-Israel
groups like AIPAC. If there were no Lobby, ... U.S.
policy toward Damascus would have been more in
line with the U.S.
national interest.")
38 Putting Iran in the Crosshairs
("If Washington could live with a nuclear Soviet Union, a
nuclear China, or even a
nuclear North Korea,
then it can live with a nuclear Iran.")
(Offenbar
bezogen auf das Kapitel "THE TAIL WAGGING THE DOG", nicht auf das
gesamte Arbeitspapier.
" Israel
and its American supporters want the United
States to deal with any and all threats to Israel’s
security. If their efforts to shape U.S. policy succeed, then Israel’s enemies
get weakened or overthrown, Israel gets a free hand with the Palestinians, and
the United States
does most of the fighting, dying, rebuilding, and paying.")
(Es liegt in der Natur
der Sache, dass ich aus den zusammenfassenden Schlussfolgerungen von
Mearsheimer und Walt ausführlicher als bei den vorherigen Kapitel zitiere:
"... using American power to achieve a just
peace between Israel and the
Palestinians would help advance the broader goals of fighting extremism and
promoting democracy in the Middle East. But that
is not going to happen anytime soon." ....."... the Lobby's influence
causes trouble on several fronts. It increases the terrorist danger that all
states face - including America's
European allies. By preventing U.S.
leaders from pressuring Israel
to make peace, the Lobby has also made it impossible to end the
Israeli-Palestinian conflict. This situation gives
extremists a powerful recruiting tool ...". .....
"Thanks to the Lobby, the United States has become the de facto enabler of
Israeli expansion in the occupied territories, making it complicit in the
crimes perpetrated against the Palestinians." ..... "... the Lobby’s
campaign to squelch debate about Israel is unhealthy for democracy.
..... "... efforts to stifle debate by intimidation must be roundly
condemned by those who believe in free speech and open discussion"
..... "Ironically, Israel
itself would probably be better off if the Lobby were less powerful and U.S.
policy were more evenhanded." .....
"Denying the Palestinians their legitimate political rights certainly has
not made Israel
more secure" ..... " What is needed, therefore, is a candid
discussion of the Lobby’s influence and a more open debate about U.S.
interests in this vital region. Israel’s well-being is one of those
interests, but not its continued occupation of the West Bank or its broader
regional agenda.") [Hervorhebung von mir]
Diskursiven Trübfischern (die es
nicht nur bei den Antisemiten, sondern auch bei den Anti-Antisemiten gibt) kann
man das Handwerk erschweren, indem man Sachverhalte bzw. Einstellungen mit
möglichst großer Schärfe einerseits trennt und andererseits, soweit man ihr
Wabern im Debattenhintergrund spürt, die Schwebstoffe aus der Debatte
herausfiltert und die Konturen der eigentlichen Problemlage sichtbar macht
(bzw. sichtbar hält).
Für ein sachadäquates Verständnis
der tatsächlichen Handlungsweise der Lobby, deren moralischer (ggf. auch
juristischer) Beurteilung und der von M-W beabsichtigten oder tatsächlich implizierten
Beurteilung sowie schließlich auch für ein vertieftes Verständnis der Arbeit
vom M-W erscheint es mir wichtig, bei der Bewertung des möglichen Vorwurfs von
"split (oder dual) loyalties" gegen Akteure der Lobby folgende 3
Bereiche zu unterscheiden:
a) Existenz und Wirken "der
Lobby" ganz allgemein:
Dass "die Lobby"
Partikularinteressen vertritt, versuchen einige ihrer Anhänger in der Diskussion
zwar zu vernebeln. Bestreiten können und tun sie es schon deshalb nicht, weil
die Lobby eben nicht konspirativ im Untergrund wühlt, sondern ganz offiziell
und öffentlich aktiv ist. Deshalb kann ihre Existenz (wohl aber natürlich ihr
Umfang und ihr Erfolg) nicht bestritten werden (und wird auch nicht einmal von
den schärfsten Gegner von M-W geleugnet).
b) Belegbare Fakten zum
Reden/Handeln der Lobby und der israelischen Regierung:
Positionen, für welche die israelische
Politik und die zionistische Lobby tatsächlich eingetreten sind bzw. (bei der
israelischen Regierung) Handlungen, die dieser tatsächlich zuzuordnen sind (z.
B. Siedlungspolitik im Westjordanland)
c) Tatsächlich später eingetretene
Ereignisse, die als solche unstreitig sind (z. B. Irak-Krieg).
(Meinungen, für die in aller Regel
kein strenger Nachweis/Beweis im naturwissenschaftlichen oder auch nur im
juristischen Sinne erbracht werden kann):
Bei diesen Fragen kann Dissens
bestehen; die Advokaten der zionistischen Lobby werden
aa) den Kausalzusammenhang
zwischen der Lobby-Arbeit und den politischen Ereignissen jedenfalls dann
bestreiten, wenn tatsächlich erreichte Ziele in der Öffentlichkeit schlecht ankommen
(Irak-Krieg);
bb) eine Diskrepanz zwischen
Lobby-Zielen und US-Interessen leugnen und, wenn sie besonders dreist sind
(und/oder mit Sachargumenten nicht überzeugen können),
cc) die Kritiker der Lobby auf
anderen Wegen als denen eines rein sachbezogenen Streites der Meinungen zu
diskreditieren versuchen (Antisemitismus-Vorwurf usw.).
a) Wirkung der Lobby-Arbeit
"Prozentualer" Anteil
der Lobby-Aktivitäten an später eingetreten Ereignissen.
b) Interessenanalyse aus Sicht der
USA
Identität oder Diskrepanz der Lobby-Ziele
zu den (außenpolitischen) US-Interessen (Problem der Definition von
"wahren" Interessen; unvermeidliche Subjektivität der Interessenbestimmung,
Problem des Zeithorizonts bei der Interessenbestimmung).
c) Bei unterstellter Diskrepanz
der Lobby-Aktivitäten zu US-Interessen taucht die Frage einer moralischen
Bewertung der Lobby-Aktivisten auf ("Vaterlandsverräter"?).
Teilweise unausgesprochen im
Hintergrund der Empörung (soweit sie genuin ist und nicht lediglich
instrumentalisiert, was man natürlich im Einzelfall nie wissen kann) steht der
Ruch des "Vaterlandsverrats", den die Lobby-Anhänger bzw. –vertreter
offenbar aus den Ausführungen von M-W heraus lesen. Insoweit hätten M-W
vielleicht klar stellen sollen, dass der Vorwurf, die Lobby vertrete Ziele, die
nicht mit den [im Sinne von M-W definierten] US-Interessen identisch oder
diesen sogar konträr seien, nicht zwangsläufig bedeutet, dass die
Lobby-"Mitglieder" bewusst den außenpolitischen Interessen der USA
Schaden zufügen oder auch nur den Eintritt von Schäden billigend in Kauf nehmen
wollen.
Bei gutem Willen kann man schon
aus dem Umstand, dass M-W auch andere als jüdische Neokonservative zur Lobby
zählen, erkennen, dass M-W eben nicht davon ausgehen, dass den
Lobby-Mitgliedern die Interessendiskrepanz bewusst ist (über die man ja in der
Tat streiten kann, weil sie nicht zum Bereich der eindeutig feststellbaren
Fakten zählt).
Weil
aber nicht bei allen Kritikern von M-W guter Wille vorausgesetzt werden darf,
wären M-W gut beraten gewesen, diesen Sachverhalt expressis verbis zu
formulieren. (In ihrem neuen Debattenbeitrag vom 01.07.06 "The War over
Israel's Influence"
tun sie mittlerweile genau das: "These
organizations believe their efforts advance both American and Israeli
interests. We do not" heißt es dort.)
d)
Schließlich könnte man in diesem Zusammenhang natürlich noch die Frage nach den
"wahren" Interessen Israels aufwerfen, wie das M-W tatsächlich auch
tun (S. 41 letzter Absatz).
Auf
einer anderen Ebene steht die Unterscheidung zwischen den analytischen und den
aktivierenden Elementen der Arbeit von M-W. Keine Frage: Mearsheimer und Walt
wollen wirken. Sie
wollen nicht mandarineske Glasperlenspiele im Elfenbeinturm abspulen, sondern
sie versuchen, mit dieser Studie die US-Nahostpolitik in eine andere Richtung
zu lenken.
Aus diesem Grunde muss die Arbeit zwangsläufig auch eine
"aktivierende" Dimension haben; M-W müssen ihrem Publikum ein
möglichst breites Spektrum von Gründen bieten, um eine Politikänderung auf
allen Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses – also der
"realistischen" wie der moralischen Ebene – zu rechtfertigen. Deshalb
die Argumente, dass die israelische Position der arabischen moralisch zumindest
nicht überlegen ist, wie sie sich z. B. in folgenden Sätzen (die im
Arbeitspapier natürlich begründet werden), verdichtet:
"Viewed objectively, Israel’s
past and present conduct offers no moral basis for privileging it over the
Palestinians." (S. 8)
"The fact that the creation of Israel entailed a moral crime against the
Palestinian people was well understood by Israel’s leaders." (S. 11)
"In terms of actual behavior, Israel’s conduct is not morally
distinguishable from the actions of its opponents." (S. 11)
"Israel’s subsequent conduct towards
its Arab adversaries and its Palestinian subjects has often been brutal,
belying any claim to morally superior conduct." (S. 12)
"Israel may not have acted
worse than many other countries, but it clearly has not acted any better."
(S. 14)
Diese
Elemente bieten den Gegnern naturgemäß größere Angriffsflächen und emotionalisieren
die Debatte. Andererseits spielen Gefühle (z. B. das Gerechtigkeitsgefühl!)
immer eine mehr oder weniger große Rolle. Ohnehin ist ja die ganze Grundlage
der Debatte nicht-rational: warum wollen die Juden überhaupt Juden sein (bzw.
als Juden leben dürfen), die Palästinenser Moslems (und Christen) und in jedem
Falle Palästinenser, und warum sind Christen Christen und wollen es bleiben?
Wieso sind in Deutschland in Münster mehr Menschen katholisch und in Heidelberg
mehr calvinistisch? Rational ist das alles nicht. Aber deswegen ist es
keineswegs "irrational": es ist ganz einfach nicht-rational, eine
andere Dimension, die sich nicht (zwangsläufig) gegen die Vernunft richtet.
Unser
Handeln, auch unser rationales politisches Handeln, wächst also auf einem
nicht-rationalen Nährboden und kann auch deshalb nicht ausschließlich durch
eine rationale Argumentation gesteuert werden.
M-W
beschreiben, wie die zionistische Lobby die Meldungen über die Ereignisse im
Palästinakonflikt in ihrem Sinne zu beeinflussen, zumindest aber deren
Bewertung zu monopolisieren versucht. Dem treten sie – was ich für legitim
halte – entgegen, indem sie wenig bekannte Fakten ins Licht rücken. Soweit
ihnen dabei im Einzelfalle Irrtümer unterlaufen sind, ist Kritik daran
natürlich legitim und M-W müssten eventuelle unzutreffende Behauptungen berichtigen.
Jedenfalls
ist aber das, was ich die "aktivierende" Dimension des Textes von
Mearsheimer und Walt nenne, nur eine Facette ihrer im übrigen analytischen
ausgerichteten Arbeit. Es ist deshalb irreführend, wenn Heumann/Zucker (vgl.
unten bei "Zaungäste) schreiben: "Der
Titel ist sachlich: 'The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy'. Aber Ton und
These des Papiers sind als Polemik gedacht."
"Europe’s crimes against the Jews provide a
clear moral justification for Israel’s
right to exist"
meinen Mearsheimer und Walt
(S. 10).
Das ist aus meiner Sicht
schon ein polit-ethisches Zugeständnis (welches ihnen die wütenden Verteidiger
"der Lobby" nicht einmal danken).
Denn ganz so einfach, wie
es in dieser Textpassage von M-W erscheint, ist die Existenz (bzw. genauer: die
Gründung) Israels, moralisch nicht zu rechtfertigen.
Eine solche Rechtfertigung vollzieht sich schließlich nicht im luftleeren Raum.
Kein Araber, Palästinenser
eingeschlossen, hätte etwas dagegen, dass ein Staat Israel existiert –
irgendwo. Zu einer solch abstrakten Rechtfertigung bedürfte es auch keines
Rekurses auf den von M-W höflich als "europäische" Verbrechen
bezeichneten Nazideutschen Völkermord an den Juden. Es wäre ausreichend zu
sagen, dass die Zionisten gern einen eigenen Staat hätten – und so haben sie
sich eben einen aufgebaut.
Das Problem ist nur, dass
dieser Staat Israel nicht irgendwo existiert, sondern eben in Palästina liegt,
und dass es da schon vorher Leute gab, und dass die dort seit langen Jahrhunderten
ansässigen Einwohner keinen Staat
Israel wollten, d. h. keinen Staat, der seine Identität wesentlich aus der
jüdischen Religion definiert. Absolut
zutreffend sprechen M-W von
"aspects of Israeli democracy that are at
odds with core American values. The United States is a liberal
democracy where people of any race, religion, or ethnicity are supposed to
enjoy equal rights. By contrast, Israel was explicitly founded as a
Jewish state". (S. 9)
Es mag zwar sein, dass auch
in Israel Staatsbürger "of any race,
religion or ethnicity" auf dem Papier die gleichen (?) Rechte haben
wie die Juden. Und sicherlich tut sich umgekehrt (nicht nur) die amerikanische
Gesellschaft schwer damit, die theoretische Gleichberechtigung in der Realität
zu implementieren: Das alles ändert aber nichts daran, dass die Zionisten einen
Staat gewollt und aufgebaut haben, in welchem sie gemäß ihrer wesentlich auf
religiöser Grundlage definierten, also jüdischen, Identität leben wollten und
heute leben. Das schließt nicht aus, dass die in Israel verbliebenen arabischen
Einwohner gleiche Rechte, Parteien, Vereine usw. haben. Aber Israel ist nicht
"ihr" Staat, nicht ein Staat, dessen Institutionen ihre (religiös, rassisch,
'lokalpatriotisch' oder wie auch immer definierte) 'Identität' (was immer das
sein mag) widerspiegelt, bewahrt, fortentwickelt.
Nach keinem allgemein
akzeptierten moralischen Kalkül können deutsche
Verbrechen gegen Juden es gegenüber den
Palästinensern rechtfertigen, dass die Zionisten sich nach Palästina hineingedrängt
haben, in einer Zeit, als dieses Land zunächst unter türkischer Herrschaft und
anschließend unter britischer Verwaltung stand, und als die Palästinenser das
Einsickern der Zionisten nicht verhindern konnten (auch wenn sie es
verschiedentlich mit Gewalt versucht haben).
Hier liegt der Ursprung und
der Kern des Konfliktes, und das kann man, jedenfalls nicht im Bewusstsein der
Palästinenser, quasi mit einer Perspektive des umgedrehten Fernglases durch Hinweise
auf den Holocaust beiseite wischen. Auch die Tatsache, dass Mohammed
Amin al-Husseini, der so genannte "Großmufti"
von Jerusalem, mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hat,
wahrscheinlich von dem Völkermord an den Juden Kenntnis hatte und diesen wohl
gebilligt hat, macht die Palästinenser nicht zu Mitschuldigen daran.
Ganz abgesehen davon, das
er kein demokratisch legitimierter Vertreter der Palästinenser war, hatte er
keinerlei Funktion innerhalb der Kausalketten der verschiedenen
Holocaust-Aktionen. Weder hat er sie initiiert, noch hat er an der
Judenvernichtung Teil genommen.
Überhaupt sind seine
Aktivitäten eher unter dem Gesichtspunkt einer stupiden Politmechanik vom Typ
"Der Feind meines Feindes ist mein Freund" (wie sie in anderen
Zusammenhängen auch die USA zu ihrem eigenen Schaden in Afghanistan praktiziert
haben) zu verstehen, denn als Bewunderung für die Nazis.
Die dürften auch die
Palästinenser als 'rassisch minderwertig angesehen' haben, so dass es einen
ideologischen Gleichklang oder eine echte Freundschaft ohnehin nicht geben
konnte.
Zu erinnern ist in diesem
Zusammenhang auch an die zeitliche Reihenfolge der (sehr viel früher
begonnenen) Aktivitäten zur Staatsgründung und des späteren Holocaust.
Sicherlich mag das weltweite Erschrecken über den Holocaust das Entstehen
Israels als Staat begünstigt haben, und vermutlich gibt es einen
Kausalzusammenhang zwischen europäischem Antisemitismus und dem zionistischen
Bestreben nach einem Judenstaat. Jedoch kann, was sich ex post als klug (für
die ausgewanderten Juden) erwiesen hat, nicht ex ante (und gegenüber den Palästinensern ebenso wenig ex post) moralisch
gerechtfertigt werden. Die jüdische Einwanderung mit der Absicht einer
Staatsgründung war, unabhängig davon, ob sich die einzelnen Aktivisten dies
bewusst gemacht haben oder nicht (und erst recht natürlich unabhängig davon, ob
sie das ausgesprochen haben oder nicht) auf die Unterdrückung oder Verdrängung
der ansässigen Bevölkerung zumindest in einem Teil des Territoriums angelegt.
Das war den Palästinensern
klar, ebenso den Briten und erst recht den jüdischen Terrororganisationen,
welche schon vor der Gründung des Staates Israel gegen die Palästinenser (und
gegen die Briten) gekämpft haben. Was dort geschehen ist, das
"Einsickern" der Zionisten in Palästina mit dem (individuell nicht in
jedem Falle notwendiger Weise bewussten) Ziel einer Staatsgründung (die nur zu
Lasten der Palästinenser gehen konnte), werte ich als eine Form
nicht-kriegerischer Aggression (die
später dann, soweit die Palästinenser gewaltsam vertrieben wurden, auch einen
kriegerischen Charakter angenommen haben mag).
Meine Darstellung könnte
den Eindruck erwecken, dass ich das Existenzrecht Israels bestreite. Dazu (auch
wenn es mir wenig nützen wird) im Interesse der Vollständigkeit zwei Anmerkungen:
1) Meine Perspektive ist
weder die eines Israel-Gegners (oder gar Antisemiten), noch die eines
Israel-Freundes (oder Philosemiten), sondern die eines Außenstehenden, dessen
Staat aber jederzeit in den Nahost-Konflikt verwickelt werden kann. Von dieser
Warte aus versuche ich, die Dinge auch aus einem Blickwinkel zu betrachten, wie
er sich nach meiner Vermutung für die Palästinenser darstellt, wie sie aber
auch nach dem im derzeitigen Diskurs herrschenden Verständnis von Moral und
Völkerrecht folgerichtig betrachtet werden müssen.
Wer nicht bereit ist, auch
diese Perspektive zu sehen, wird die Problemdimension nicht verstehen und kaum
zu einer Lösung beitragen können. Nur eine radikale intellektuelle Redlichkeit
kann uns einerseits Unabhängigkeit von den Einflüsterungen und Zumutungen
beider Streitparteien sowie Rückhalt und Kraft für die durchzuhaltende
Behauptung eines eigenen Standpunktes geben. Und nur sie kann uns andererseits
zu kreativen Lösungen inspirieren und unserem Wollen, wenn schon nicht das
Wohlwollen der Parteien, dann doch zumindest deren Respekt gewinnen.
2) Die andere Seite ist,
dass durch eine (ich sage mal möglichst vage:) "Aufhebung" des Staates
Israel neues Unrecht in die Welt gesetzt würde. Es hilft ja nichts, den
Palästinensern zu dem zu verhelfen, was sie zweifellos als ihr Recht ansehen:
Rückkehr der Flüchtlinge im günstigsten, ein Palästina ohne Juden im
schlimmsten Falle. Nichts davon bringt das moralische Kalkül wieder ins Lot,
und wäre deshalb auch nicht akzeptabel.
Mearsheimer-Walt sprechen
die Vor-Gründungsphase Israels zwar an:
"The
Arab inhabitants did resist the Zionists’ encroachments, which is hardly surprising given that the Zionists were trying to
create their own state on Arab lands. The Zionists responded vigorously,
and neither side owns the moral high ground during this period" (S. 11/12,
Hervorhebung von mir). Aber weit umfangreicher
reflektieren sie die moralische Dimension späterer, eher sekundärer Ereignisse:
Man
fragt sich, aus welchem Grund Mearsheimer und Walt diese
"Fundamentaldimension" des Nahost-Konfliktes nicht in ihrer vollen
Schärfe darstellen und statt dessen die moralische Position Israels anhand von
sekundären Ereignissen, bei denen die Bewertung, und teilweise sogar die Faktizität,
umstritten ist, zu relativieren versuchen.
Insoweit
sind -3- Alternativen denkbar:
-
Entweder M-W versprechen sich davon eine größere Wirkung beim Publikum.
Gebrochene Palästinenserknochen sind halt für das Medienpublikum sehr viel
konkreter als (peu a peu) weggenommenes Land.
- Oder
sie vermeiden es bewusst, die Entstehung des Staates Israel in den Phasen vor
der Staatsgründung als moralisch problematisch zu thematisieren, weil sie in
diesem Falle natürlich noch sehr viel stärker, als es ohnehin der Fall ist, erwarten
müssten, des Antisemitismus verdächtigt zu werden.
- Obwohl
M-W zweifellos ihren Machiavell und hoffentlich auch die Tagebücher von Galeazzo
Ciano gelesen haben, halte ich sie dennoch nicht für hinreichend zynisch,
um eine der beiden vorgenannten Strategien zu verfolgen. Dies schon deshalb
nicht, weil sie Professoren geworden sind, also für die Politik (und deren
gelegentlich unvermeidlichen Zynismus) wohl eher weniger geeignet. Ich gehe deshalb
von der dritten möglichen Variante aus, dass nämlich M-W die moralischen
Schwerpunkte genau in jenen Vorkommnissen sehen, mit denen sie ihre negative
Bewertung bzw. Relativierung der israelischen Seite begründen.
Allerdings werden auf dieser
Ebene die Fakten, und mehr noch deren Bewertung (also insbesondere die Frage,
inwieweit Israel als rechtsverletzender Aggressor oder in legitimer Selbstverteidigung
handelt) wohl immer umstritten bleiben. Wer sich darauf einlässt, die Auseinandersetzung
um die moralische Wertigkeit der israelischen im Vergleich zur
palästinensischen Position auf dieser lediglich abgeleiteten Ebene zu führen,
riskiert, dass sein Standpunkt in den Augen einer wenig informierten und nicht
sonderlich interessierten Öffentlichkeit im Laufe der Diskussion unklar oder
gar fragwürdig erscheint. Die Gefahr ist groß, dass man der Lobby Munition für
ihre Nebelwerfer liefert, zumal man mit Schilderungen und Bewertungen von Terror
und Gegenterror (oder "legitimer Gegenwehr"??) in Israel und den von
Israel besetzten Gebieten während der letzten 40 Jahre wahrscheinlich ganze
Bibliotheken füllen kann.
Nur wer den Mut hat, die
Erb- oder Ursünde, die "original sins" oder die "original
injustice" Israels, nämlich den Palästinensern ihr Land weggenommen zu
haben, mit der gleichen bewundernswerten intellektuellen und moralischen
Radikalität zu beschreiben, wie
das einige amerikanische Juden, die aus ethischen Gründen in Opposition zum
Zionismus stehen, auf der Webseite "ifamericansknew"
tun
("The Origin of the Palestine-Israel Conflict"),
gewinnt eine unzweideutige und kaum angreifbare Position in der ethischen
Dimension der Debatte.
Es erscheint sinnvoll,
diese Frage mit einer Betrachtung der israelischen Siedlungspolitik zu verbinden.
Jedenfalls nach meinem Eindruck als oberflächlicher Zeitungsleser haben die Israelis,
während über "Frieden" geredet wurde, durchgängig fleißig jüdische
Siedlungen im Westjordanland gebaut.
Ami Isseroff, ein Israeli und Zionist
(aber kein Hardliner, wie ich sie hier mit dem gelegentlich verwendeten Begriff
"zionistische Lobby" zu erfassen suche), behandelt in seinem Aufsatz
"Don’t Just Stand There
" auf der Webseite MidEastWeb
unter "some basic
preconditions for meaningful negotiations" u. a. auch die Frage der
Siedlungen, und zwar wie folgt:
"Discouraging Settlements and Settler
Ideology - Settlements and settler ideology are injurious to peace and to
Israeli society. The US [must?] make it much clearer to the
Israeli government and public, through repeated statements and through focused
economic sanctions, that they will not stand for extensive Israeli annexations
in the West Bank and Gaza. Israelis must
understand that investing in settlements and settlers is a dead-end investment
in a dead-end ideology." [Hervorhebungen von mir] Daraus
wird u. a. deutlich, dass nicht nur in den Augen von Mearsheimer und Walt (und
zweifellos der Mehrzahl der Europäer) die USA bislang der israelischen Strategie
einer Gebietserweiterung durch Siedlungspolitik allzu nachsichtig gegenüber gestanden
haben (um es mal sehr zurückhaltend zu formulieren).
Mearsheimer-Walt führen zum
Thema Friedensprozess (bzw. zur Frage der israelischen Bereitschaft, den Palästinensern
"Land gegen Frieden" zu gewähren) u. a. aus:
"... even Prime Minister Yitzhak Rabin,
who signed the 1993 Oslo
Accords, nonetheless opposed creating a full-fledged Palestinian state.
Pressure from extremist violence and the growing Palestinian population has
forced subsequent Israeli leaders to disengage from some of
the occupied territories and to explore territorial compromise, but no Israeli
government has been willing to offer the Palestinians a viable state of their
own. Even Prime Minister Ehud Barak’s purportedly generous offer at Camp David
in July 2000 would only have given the Palestinians a disarmed and dismembered
set of “Bantustans” under de facto Israeli
control." (S.
11)
In der zugehörigen
Schlussnote 40 (S. 52 oben) informieren M-W die Leser, dass
"Barak himself said after Camp David that
'the Palestinians were promised a continuous piece of sovereign territory
except for a razor-thin Israeli wedge running from Jerusalem through from Maale
Adumim to the Jordan River,' which effectively would have been under Israel’s
control."
Umfassende
Informationen über die verschiedenen Friedensverhandlungen bringt die (englischsprachige)
Wikipedia (die deutschsprachige zum Teil auch). Eine Link-Übersicht enthält der
Eintrag "List of Middle East peace proposals".
Eine zusammenfassende Darstellung bietet das Stichwort "Peace process in the
Israeli-Palestinian conflict".
Außerdem
gibt es noch zwei Artikel über die Bewertung des Friedensprozesses durch die
beiden Seiten: "Palestinian views of the
peace process" und früher "Israeli views of the peace process", wobei der letztere Link
aber zu dem Stichwort: "International
law and the Arab-Israeli
conflict" führt (08/2006).
Die
Einzelheiten, was Israel bei den Verhandlungen in Camp David
im Jahre 2000 (und bei deren späterer Fortsetzung in Taba)
angeboten hat oder nicht, sind umstritten. Fraglich scheint auch, ob Arafat
abschlussbereit gewesen wäre, wenn die Israelis das angeboten hätten, was in
der öffentlichen Meinung zumindest in Europa und vielleicht auch in den USA
wohl als Maximum der Kompromissbereitschaft von Israel verlangt und als Maximum
des für die Palästinenser Erreichbaren und legitimer Weise Anzustrebenden
angesehen wird, nämlich die Rückkehr zu den Grenzen von 1967. Eine
Wiedereingliederung der Masse der palästinensischen Flüchtlinge in Israel wird – aus guten
praktischen Gründen, selbst von israelischen "Tauben" ausgeschlossen (wenn auch vielleicht nicht von
allen – da habe ich keinen Überblick).
Wünschenswert
wäre es gewesen, wenn Israel seine Angebote an die Palästinenser öffentlich auf
den Tisch gelegt hätte; oder wenn zumindest die US-Regierung bei diesen Verhandlungen
die Bereitschaft der Palästinenser ausgelotet hätte, die Grenzen von 1967 –
evtl. mit Ausnahme Jerusalems – und eine pragmatische Lösung des
Flüchtlingsproblems zu akzeptieren. Man hat den Eindruck, dass die USA das
unterlassen haben, weil sie tendenziell eher auf der israelischen Seite
standen.
Besonders
misstrauisch hinsichtlich der israelischen Friedensbereitschaft stimmt mich die
Tatsache, dass Israel äußerst reserviert auf einen Vorstoß der arabischen
Staaten im Jahre 2002 reagiert hat.
In
dem Wikipedia Eintrag zum "Beirut Summit" liest man dazu mit
Verwunderung (21.08.06):
"The Beirut Summit was a March,
2002 summit meeting, held in Beirut,
Lebanon, between
leaders of Arab nations to present plans to defuse the Israeli-Palestinian
conflict. It was notable for the adoption, by the Arab states attending, of a
proposal offering a comprehensive peace between the Arab nations and Israel,
the Arab Peace Initiative.
The
proposal, from Saudi Arabia
(itself something of a novelty, as the Saudis usually prefer to be less forward
on the world diplomatic stage) stated that should Israel:
-
withdraw from all territories occupied since the
1967 Arab-Israeli war,
-
provide a just solution to the Palestinian
refugee problem, and
-
recognize the establishment of a sovereign and
independent Palestinian state in the West Bank and Gaza Strip
then
the Arab countries would in turn recognize Israel, enter into peace agreements
with it, and establish normal relations with it.
In
response, Israeli Foreign Minister Shimon Peres welcomed it and said: "...
the details of every peace plan must be discussed directly between Israel and
the Palestinians, and to make this possible, the Palestinian Authority must put
an end to terror, the horrifying expression of which we witnessed just last
night in Netanya," referring to Netanya suicide attack perpetrated on
previous evening which the Beirut Summit has failed to address."
Auch
wenn in einem Klima des Terrors Friedensvorschläge innenpolitisch nicht einfach
zu "verkaufen" sein mögen, finde ich es ungeheuerlich, dass Israel
die Araber derart vor den Kopf gestoßen hat. Denn trotz des "welcomed it" muss die Reaktion
(vorausgesetzt, die Wikipedia-Darstellung ist zutreffend) auf die arabischen
Politiker, die es ihrerseits sicherlich nicht leicht hatten diese Vorschläge
innenpolitisch zu vertreten und die sich insoweit m. E. "weit aus dem
Fenster gelehnt" haben, den Arabern als eine empfindliche Brüskierung
erschienen sein. Diese israelische Reaktion ist um so befremdlicher, als es
ohne die anderen arabischen Staaten keinen Frieden geben kann. Einen großen
Teil der Palästina-Flüchtlinge müssten nämlich die arabischen
Länder dauerhaft aufnehmen. Leider ist aus dem Wikipedia-Text nicht erkennbar,
wie Washington den Beiruter Gipfel kommentiert und ob es Israel zu einer konzilianteren
Haltung gedrängt hat. Aber selbst wenn, kann der Druck auf Israel nicht
sonderlich groß gewesen sein.
In einem Brief der US-Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ vom 27.12.2005 an Präsident Bush u. d. T.: „Israel: Expanding Settlements in the Occupied Palestinian Territories" werden
u. a. einige Fakten über die aktuelle israelische Siedlungspolitik im Westjordanland
präsentiert, die mir jedenfalls nicht bekannt waren.
Auf der Webseite der
Washingtoner "MERIP" (Middle
East Research and Information Project, ein tendenziell wohl eher
Palästinenser-freundliches Institut) gibt es einen "Primer", eine
Basisinformation, u. d. T. "What Are Settlements
?". Bemerkenswert aus den dort präsentierten
Infos war für mich, dass nicht nur die rechten, sondern auch die linken
Regierungen in Israel den Bau von Siedlungen im Westjordanland vorangetrieben
haben, und dass "Under the Labor administration of Yitzhak Rabin, settlements grew at a
rate unprecedented in Israel's occupation".
[Vgl. auch
den MERIP-Aufsatz "Israeli Settlements Illegal and Getting Worse"
von Stephanie Koury, ursprünglich erschienen im Topeka Capital-Journal
(09/24/05), Northwest Arkansas Times (09/25/05) und bei (was immer das sein
mag:) Minuteman Media.]
Umfangreiche
Informationen (zu umfangreich für mich; ich vermisse – oder habe lediglich
nicht gefunden? – eine zusammenfassende Darstellung) bietet die Webseite der
"Foundation for Middle East Peace".
Die Entwicklung der Einwohnerzahlen
der Siedlungen findet man auch auf der Webseite der "Jewish Virtual
Library".
In Israel
gibt es eine Reihe von Gruppen, die (wenngleich offenbar eine deutliche
Minderheit innerhalb der israelischen Bevölkerung) für substantielle
Zugeständnisse Israels beim Erreichen einer friedlichen Lösung eintreten. Eine
davon ist das "IPCRI"
("Israel/Palestine
Center for Research and Information"). Auf
dessen Webseite kritisierte einer der beiden (jeweils paritätisch ein palästinensischer
und ein israelischer) "Chief
Executive Officer", nämlich der Israeli Gershon Baskin, in einem Aufsatz vom 01.11.2000 die israelische
Siedlungspolitik u. d. T. "Negotiating the Settlements. The Success of Right-Wing Political Entrapment Against Peace".
Über das (auch von M-W kritisierte) Angebot des israelischen
Ministerpräsidenten Barak im Jahre 2000 in Camp David schreibt er:
"In
Palestinian eyes, the Barak offer created not islands of Israeli sovereignty but a series of at least three Palestinian
“sovereign cages”. There would be no real Palestinian territorial contiguity. They would not have control and sovereignty
on main arteries of transportation." [Hervorhebung
von mir]
Sein Aufsatz schließt mit den Worten:
"The
curse of the settlements will cost Israel
and Palestine
peace – at least for the foreseeable future. ..... One day – perhaps, it will
be written that 180,000 Jewish settlers prevented peace for millions of
Israelis and Palestinians. How
tragic."
Man kann allerdings die Möglichkeit
nicht gänzlich ausschließen, dass ausgerechnet die Siedlungspolitik, welche wir
als Friedenshindernis wahrnehmen, ein Katalysator für den Friedensprozess wird.
Indem die Israelis "Siedlungen gegen Frieden" aufgeben müssten,
hätten auch sie echte, für die Palästinenser sichtbare Opfer gebracht (wenn
auch aus einer Situation heraus, die sie selbst geschaffen haben). Ich glaube
zwar nicht, dass das die Intention der verschiedenen israelischen Regierungen
war, welche die Anlage jüdischer Siedlungen im Westjordanland geduldet oder
gefördert haben. Aus der Sicht der Siedler wäre es blanker Zynismus, wenn sie
sich wie disponible Schachfiguren für einen zukünftigen Frieden betrachten
müssten. Nicht, dass ich Politiker nicht jeden Grades von Zynismus für fähig
hielte; ich halte sie lediglich nicht für hinreichend weitsichtig, bzw. ihren
Planungshorizont nicht für hinreichend langfristig, um solche Konsequenzen in
ihre Überlegungen einzubeziehen. Aber unabhängig von dem, was die Akteure
gedacht und gewollt haben, könnten (in einer freilich innenpolitisch in Israel
nur schwer durchsetzbaren "Wende") die Siedlungen eines Tages als
nützliche Bauernopfer im Friedensspiel eingesetzt werden bzw. dienen.
Tatsächlich sehen auch die Israelis
selbst einen (freilich etwas anderen als den oben aufgezeigten) möglichen positiven Zusammenhang
zwischen Siedlungen und Friedensbereitschaft der Araber. Dazu ein Zitat aus der
Webseite der Jewish Virtual Library (die man wohl als repräsentativ für die
israelische Perspektive ansehen darf) über "Settlements":
"Settlement
activity may be a stimulus to peace because it forced the Palestinians and
other Arabs to reconsider the view that time is on their side. References are frequently made in Arabic
writings to how long it took to expel the Crusaders and
how it might take a similar length of time to do the same to the Zionists. The growth in the Jewish population in the
territories forced the Arabs to question this tenet. 'The Palestinians now
realize,' said Bethlehem Mayor Elias Freij, 'that time is now on the side of Israel,
which can build settlements and create facts, and that the only way out of this
dilemma is face-to-face negotiations'." [Hervorhebung von mir]
Freilich
können solche Äußerungen ebenso gut bloß als clevere Rechtfertigungen der Siedlungspolitik
vorgetragen worden sein. Dafür spricht der Umstand, dass eine Bereitschaft Israels,
sich auf die Grenzen von 1967 zurück zu ziehen, , anscheinend selbst dann nicht
vorhanden ist, wenn man Ost-Jerusalem ausnehmen würde. In dem zitierten Text
"Facts About Settlements" der
Jewish Virtual Library lesen wir nämlich auch, dass
"It is inconceivable
that Israel would evacuate large cities such as Ariel, with a population of
more than 20,000, even after a peace
agreement with the Palestinians ..." und
"Those
[settlements] closest to the 1967 border, and especially those surrounding
Jerusalem, however, are generally regarded as justified on a variety of grounds
and are likely to be incorporated within
the ultimate boundary of Israel." [Hervorhebung von mir]
Die Meinung
von Mearsheimer und Walt zur israelischen Siedlungspolitik drückt sich z. B. in
einem Satz wie diesem aus:
There is a moral
dimension here as well. Thanks to the
Lobby, the United States has become the de facto enabler of Israeli expansion
in the occupied territories, making it complicit in the crimes perpetrated
against the Palestinians. (S. 41). [Hervorhebung von mir]
Auch wenn ich
Zweifel daran hege, dass die zionistische Lobby in den USA einen wesentlichen
(direkten) Anteil an dem Entschluss zur Besetzung des Irak gehabt hat: dass
Israel seine Kolonisierungspolitk im Westjordanland nicht ohne die massive
politische und finanzielle Unterstützung der USA durchführen könnte, halte ich
für ausgemacht. Und dass die verschiedenen US-Regierungen eine ausgewogenere
Haltung einnehmen würden, wenn nicht die Lobby auf diesen Aspekt der
amerikanischen Nahostpolitik einen starken Einfluss hätte, scheint mir
gleichfalls sicher.
Eine
palästinensische Stimme (von der Webseite "The Electronic Intifada")
zu den jüdischen Siedlungen im Westjordanland: "Violence, settlements and peace", von Ali Abunimah, ursprünglich erschienen
in "The Chicago Tribune"
vom 06.06.2003, meint zur Siedlungspolitik u. a.:
"By
defining a few of its smaller West Bank and Gaza settlements as
"unauthorized" according to Israeli law, Israel hopes to distract
attention from the major construction that is going ahead, and convey the
impression that the vast majority of the settlements are somehow "legal"
and therefore not a key issue."
Einen
derartigen Eindruck muss man in der Tat gewinnen, wenn man sich die
Siedlungspolitik der israelischen Regierungen jeglicher Couleur anschaut.
Ein deutscher
Experte, Prof. Dr. Udo Steinbach,
Direktor des Deutschen Orient-Instituts (Hamburg), erläutert in seinem Aufsatz
"Die islamische Welt
und der internationale Terrorismus" (S. 28ff. in dieser pdf-Publikation der Evangelischen
Akademie Tutzing aus dem Jahre 2004) die Hintergründe des Islamistischen
Terrors gegen den Westen. Auch er sieht, genau wie John J. Mearsheimer und
Stephen M. Walt in dem Nahost-Konflikt (bzw. ganz spezifisch in der
Intransigenz Israels und der unausgewogenen US-Politik) eine wesentliche Ursache
für die Konfrontation:
"Die fortgesetzte israelische Siedlungspolitik und Landnahme; die
anhaltenden Schikanen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und die Weigerung der internationalen Gemeinschaft
insgesamt, sich für eine »gerechte« Lösung mit Nachdruck einzusetzen, haben
weithin den Eindruck einer Verschwörung gegen »die Araber« hervorgerufen.
........
Die Fortsetzung
der Besiedlung in Palästina trotz eines »Friedensprozesses«,
die unausgesetzten Schikanen der israelischen Militärs in den besetzten
Gebieten sowie schließlich die von arabischen Sendern weitesthin verbreiteten
Bilder der brutalen israelischen Antwort auf die Terrorattentate haben die
Stimmung verschärft. .....
Die Widersprüche amerikanischer Politik - nicht
zuletzt in Palästina - und der Aufmarsch zur Absetzung des diktatorischen
Regimes in Bagdad, das bei aller Brutalität mit dem Terror von al-Qa‘ida nicht
in Verbindung gebracht werden konnte, haben in weitesten Teilen der islamischen
Welt die Wahrnehmung genährt, es gehe um etwas anderes als den Kampf gegen den
Terror. Nicht zuletzt angesichts der Unwilligkeit des amerikanischen
Präsidenten, der israelischen Besatzungsarmee in Palästina in den Arm zu
fallen, sind die Stimmen derer lauter geworden, die in der amerikanischen Agenda
einen »Kampf gegen den Islam« sehen." [Hervorhebungen von mir]
"One of the most difficult, if not
impossible, tasks in the realm of political or social sciences, which are
anything but scientific, is to logically demonstrate a point" schreibt
Gilles d'Aymery in seiner Buchbesprechung (Teil II vom 10.05.2004) des Aufsatzbandes "The
Politics Of Anti-Semitism", herausgegeben von Alexander Cockburn & Jeffrey St. Clair
(2003).
Recht hat er; aber wenn man sich mit
dieser Einsicht zufrieden gibt, und die Hände in den Schoß legt, hat natürlich
die Lobby gänzlich freies Feld.
Zunächst einmal ist es in gewisser
Hinsicht irreführend, wenn man die verschiedenen Einflussnahmen von
Partikularinteressen ("special interest groups") auf die Politik ohne
weitere Unterscheidung einfach unter dem Begriff "Lobby" subsummiert.
Für den vorliegenden Zusammenhang zeigt sich, dass mindestens -2- Arten von
"Lobby" unterschieden werden müssen, nämlich
- Eine (mehr oder weniger) rein
professionelle (meist auf die Förderung wirtschaftlicher Interessen gerichtete)
Lobby, die (im Großen und Ganzen) nur von den finanziellen Mitteln der dahinter
stehenden Interessen lebt, einerseits (Beispiele: Öl-Lobby, Pharma-Lobby, Lobby
der Kriegswaffenproduzenten usw.). Der Vorteil dieser Art Lobby im politischen
Spiel ist, dass sie sich weitgehend auf das Wirken in den Hinterzimmern der
Macht beschränken kann.
Wenn also die Öl-Firmen eine Irak-Invasion wollen, werden sie keine Anzeigen-
und Kommentarkampagnen dafür fahren, sondern die Entscheidungsträger im stillen
Kämmerlein beknien. Dieser 'Vorteil' ist zugleich aber auch eine Schwäche: in
aller Regel kann diese Art von Lobby keine Demonstranten und Wähler
mobilisieren, und nicht einmal Arbeitnehmer von Waffenfabriken würden z. B. für
den Irak-Krieg demonstrieren.
- Der 'Profilobby' steht andererseits
jene Art von Lobby gegenüber, die auch ohne "Lobby" im engeren Sinne
existieren würde: Schusswaffenfreunde (NRA – National Rifle
Association), Rentner (AARP - American Association
of Retired Persons) usw. Selbst wenn die in diesen Zusammenhängen von der
Gesetzgebung betroffenen Personen keine organisierte Lobby in Washington hätten,
würden viele davon bei einer Wahlentscheidung oder bei Zuwendungen an Politiker
natürlich darauf achten, was diese in der Vergangenheit für ihre Interessen
getan haben und was sie ihnen für die Zukunft versprechen. Faute de mieux
setze ich hierfür mal den Begriff 'Massenlobby' ein. Diese Art von Lobby muss
natürlich ihre Ziele öffentlich machen und in der Öffentlichkeit offensiv
vertreten.
Partikularinteressen, die im Prinzip
auch ohne eine "Lobby" i. e. S. vorstellbar (aber mit einer solchen
natürlich politisch erheblich schlagkräftiger) sind, dürften in aller Regel
weitaus wirkungsmächtiger sein als rein professionelle Lobbys. Es ist deshalb
schon vom Grundsätzlichen wenig überzeugend, wenn verschiedentlich in der
Argumentation gegen Mearsheimer und Walt der Eindruck erweckt wird, als ob die
Öl-Lobby oder die Lobby der Kriegswaffenproduzenten von ihren Wirkmöglichkeiten
her ohne weiteres mit der zionistischen Lobby vergleichbar oder wegen des
größeren Einsatzes an finanziellen Mitteln überlegen sei. Das heißt zwar nicht,
dass z. B. die Entscheidung für den Irak-Krieg auf Drängen der zionistischen Lobby
und nicht etwa wegen der Öl-Interessen erfolgt sein muss. Es bedeutet aber z. B., dass das bloße Vorhandensein einer
Öl-Lobby und die Tatsache, dass es im Irak große Erdölfelder gibt, noch lange
kein Beweis für die Dominanz der Ölinteressen bei der Kriegsentscheidung ist.
Oder anders gesagt: der rein abstrakte Hinweis auf die Existenz und die
möglicher Weise gleich gerichteten Interessen anderer Lobbys an einer
bestimmten Politik ist kein Beweis dafür, dass diese anderen Lobbygruppen, und
nicht die zionistische Lobby (zusammen mit Neocons und christlichen Zionisten),
eine bestimmte politische Maßnahme herbei geführt hat.
Im übrigen muss man, immer noch im
Rahmen einer ganz allgemeinen logischen Übersicht der denkbaren
Wirkzusammenhänge zwischen Lobbys und Politik, die Möglichkeit eines Zusammenwirkens
verschiedener Interessen und verschiedener Lobbys zu einem bestimmten Ergebnis
im Auge behalten. Dieses Zusammenwirken kann gleichgerichtet sein; theoretisch
kann aber ein bestimmtes Ergebnis auch die Resultierende von
"Vektorkräften" sein, die in verschiedene Richtungen arbeiten.
Für den vorliegenden Zusammenhang
erscheint es mir zweckmäßig, mindestens -3- Dimensionen bei der Beurteilung der
zionistischen Lobby (bzw. bei Ziff. 1 + 2 auch der anderen Lobbys) zu unterscheiden,
nämlich
1) eine (wie auch immer zu
bestimmende) "objektive" Stärke.
Zur objektiven Stärke der Lobby
liefern M-W eine besonders gelungene gewissermaßen ‚polit-mathematische’
Beschreibung der Entscheidungsprozesse in einer Demokratie in dem Passus:
„The
US
form of government offers activists many ways of influencing the policy
process. Interest groups can lobby elected representatives and members of the
executive branch, make campaign contributions, vote in elections, try to mould
public opinion etc. They enjoy a disproportionate amount of influence when they
are committed to an issue to which the bulk of the population is indifferent.
Policymakers will tend to accommodate those who care about the issue, even if
their numbers are small, confident that the rest of the population will not penalise
them for doing so.“ (Dieses Zitat
aus der 'volkstümlichen' Fassung ihrer Studie in
der London Review of Books; Entsprechendes steht in der Studie selbst auf S. 16
oben.)
2) Die Einschätzung der Lobbywirkung
durch diese selbst bzw. deren Eigendarstellung sowie schließlich, nur für den
vorliegenden Zusammenhang,
3) die Frage, wieso (nicht nur!) M-W
die Macht der zionistischen Lobby als bestimmenden Faktor in der US-Nah- und
Mittelost-Außenpolitik wahrgenommen haben. (Dieser Punkt vor dem Hintergrund
von tatsächlichen und/oder denkbaren Einwänden, dass die Lobby gar nicht
existiert, oder dass sie nicht so wirkungsstark sei wie angenommen, oder nicht
den Irak-Krieg usw. propagiert habe.)
Allerdings werden zur Macht der Lobby
nicht nur von dieser selbst auch gegenteilige Meinungen geäußert. Ein Beispiel
ist der Aufsatz von Stephen è Zunes, "The Israel Lobby: How Powerful is it Really?“ in der
Zeitschrift "Foreign Policy in Focus" vom 16.05.2006. Zunes trägt
dort eine Reihe von Gründen vor, die gegen die Annahme einer derart starken
Rolle der Lobby sprechen, wie sie M-W unterstellen.
Als Außenstehender und ohne eine
tiefe Kenntnis der Entscheidungsprozesse und Einflussmöglichkeiten in der
US-Politik kann ich die Zusammenhänge nicht im Detail analysieren und bewerten.
Indes muss man, nach dem Grundsatz "Wo Rauch ist, ist auch Feuer",
beispielsweise aus der relativen Gleichgültigkeit der US-Politik gegenüber
massiven israelischen Menschenrechtsverletzungen und gegenüber der eindeutig
völkerrechtswidrigen und provokativen israelischen Siedlungspolitik im
Westjordanland den Schluss ziehen, dass diese an sich unverständliche
Passivität, welche die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Außenpolitik (nicht
nur) in den Augen der arabischen Welt erheblich beeinträchtigt, dem
erfolgreichen innenpolitischen Wirken der zionistischen Lobby zu verdanken ist.
Logisch schlüssig attackiert ein
gewisser Hussein Ibish, anscheinend
ein Amerikaner arabischen Ursprungs, u. d. T. "Is Arab-American irrelevance our goal?" (der Artikel ist unten in diesem Blog wiedergegeben, weil
er an seinem ursprünglichen Erscheinungsort nur für Abonnenten zugänglich ist)
den Widerspruch zwischen der eigenen Einschätzung der zionistischen Lobby
bezüglich ihrer Effektivität und ihrer nunmehr gegen M-W ins Feld geführten
angeblichen relativen Wirkungslosigkeit:
"The
preposterous argument offered by some pro-Israel commentators is that hundreds
of millions of dollars, innumerable man-hours and relentless organizing at
every level of society, over many decades, has had no significant role in
producing the staunchly Israel-centric American policies of recent years -
allegedly no more than natural expressions of Americans' love of Israel.
An insult to one's intelligence, this
proposition holds that the intended effect was not produced by its putative
cause.
If this were
true, then the American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) is not a great political force but a remarkable fraud and confidence
trick: millions of unsuspecting Jewish Americans and their
friends have been bilked by unscrupulous grifters continuously begging for
money on the false pretense that it is needed to consolidate the U.S.-Israel
relationship. Call the cops!"
[Hervorhebungen
von mir]
Bindungen an -2-
"Vaterländer" zu haben, ist für sich genommen nichts Verwerfliches.
Durchaus vorstellbar ist, dass gerade dieses Bewusstsein der unterschiedlichen
Wurzeln im Gegenteil eine Bereicherung für die amerikanische Kultur darstellt.
Es ist z. B. auch in keiner Weise verwerflich, wenn etwa die Kurden hier bei
uns versuchen, Deutschland auf ihre Seite zu ziehen und zu Schritten gegen die
Unterdrückung ihrer Volksgruppe in der Türkei zu bewegen. Erst dann, wenn
Bürger kurdischer Abstammung eine massive Schädigung vitaler deutscher
Interessen durch solche Maßnahmen wissentlich herbeiführen oder billigend in
Kauf nehmen würden, wäre eine Grenze erreicht und überschritten, wo man über
Verbote usw. nachdenken müsste. Eine bewusste Agitation gegen die US-Interessen
wird jedoch von Mearsheimer und Walt nicht einmal dem jüdischen Teil der
Pro-Israel-Lobby unterstellt, und den Neo-Konservativen und christlichen
Zionisten natürlich erst Recht nicht. Aber das
versuchen die Gegner von M-W natürlich in einem anderen Licht erscheinen zu
lassen.
Dabei war die
Diskussion um die Lobby und um mögliche gespaltene Loyalitäten bereits lange
vor der Studie von M-W aufgeflackert. Schon z. B. in der Ausgabe vom 03.09.2004
des Newsletters "CounterPunch" hatte Stephen Green u. d. T. "Serving Two Flags. The Bush Neo-Cons and Israel" die Bindungen einer Reihe von
Personen, welche auch von M-W "der Lobby" zugerechnet werden (Dougls
Feith, Michael Ledeen, Richard Perle, Paul Wolfowitz), zu Israel untersucht. Er schließt seine Ausführungen wie folgt:
"Many individuals with strong
attachments to foreign countries have served the U.S. Government with honor and
distinction, and will certainly
do so in the future. The highest officials in our executive and legislative
branches should, however, take great care when appointments are made to posts
involving sensitive national security matters. Appointees should be rejected
who have demonstrated, in their previous government service, a willingness to
sacrifice U.S.
national security interests for those of another country, or an inability to
distinguish one from the other." [Hervorhebung von mir.]
Diese objektiv zu bestimmen, ist natürlich eines der Kernprobleme bei der
Bewertung des Wirkens der Lobby. Die weitere Frage ist dann allerdings, wie die
US-Regierung die Interessenlage beurteilt und welche politischen und
militärischen Maßnahmen welchem konkreten Interessenverständnis der Regierung
entspringen bzw. schlüssig zugeordnet werden können.
Eindeutig objektiv erkennbar ist das Interesse an einer dauerhaften
Ölversorgung zu möglichst günstigen Preisen. Daraus folgt
allerdings nicht zwingend, dass z. B. der Einmarsch in den Irak unmittelbar der
Sicherung der dortigen Ölquellen für die US-Versorgung dienen sollten.
Und erst recht kann man sich über eine mehr globale Lagebeurteilung
trefflich streiten, insbesondere was den Zeithorizont und die Kausalitäten
angeht: hält Israel die arabischen Staaten als regionaler Wachhund der USA im
Zaum – oder reizt es die Araber dermaßen auf, dass die Amerikaner als
Nibelungenbrüder der Israelis wahrgenommen und entsprechend tief in den
Konflikt hineingerissen werden? Und welche Funktion hat Israel ggf. aus der
Sicht der Entscheider in der US-Regierung für die Wahrung bzw. Durchsetzung
amerikanischer Interessen im Nahen Osten?
Überhaupt steht schon am Anfang der Analyse die Frage, wie die
Fragestellung (wenn man von einer Nicht-Übereinstimmung der 'wahren'
amerikanischen Interessen mit den von der israelischen Regierung formulierten
israelischen Interessen
ausgeht) überhaupt richtig anzupacken ist: handeln die USA aus lauterer Liebe
zu Israel oder hat die Lobby die politischen Kompassnadeln der US-Regierung
(und der amerikanischen Öffentlichkeit) in eine falsche Richtung umgepolt, so
dass die Interessen Israels (d. h. in der Form, wie sie von der israelischen
Regierung verstanden werden) fälschlich als eigene Interessen wahrgenommen werden?
Mir scheint, dass Mearsheimer und Walt eher von letzterem Szenario
ausgehen. Dieses lässt übrigens durchaus die Möglichkeit offen, dass die Lobby
oder Teile davon "bona fide" handeln mögen, wenn sie die Interessen
Israels mit denen der USA – weitgehend – gleich setzen. Die Lobby oder viele
oder die meisten oder fast alle oder – denkmöglich – sogar alle 'Mitglieder'
(auf jeden Fall aber – aus unterschiedlichen Gründen - die Neokonservativen und
die christlichen Zionisten) mögen davon ausgehen, dass es im Interesse der USA
liegt, die expansionistische Politik Israels nicht zu bremsen und im Ergebnis
finanziell und politisch sogar zu unterstützen. Das entlastet sie subjektiv von
einem denkbaren (von M-W aber gar nicht erhobenen!) Vorwurf des
"Vaterlandsverrats". Objektiv ändert es natürlich nichts daran, dass
alle jene, welche Amerikas Interessenlage anders sehen, berechtigt sind,
"die Lobby" zu bekämpfen.
Es waren nicht Mearsheimer und Walt,
welche die Debatte darüber losgetreten haben, ob und ggf. in welchem Umfang der
Einmarsch in den Irak (auch) durch israelische Interessen(vertretungen)
ausgelöst wurde.
Bei M-W bekommt sie jedoch ein besonderes Gewicht und nimmt einen ziemlich
breiten Raum ein:
"Pressure from Israel
and the Lobby was not the only
factor behind the U.S.
decision to attack Iraq
in March 2003, but it was a critical
element": mit diesem Satz leiten
Mearsheimer und Walt ihr Kapitel "The Lobby and the Iraq War" ein (S.
31; Hervorhebung von mir). Es beginnt auf
S. 31 und endet auf S. 38 (von insgesamt 42 Textseiten). Daran, wie auch an der
Zahl der Erwähnungen (jeweils einschließlich der abgeleiteten Wortformen) von
"Iraq" usw., nämlich 147 (zum Vergleich:
"Syria" usw. = 82; "Iran" usw. = 76) sieht man, dass der
aktuelle Anlass des Irak-Krieges der vorrangige Gegenstand der Überlegungen von
M-W war. (Die Begriffe "Israel" usw. treten naturgemäß noch häufiger
in Erscheinung, nämlich 706 mal).
Der Abschnitt über die Vorgeschichte
des Irak-Krieges schließt mit den Worten
"... there is little doubt that Israel and the Lobby were key
factors in shaping the decision for war. Without the Lobby’s efforts, the United States
would have been far less likely to
have gone to war in March 2003" (S. 38, Hervorhebung von mir).
Diese äußerst sorgfältige Wortwahl
von M-W sollte beachten, wer wirklich am Inhalt und Sinn der Studie der
Professoren Mearsheimer und Walt interessiert ist. M-W sagen nicht, dass
"Israel [oder die Lobby] die USA in den Irak-Krieg getrieben" hat.
Ebenso wenig behaupten sie, dass die Lobby der allein bestimmende Faktor für
den Entschluss zur Irak-Invasion war. Sie behaupten nicht einmal, dass die
Lobby "the" critical element in diesem Prozess gewesen sei, sondern
bezeichnen sie als "a" critical element.
Wenn man gelesen hat, wie
zionistische Hardliner sich (in anderen Zusammenhängen) am Vorhandensein oder
Fehlen des bestimmten Artikels hochziehen, wundert man sich
(oder auch nicht), dass einige gegnerische Exegeten der Studie von M-W jenen
Behauptungen unterschieben, die sie gar nicht aufgestellt haben (vgl. z. B. .
Prof. Alan è Dershowitz).
Kehren wir indes
zu den Formulierungen von Mearsheimer und Walt zurück. Die stellen auf das
Entscheidende ab, und das ist nicht die (ohnehin – zumindest derzeit – nicht zu
beantwortende) Frage, ob "(in erster Linie) die Lobby die USA in den Krieg
getrieben hat", sondern:
"Wären die
USA ohne das Wirken der Lobby in den Irak einmarschiert?"
Eine solche
Formulierung lässt, wie es bei einer um Präzision bemühten Aussage auf diesem
Feld auch nicht anders sein kann, eine große Bandbreite von Möglichkeiten
offen. Die zionistische Lobby könnte also (wenn denn der Anteil als
quantifizierbar gedacht wird) mit 5% oder mit 95% für die Invasionsentscheidung
verantwortlich angesehen werden.
Nicht übersehen
werden darf auch die klare Aussage von M-W (die damit auch eine Grenze der
Lobby-Macht aufzeigen), dass erst durch den Anschlag der Al-Qaida, also der Anhänger von Osama Bin Laden, auf das World Trade
Center ("Twin Towers") in New York vom 11.09.2001 die politischen
Voraussetzungen für den Irak-Krieg geschaffen wurden ("As important as the neoconservatives were
for making the Iraq war happen, they needed help to achieve their aim. That help
arrived with 9/11. Specifically, the events of that fateful day led Bush and
Cheney to reverse course and become strong proponents of a preventive war to
topple Saddam" – S. 32).
Mit der These von Mearsheimer und
Walt, dass "the war was motivated in
good part by a desire to make Israel more secure" (S. 30), habe ich
(im Ergebnis genau wie Stephen èZunes, wenn auch
nicht unbedingt aus den gleichen Gründen) allerdings ganz erhebliche Probleme.
So weit geht die Liebe der US-Regierung und der US-Abgeordneten zu Israel wohl
doch nicht, dass die ihr eigenes Land in einen äußerst kostspieligen und im
Ausland wie auch (damals zwar noch nicht, aber doch schon damals vorhersehbar
zunehmend in der Zukunft) im Innern unpopulären Krieg stürzen, nur um Israel
sicher zu machen.
Ganz unstreitig (vermutlich auch bei
M-W) dürfte, was die Irak-Invasion der USA angeht, die Feststellung sein, dass
es – Israel und zionistische Lobby hin oder her - keinen amerikanischen Einmarsch
in den Irak gegeben hätte, wenn es in jener Gegend kein Öl gäbe.
Ebenso hätte es 1991 keinen Golfkrieg ("2. Golfkrieg")
gegeben, wenn Kuwait nur ein Stück Wüste wäre.
Die Operation "Desert Storm"
zur Befreiung Kuwaits im Jahre 1991 war allerdings, im Unterschied zum Irak-Krieg (auch als 3. Golfkrieg
bezeichnet) ein "sauberer" Krieg. An dieser Stelle verwende ich
freilich den Begriff "sauber" nicht im moralischen, sondern im Sinne
von "sauber" erkennbaren Ursachen. Insoweit kann man
natürlich auch den 2. Weltkrieg als einen "sauberen" Krieg bezeichnen:
man weiß, wer ihn angefangen hat, und worum es diesem ging. Schon vom ersten
Weltkrieg gilt das nicht: dessen Ursachen sind (von den vordergründigen
Ereignissen, die unmittelbar zum Krieg geführt haben, abgesehen) sehr viel
unklarer und werden entsprechend kontrovers diskutiert.
Wir müssen uns wohl von der
schlichten Vorstellung verabschieden, dass man Kriegsgründe immer nach dem
sauberen Whodunit-Muster des 2. Weltkriegs erklären kann. Bevor ich von der Studie
von Mearsheimer und Walt erfuhr, und mich nun mit deren Echo in der
öffentlichen Meinung (soweit sie im Internet Spuren hinterlassen hat)
auseinandersetze, hatte ich mich ziemlich tief in die Kriegsursachenfrage für
die US-Invasion in Panama im Dezember 1989 eingelesen.
Die Invasion in Panama hatte den hübschen Namen „Operation Just Cause“. Daraus
haben Spötter in der Regierungsverwaltung eine „Operation just because“ gemacht,
einen „Warum-Darum-Krieg“, wie man übersetzen könnte, oder eine
Umzuwas-Intervention. Im Falle Panamas teile ich die Meinung von Peter M.
Sanchez („The End of Hegemony?),
dass es im Grunde („nur“) um eine Machtdemonstration ging. Der panamesische
Machthaber Manuel Noriega hatte den Konflikt mit den USA (gegen die er
eigentlich gar nichts hatte) innenpolitisch instrumentalisiert, um seine
schwache und ständig abbröckelnde Machtbasis so gut wie möglich zu sichern. Das
konnten die USA, zumal in Panama, nicht hinnehmen.
Und ebenso
dürfte es bei Saddam Hussein u. a. dessen „defiance“ (= "Missachtung, Trotz": ein schon für
sich bezeichnender Begriff, weil er das Verhalten der anderen bereits auf der
Basis eines Machtgefälles definiert) gewesen sein, welche die USA nicht länger
hinnehmen zu können glaubten.
Allerdings hatte ich – wie wohl die meisten anderen Beobachter – den Eindruck,
dass es bei dem Irak-Krieg (auch dem jetzigen) in allererster Linie um Öl ging
(was nicht heißen muss, dass die Lobby der Ölkonzerne für den Einmarsch gewirkt
hat!).
Trotzdem sollte man die Möglichkeit (zumindest: des Mitwirkens) des scheinbar
"irrationalen" Kriegsgrundes, einfach mal wieder zeigen zu wollen
(und als Weltmacht wohl auch gelegentlich zeigen zu müssen), wer der 'Herr im
Hause' ist, nicht unterschätzen. Ein Hegemon muss zwangsläufig Probleme allein mit
der Tatsache als solcher haben, dass er von einem Diktator wie Saddam Hussein
auf Dauer „vorgeführt“ wird.
Die
Feststellung der wirklichen Kriegsursachen ist also schwierig oder gar
unmöglich. Ich vermute, dass der Irak-Krieg (wie seinerzeit der Panama-Krieg)
ebenfalls ein 'Vektorkrieg' mit mehreren Ursachen ist. Die Darstellung von
Mearsheimer und Walt erscheint immerhin insoweit schlüssig, dass die
zionistische Lobby in den USA den Krieg wollte.
Legitim ist es dann aber auch, das diesbezügliche Wirken der Lobby in einer
wissenschaftlichen Studie herauszuarbeiten. Ebenso ist es legitim, auf
(mögliche) Interessengegensätze zwischen den USA und Israel – im Irak-Krieg
oder in anderen Zusammenhängen - hinzuweisen. Ob der Anteil der zionistischen
Lobby an der Kriegsentscheidung nun 50% oder 10% betrug, ist gewiss ein wesentlicher
Unterschied. Wenn aber ohne diese 10% ein Krieg nicht ausgebrochen wäre, sind
jene, die ein anderes Verständnis der US-Interessen haben, sicherlich
berechtigt, die Lobby schon für diese 10% zu kritisieren.
Im übrigen
dürfte es im Kontext Israel / Israel-Lobby / Irak-Krieg sinnvoll sein,
mindestens -4- Fragestellungen zu unterscheiden und auszuformulieren:
1) Objektives
Interesse Israels an der Invasion?
2) Hat sich
die israelische Regierung und/oder die zionistische Lobby in den USA für eine
Invasion eingesetzt oder nicht?
3) Wenn
nicht: wieso ist bei vielen (z. B. M-W) offenbar der gegenteilige Eindruck
entstanden?
4) Wenn ja:
welchen Anteil hatte die Lobby (bzw. ggf. – auch – die israelische Regierung)
an der Kriegsentscheidung der USA?
Ich schätze
Texte mit Agitprop-Elementen nicht besonders, und leider glaubte offenbar Matt Siegfried (der übrigens trotz seines
deutschen Familiennamens ein US-Amerikaner ist) in seinem Aufsatz "What's Behind the US War Moves on Iraq?" darauf nicht verzichten zu können (vgl. z. B. ein
Satz wie "The runways that launch
American bombing sorties on Afghan wedding parties and the prisoner camp in
occupied Cuba are built by Halliburton."). Ebenso wenig goutiere ich
das Fahnenschwenken sozialistischer Gläubigkeit am Schluss des Artikels. Aber
Siegfrieds Analyse derjenigen Kräfte und Interessen, die seinerzeit für (aber
auch gegen) die Invasion im Irak eintraten (der Artikel wurde am 29.08.2002,
also schon längere Zeit vor der Invasion, veröffentlicht), ist durchaus
überzeugend, weil er die Gemengelage in ihrer ganzen Vielfalt erfasst und die
Kriegsursachen nicht einfach als Griff nach dem irakischen Erdöl interpretiert:
"While strictly economic aims are
sometimes simplistically laid out as
the primary reasons behind US war policy, and all the proponents of war have a combination of reasons for their
advocacy, it would be foolish to underestimate the power of oil interests
in shaping American policy." [Hervorhebungen von mir]
Zunächst die arabischen und sonstigen
Nachbarstaaten, aber auch wir Europäer und ebenso die USA, schulden Israel Dank
dafür, dass es die Atomwaffenpläne Saddam Husseins durch die Zerstörung der irakischen Nuklearanlagen
vereitelt hat. Nicht dass Saddam Hussein uns angegriffen hätte. Es wäre nur
äußerst riskant gewesen, ihn anzugreifen, nachdem er Kuwait erobert und dabei
sein ökonomisches Erpressungspotential durch den Besitz noch größerer
Erdölvorkommen erweitert hätte. Und nach Kuwait wäre vielleicht Saudi-Arabien
an der Reihe gewesen?
Dass für Israel die eigenen
Sicherheitsinteressen im Vordergrund standen, ändert also nichts daran, dass es
in diesem Falle der gesamten Menschheit einen Dienst erwiesen hat.
Im Iran liegen die Verhältnisse
anders. Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld äußerst sich dazu
in einem Interview der Zeitschrift "Junge Freiheit" vom 20.01.2006
("Bei Kernwaffen lügen sie alle";
hier frei zugänglich) wie folgt:
Frage:
"Sie haben in der „Welt“ geschrieben, „angesichts der Machtverhältnisse
zwischen beiden Ländern, kann die Idee einer iranischen Bedrohung für die
Vereinigten Staaten nur das Produkt einer verirrten Phantasie sein“.
Creveld: "Natürlich, Irans „Shihab
3“-Trägerraketen reichen etwa 1.300 Kilometer weit, das reicht wohl kaum bis
Washington ..."
Frage: "...
aber bis Israel. Hinter dem von den USA als im Interesse des Westens proklamierten
Engagement steckt also allein das Interesse Tel Avivs?"
Creveld: "Nein, so einfach ist es
nicht. Sicherlich sieht Washington im Falle einer Bedrohung seines Verbündeten
Israel immer auch die eigenen Interessen bedroht, aber das allein ist hier
nicht das Motiv. Teherans Griff nach der Atommacht stellt per se eine
Verletzung der US-Interessen dar. Erstens weil sich beide Länder seit der
Iranischen Revolution 1979 als Erzfeinde betrachten. Zweitens weil sich das
weltweite Atompotential, das die USA am liebsten allein auf ihr Land beschränkt
sähen, damit weiter erhöht. Drittens weil Washington mittlerweile überall in
der Region Militärstützpunkte unterhält, Flottenteile disloziert und das Nachbarland
Irak besetzt hat. Außerdem wünschen die USA nicht, dass eine Atommacht Iran
in einer Region, in der knapp achtzig Prozent des Weltvorrates an Erdöl liegen,
Druck auf seine Nachbarn ausüben kann." [Hervorhebung
von mir]
Seine Lagebeurteilung
ist schlüssig und überzeugend. Ich schätze van Creveld als einen Realisten und
kühlen Analytiker ein, der nicht als Propagandist zionistischer Expansionsinteressen
argumentiert. Auch wenn Israel und die zionistische Lobby massiv gegen die iranische
Atombewaffnung wettern: in diesem Falle stehen (ebenso wie seinerzeit im Falle
des Irak) sensible (Rohstoff-)Sicherheitsinteressen nicht nur der USA, sondern
auch der Europäer auf dem Spiel. Es wäre schlimm, wenn unsere Politik, oder
auch wir selbst als Bürger zu dumm wären, das zu erkennen (von der Politik habe
ich diesen Eindruck nicht; bei den Bürgern bin ich mir weniger sicher), oder zu
träge, alle realistischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um eine atomare
Bewaffnung des Iran zu verhindern. Es wird wesentlich auch von unser aller
Einsicht und von der Rückendeckung abhängen, die wir den Politikern geben, den
Iran vom Gegenteil zu überzeugen und ihn ggf. entsprechend – u. U. sogar
militärisch – zu belehren.
Van Creveld
schätzt allerdings die Risiken, die von einer iranischen Atombewaffnung ausgehen,
geringer ein:
"Ich würde darauf hinweisen, dass Atomwaffen
– erfahrungsgemäß – ein Land nicht mehr, sondern eher weniger streitsüchtig
machen" sagt er in dem o. a. Interview und "Persien ist der älteste Staat der Welt, Kyros II. gründete das
persische Reich bereits im 6. Jahrhundert vor Christus. Das ist ein stolzes
Erbe. Die Iraner wissen, dass es im Falle eines Angriffs, etwa auf Israel, mit
dieser Herrlichkeit für immer vorbei ist, weil dann da wo heute der Iran ist,
nur noch eine atomare Wüste sein wird. Nach menschlichem Ermessen müsste das
genügen.".
Auch ich
glaube nicht, dass die atomare Bewaffnung des Iran gegen Israel gerichtet ist.
Vielmehr bin ich überzeugt, dass die anti-israelische Rhetorik der iranischen
Regierung einem nüchternen politischen Kalkül entspringt. Zum einen könnte es
sein, dass man die eigene Bevölkerung damit von inneren Schwierigkeiten
ablenken will. Ob das zutrifft oder nicht, vermag ich mangels näherer Kenntnis
der innenpolitischen und insbesondere wirtschaftlich-sozialen Entwicklung nicht
zu sagen.
Sicher
scheint mir aber, dass diese Rhetorik als Schutzschild nach außen verwendet
wird. Unmittelbar die größten Sorgen über eine iranische Atombewaffnung müssten
sich die direkten Nachbarn, besonders die Anrainerstaaten des persischen Golfs
und voran Saudi-Arabien, machen. Zweifellos tun das die dortigen Regierungen
auch. Nur können sie, jedenfalls öffentlich, wenig gegen die atomaren
Ambitionen des Iran sagen, wenn Teheran sich als Schutzmacht des Islam gegen
Israel positioniert. Sie würden sonst in den Augen ihrer eigenen Bevölkerung
als Verräter an der islamischen Sache dastehen.
Und genau an
dieser Stelle wird die Einschätzung von Mearsheimer und Walt verständlich und
es erweist sich m. E. als zutreffend, dass, wie M-W schreiben, "... Israel is in fact a
liability in the war on terror and the broader effort to deal with rogue states" (S. 5). Nur dann, wenn wir Europäer,
hauptsächlich aber Washington, gleichzeitig einerseits hart sind (gegenüber dem
Iran; notfalls auch gegenüber den Palästinensern, falls diese überzogene
Forderungen stellen), andererseits aber auch "vigorously and evenhandedly" Druck machen – auch auf Israel – "for a peace agreement" (S. 40), können wir hoffen,
unsere (immer noch großen) Risiken zu minimieren. Es geht aber nicht nur darum,
gegenüber den Arabern als fairer Partner dazustehen. Ebenso geht es um den
innenpolitischen Rückhalt für eine ggf. erforderliche Politik der Härte
gegenüber dem Atomambitionen des Iran. Wenn eine solche Politik als Liebedienerei
zu Gunsten von Israel wahrgenommen wird oder für die Bürger der westlichen Länder
glaubhaft so dargestellt werden kann (wobei man in erster Linie nicht einmal an
eine Islam-Lobby denken muss, sondern eher an kurzsichtige Friedensfreunde, die
von der Geschichte reden, aber von 1938 nichts gelernt haben), dürfte sie
zunächst in Europa, aber irgendwann möglicher Weise sogar in den USA – trotz
aller Lobby-Macht, und schließlich vielleicht sogar einmal gerade wegen der
Wahrnehmung der Lobby-Macht – erheblich an Rückhalt verlieren. Daran kann uns
nicht gelegen sein.
Ebenso wenig
kann uns daran gelegen sein, in dieser Sache im Dissens mit den USA zu stehen.
Der gesamte Westen, darüber hinaus aber besonders auch China und ebenso alle
anderen Länder, soweit sie keine ausreichenden eigenen Erdölvorräte haben, muss
bzw. müssen daran interessiert sein, dass keine Macht am persischen Golf eine
Dominanz gewinnt, die zu einer Bedrohung der anderen Staaten und zur Erpressung
des Rests der Welt führen könnte. Einer der möglichen Stolpersteine in der
Koordination zwischen den USA und Europa dürfte die Wahrnehmung der Europäer
sein, dass die USA übermäßig die Interessen Israels fördern. Wenn sich hier in
Europa der Eindruck festsetzt, dass die Konfrontation mit dem Iran primär
israelischen Interessen dienen soll, dürfte es innenpolitisch in allen
europäischen Ländern schwierig sein, den nötigen breiten Rückhalt für ein
"Rollback" der iranischen Atominteressen zu erhalten.
Dass wir im
Golfkrieg nicht aktiv eingreifen konnten, war im Hinblick auf die damals noch
fehlende Reife unseres Volkes für die Übernahme weltpolitischer Verantwortung,
soweit diese militärische Verwicklungen impliziert, verständlich. Noch einmal
dürfen wir – Deutschland und Europa - aber die USA schon deshalb nicht mehr
allein die Kohlen aus dem Feuer holen lassen, weil die sonst legitimiert wären,
alles für sich allein zu behalten, was es dort so zu holen gibt. Angesichts der
sich abzeichnenden Ressourcenverknappung würde so das Industriezeitalter in
unserer Weltgegend noch früher enden, als es ohnehin zu Ende gehen wird.
Wie aus
meinen Ausführungen ersichtlich, stehe ich in Sachen Atombewaffnung des Iran im
Dissens mit Mearsheimer und Walt. Die scheinen damit keine Probleme zu haben,
äußern sie sich doch wie folgt (S. §)740):
"... the United
States has its own reasons to keep Iran from going nuclear. This is
partly true, but Iran’s
nuclear ambitions do not pose an existential threat to the United States. If Washington
could live with a nuclear Soviet Union, a nuclear China,
or even a nuclear North Korea,
then it can live with a nuclear Iran.
And that is why the Lobby must keep constant pressure on U.S. politicians to confront Tehran. Iran and the United States would
hardly be allies if the
Lobby did not exist, but U.S.
policy would be more temperate and preventive war would not be a serious option." [Hervorhebungen
von mir]
Ich bin gegen
eine Weiterverbreitung von Atomwaffen – nuclear proliferation – im Allgemein
ganz besonders gegen eine Atombewaffnung von Ländern in Erdölregionen. Und wenn
man versucht, ein Land davon abzubringen, sich nuklear zu bewaffnen, sollte man
sich darüber im Klaren sein, ob man letztendlich auch zur Gewaltanwendung
bereit ist oder nicht, bzw. in welchem Umfang. Wenn man militärische Maßnahmen
von vornherein ausschließt, ist ein Erfolg eher unwahrscheinlich. Und ehe man
selbst als Papiertiger dasteht, sollte man besser gar nicht aktiv werden.
Es gibt schon
auf einer rein realpolitischen Ebene – ohne irgendwelche Moralaspekte usw. einzubeziehen
- gute Gründe, die gegen eine gewaltsame Intervention im Iran sprechen. An
erster Stelle natürlich der Umstand, dass man mit erheblichen Problemen bei der
Ölversorgung rechnen müsste. Sodann auch die Größe des Landes, die eine
Besetzung – selbst durch ein großes internationales Truppenkontingent – zu
einem Abenteuer mit unvorhersehbarem Ausgang machen würde. Das schließt aber
nicht aus, dass man, sofern möglich, gewissermaßen einen "chirurgischen
Schnitt" macht, wie seinerzeit Israel mit dem irakischen Atomreaktor.
Selbst wenn die iranischen Urananreicherungsanlagen in (nach derzeitigem Stand
der Waffentechnik) absolut bombensicheren Bunkern untergebracht sein sollten,
könnte man natürlich die Zufahrtswege usw. durch Luftschläge unterbrechen.
Ein weiteres
Problem liegt in einer denkbaren Solidarisierung der islamischen Völker mit dem
Iran. Gerade insoweit wäre es wichtig, in dem Konflikt zwischen Israel und den
Palästinensern "vigorously and
evenhandedly" auf einen Friedensschluss hinzuarbeiten und den Arabern
das Gefühl zu nehmen, dass der Westen (speziell die USAO) hier mit gezinkten
Karten spielen.
Denn an sich
müssten sich in allererster Linie die anderen Golfstaaten durch die iranische
Atombewaffnung bedroht fühlen und wären in dieser Hinsicht eigentlich die
natürlichen Verbündeten für alle jene, welche diese Nuklearbewaffnung zu
verhindern suchen. Der "unconditional
U.S. support for Israel" (S. 5) macht jedoch nicht nur das "winning the war on terror more difficult",
sondern, wie M-W zutreffend feststellen, auch "the broader effort to deal with rogue states" (alle S. 5), wie
z. B. mit dem Iran.
Aufschlussreich
erscheint mir in diesem Zusammenhang der Artikel "It's Our War. Bush should go to Jerusalem--and
the U.S. should confront Iran" von William Kristol
im "Weekly Standard" vom
24.07.06. Kristol unterstellt einen Krieg des Islamismus gegen den Westen bzw. die
liberalen und demokratischen Werte und folgert flugs:
"What's
happening in the Middle East, then, isn't just
another chapter in the Arab-Israeli conflict. What's happening is an
Islamist-Israeli war." . ..
"... while Syria and Iran are enemies of Israel,
they are also enemies of the United
States. ... Weakness is provocative. We have
been too weak ....
The right
response is renewed strength--in supporting the governments of Iraq and Afghanistan,
in standing with Israel, and in pursuing regime change in Syria and Iran. For that matter, we might
consider countering this act of Iranian
aggression with a military strike against Iranian nuclear facilities. Why wait?
... Yes, there would be repercussions--and they would be healthy ones, showing
a strong America
that has rejected further appeasement.
But such a
military strike would take a while to organize. In the meantime, perhaps
President Bush can fly from the silly G8 summit in St.
Petersburg ... to Jerusalem,
the capital of a nation that stands with
us, and is willing to fight with us, against our common enemies. This is our war, too. [Hervorhebungen von mir]
Bereits oben
habe ich darauf hingewiesen, dass verschiedene Dimensionen in der Studie (und
erst Recht in dem Aufsatz in der LBR, der ohnehin nicht nach rein
wissenschaftlichen Kriterien beurteilt werden kann) zu unterscheiden sind. Die
faktischen, spekulativen und die 'aktivierenden' Elemente greifen ineinander in
diesem Text, der einerseits gewiss eine wissenschaftliche
Arbeit ist und andererseits als ein Meinungs-Beitrag zur außenpolitischen
Debatte in den USA.
Jenseits
einer Qualitätsbewertung nach wissenschaftsimmanenten Kriterien kann man (und
sollte man m. E. auch) den Beitrag von M-W zugleich in einer anderen Dimension
als ein sozialwissenschaftliches Experiment ansehen (auch wenn die Verfasser
das wohl kaum intendiert hatten), nämlich als einen (Reaktions-)Test der
(zumindest: Laut-)Stärke der Lobby sowie als Prüfstein für deren
intellektuellen Redlichkeit. Soweit letztere fehlt, dürfte es nicht nur
legitim, sondern auch Erkenntnis fördernd sein, daraus wiederum Rückschlüsse
auf die "Güte" der von ihr vertretenen Interessen zu ziehen.
Darum ging es
vermutlich z. B. dem (anonymen) Verfasser des Aufsatzes "Silencing Israel's Critics. Committee for Accuracy in Middle East Reporting in America
Attacks a Study on the Israel Lobby" (s. dazu
unter è "CAMERA") und darum geht es großenteils auch mir in der vorliegenden
Betrachtung. Insbesondere (aber nicht nur) eine Analyse der Kampagne in der
Zeitung è "The New York Sun" ist in dieser
Hinsicht aufschlussreich.
Ähnlich wie
ich sieht das wohl auch der US-Medienexperte Michael è Massing wenn er am Schluss seines umfangreichen Berichts "The Storm over the Israel
Lobby" (11.06.2006) schreibt: "The nasty
campaign waged against John Mearsheimer and Stephen Walt has itself
provided an excellent example of the
bullying tactics used by the lobby and its supporters." [Hervorhebung von mir]
Mittlerweile haben sich Mearsheimer
und Walt ausführlich den Vorwurf einer schlampigen Arbeit überzeugend widerlegt (hier übrigens die vollständige Mitschrift
der Pressekonferenz):
"The
most peculiar claim, to us, was the claim that we were sloppy, that somehow the
paper's very sloppy. What you want to ask yourself is, does this seem at all
likely? John and I have between us written six books and countless articles.
People have disagreed with us throughout our careers, but no one has ever said
before that our work was sloppy. Is it credible to think that the two of us
would tackle a third-rail issue like this one and suddenly decide to be
careless and cavalier in what we did? I might add the pieced was vetted by a
number of other scholars in the field. We sent drafts around to lots of people
to get comments before we published it to make sure that there were no
meaningful errors in it at all. Now finally, if you then look at the people who
aren't connected to the lobby and they take a careful look -- the ones who have
taken a look at our claims, they tend to agree with us. Michael Massing wrote
an essay in The New York Review of Books where he repeated, unfortunately, some
of the bogus charges against the paper. But his bottom line is quite clear, and
I quote it: Quote, 'On their central point, the power of the Israel lobby and the negative effect it has had
on U.S.
foreign policy, Mearsheimer and Walt are entirely correct.' Similarly, L. Carl
Brown, a distinguished professor emeritus at Princeton,
recently wrote in Foreign Affairs that our paper was neither sloppy nor
anti-Semitic. Instead, he called it a hard-headed analysis that just might set
in motion a useful paradigm shift in U.S.-Middle East policy. Now, needless to
say, we are pleased that the conversation is starting to focus on
substance."
Ich kann es
der zionistischen Lobby nachfühlen, dass sie Sätze wie „... aspects of Israeli democracy are at odds with core American
values" und den Hinweis darauf, dass „Israel was explicitly founded as a Jewish state
and citizenship is based on the principle of blood kinship“, (alle S. 9)
nicht besonders goutiert.
Es muss das
Selbstverständnis von Zionisten schmerzen, wenn Mearsheimer und Walt daran erinnern,
dass die Gründung Israels nur möglich war durch Verbrechen gegen die Palästinenser:
„The country’s creation was undoubtedly
an appropriate response to the long record of crimes against Jews, but it also
brought about fresh crimes against a largely innocent third party: the Palestinians.“
[Hervorhebung von mir]
M-W arbeiten
die Kausalzusammenhänge noch nicht einmal so im Detail heraus, wie ich sie oben
formuliert habe. Und dass im übrigen die israelische Staatsidee von vornherein,
und mithin schon lange vor der Machtergreifung der Nazis, mit den Rechten der
bisherigen Bewohner des Landes in Konflikt stand und letztlich auf deren
Unterdrückung oder Vertreibung hinauslaufen musste (ganz unabhängig davon, ob
die handelnden Personen daran gedacht haben, und erst recht natürlich
unabhängig davon, was sie ausgesprochen haben), erwähnen Mearsheimer und Walt
nicht einmal.
Man kann
Verständnis aufbringen für den Wunsch vieler Juden, ein eigenes Land zumindest
als Zuflucht für evtl. Krisenfälle zu haben. Nach dem Holocaust noch mehr, aber
ebenso bereits früher dürfte ja der Zionismus eine Reaktion auf den auch schon
vor 1933 ausgeprägten Antisemitismus gewesen sein. Dass jedoch auch die
Palästinenser Rechte haben, und dass „The
tragic history of the Jewish people does not obligate the US [und Europa!] to help Israel today no matter what it does“ (S. 11) [Hervorhebung von mir] wird
einem sehr viel bewusster, wenn man neben den sonstigen geschichtlichen
Hintergründen auch das Geschehen in Palästina selbst kennt.
Daran wird
die Lobby sich nicht gern erinnern, erinnern lassen und vor allem andere nicht
gern erinnert sehen wollen und deshalb z. B. über die nachfolgende detaillierte
Wiedergabe von massiven Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Entstehung
und Ausdehnung Israels sowie über deren negative moralische Bewertung durch
John Mearsheimer und Stephen Walt wenig erbaut sein:
„Israel’s
backers also portray it as a country that has sought peace at every turn and
shown great restraint even when provoked. The Arabs, by contrast, are said to
have acted with great wickedness. Yet on the ground, Israel’s record is not distinguishable from that
of its opponents. Ben-Gurion acknowledged that the early Zionists were far
from benevolent towards the Palestinian Arabs, who resisted their encroachments
– which is hardly surprising, given that the Zionists were trying to create
their own state on Arab land. In the same way, the creation of Israel in 1947-48 involved acts of ethnic
cleansing, including executions, massacres and rapes by Jews, and Israel’s
subsequent conduct has often been brutal, belying any claim to moral
superiority. Between 1949 and 1956, for example, Israeli security forces killed
between 2700 and 5000 Arab infiltrators, the overwhelming majority of them
unarmed. The IDF murdered hundreds of Egyptian prisoners of war in both the
1956 and 1967 wars, while in 1967, it expelled between 100,000 and 260,000 Palestinians
from the newly conquered West Bank, and drove 80,000 Syrians from the Golan
Heights.“ [Zitiert nach dem LRB-Aufsatz;
Hervorhebung von mir. Es geht im Folgeabsatz bei M-W noch weiter, aber dieses
Langzitat mag hier genügen.]
Große Geschichte ist selten eine
absolut saubere Angelegenheit und besonders wir Deutschen müssen, ehe wir den Israelis
Vorwürfe machen, dass nicht moralische Gleichungen vom Typ „'Dresden' =
KZs" daraus werden. Aus der jeweiligen Schuld, vor allem aber auch aus dem
z. B. bei der Bombardierung von Dresden ganz eindeutigen Ursachenzusammenhang,
kann man sich nicht mit dem Hinweis auf die Schuld anderer herausreden. Ich bin
auch nicht der Meinung, dass wir – Deutschland, Europa, aber auch die USA – uns
nun einfach auf die Seite der Palästinenser stellen sollten. Von denen werden
wir ohnehin kaum Dank ernten, weil ein eigener palästinensischer Staat – unter
Beibehaltung Israels mit oder ohne Ost-Jerusalem - aus deren Sicht nicht nur
ihr selbstverständlicher Anspruch, sondern vermutlich sogar noch weitaus zu
wenig sein dürfte.
Aber wenn für die fortlaufende Begehung von Menschenrechtsverletzungen
Nibelungentreue als Sühne der Bündnispartner für vergangene Schuld eingefordert
wird, muss sich der Westen dem schon deshalb widersetzen, um nicht erneut
Schuld (gegen andere) auf sich zu laden. Und natürlich auch aus ganz realpolitischen
Gründen.
Was die Begriffswahl angeht, haben
die Autoren versucht, mit dem Begriff "Israel Lobby" die spezifische
Zielsetzung "der Lobby" schon durch eine entsprechende Begriffswahl
von "dem Judentum" abzugrenzen. Inhaltlich fassen sie unter die
"Israel Lobby" ja auch die "Christian Zionists"
und die Neokonservativen.
Es ist natürlich legitim, wenn sich
"die Juden" nicht mit der zionistischen Lobby in eins setzen lassen
wollen, und wenn dem entsprechend auch Stimmen aus dem Kreis der Lobby selbst
(sofern es im Diskurs nützlich erscheint) auf den Unterschied hinweisen.
Umgekehrt kann man dies aber auch der Lobby dezidiert entgegen halten, wenn
ihre Äußerungen die Erwartung erkennen lassen, dass sich jeder Jude
zwangsläufig mit ihr solidarisieren müsse – vgl. dazu auch meine diesbezüglichen
Beobachtungen zur Anti-M-W-Kampagne der Zeitung è "The New York
Sun".
Ob die Verwendung des Begriffes
"zionistische Lobby" im US-Diskurs zweckmäßig ist, kann ich nicht beurteilen,
weil ich nicht präzise weiß, wie der Begriff "Zionist" dort
konnotiert ist. Jedenfalls habe ich versucht, mit der gelegentlichen Verwendung
dieses Begriffs die Interessenvertretung nationalistischer Zionisten gegen das
Interessenverständnis "der Juden" insgesamt (unter denen es auch
aktive Anti-Zionisten
gibt), abzugrenzen.
Ein gewisser
(mir sonst nicht weiter bekannter) Manfred
Gerstenfeld hat in einer Studie mit dem deutschsprachigen Titel "Die tiefen Wurzeln des Antisemitismus in der
europäischen Gesellschaft" (das Original ist in der Jewish Political Studies Review 17:1-2 vom Frühjahr 2005 u. d. T. "The Deep Roots of Anti-Semitism in European
Society" erschienen) u. a.
auch über mögliche Zusammenhänge zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus
sowie das Problem einer Unterscheidung legitimer Kritik an der israelischen
Politik von antisemitisch motivierter Kritik nachgedacht. Dazu schreibt er:
"DER
NEUE ANTISEMITISMUS
Die jüngste
wichtige Version des Antisemitismus, die sich in den letzten Jahrzehnten
radikal intensiviert hat, zielt gegen Israel, den jüdischen Staat. Diese
Variante des Judenhasses wird jetzt gemeinhin als „neuer Antisemitismus“
bezeichnet. Seine Täter nennen sich oft
selbst Antizionisten. Sie wollen Israel isolieren und stellen es – mit den
Worten des Zentrums für Antisemitismus-Forschung der Technischen Universität
Berlin – „als einen Staat dar, der sich fundamental negativ von allen anderen unterscheidet,
der daher kein Existenzrecht hat“. [Hervorhebung von mir]
Der kanadische Justizminister Irwin Cotler
merkte an: 'Traditioneller Antisemitismus verweigert den Juden das Recht als
gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft zu leben, aber das neue
Anti-Judentum verweigert dem jüdischen Volk das Recht als gleichberechtigtes Mitglied
in der Familie der Nationen zu leben.'
Der schwedische
stellvertretende Premierminister Per Ahlmark stellte heraus:
'Der heutige
Antizionismus ist dem Antisemitismus sehr ähnlich geworden. Der Antizionismus akzeptiert
das Recht anderer Völker nationale Gefühle und einen verteidigungsfähigen Staat
zu haben. Aber sie verweigern dem jüdischen Volk das Recht sein
Nationalbewusstsein zu haben, das sich im Staat Israel ausdrückt und diesen
Staat sicher zu machen. Daher beurteilen sie Israel nicht mit den Werten, die
zur Beurteilung anderer Staaten benutzt werden. Eine solche Diskriminierung von
Juden wird Antisemitismus genannt.' "
Stellt sich
natürlich die Frage, ob jeder, der den Mund gegen bestimmte Aktionen Israels aufmacht,
ein Antisemit ist (von den Juden abgesehen – oder können die auch Antisemiten
sein?)
Auch
Gerstenfeld sieht, dass eine Gleichsetzung von Antisemitismus und Kritik an
konkreten Handlungen des israelischen Staates problematisch wäre. Deshalb
zitiert er folgende Unterscheidungskriterien, die der oben erwähnte kanadische
Justizminister Cotler aufgestellt hat:
"Die
Unterschiede zwischen Antisemitismus und Kritik
Es ist oft
schwer die Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus zu ziehen.
Cotler hat einige Richtlinien empfohlen. Er meint, dass Kritiker Israels dann
zu Antisemiten werden, wenn
1) Sie
öffentlich zur Vernichtung Israels und des jüdischen Volks aufrufen. Das ist
der Fall bei den Satzungen der palästinensischen Terrorgruppen (PLO und Hamas)
und einigen militant-islamischen Rechtsentscheidungen (fatawin), ebenso wie der
iranischen Drohung Israel auszulöschen ('genozidaler Antisemitismus').
2) Sie
leugnen das Recht des jüdischen Volks auf Selbstbestimmung, delegitimieren
Israel als Staat und schreiben Israel alle Übel der Welt zu ('politischer
Antisemitismus').
3) Sie
nazifizieren Israel ('ideologischer Antisemitismus').
4) Israel
wird als heimtückischer Feind des Islam beschrieben ('theologischer Antisemitismus').
5) Israel
wird von Salon-Intellektuellen und westlichen Eliten ein Mix aus bösartigen
Qualitäten zugeschrieben ('kultureller Antisemitismus').
6) Sie
fordern Beschränkungen gegen diejenigen, die mit Israel Handel treiben ('wirtschaftlicher
Antisemitismus').
7) Sie
leugnen den Holocaust.
8) Sie
unterstützen rassistischen Terror gegen Israel.
[o. Nr.;
gedacht als "9."?:] Auf der internationalen Bühne suchen sie Israel
für diskriminierende Behandlung durch Leugnung der Gleichheit vor dem Gesetz
aus."
Keines dieser
Kriterien ist bei Mearsheimer und Walt erfüllt. Das wird allerdings ihre Gegner
nicht daran hindern, z. B. die kritischen Worte von M-W über die israelische
Politik gegenüber den Palästinensern als "Delegitimierung des Staates
Israel" zu interpretieren, als "Nazifierung Israels" und als
"kulturellen Antisemitismus". In diese Kategorien kann, wer
Anti-Antisemitismus politisch instrumentalisieren will, bequem alles hinein
packen. Das gilt natürlich auch für meinen eigenen Artikel, zumal ich ja von
der "zionistischen Lobby" spreche und deshalb begrifflich bequem
unter die "Antizionisten" des ersten der beiden hier zitierten Kapitel
zu subsumieren wäre.
Freilich ist
die "Gefahr" für mich schon deshalb relativ gering, weil ohnehin kein
Hund mein ellenlanges Exposé lesen wird.
Im übrigen
ist es nicht ohne Risiko, wenn Kritik an der israelischen Politik vorschnell
mit dem Vorwurf „Antisemitismus“ beantwortet wird. Unstreitig kann zwar die
Kritik an Israel auch antisemitisch motiviert sein. Andererseits kann man
Antisemitismus auch herbeireden. Sei es bei Dritten, indem man die „moral blackmail“
überzieht, sei es direkt bei den Kritikern, indem man sie vor die Alternative
stellt „kusch oder du wirst in der Öffentlichkeit in die Antisemitismus-Ecke
gestellt“.
Letztlich wird es auch von sonstigen innen- und außenpolitischen und
insbesondere gesellschaftlichen Zuständen abhängen, ob eine solche Strategie
zurückschlägt.
In der
Debatte zwischen M-W und deren Gegnern, sollten die Letzteren die Warnungen von
Mary-Kay Wilmers, Herausgeberin der
"London Review of Books", beherzigen, ihr Spiel nicht zu überreizen: "Wilmers believes, ... that the most
angry denunciations of anti-Semitism - while designed to serve the purpose of
censorship by those attempting to forestall criticism of Israel - may actually
encourage anti-Semitism in the long run" schreibt Peter Beaumont im Londoner "The Guardian" vom 02.04.06 ("Editor hits back over Israel row") und zitiert
Frau Wilmer wie folgt: "It serves a
purpose. No one wants to be thought of as anti-Semitic because it is thought of
as worse than anything else, although it is not worse being anti-Semitic than
being anti-black or Islamophobic.
Really, one
of the most upsetting things is the way it can contribute to anti-Semitism in
the long run just by making so many constant appeals and preventing useful
criticism of Israel.
No one can say Israel's
posture does not contribute to anti-Semitism, yet charges of anti-Semitism are
used to justify that policy."
Uri Avnery
wusste schon vor dem Aufsatz von M-W, dass es nicht ausreicht, gegen
"Antisemitismus" wettern, um die Gefahr eines solchen zu bannen,
sondern dass auch die Lobby ihr Verhalten ändern muss. In einem Artikel vom
14.01.06 u. d. T. "With Friends like these ..." schreibt er u. a.:
"Disapproving
words about "the rise of anti-Semitism" are not enough, what is
required is a profound change of behavior."
Welche Folgen
eine propagandistische Gleichsetzung von Kritik an Israel (bzw. an der Israel-Lobby)
mit Antisemitismus haben kann, bemerke ich selbst z. B. daran, dass ich mich
selbst immer wieder in Erinnerung rufen muss, dass M-W eben nicht von einer
"jüdischen Lobby", sondern von einer "Israel-Lobby"
sprechen, die nicht nur Juden umfasst. Wenn dieser Aspekt so schnell im Bewusstsein
untergeht, so liegt das mit Sicherheit auch daran, dass viele Kritiker von M-W
(allen voran Alan Dershowitz),
welche mehr oder weniger der Lobby zuzuordnen sind, den Inhalt der Studie von
John Mearsheimer und Stephen Walt weitgehend auf die Wahrnehmung einer bloß jüdischen
Lobby reduzieren: Das ist zwar die logische Voraussetzung, um M-W des
Antisemitismus' bezichtigen zu können, doch ist eine solche Taktik gegen die
Intention ihrer Anwender zugleich für diese selbst (bzw. die Juden überhaupt)
hoch riskant.
Auch ein
deutscher Student ging nicht vorbei, sondern bringt im Rahmen eines Antisemitismus-Seminars
von Prof. Dr. Georg Meggle, an der Uni Leipzig eine tabellarische (sehr übersichtliche)
Darstellung: Christoph Marx, 26.07.2006, "Ein Antisemitismusvorwurf – 'The
Israel Lobby and U.S. Foreign Policy' von John J. Mearsheimer und Stephen M.
Walt".
Christoph von Marschall (è s. d.) schrieb am 5.4.06, dass sich
"die angeblich furiose Debatte in
Amerika ... sich im Wesentlichen auf Verrisse [beschränkt]". Das mag
seinerzeit noch weitgehend zutreffend gewesen sein, hat sich allerdings
mittlerweile deutlich geändert. Auf dieser Webseite des "Council for the National Interest" sind
zahlreiche (aber bei weitem nicht alle!) Titel der und Links zu den Reaktionen
übersichtlich nach Standpunkten gelistet: "Positive", "News",
"Critiques" und schließlich
"Negative News Items and
Commentaries". Schon daraus wird ersichtlich, dass es inzwischen auch
eine ganze Menge Zustimmung gibt, zumindest zu Teilen der Thesen von M-W.
Und falls (wie zu vermuten) rein zahlenmäßig die negativen
Stellungnahmen überwiegen sollten, kann das nicht überraschen, wenn man an die
zutreffende Feststellung von Mearsheimer und Walt denkt, dass „... Interest groups ... enjoy a
disproportionate amount of influence when they are committed to an issue to
which the bulk of the population is indifferent.“ Hier stehen einfach ausformulierte, bewusste und
nachdrücklich vertretene (sowie emotional verständlicher Weise tief fundierte)
Interessen einerseits einer unklaren Gefühls- und Meinungslage der breiten
Öffentlichkeit gegenüber, die sich in der Regel nur in einzelnen Stimmen
artikulieren wird. (Eine mehr oder weniger organisierte Gegen-Lobby gibt es
zwar anscheinend auch – nach meinem aus flüchtigen Webseitenbesuchen gewonnenen
Eindruck gehören dazu etwa der "Council for
the National Interest" und der
"Washington Report on Middle East Affairs" -) aber es
fehlt der breite Unterbau von einschlägig interessierten Personen (organisiert
oder nicht), die schnell und heftig und quantitativ (sowie zumindest in
formaler Hinsicht auch qualitativ) eindrucksvoll Meinungsäußerungen auf den
Meinungs-Markt werfen (können). Diejenigen, welche die Macht der zionistischen
Lobby mit Hinweisen auf die Lobbyarbeit der Palästinenser, der Saudis usw. zu
relativieren versuchen, stellen deshalb potemkinsche Puppen auf die
Debatten-Bühne.
Jedenfalls gibt es
zu dem Papier von M-W mittlerweile eine ganze Reihe von positiven Stellungnahmen.
Diese unterstützen zwar größtenteils nicht Mearsheimer und Walts Meinungen in allen Fragen (insbesondere wird fast
einhellig eine Überschätzung der tatsächlichen
Macht der Pro-Israel-Lobby kritisiert sowie die Annahme von M-W, dass die
Einflussnahme "der Lobby" wesentlich für die Entscheidung zum
Einmarsch in den Irak verantwortlich gewesen sei). Häufig stimmen sie ihnen
aber in wesentlichen Punkten zu:
- allzu großer
Einfluss der Lobby in der Öffentlichen Meinung und dadurch bedingte Unterdrückung
der Debatte über die US-Politik gegenüber Israel, den Palästinensern und dem
Nahen Osten;
- Kritik an der
übertriebenen Israel-Nähe der US-Politik im Nahen Osten.
- korrekte
Darstellung der historischen Umstände um die Entstehung des israelischen
Staates in dem Papier und damit Infrage-Stellen der moralischen Überlegenheit
der israelischen Position.
"Furios"
war die Debatte, insbesondere was die Gegner von M-W angeht, allerdings nicht
nur "angeblich", sondern tatsächlich. Wenn z. B. eine Zeitung wie die
è New York Sun einen Bericht über Behauptungen des US-Rechtsprofessors
Alan Dershowitz, dass M-W einige Informationen von (US-) Neonazi-Seiten in
ihrem Papier verarbeitet hätten, mit der Überschrift "Harvard's Paper on Israel Drew From Neo-Nazi Sites" versieht,
dann gibt das einen Eindruck davon, mit welch primitiven Propaganda-Methoden
hier teilweise gearbeitet wurde. (Im Text wird dann zwar korrekt berichtet –
und damit die Überschrift relativiert -, dass "A prominent Harvard law professor, Alan Dershowitz, is alleging that the authors of a Harvard
Kennedy School paper about the "Israel lobby," ... culled sections of
the paper from neo-Nazi and other
anti-Israel hate Web sites."
(Hervorhebung von mir) Aber was beim Leser hängen bleibt (und bleiben soll),
ist natürlich das Verb "drew", also die Vorstellung, dass der behauptete
Sachverhalt objektiv festgestellt wurde.
In einer Art von Emser-Depeschen-Technik, die viel über
die Wahrheitsliebe des Verfassers aussagt, erweckt è von Marschall den Eindruck, dass
sich andere Wissenschaftler wegen der angeblich dürftigen wissenschaftlichen
Qualität nicht mit dem Arbeitspapier von Mearsheimer-Walt befassen (und diese
Insinuation positioniert er sogar in hervorgehobener Stellung an den Schluss
seines Artikels):
„Andere Autoren
sehen sich im Dilemma, ob man so einen Text nicht besser ignoriert? Wer sich
die Mühe mache, all die Fehler und Verdrehungen aufzudecken, verschaffe den
Autoren nur unverdiente Resonanz. Harvard distanziert sich von dem Text, den
ihr Dozent Walt als ‚Arbeitspapier’ auf die Internetseite stellte. Das Uni-Logo
wurde vorsorglich entfernt.“
Mehr über die
Hintergründe der Entfernung des Harvard-Logos (und der optischen Vergrößerung
des Disclaimers) kann man z. B. in der Campus-Zeitung "The Harvard
Crimson" vom 24.03.06 u. d. T. " KSG Seeks Distance from Paper"
lesen. Dass die Universität damit nicht (wie es in der Darstellung von von Marschall
mit voller Absicht und wahrscheinlich wider besseres Wissen insinuiert wird)
ein Qualitätsurteil fällen wollte, sollte aber auch ohne diese Lektüre klar
sein: das wäre nämlich der Anfang vom Ende der akademischen Freiheit und deshalb
auch für diejenigen Wissenschaftler inakzeptabel, die diametral gegen
Mearsheimer und Walt stehen.
Weitere Informationen in diesem Zusammenhang (sowie
auch zum Ausscheiden von Prof. Walt aus der Position als Dekan) brachte
"The Harvard Crimson" am 01.04.06 u. d. T. "KSG: End of Walt's
Term 'Completely Unrelated' To Uproar Over Israel Remarks. Academic dean to step down in June, but will remain a
tenured professor" sowie in der Ausgabe vom 03.04.06 u. d. T. "KSG: Walt Planned To Step Aside Before Furor". In
diesem Artikel äußert sich auch der "Dean" David T. Ellwood indirekt
zur angeblichen 'Qualitätskontrolle': " 'Throughout this episode, I have sought to be driven by one principle
above all others: maintain academic freedom
for our scholars and our school',
Ellwood wrote in an e-mail to members of the KSG community Friday. Ellwood
added that the school 'does not make judgments about the content of working
papers before posting. Academic work is best judged in the serious give and
take of intellectual and scholarly debate'." [Hervorhebung von mir. Ellwood ist wohl der Rektor,
Walt hält bzw. hielt die Position eines "academic dean", was
vermutlich einem Fakultätsdekan entspricht.]
Auch wenn die Recherchen des "Harvard
Crimson" gewisse Zweifel an der offiziellen Darstellung aufkommen lassen,
dass der Rücktritt lange vorher geplant gewesen sei (eine angebliche E-Mail vom
21.02.06 an die Fakultätsmitglieder wurde der Zeitung nicht vorgelegt; frühere
akademische Dekane hatten i. d. R. längere Amtszeiten), wäre eine evtl.
vorzeitige Aufgabe des Amtes sicherlich nicht das Ergebnis einer
universitätsinternen wissenschaftlichen Zensur, sondern allenfalls entweder des
Wunsches von Walt, das Ansehen der Kennedy School of Government nicht zu beschädigen
oder, im schlimmsten Falle, Ergebnis des wirtschaftlichen Drucks von Sponsoren
[vgl. dazu auch unter è The New York Sun].
Die polemische Erwiderung von Prof. Alan Dershowitz
trägt im übrigen ebenfalls nicht das Harvard-Logo und enthält die gleiche Art
von Disclaimer.
Zutreffend erscheint
mir immerhin die Feststellung bei von Marschall, dass eine breite Debatte über
den Text nicht stattgefunden hat. Obwohl seit seinem Artikel noch eine ganze
Menge von Beiträgen erschienen sind, gilt das auch zum jetzigen (Stand etwa
August 2006) Zeitpunkt noch.
Robert Fisk (der Mearsheimer und Walt massiv
sekundiert) kam am 27.04.2006 in seinem o. a. Artikel hinsichtlich der
Reichweite der Debatte zu einem ähnlichen Schluss wie Christoph von Marschall:
„But how many people in America are
putting their own heads above the parapet, now that Mearsheimer and Walt have
launched a missile that would fall to the ground unexploded in any other
country but which is detonating here at high speed? Not a lot. For a while, the
mainstream US press and television - as pro-Israeli, biased and gutless as the
two academics infer them to be - did not know whether to report on their
conclusions (originally written for The Atlantic Monthly, whose editors
apparently took fright, and subsequently reprinted in the London Review of
Books in slightly truncated form) or to remain submissively silent.“
Und am
24.05.2006 stellt die Interviewerin Amy Goodman in einem
Gespräch mit Michael Massing fest: "Despite the debate there hasn't been a
tremendous amount of attention to this in the U.S. media." Der
Journalist und Medienexperte Michael è Massing bestätigt das: "Right. I
mean, for instance, the New York Times
ran an open-ed piece by Tony
Judt, which was very strongly backing
the professors, but beyond that, their news coverage has been very minimal. Washington Post, if you look at the
sort of main outpost of our top media, it's been very scant coverage. And to
some people, that's an indication ... that it is hard, in fact, to debate these
issues, because of the pressure on the press."
Als einen brauchbaren Indikator für das öffentliche Interesse an einem
Thema kann man vielleicht dessen Präsenz in Blog-Einträgen ansehen. Bei einer
Trefferauszählung wird man die o. a. Einschätzungen bestätigt finden, dass eine
wirklich breite Debatte über die Thesen von M-W nicht stattgefunden hat. Die
Eingabe „mearsheimer walt usa israel“ ergab bei der
Google-Blogsuche (am 26.05.06) lediglich 184 Treffer, bei Technorati nur 173. (Stand per
22.09.06 = 290 Google-Blogsuche, 331 Technorati.)
Klug handelt in
gewisser Hinsicht derjenige Teil der Lobby, der das Thema niedriger hängt.
In anderer Hinsicht
kann es allerdings (aus der Perspektive der zionistischen Lobby heraus betrachtet)
ebenso klug sein, die Bluthunde der Meinungsinquisition auf Mearsheimer und
Walt zu hetzen. So hat es z. B. die Zeitung è "The
New York Sun" offenbar für nützlich gehalten, in ihrer seinerzeitigen
Artikelserie ganz massiv an die Stifter (von denen amerikanische Universitäten
ja bekanntlich weit mehr abhängig sind als europäische) zu appellieren, Druck
auszuüben. Mit solchen Methoden hält man „Nachfolgetäter“ im Zaum, insbesondere
solche, die nicht das akademische Renommee der beiden Professoren haben, und
die auf der akademischen Karriereleiter noch nach oben klettern möchten.
Allerdings ist, wie
oben schon ausgeführt, diese Strategie zugleich außerordentlich riskant. Ständige
Antisemitismus-Vorwürfe an die Adresse der Zionismus-Gegner können, zumal wenn
sie verbunden sind (oder von den Betroffenen als verbunden wahrgenommen werden)
mit ökonomischem Druck, letztendlich mehr oder weniger antisemitische Gefühle
überhaupt erst erzeugen und entsprechende Reaktionen auslösen.
Im übrigen hat Prof. Walt
eine Fortsetzung der Debatte mit einer "lenghty response" an die
Kritiker im Laufe des Jahres angekündigt,
und zwar in einer E-Mail von Mitte Mai 2006
an Maurice
è Ostroff.
Ein Punkt, den ich hier nicht
großartig extemporieren, aber doch wenigstens ansprechen will, ist ein
möglicher Widerspruch zwischen dem Entwicklungsstadium vom Menschen- und Völkerrechten
einerseits und der historischen Dynamik (oder sollte man sagen: dem Recht auf
historische Dynamik?) andererseits. Recht hat wohl generell die Tendenz, eher
konservierend zu wirken und es könnte sein, dass die Rechtsentwicklung auch in
diesen Bereichen eher darauf gerichtet ist, den jeweiligen Status quo zu
begünstigen und zu verfestigen.
Die Ausdehnung des Völkerrechts in bisher (zumindest faktisch) quasi
rechtsfreie Räume kann man jenseits eines rein humanitären Standpunktes auch
durchaus kritisch sehen, weil sie jedenfalls das, was man bislang unter "Geschichte"
verstand
zu überwuchern oder versteinern droht (wenn man diese Art von Geschichte vom
humanitären Standpunkt, also negativ bewertet, wird man freilich eher
erleichtert sagen, dass die Weiterentwicklung und die Anwendung von Menschen-
und Völkerrechten "mit dieser Art von 'Geschichte' Schluss machen").
Ein wesentlicher Inhalt von
"Geschichte" war deren Konflikt-Dynamik: Gebiete erobern, Völker unterdrücken,
vertreiben, versklaven oder im Idealfalle (Frankreich/Elsass-Lothringen?
Deutschland im Hochmittelalter/Ostgebiete?) kulturell assimilieren. Insoweit
erscheint es denkbar, dass unser Rechtsverständnis heute einen gewissen Zustand
von Erstarrung erreicht hat oder einem solchen Zustand tendenziell entgegen
strebt - als eine der verschiedenartigen Ausdrucksformen eines inneren
Zustandes unserer Zivilisation, der vielfach als "Ende der
Geschichte" empfunden und beschrieben wird.
Man könnte, quasi als Spenglerianer,
durchaus ein gewisses Verständnis für Israel (und die USA), als
"jüngere", noch nicht post-historisch erstarrte und deshalb
zwangsläufig (?) "aggressivere" Nationen aufbringen.
Andererseits ist die
Konfliktgeschichte nicht unbedingt jene Art von Geschichte, die wir als Menschen
uns wünschen. Es ist auch durchaus denkbar, dass "Geschichte" heute
ihre Fortsetzung auf andere, zivilisiertere Weise, findet: EU, UNO,
wirtschaftlicher Wettbewerb, kulturelle Expansion ("Hollywood") usw.
Insoweit wäre nicht die Geschichte erstarrt, sondern unsere Denk-Schemata, die
Geschichte immer schnell mit Mord und Totschlag in Verbindung bringen.
Die Frage ist allerdings, ob
"ziviliserte" Aschevölker, wenn sie von der Vitalität der
Noch-nicht-ganz-so-Verfeinerten getroffen werden, trotz ihrer
technologisch-zivilisatorischen Überlegenheit auf die Dauer durchhalten. Dabei
muss man nicht einmal an Krieg und Terror denken: schon die biologische
Vitalität, der Immigrationsdruck usw. beunruhigen (hoffentlich) nicht nur die
Stammtische.
Auch Israel ist mit einer hohen
Geburtenrate der arabischen Bevölkerung konfrontiert und darüber beunruhigt. (Zahlen siehe Eintrag in der "Jewish Virtual
Library" von 2003: "Israeli Muslim Birth Rate
is Double that of Jews").
Vielleicht
steht auch dieses Bewusstsein einer Gefährdung der jüdischen Identität des Staates
von innen heraus hinter der israelischen Kolonisierungspolitik im
Westjordanland.
Israel ist
jedenfalls, wie die USA, ein junges, selbstbewusstes Land/Volk. Und das gilt in
anderer Weise (d. h. mit den Unterschieden, wie sie sich aus dem
unterschiedlichen technologisch-zivilisatorischen Stand ergeben) wohl auch für
die Palästinenser und Araber.
Das (je nach
Position positiv oder negativ zu bewertende) "geschichtsmüde" Denken
der Europäer kann sich möglicher Weise nicht im vollen Umfang in diese anderen
Denk- oder besser: historischen Seinsweisen hinein versetzen.
Das alles
sind sehr vorläufige (und wenig elegant formulierte) Überlegungen.
Doch möchte ich nicht Teil einer Debatte sein, welche vor lauter Gutheit
trieft, sondern auch Kontrapunkte denken und setzen.
Was ist und
zu welchem Zwecke brauchen wir Identität (einer sozialen Einheit: Volk, Staat)?
Diese Frage hatte ich mir schon früher gestellt, ohne zu einem Ergebnis zu
kommen.
Klar sein dürfte aber jedenfalls, dass Identität Ab- und damit auch Ausgrenzung
impliziert.
Der knapp
ganzseitige Unterabschnitt "Aiding a
Fellow Democracy?" gehört natürlich zum aktivierenden Teil der Studie
von Mearsheimer und Walt.
Was grenzt
der israelische Staat bzw. die israelische Gesellschaft aus, was der/die amerikanische?
Trotz starker
christlicher Strömungen ist die Amerikanische Identität auf der politischen
Ebene letztlich doch wohl eher religionsneutral. Die israelische Identität ist
dem gegenüber hauptsächlich in der Religion begründet (was immer z. B.
Dershowitz gegen M-W vorbringen mag) und entspricht insofern wohl nicht dem
amerikanischen (und noch weniger dem europäischen) Ideal eines rein weltlichen
Staates.
In diesem
Zusammenhang bringt vermutlich das Buch "Jewish Fundamentalism in Israel" weitere Aufschlüsse (vgl.
dazu Hinweis auf der (Universitäts-)"Homepage" von Juan Cole), das ich
allerdings nicht näher kenne.
Im übrigen gibt es natürlich in jedem
Land, möglicher Weise aber – im Vergleich zu europäischen Ländern – in Israel
und den USA stärker ausgeprägt eine Diskrepanz zwischen offiziellem Selbstverständnis
und gesellschaftlicher Realität. Die Farbigen in den USA haben gleiche Rechte;
viele von denen sehen sich aber vielleicht selbst nicht weniger diskriminiert
als die Araber in Israel. Trotzdem kann man darüber natürlich streiten, und
langsam scheinen auch in der Politik auch Farbige in den USA in höhere
Positionen zu kommen, während ich mir nicht vorstellen kann, dass in Israel die
einheimischen Araber jemals mitregieren.
Alles in allem weiß ich aber zu wenig
über beide Länder, um mir wirklich ein eigenständiges Bild über die
unterschiedlichen Identitäten zu machen. Jedoch erscheint die These von M-W
plausibel, dass Israel keine Demokratie wie jede andere ist, weil das Land ganz
bewusst eine jüdische Identität haben will, was Araber und Moslems zwangsläufig
von vornherein von einer wirklichen Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens
auf der politischen Ebene ausschließt – wie auch immer die Rechtslage sein mag.
In der gemeinsamen Washingtoner
Pressekonferenz von M-W vom 28.08.2006
zitiert Stephen Walt den Prof. emeritus L. Carl Brown (S. 10 der CAIR-Niederschrift) "L. Carl Brown ... recently wrote in Foreign
Affairs that our paper was neither sloppy nor anti-Semitic. Instead, he
called it a hard-headed analysis that
just might set in motion a useful paradigm shift in U.S.-Middle East policy." [Hervorhebung von mir] Das ist es
zweifellos, was M-W zu bewirken hoffen: einen Paradigmenwechsel der
US-Nahostpolitik. Die Reaktionen auf den Vorstoß von M-W sind freilich in
dieser Hinsicht nicht sehr ermutigend, sowohl was die Breite, als auch was die
Richtung der Debatte angeht.
Gegenwärtig
sehe ich für einen solchen Wechsel keinerlei Aussichten. Aber wenn er kommen
sollte, wird das sicherlich nicht in jener friedlich-diskursiven Form
geschehen, die Mearsheimer und Walt sich vorstellen.
Zwar
unterschätzen sie keineswegs die Schwierigkeiten, eine Richtungsänderung in der
amerikanischen Nahostpolitik herbeizuführen. Das bezeugt z. B. Stephen Walts humorvolle Antwort auf die
Frage "How can American Muslims,
Arab-Americans, and people of other faiths take back our foreign policy and
make it more balanced?" war: "Boy,
now you’re expecting me to be a real miracle
worker." [Hervorhebung von mir]
Doch hinter
ihrem knallharten Realismus steht ein Glaube an ein lehrbuchmäßiges Funktionieren
der (amerikanischen) Demokratie, der sich vielleicht nicht ganz mit den
Realitäten zur Deckung bringen lässt:
"You know", fährt Walt im Anschluss
an seine Äußerung vom 'miracle worker' fort "I guess I am a big believer still in the basic roots of American
democracy. ... I think what all Americans of different faiths and different
political backgrounds can do is demand a little bit more of your elected representatives,
ask them harder questions, inform yourselves about different things that are
happening in the world, don’t take one side as gospel immediately, and in
particular do everything you can to encourage an open and sober debate. Don’t
let people who have views you might disagree with get marginalized or smeared. Recognize that one of the great strengths
of democracy is the fact that we can argue about issues. I think the more that that tends to happen in the United States,
the more we’re going to see American foreign policy on this and on many
other issues revert to something that’s
more consistent with our broader national interests." [Hervorhebung von mir]
Mit anderen
Worten: Walt vertraut auf die Macht des rationalen Dialoges. Bzw., aus etwas
mehr Distanz heraus gewissermaßen im Weitwinkel betrachtet: Walt hat, hier
jedenfalls, eigentlich nur zwei
antithetische Wirkkräfte im Blick: "die Lobby" einerseits und 'das
Volk' andererseits. In Wirklichkeit sind aber beide (auch die scheinbar so
machtvolle Lobby) eingebunden in Konstellationen, die man vielleicht mit
Machiavellis Begriff von "Fortuna" erfassen kann.
Auch die Lobby kann nur im Rahmen von günstigen Umständen ihre volle Wirkung
entfalten, und umgekehrt kann diese Macht bei ungünstigen Umständen ganz
schnell zusammenbrechen, oder sich gar ins Negative verkehren. Derartige
Tendenzen kann man allerdings in der Regel ebenso wenig vorhersagen, wie etwa
das plötzliche und unerwartete Kollabieren des Sowjetsystems.
Trotz allem
Wissen um die Schwierigkeiten demonstriert Prof. Walt eine immer noch allzu
rationalistische Perspektive, wenn er auf die Frage "How can elected officials be convinced to support a balanced Mideast
policy when they do not gain benefits from standing on principle?"
antwortet: "I think this is a very
difficult question, and it’s a very difficult challenge because the
institutions that are currently arrayed to encourage support for Israel are
quite powerful and quite well funded. And if you’re a congressman whose
constituents don’t care one way or the other, but a few of your constituents
care a lot and you know that there’s a lot of PAC money that will go to any of
your opponents, you have trouble. So I think, at least as a first step, the
thing we want to have is a more open conversation about this. That’s the main
reason why John and I have been doing this work. We want to try and get a
conversation so that politicians who do unconditionally support Israel down the
line start facing questions from their constituents as to why they’re doing
that. Until they perceive a political price for policies that aren’t in the
American national interest, they’re likely to keep doing this. One way — and in
fact, I think probably the best way to
try and instill that is to
try and educate the American people more broadly, educate members of the media
more broadly, and again, try and foster a climate where we can have an open and
serious conversation about those issues." [Hervorhebung von mir]
Gewiss: ex
ante können wir alle wohl nur auf diese Weise argumentieren – und wundern uns
dann ex post, wieso etwas passiert oder nicht passiert, was unserer Meinung
eigentlich nicht hätte geschehen können oder vermeintlich unvermeidlich hätte
geschehen müssen.
Ich glaube
jedoch, dass ein Paradigmenwechsel in der amerikanischen Nahostpolitik, wenn er
denn jemals eintreten sollte, nicht so diskursiv-friedlich bzw. relativ
unbeachtet verlaufen würde, wie (innenpolitisch) etwa ein "renversement des alliances" im
Zeitalter der Kabinettskriege.
Denkbar wäre,
dass die amerikanische Öffentlichkeit – aufgrund welcher Umstände auch immer –
plötzlich 'die Nase voll' hat und dass sich der Unmut dann nicht nur gegen die
asymmetrische Verbindung der USA mit Israel richtet, sondern auch gegen jene,
welche diese Verbindung propagieren. Nicht umsonst entstammt der Begriff "paradigm shift"
einem Buch mit dem Titel "The Structure
of Scientific Revolutions".
Paradigmenwechsel
sind Revolutionen, die sogar in der
Wissenschaft etwas Gewalttätiges haben (auch wenn es dort meist bei verbalen
Heftigkeiten bleibt).
Eines Tages könnte sich die Lobby mit
einer Situation konfrontiert sehen, in welcher der Vorwurf des Antisemitismus
so stumpf geworden ist wie die päpstlichen Bannflüche in der Neuzeit.
Jedoch ereignen sich Felsstürze nur
dort, wo Wind und Wetter zuvor das feste Gefüge gelockert und kleinere und
größere Haarrisse des Zweifels in den Felsen gesprengt und erweitert haben. So
gesehen, haben jene 'Sprecher' der Lobby von ihrem Standpunkt aus gar nicht
Unrecht, die sogar eine "reasonable discussion" oder "civilized
discussion" über das Wirken der Lobby für bedrohlich halten – für die
Lobby, aber potentiell auch für die Juden in den USA.
Man kann sich zwei konträre
Konsequenzen vorschlagen, mit denen die Lobby versuchen könnte oder versuchen
wird, Schaden verhindern, kann: Der Versuch, die Debatte zu unterdrücken, ist
der eine (derzeit und vermutlich auch in der Zukunft beschrittene) Weg. Der andere
(mit eher geringer Realisierungswahrscheinlichkeit) wäre, die eigene Position
kritisch zu reflektieren und die israelische Machtpolitik nicht bedingungslos
zu unterstützen, sondern das Land – auch über den "Hebel" der
US-Außenpolitik – zu verstärkten Bemühungen um einen Ausgleich mit den
Palästinensern zu drängen. Ein solches Umdenken fordern auch viele jüdische
Stimmen. Ich halte es allerdings für sehr unwahrscheinlich, dass die Lobby
ihren scheinbar erfolgreichen Kurs rechtzeitig und aus freien Stücken wechseln
wird.
Die (allerdings wohl eher
anti-zionistische) US-amerikanische Denkfabrik IRMEP
("Institute for Research Middle
Eastern Policy") hat Ende März / Anfang April 2006, also kurz nach Erscheinen
der Studie von Mearsheimer-Walt, 71
amerikanische akademische Nahost-Experten zu der Thematik befragt. Hier die Kurzfassung über die Verfahrensweise und die
Resultate:
"The Middle East Academic Survey
Research Exposition project polled 71 Middle East academics about the Walt and
Mearsheimer report titled "The Israel
Lobby and US
Foreign Policy". The survey was fielded between March 31 and April 5,
2006. IRmep compiled and presents survey
responses drawn from a pool of 2,300 academics with advanced degrees in Middle East area studies.
This poll should not be interpreted as a statistically significant reflection
on the views of all US Middle East academic specialists. [Hervorhebung von mir]
Key Findings:
49% of Middle East academics polled
believe that the academic community is "hostile" to studies that are
critical of the Israel Lobby
and US policies toward Israel. 26% believe academia is "open" to
such findings.
85% of Middle East academics polled
believe that an Israel
Lobby as described by Mearsheimer and Walt is "negative" to
"extremely negative" to US interests.
65% of Middle East academics polled
believe that the most powerful intimidation tactic of the Israel Lobby is charging detractors as
"anti-Semites" followed by attacks from the mainstream media by Israel Lobby
sympathizers (59%).
91% of Middle East academics polled
believe it is "extremely accurate" to "accurate" that the Israel Lobby's tactics expose the United States to avoidable hostility in the Middle East.
86% of Middle East academics polled
believe that the lobby places what it considers to be Israel's interests above the national interests
of the United States."
Vielleicht noch interessanter als die
– nicht repräsentativen – Prozentzahlen sind die Kommentare der Befragten zu
den einzelnen Fragen (auf der gleichen Seite).
Interessant ist es, zu beobachten,
wie die Debatte sich auffächert. Nicht alle nachfolgend verlinkten und z. T.
kommentierten Beiträge beschäftigen sich direkt mit dem Papier von John Mearsheimer
und Stephen Walt; viele sind Sekundäraufsätze, die sich ihrerseits mit der Qualität
der Debattenbeiträge anderer – pro und kontra – beschäftigen. (Und irgendwo
gehört ja auch der vorliegende Beitrag zu dieser Kategorie der
"Sekundäraufsätze".)
Eine vorzügliche und absolut neutrale
Darstellung sowohl der Thesen von Mearsheimer und Walt wie auch der Debatte
("Reception"; natürlich mit den entsprechenden Links) enthält der
Eintrag "The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy" in der
englischsprachigen Wikipedia (jedenfalls per 01.06.06, 19.42 h).
David
JALILVAND, Student an der Universität Erfurt, hat in einer
Hausarbeit am Lehrstuhl für Vergleichende Analyse von Mediensystemen /
Kommunikationskulturen (im Rahmen des Seminars „Kommunikative Aspekte der islamisch-westlichen Beziehungen“) eine „Untersuchung der Berichterstattung
überregionaler Tageszeitungen der Vereinigten Staaten von Amerika und der
Bundesrepublik Deutschland über das Mearsheimer/Walt-Arbeitspapier The Israel
Lobby and U.S. Foreign Policy“ vorgelegt.
Tief
schürfende Erkenntnisse (sofern sie überhaupt aus einer Analyse der Debatte als
solcher zu erschließen wären) darf man im Rahmen einer studentischen Hausarbeit
nicht erwarten. Dort geht es wohl in erster Linie um die Erprobung und
Demonstration von wissenschaftlicher Methodenkompetenz.
Auch das ist
jedoch für einen Außenseiter durchaus interessant, weil man eine Vorstellung gewinnt,
auf welche Weise man die Debattenanalyse methodischer angehen könnte, als z. B.
ich hier.
Banal ist
allerdings die Erkenntnis, dass die Debatte in Deutschland einen weitaus
geringeren Stellenwert hat als in den USA; insofern wäre ein Vergleich der
Berichterstattung in verschiedenen europäischen Ländern interessanter gewesen.
Jedenfalls
bestätigt die Untersuchung aber, dass das Thema auch in den USA „nicht in größerem
Maße auf der Zeitungsagenda“ stand.
Im übrigen
mag die Auflistung der untersuchten Zeitungsartikel im Literatur- und Quellenverzeichnis
nützlich sein, falls man selbst die Texte lesen will. (Allerdings sind wohl
nicht alle der ausgewerteten Artikel bzw. Zeitungen gratis zugänglich.)
Die Zahl
meiner Leser, zu deren Nutz und Frommen ich den Eintrag jetzt ergänzt habe, ist
derzeit zwar zählbar, aber das könnte sich ändern, wenn erst der Meinungs-Sturm
um das Anfang September 2007
erscheinende Buch von John J. Mearsheimer und Stephen
M. Walt losbricht, das (natürlich) unter dem gleichen Titel The Israel Lobby and U.S.
Foreign Policy erscheint wie das Arbeitspapier
(die sind ja nicht blöd, der Verlag und die Autoren: der Titel ist durch die
heiße Debatte im vorigen Jahr schon so etwas wie eine Marke geworden). Schon
jetzt wehen raue Winde um den fast 500 S. starken Wälzer: Veranstalter sagen
unter dem Druck der Lobby Buchpräsentationen der Autoren ab (z. B. in Chicago –
s. den Bericht und die Diskussion im Wall Street Journal Online vom 07.08.2007
u. d. T. " Speechless in Chicago"). (Hier können wir aber die beiden bösen
Buben in einem Video bei Youtube in einer Debatte im Vorjahr erleben.)
Kommunikations-Füchse
wie Lobbyisten nun einmal sind, feuert Abraham H. Foxman,
Direktor der "Anti-Defamation League" mit
allerdings nur der halben Seitenzahl (256 S.) in seinem gleichzeitig
erscheinenden Buch "The Deadliest Lies:
The Israel Lobby and the Myth of Jewish Control" voll dagegen. Wir
können uns also auf einen heißen Herbst einstellen.
Nachtrag vom
23.06.2008:
Die
Süddeutsche Zeitung präsentiert ein „Spezial“ zum Thema „60 Jahre Israel“.
Auch wenn mir selbst die Zeit fehlt, die Artikel zu lesen, möchte ich den
Linkfund zum Nutzen meiner Leserinnen und Leser hier deponieren.
Nachtrag vom
13.05.2011
Unter dem
Titel „Setting the Records Straight“
haben John Mearsheimer und Stephen M. Walt eine 73-seitige „Response to Critics of ‚The Israel Lobby‘
“ verfasst. Der Text ist über die Verlagswebseite
erreichbar, auf der die Verlagsgruppe Macmillan das Buch (s. o.) von Mearsheimer & Walt bewirbt.
Vergleiche zu
diesem Thema auch meine Blog-Einträge
Propheten-Karikaturen
und Palästinenserfrage vom 04.02.2006,
Friedenstruppen oder Marionettenpuppen?
(15.08.06) sowie
Washington – Segesta – Athen – Tel Aviv: William Kristol und
der peloponnesische Krieg + MORAL'S OWN COUNTRY oder LASSET UNS EINANDER BRÜDERLICHE
HUETER SEIN! (beide vom Januar 2007).
... und hier, liebe Netznestnutzer,
Gelegenheiten satt zum Seitensprung: