LE CHIEN
QUI LIT |
Ein Reich ohne Volk: bei mir zumindest. Denn
ich besitze kein einziges Stück Majolika. Die
"echte" aus dem Italien des 15. – 17. Jahrhunderts ohnehin nicht, aber
auch kein neues Exemplar.* Auf den Flohmärkten des nebeltrüben Kimmerien
findet man Majolika nur selten und allenfalls dürftige Exemplare. Und wer
möchte, wenn er z. B. eine Abbildung des Tellers mit dem Motiv "Mutter und
Tochter flehen Coriolan an, Rom zu verschonen", aus der Casa Pirota in
Faenza (Kube, Bild Nr. 8), gesehen hat, sich daheim irgendein Stück Billigware
an die Wand hängen, nur weil es technisch eben auch Majolika, sogar (mit
schnellen Strichen) von Hand gemalt ist? Das soll nicht heißen, dass nicht auch
heute (vermutlich) noch schöne Stücke produziert werden: aber die kosten dann
zweifellos auch schönes Geld.
[*Änderung vom 06.07.2007: Nun habe ich gleich
-3- recht nette Majolika-Stücke gefunden, auf zwei Flohmärkten im tiefsten
Bayerischen Wald (Zwiesel und Frauenau). Mehr dazu vgl. meinen Blog-Eintrag von
heute u. d. T. "Schatzfund im Bayerischen Wald!".]
Majolika wurde und wird nicht ausschließlich
in Umbrien hergestellt, aber hauptsächlich. Das hat einerseits profane Gründe,
weil dort die geeigneten Tone vorhanden sind. Doch scheint mir auch eine
meta-physische Beziehung zwischen der Region und diesem Produkt zu bestehen.
Irgendwie ist Majolika Umbrien und Umbrien Majolika. Die milden Farben des
sanften Umbrien, das farbige Leuchten des malerischen Umbrien, die Scharffeuerfarben
des von heiligem Eifer durchglühten Umbrien. (Doch Vorsicht, Leser: die Umbrier
haben den Autor bestochen! Mit Wein, welchen sie während irgendeiner
Frankfurter Buchmesse mal gratis ausgeschenkt haben. Dopo il terzo vino, il mondo pareva essere tutto
majolicato ... .)
Ein historisches Zentrum des Majolikahandwerks
war Deruta, südlich von Perugia. In der Renaissancezeit war die Stadt besonders
für ihre Lüstermalerei (nicht unbedingt mein Geschmack: von Lüsterkeramik hab'
ich schon zu viel bei Woolworth gesehen!) bekannt. Sogar heute ist noch (oder
wieder) "die herausragende Stellung der Keramik auch im Ortsbild
offenkundig: Gleich hinter der Abfahrt von der Superstrada E7 reihen sich die
Neubauten der Keramikfabriken aneinander, nicht zu übersehen schon allein wegen
der Präsentation ihrer Waren direkt an der Hauptstraße. ... Die kleinen
Geschäfte der Kunsthandwerker ... findet man dagegen im alten Ortskern oben auf
dem Hügel." (Baedeker-Reiseführer "Umbrien", 1. Aufl. 1995,
Stichwort "Deruta"; dort auch ein informatives, bebildertes
"Baedeker Special" u. d. T. "Zwischen Kunst und Kommerz").
Auch der "Edition Erde"-Reiseführer
(Autor Ekkehart Rotter) für Umbrien (1994) geht auf die Majolika-Herstellung in
Deruta (und Gualdo Tadino) ein und zeigt Fotos von einigen schönen Stücken.
(Wenn man allerdings mit dem – sonst in vieler Hinsicht vorzüglichen – Apa
Guide reist, zumindest mit dem von 1996, fährt man sowohl an Deruta als auch an
der Majolika glatt vorbei. Keramik wird allerdings bei Gualdo Tadino erwähnt,
bei "Gubbio" auch eine Keramikwerkstätte beschrieben, doch ob da nun
Majolika oder sonst eine Keramikart hergestellt wird, bleibt das Gehemnis des
Verfassers.)
Weitere Majolika-Zenitren waren im 16.
Jahrhundert Gubbio und Castel Durante (heute Urbania), gleichfalls in Umbrien,
aber auch Orte in der Umgebung von Florenz sowie besonders Faenza, in der
Romagna gelegen, mittenmang zwischen Rimini (kennen wir doch, gelle?) und Bologna.
Aus dem Namen dieser Stadt haben die Franzosen dann den Begriff
"Fayence" hergeleitet, und den kennt sicher auch derjenige, welcher
mit "Majolika" nichts anfangen kann. Schließlich hatte im Deutschland
des 18. Jh. beinahe jeder kleine Provinzpotentat seine Fayencemanufaktur, und
deren Produkte stehen, liegen und hängen noch zahlreich in den Museen rum.
Faenza ist stolz auf sein "Museo Internazionale delle Ceramiche",
doch hatten sich, als dieses eingerichtet wurde, Ausländer schon die besten
Stücke aus dem 16. Jh. abgegriffen. Besonders die Briten hatten Geld (freilich
auch guten Geschmack!) und haben ihr Victoria and Albert-Museum bestens gefüllt
(nicht nur mit Majolika). Aber auch die Russen mochten Majolika; die Eremitage
in Leningrad beherbergt wunderbare Arbeiten (vgl. dazu in der "Bibliothek"
unter "Kube").
Als Deutschland in der Gründerzeit reich
wurde, haben unsere Ahnen natürlich auch angefangen, auf dem Kunstmarkt
aufzukaufen, was sie den anderen wegschnappen konnten. Doch sind sie später nicht
sorgsam damit umgegangen, haben einen totalen Krieg angefangen und dabei wurde
einiges zerdeppert (nicht nur Majolika) oder wanderte in den Wirren der
Auslagerungen in anonyme Privathände.
Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg
hat jedoch kaum etwas verloren und besitzt zahlreiche Arbeiten, welche ein
umfangreicher Katalog vorzüglich dokumentiert (vgl. in der
"Bibliothek" unter "Rasmussen"). Die Sammlung selbst habe
ich noch nicht gesehen, kann also nicht sagen, wie viel davon ausgestellt bzw.
magaziniert ist.
Den Vogel (oder besser: die Masse der Vögel)
schießt aber, in Deutschland jedenfalls, Braunschweig ab. Was zarte Frauenhände
(vgl. in der Bibliothek bei "Lessmann") darüber bienenfleißig zusammengetragen
haben, das halten sogar zwei tastentrainierte Männerarme nur mühsam in
Lesestellung: ein imponierender
622-Seiten-Atlasformat-Hochglanzpapier-schwarzleinenbezogener Bestandskatalog
enthält alles, was Ausstellungsraum und Keller des Herzog-Anton-Ullrich-Museum
fassen können.
Im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart
scheint ebenfalls noch einiges zu lagern. Die dortigen Herrscher waren ja, wie
viele andere Lebemänner auf Fürstenthronen auch, sehr italienbegeistert, und
ganz besonders waren sie – wie auch die Braunschweiger Herzöge – Venedig-Liebhaber.
(Die Ludwigsburger Bürger ehren die alten Adelsvergnügen noch heute, indem sie
ihren venezianischen Karneval feiern.). Doch schlummern diese Schätze bislang
wohl noch im Verborgenen (und wurden wohl anscheinend auch nicht in einem
publizierten Katalog erfasst). Vielleicht kommt einiges davon zu Tage, wenn
demnächst Teile der Museumsbestände auch im Ludwigsburger Schloss ausgestellt
werden.
Angesichts der seinerzeit engen
Handelsbeziehungen der Stadt mit Venedig würde man auch in Nürnberg eine Ansammlung
von Majoliken erwarten. Tatsächlich haben die dortigen Handelspatrizier auch
Majoliken in Italien gekauft, doch sind die Bestände wohl längst in Museen
abgewandert (Goethe hat seine Majoliken übrigens teilweise einem Nürnberger
Sammler abgekauft). Ein Museum in Nürnberg, wo man allerdings italienisches
Kunsthandwerk nicht unbedingt vermuten würde, bewahrt gleichwohl eine ganze
Reihe davon auf: das Germanische Nationalmuseum. Die Bestände wurden vor
einiger Zeit in einer Ausstellung präsentiert und in einem Katalog publiziert (Glaser,
Silvia: Majolika. Die italienischen Fayencen im Germanischen Nationalmuseum
Nürnberg. Bestandskatalog, 327 Seiten, 364 Abb. - 22 × 27 cm Erschienen :
12/2000 Brosch. NP: 78,00 DM ISBN : 3-926982-69-1). Die Ausstellung habe ich
leider nicht gesehen und den Katalog nur mal in einer Kunstbuchhandlung
flüchtig durchgeblättert. Mit einer Ausnahme (Darstellung der Lebensalter)
scheinen keine überdurchschnittlichen Stücke darunter zu sein.
Die Farben und ihr Zusammenklang sind es
insbesondere, die mich persönlich an der Majolikakeramik erfreuen. Ich denke,
auch bei uns sollte diese Kunst – oder meinetwegen dieses Kunstgewerbe – der
Vergessenheit entrissen und nicht nur mit Bestandsausstellungen einzelner
Museen, sondern auch mit Sammelausstellungen hervorragender Exemplare,
zumindest und zunächst einmal der deutschen Museen oder der Museen deutschsprachiger
Länder, dem Publikum näher gebracht werden.
Um Missverständnisse auszuschließen: mit dem,
was sich "Karlsruher Majolika" oder "Schramberger Majolika"
nennt, hat mein Netzschaukasten nichts zu tun.
------------------------------------------
Bis die Majolika
(etwa in Form einer Ausstellung) mal in meine Gegend gelangt oder ich dahin, wohin
der Lauf der Zeit und die Flüsse des Geldes die italienische Majolika getragen
haben, muss ich mich an jenen Büchern erfreuen, welche die Zufälle des
antiquarischen Schicksals bei mir angelandet haben, und über die ich dem Gast
mehr verrate, sofern er mir in die Bibliothek
zu
folgen gewillt ist.
Wer genug hat von
mir, jedoch von der Majolika nie genug kriegen kann, der emigriere als ein Fuoruscito
über meine
Linksammlung(Majolika)
in die Gefilde der alten (Museen) und neuen (Künstler, Werkstätten)
Majolikaproduktion.
...
und hier, liebe Netznestnutzer, Gelegenheiten satt zum Seitensprung:
- Home |
||||
|
||||
KRÄHENREICH |
||||
|
||||