RENTENREICH |
LE CHIEN QUI LIT (Deutsch: "Der Hund kann lesen") |
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Es
kommt ein Schiff beladen – zur Rentenreichsregatta. Ob nur bis an den höchsten
Bord, oder schon deutlich darüber hinaus: das muss ich der Beurteilung der
Leser überlassen.
Trotz
allem fehlt noch mancher Container, während andere vielleicht versehentlich
doppelt auf's Deck gehievt wurden. Nicht alle sind so ordentlich ausgerichtet,
wie sie der Schauermann seinen Lesepassagieren gern präsentiert hätte.
Doch
bin ich der unendlichen Geschichte für's erste überdrüssig. Wer niemals Leine
zieht, legt nie ab, und lieber Fliegender Holländer spielen, als ewig im Hafen
liegen! Neue Fracht mag später geladen, neue Ordnung während der Reise
geschaffen werden (dafür die Datumsangabe des jeweils aktuellen Textstandes).
Zum
Abschied schmettert der Chor der Systemgefangenen das "Va pensiero
...". Meine Gedanken beschleunigen indes nicht mit goldenen Flügeln als
Tragflächenboot der Hoffnung. Sie dümpeln in der Schaluppe der Skepsis durchs
Wattemeer der Worte. Doch würde ich mir wenigstens wünschen, dass sie als
Flügelschläge eines Schmetterlings frische Brisen in die Segel der Debatte
wehen.
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Erstmals eingestellt am
19.04.04; vorlieg. Textstand vom 01.08.2010
Inhaltsverzeichnis, Auszug (vollst. Vz. am Schluss)
There is, of course, an English
Abstract at the end of the text. Readers with English as their mother tongue
might perceive it as not overly elegant, but, alas, it's the best I can do
right now.
MISSION IMPOSSIBLE?
Talvolta, Come il cane è, Non come la pecora è. |
(è) 'Atlas Shrugged è
oder 'Das Volk schüttelt die Kinderlast ab'.
1. Die Diskussion um die Rentensicherung (Altersrente – old age pension, retirement pension -; außerdem Hinterbliebenenrente und Invalidenrente) in Deutschland hat ihren Ausgangspunkt insbesondere in dem vorhersehbaren absoluten und relativen Rückgang unserer Erwerbsbevölkerung (was in unterschiedlichem Maße auch für Japan und die anderen Industrieländer zutrifft). Aufgrund des starken Rückgangs der Geburtenrate einerseits sowie einer gestiegenen und wahrscheinlich auch zukünftig noch (etwas) steigenden Lebenserwartung andererseits müssen immer weniger Arbeitende (nachfolgend auch „Junge“ oder "Aktive" genannt) immer mehr Rentner („Alte“) versorgen ('demographische Änderung'). Zwar gibt es noch eine Reihe anderer Probleme, wie z. B. die gestiegene Arbeitslosigkeit, Tendenzen zur Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses, Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten u. a. durch Zuwanderung aus den ehemaligen Ostblockländern und durch die Wiedervereinigung[4]. Dabei handelt es sich aber (vielleicht/hoffentlich) um vorübergehende bzw. mehr oder weniger im Rahmen des üblichen politischen Handelns lösbare, gewissermaßen 'technische' Schwierigkeiten. Das Hauptproblem dürfte tatsächlich die sinkende Geburtenrate sein bzw. in absehbarer Zeit werden. Die einschlägigen Vorausberechnungen variieren, doch ist es denkbar, dass um das Jahr 2040 herum ein Rentner auf einen Erwerbstätigen kommt, statt ungefähr ein Rentner auf zwei Erwerbstätige um das Jahr 2000. Bei gleich bleibendem relativen Rentenniveau könnte sich mithin die Beitragslast der Erwerbstätigen für die Rentenversicherung in 30 – 40 Jahren etwa verdoppeln. Dazu kommen noch die Kosten = Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung, die wegen der größeren Krankheitsanfälligkeit und Pflegebedürftigkeit der Alten aller Voraussicht nach sogar überproportional steigen werden.
2. Die Rentner erwarten, dass ihre Rente auch in Zukunft 'sicher' sein soll. Die Aktiven erwarten, dass sie mit den Zahlungen an die Alten 'nicht überfordert' werden. Bevor die deutsche Politik mit der Einführung der sog. „Riester-Rente“ eine Richtungsentscheidung getroffen hat, gab es heiße Debatten mit zahlreichen Lösungsvorschlägen. Wer die Stichworte 'Kapitaldeckungsverfahren' [nachfolgend auch: KDV; engl.: 'funded(-pension-) system'] und 'Umlageverfahren' [nachfolgend auch: UV; engl.: PAYGO oder 'pay-as-you-go(-pension)-system', auch 'unfunded (pension-) system'] zusammen in eine Suchmaschine eingibt, erhält eine Vielzahl von oft brillanten Aufsätzen. Aufgrund der Prominenz seiner Verfasser ebenso wie der klaren Gliederung, des hoffnungsfrohen Lösungsvorschlages und nicht zuletzt des politischen Erfolges sticht darunter das Gutachten "Grundlegende Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung" [==> (BMWA, ex BMWi) oder ==> (Uni Magdeburg)] hervor. Erstellt hat es der Wissenschaftliche Beirat (nachfolgend auch: 'WB') beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi; heute Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit – BMWA) Anfang 1998[5]. Publiziert wurde es im April 1998 als Nr. 99 der "Studienreihe des BMWi". Ich gehe davon aus[6], dass dieses von 33 führenden deutschen Wirtschaftswissenschaftlern abgesegnete Gutachten (è) einen wesentlichen Anteil an der Einführung der sog. 'Riester-Rente' als Einstieg in das Kapitaldeckungsverfahren hatte[7]. Dieses "Gutachten konzentriert sich auf das demographische Problem der Alterssicherung" (Ziff. 6[8]).
3. Die Grundidee der Wissenschaftler ist es, durch eine Umstellung der Rentenfinanzierung das Sozialprodukt stärker zu erhöhen, als dies sonst der Fall wäre[9]. Dieses Ziel soll einerseits durch eine Steigerung der Investitionen im Inland erreicht werden. 'Ideengeber' war insoweit der Mitautor Prof. Dr. Hans-Werner Sinn (vgl. dessen Aufsatz Pension Reform and Demographic Crisis: Why a Funded System is Needed and Why it is not Needed" (è) vom September 1999[10], in welchem der internationalen Wissenschafts-Community die einschlägige Argumentation auf Englisch präsentiert wird). Zusätzlich zur Kapitalanlage im Inland sollen die Rentenbeiträge teilweise auch im Ausland investiert werden.
4. Auf
der politischen Ebene ist die Diskussion um die sog. kapitalgedeckte
Rentensicherung bereits gelaufen. Mit der 'Riester-Rente' hat der Gesetzgeber
den Einstieg in das Kapitaldeckungsverfahren als – zunächst ergänzende und
freiwillige - Finanzierungsform der Altersvorsorge (è)
verfügt. Die Zielsetzung des Gutachtens ist damit im Ansatz realisiert:
Beispiel für eine wissenschaftliche Politikberatung, deren Vorschläge
tatsächlich vom Gesetzgeber umgesetzt wurden[11].
Damit hat eine Entwicklung begonnen, die zukünftig wahrscheinlich immer mehr
zur Schwächung unseres herkömmlichen Umlageverfahrens führen und an deren Ende
– irgendwann – vielleicht sogar der völlige Umstieg auf das
Kapitaldeckungsverfahren stehen wird. Macht es da überhaupt noch Sinn, das
Thema auf- und speziell das Gutachten anzugreifen, oder stelle ich nur als
Sandkastenstratege alte Schlachten nach[12]?
5. Mein persönliches Interesse an der Problematik wurde durch die brillanten Kolumnen des allzu früh verstorbenen Professor Wolfram Engels in der Wirtschaftswoche generiert. Gerechtigkeit für die Eltern lag Engels – als Wirtschaftswissenschaftler, aber wohl auch persönlich als Vater – sehr am Herzen. Andererseits trat er (was sich auch nicht zwangsläufig ausschließt) dafür ein, die Renten im Wege des KDV zu finanzieren.
6. Das Gutachten präsentiert sich jedenfalls in formaler Hinsicht[13] als eine wissenschaftliche Analyse. Im Gegensatz zu manchen anderen Beiträgen zum Thema kann man den Gutachtern weder die ehrliche (und zweifellos berechtigte) Sorge um die zukünftige Entwicklung absprechen, noch den hohen formalen Standard ihrer Arbeit. Die Transparenz ihrer Argumentation erleichtert freilich auch dem Kritiker die Arbeit[14].
7. Ich
werde nicht alle Argumente wiederholen, die in der Auseinandersetzung der
Anhänger des Umlageverfahrens und des Kapitaldeckungsverfahrens vielfältig
vorgetragen wurden. Vielmehr möchte ich gewissermaßen Probebohrungen nicht nur
in das vermeintliche Schlaraffenland (è)
des KDV, sondern auch in das umgebende Muttergestein niederbringen und zwar
hauptsächlich in drei Richtungen:
- innere Stimmigkeit der Argumente des Gutachtens[15];
-
'ideologische[16]'
Einbettung und
-
ökologische Einbettung.
Mir scheint, dass gerade diese Aspekte (besonders der
letzte!) bislang in der Diskussion zu wenig beachtet wurden.
8. Auch als Nicht-Wissenschaftler fühle ich mich zu einer etwas intensiveren Lektüre des Gutachtens legitimiert, und ebenso dazu, die interessierte Öffentlichkeit an meinen Kollektaneen partizipieren zu lassen. Hier handelt es sich ja nicht um 'reine' Wissenschaft, sondern das Gutachten hat eine ganz handfeste gesellschaftliche und politische Dimension. Insoweit sehe ich mich zwar weniger in meinen unmittelbaren materiellen Interessen tangiert[17]. Jedoch sind insbesondere einige Falschdarstellungen der ökonomischen Realität im Gutachten für mich ein Ausdruck von Arroganz[18] seitens der Kapitalbesitzer, welche sich anschicken, die Lufthoheit über die Begriffe zu erobern. Als Proletarier (è) bin ich aber nicht bereit, mich mit der Lufthoheit über die Stammtische (è) zu begnügen. Das gilt unabhängig von materiellen Interessen zunächst für die Erkenntnisdimension. Lösungen habe ich letztlich nicht anzubieten, doch vielleicht in einigen Punkten eine neue Sicht der Dinge. Das ist, denke ich, schon ein Wert an sich. Denn wie Prof. Sinn so treffend sagt: "scientists want to be right for the right reason"[19]. Und mit den Reasons (wie leider auch mit gründlichem Reasoning) hapert es im Gutachten ein wenig.
Rotkäppchen oder "Haben
Wolfseltern ihren Kindern den Einführungsgewinn weggefressen?"
9.
„Die
erste Rentnergeneration kommt deshalb [d h. durch die Einführung des UV]
in den Genuss von Leistungen, obwohl sie selbst noch keine Beiträge entrichtet
hat. Wenn danach die erste Generation der Beitragszahler in das Rentenalter
kommt, so muss sie sich wegen des fehlenden Kapitalstocks ebenfalls von einer
nachrückenden Generation neuer Beitragszahler finanzieren lassen. Ähnlich ist
es bei allen weiteren Generationen". (Ziff. 30 Abs. I des Gutachtens;
Hervorhebung von mir.)
"Die Einführungsgeneration
erhält die Anwartschaften geschenkt ..." ."Die Anwartschaften,
die ursprünglich auf die Gewinne der Einführungsgeneration zurückzuführen sind
..." (Ziff. 30 II, Hervorhebung von mir).
"... weil die erste
Generation Gewinne erzielt ..." (Ziff. 32 I. Hervorhebung von mir).
"Den Einführungsgewinnen
stehen barwertmäßig gleich hohe Verluste der Nachfolgegenerationen gegenüber
..." (34).
"Die implizite Steuer, die
in den Beiträgen steckt, ist das Pendant der Einführungsgewinne. Ihr Gegenwartswert,
summiert über alle Nachfolgegenerationen, entspricht gerade dem Gegenwartswert
der Einführungsgewinne. Die Umverteilung zwischen den Generationen, die
sich in den Einführungsgewinnen und der späteren impliziten Steuerlast zeigt,
muss als ein erheblicher allokativer Nachteil des Umlageverfahrens gewertet werden."
(38 I, Hervorhebung von mir).
10. Die Gutachter haben die Vorstellung von einem "Einführungsgewinn"[20] (engl.: introductory gain) der Rentner nicht erfunden. Vielmehr ist bzw. war sie in der Wirtschaftswissenschaft weitestgehend akzeptiert[21]. Falsch ist sie trotzdem. Auch ich wäre nicht darauf gekommen, wenn mir nicht der weltberühmte Bestseller von Wilhelm Kaiser in die Hände gefallen wäre: "Kaisers Erinnerungen. Ein Proletarierleben im 19. Jahrhundert." [22] In diesem Werk wird der ökonomisch relevante Sachverhalt so handfest-schlicht aufgedröselt, dass selbst ein Laie wie ich ihn quasi 'mit den Händen be-greifen' konnte.
11. "An einem lauen Sommerabend (è) Mitte August 1889 saßen wir" – schreibt Wilhelm Kaiser – "in unserem gepachteten Gärtchen und aßen, was meine Frau uns liebevoll zubereitet hatte. Meine Söhne Franz und Hans sowie meine Töchter Wilhelmine und Auguste waren nach einem langen Arbeitstag heimgekommen und verspeisten hungrig ihr Essen (è). Niemand sagte etwas, doch anders als sonst lag irgendwie eine gedrückte Stimmung über unserem Abendmahl. Nach dem Essen stopften Hans, Franz und ich wie gewöhnlich unsere Meerschaumpfeifen (è) und wollten schmökend den Abendfrieden (è) genießen, während Wilhelmine und Auguste[23] ihr Häkelzeug hervorholten, um an ihrer Aussteuer zu arbeiten. Doch, anders als sonst, räumte Mutter nicht sofort den Tisch ab und retirierte in ihr Küchenreich (è). 'Kinder', sagte sie und sprach es mit sorgenumwölkter Miene, 'ihr habt uns für diesen Monat noch kein Geld gegeben. Etwas Vorrat habe ich noch im Schapp[24], aber nächste Woche haben wir nichts mehr zu essen (è)!' 'Tja, Mutti, weißt du, ich hab' diese Woche weniger Lohn gekriegt als sonst. Der Lohnbuchhalter hat gesagt, alle Arbeiter (è) müssten jetzt Beiträge zu einer Invalidenversicherung zahlen, und davon sollten dann die Alten eine Rente bekommen. Und deshalb habe ich nun kein Geld mehr übrig, das ich euch wie früher geben kann.' Sagte Hans, und Franz, Auguste und Wilhelmine schlossen sich dieser Erklärung an. 'Aber wir haben doch keinen Pfennig erhalten – was sollen wir bloß tun? Da müssen wir ja verhungern' weinte die Mutter. Tröstend nahm ich sie in den Arm: 'Muttchen', sagte ich, 'übermorgen findet doch hier das Kaisermanöver (è) statt. Dann gehe ich zum Kaiser und bitte ihn, dass er uns das Geld geben soll, was er unseren Kindern (è) abgenommen hat'. Am nächsten Morgen jedoch kam der Briefträger (è) und brachte uns beiden Alten Geld: 'Das ist eure Rente', sagte er. Da war unsere ganze Familie wieder glücklich und zufrieden, und so kam es, dass ich, der Wilhelm Kaiser, dem Kaiser Wilhelm (è) niemals begegnet bin."
12. Als ich die Lektüre dieses zufällig in einem Antiquariat (è) gefundenen Textes beendet hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich schlug mir mit dem Handrücken vor die Stirn[25]: genau diesen Sachverhalt haben ja auch die Gutachter im Auge, wenn sie schreiben:
"Wie es auch im
vorindustriellen Familienverbund der Fall war, zahlen die Jungen an die Alten und begründen dadurch einen
Rentenanspruch gegen die nächste Generation der Jungen.“ (Ziff. 30,
Hervorhebung von mir). [26]
Und dasselbe sagt auch – noch deutlicher sogar - Prof. Sinn in seinem bereits zitierten Aufsatz "Pension Reform and Demographic Crisis: Why a Funded System is Needed and Why it is not Needed" (è), wenn er auf S. 24 schreibt
"It
has always [sic!] been the case, and will never be otherwise, that the working
generation has to bear a double burden: raising children and paying for the
old."
Auch auf S. 25 wird dieser Sachverhalt, wenngleich nicht ganz so deutlich erkennbar, geschildert:
"If
the economy were on a steady state growth path where a typical family's number of
children stayed constant from one generation to the next, the transition
from a PAYGO system to a funded system would impose a triple [sic!] burden on
the working generation: paying for the old, paying for their children and
paying for their own pension by investing in the capital market." (Hervorhebung von mir).
13. Diese Aussagen der Gutachter bzw. von Prof. Sinn stehen eindeutig im Widerspruch zur Vorstellung von einem Einführungsgewinn. Wenn die Jungen immer schon für die Alten gezahlt haben, und wenn das explizit auch für den vorindustriellen Familienverbund, und damit zwangsläufig auch für die Situation im Jahre 1889 galt, haben die Alten durch die Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung nichts gewonnen (modellhaft gesprochen, versteht sich)[27].
14. Da wir uns vorgenommen haben, nicht einfach Dön(n)ekes vom Kaiser zu vertellen, sondern dem Publikum eine Arbeit abzuliefern, welche dem Ernst des Themas gerecht wird, kommen wir nicht umhin, die aus dem Denkmodell bzw. aus den inneren Widersprüchen des Gutachtens gewonnenen Einsichten zu abstrahieren. Dabei machen wir die interessante Feststellung, dass man je nach Bezugsrahmen zu einer anderen Formulierung kommt:
- Juristisch würde man von einem Austausch der Anspruchsgegner sprechen. Der Unterhaltsanspruch der Alten gegen den Sohn wird durch einen Rentenanspruch gegen die gesetzliche Rentenversicherung ersetzt.
- Ökonomisch stellt man fest, dass die Alten weder etwas gewonnen, noch etwas geschenkt bekommen haben. Vor dem 01.08.1889 schob der Sohnemann ihnen wöchentlich (entsprechend dem damaligen Lohnzahlungsrhythmus) ein paar Goldmark (è) über den Tisch[28], nach diesem Datum brachte der Postbote das Geld ins Haus..
- Von "Einführungsgewinnen" kann man zwar ebenfalls sprechen, dies aber lediglich in einem versicherungstechnischen Sinne, der völlig verschieden ist von einem mikroökonomischen "Gewinn".
15. Mit dieser Unterscheidung verschiedener Bezugsrahmen sind wir dann endlich auf jener heuristischen Ebene angelangt, auf der wir nicht nur unseren Argumentationsgegnern (d. h. in diesem Falle allen Wirtschaftswissenschaftlern, die einen "Einführungsgewinn" postulieren) einen Denkfehler nachweisen, sondern auch dessen Zustandekommen nachvollziehen können. Die Nationalökonomie hat hier kurzerhand einen Begriff (inhaltlich unverändert) von der versicherungstechnischen auf die ökonomische Ebene verschoben. Für diese ökonomische Ebene ist er aber nicht brauchbar. Natürlich haben die Alten seinerzeit Versicherungsleistungen erhalten, ohne dass sie dafür Beiträge gezahlt hätten. Das heißt aber nicht, dass sie Leistungsansprüche erhalten hätten, für die sie keine Aufwendungen erbracht haben – und nur dies sind die für die ökonomisch-modellhafte Ebene relevanten Sachverhalte und somit die adäquaten Termini.
16. "Keine Generation kann im Alter eine Rente beziehen, wenn sie nicht entweder in Humankapital (unsere Feinsprachler haben den Begriff mittlerweile zum Unwort des Jahres 2004 ernannt[29]) oder in Realkapital investiert hat" heißt es in Ziff. 84 Abs. 3 des Gutachtens (und ähnlich an mehreren anderen Stellen). Daraus folgt im Umkehrschluss zwingend, dass die erste Rentnergeneration im Umlageverfahren ihren Rentenanspruch dadurch erworben hat, dass sie in 'Humankapital' (è) (sic!) 'investiert' (sic!) hat. Wilhelm Kaiser und seine Ehefrau haben ihre Rente nicht als Schnorrer zu Lasten zukünftiger Generationen erworben, und dem entsprechend wälzen sie und die Folgegenerationen auch keine Anwartschaften vor sich her, wie die Gutachter fälschlich behaupten (Ziff. 30 II und 41 II). Während Thyssen das Geld, was er sich halt so abknapsen konnte, in Form von Hochöfen (è) gespart hat (auch nötig, ganz gewiss!) haben die Proletarierfamilien Kaiser, Brinkmann und andere damals ihr Geld in die Kinder (è) gesteckt[30] – in vielen Fällen haben sie sich die Kinder im Wortsinne "vom Munde abgespart"[31].
17. Wo es keine "Einführungsgewinne" gibt, kann es auch keine "barwertmäßig gleich hohe(n) Verluste der Nachfolgegenerationen" (Ziff. 34) geben. Durchaus möglich, dass die Berechnungen der "Renditenachteile" rechnerisch richtig sind.[32] Der "Verlust", den die Gutachter theoretisch berechnen, ist jedoch lediglich darauf zurück zu führen, dass die Politik, in Deutschland jedenfalls, vor Einführung der Riester-Rente keiner Rentnergeneration die von Prof. Sinn oben beschriebene Dreifachbelastung zumuten wollte.
18.
Als reines Phantasieprodukt widerlegt ist mit
diesen Feststellungen auch die Behauptung von Prof. Sinn, dass "the PAYGO
system is a device that redistributes wealth from later generations to
introductory generations"[33] (Pension
Reform and Demographic Crisis ..., S. 4). Auffällig ist übrigens,
dass im Gutachten ebenso wie in dem quasi zusammenfassenden und den
wesentlichen Inhalt des Gutachtens für englischsprachige Wissenschaftler
referierenden Aufsatz von Prof. Sinn die Zumutung einer 'Doppelbelastung'[34],
welche eine (partielle) Umstellung der Rentenfinanzierung auf das KDV
zwangsläufig über einen längeren Zeitraum mit sich bringt, nicht mit der (wenn
ich mal salopp so sagen darf:) vermeintlichen Selbstbedienung der alten
Schnorrergeneration (è)
gerechtfertigt wird, sondern (durchaus logisch und nachvollziehbar) mit der
geringen Kinderzahl der derzeitigen Beitragszahlergeneration: "Die Mittel,
die bei der Ausbildung (è)
der Kinder gespart werden, können für den Aufbau eines Kapitalstocks für
Rentenzwecke verwendet werden" (Ziff. 84 III) – das ist in sich
eine schlüssige Argumentation. So sagt auch Prof. Sinn in seiner bereits
zitierten Arbeit "Pension
Reform and Demographic Crisis ...", dass "Today's working generation has
preferred not to raise as many children as previous generations did. This is
the reason for the pension crisis. Given that they saved the education expenses
and caused the crisis, they may well now be asked to invest the free money in
the capital market instead of spending it on additional consumption" (S.
24/25).[35]
19. Zusammenfassend halten wir also fest: Die Gutachter wissen (zeitweise), dass das Umlageverfahren die Ansprüche der Rentner lediglich von der individuellen auf die gesellschaftliche Ebene umstellt und dass die Alten durch diese Umstellung, modellhaft betrachtet, keinen Gewinn machen. Dieses Wissen wird freilich selektiv je nach Zusammenhang ausgeblendet; das gleiche geschieht, wie wir im Folgenden nachweisen werden, bei der Darstellung anderer ökonomischer Zusammenhänge.
Eingefroren im Eisblock (è)
der Kapital(besitzer)interessen, apperzipieren die Ökonomen das Leben nicht mehr.
20. Während
der Irrtum bezüglich des Einführungsgewinns immerhin noch psychologisch verständlich
ist, müssten sich bei der Lektüre der angeblichen ökonomischen
Unterschiede der Funktionsweise von Umlageverfahren einerseits und
Kapitaldeckungsverfahren andererseits eigentlich jedem
Wirtschaftswissenschaftler sämtliche Haupthaare sträuben[36].
Zitate:
"In ökonomischer Hinsicht
liegen zwischen dem Umlage- und dem Kapitaldeckungssystem Welten." (27 I).
"Damit ein Umlageverfahren
dauerhaft funktioniert, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: Die arbeitende
Generation muss die Rentner finanzieren, und sie muss Kinder großziehen. ...
Erst die Investition in die Erziehung und Ausbildung der Kinder schafft die
Möglichkeit, diese Rente auch wirklich zu beziehen. Nur von der Anzahl und
Schaffenskraft der Kinder hängt es ab, ob einmal genug Beiträge zur
Finanzierungen der Renten zusammenkommen werden. (27 II, Hervorhebung von
mir.)
"Wenn .. die erste
Generation der Beitragszahler [im UV] in das Rentenalter kommt, so muss sie sich
wegen des fehlenden Kapitalstocks von einer nachrückenden Generation
neuer Beitragszahler finanzieren lassen." (30 I, Hervorhebung von mir.)
"Das Umlageverfahren bietet
keinen Weg, Ressourcen aus dem Nichts zu schaffen. Es ist ein Nullsummenspiel
zwischen den Generationen." (32 I, Hervorhebung von mir.)
"Keine Generation kann im
Alter eine Rente beziehen, wenn sie nicht entweder in Humankapital oder
in Realkapital investiert hat, denn von nichts kommt nun einmal nichts.
...Heute bleibt ... noch der Weg, die langfristig fehlenden Erwerbstätigen
durch Realkapital zu ersetzen." (84 III, Hervorhebung von mir.)
21. Selbstverständlich wissen die Wirtschaftswissenschaftler und weiß insbesondere auch Prof. Sinn, dass das Sozialprodukt und mithin auch die für den Konsum der Rentner bestimmten Güter und Dienstleistungen nur im Zusammenwirken von Real- und Humankapital[37] produziert werden kann. Wie bereits oben erwähnt, formuliert Prof. Sinn in seinem Aufsatz "Pension Reform and Demographic Crisis: Why a Funded System is Needed and Why it is not Needed" (è), auf S. 24 ausdrücklich:
"It
has always [sic!] been the case, and will never be otherwise, that the working
generation has to bear a double burden: raising children and paying for the
old."
Auch die Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens kann also nach der an dieser Stelle vorhandenen richtigen Einsicht von Prof. Sinn nichts daran ändern, dass letztlich die Jungen die realwirtschaftlichen Äquivalente für die Rente der Alten erarbeiten müssen.
22. Wenn es indes darum geht, die ökonomische Funktionsweise des KDV darzustellen, ist dieses Wissen wie eingefroren. Setzt man die oben zitierten Passagen aus dem Gutachten in konkrete Vorstellungen um, müsste man nämlich schlussfolgern, dass sich die ökonomische Aktivität der Jungen mit oder wegen der Einführung des KDV noch unter das technologische Niveau der Steinzeit reduziert hat[38]. Man sieht quasi einen Ackersmann (è) im Bärenfell (è) vor sich, wie er bar jeglicher Geräte ('Kapitalstock') 'nen Ast (è) vom Baum (è) abbricht und damit den Boden umgräbt. Da wundert man sich freilich, warum die gesetzliche Rentenversicherung erst zu Kaisers Zeiten (also in einer wirtschaftlichen Entwicklungsphase, in der erstmalig in der Geschichte in größerem Umfang Maschinen eingesetzt wurden) eingeführt wurde, und nicht schon anno Feuerstein. Angeblich braucht man ja für das UV lediglich Kinder – möglichst viele und möglichst schaffensfrohe. Intelligenz und Lernfreude sind keine Eigenschaften, die hier gefordert werden: wozu auch, wenn ein Kapitalstock für das Umlageverfahren scheinbar entbehrlich ist?
Geistermund tut Wahrheit kund (è)
23. Zugegeben: auch ich habe die Formulierungen im Gutachten zunächst geschluckt 'wie Öl'. Erst als mir mein Urgroßvater (es könnte freilich auch mein Großvater (è) gewesen sein - bei einer Séance[39] erkennt man die Gesichter der Schatten so schlecht!), ganz konkret schilderte, wie er und Krupp zu Kaisers Zeiten den 'Sozialvertrag des Kapitalismus' abgeschlossen haben, und was in diesem Vertrag drin stand, wurde mir klar, dass die Behauptungen der Gutachter über den vermeintlich[40] qualitativen Unterschied zwischen UV und KDV als Wirtschaftswissenschaft aus der Aktuarsperspektive, oder residuale (oder postmoderne) Scholastik (è) zu qualifizieren sind. Auch 'Paradebeispiel für Klippschulökonomie' oder 'Lehrtext für Desinformationsstrategien' könnte man als adäquate Kategorien in Betracht ziehen. Hören wir aber zunächst, was mein Urgroßvater über den Vertragsabschluss und den Vertragsinhalt zu berichten weiß.
24. "Damals, als wir in einem großen Streik (è) für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel kämpften," sagte mein UGV, "kam eines Tages der Krupp zu mir[41]. 'Brinkmann'[42], sagte er, 'was wollt ihr eigentlich mit eurem Streik (è) erreichen'?"
UGV: Wir werden Sie und Ihresgleichen expropriieren. Dann gehört alles uns, die Ausbeutung (è) hat ein Ende und mein Lohn wird viel höher sein als jetzt!
K: Und was kaufen Sie sich dann von der Lohnerhöhung?
UGV (war damals erst verlobt): Na ja, also, ich werde heiraten und erst mal ein Ehebett (è) anschaffen, und Leinenzeug auch, weil meine Braut ein Findelkind (è) ist und keine Aussteuer in die Ehe mitbringt. Und sonntags nach dem Kirchgang kann ich mir drei Stein-Pils leisten, statt jetzt immer nur eins. Und dann, wenn wir alles angeschafft haben, was wir im Haushalt brauchen, dann legen wir das, was übrig ist, auf die hohe Kante!
K: Glauben Sie mir, Brinkmann, ich zahle Ihnen ja, was ich kann, wenn ich mehr zahle, gehe ich pleite, weil die Konkurrenz billiger ist, und Ihr Arbeitsplatz ist futsch. Wenn Sie bislang noch nicht gespart haben, werden Sie auch in Zukunft nicht viel abzweigen können. Vielleicht, wenn Sie keine Beiträge mehr an die Sozis und an Ihre Gewerkschaften abführen würden ... . Aber selbst dann werden Sie immer den Wunsch haben, sich das eine oder andere vorher unerreichbare zu leisten: vielleicht ein paar Tage in der Sommerfrische ... .
UGV: Sommerfrische, klar, das wär' mal was Feines! Eine Reise nach Capri (è)i machen, oder dort gar 'ne Villa mit Zufahrtsstraße (è) bauen, und als Liebestat die hungrigen jungen Capri-Fischer (è) durchfüttern – so was ist natürlich für unsereinen nicht drin! Aber trotzdem wird gespart – so bald wie möglich fange ich an!
K: Also wenn sie mich enteignet haben, wollen Sie zunächst den ganzen Mehrwert auf den Kopf hauen?
UGV: Nicht 'auf den Kopf hauen', nur so das Nötigste anschaffen!
K: Was ist eigentlich in Ihren Augen der Mehrwert?
UGV: Na, halt alles das, was die Kosten für Löhne und Rohmaterialien übersteigt!
K: Und die Maschinen und die Fabrikgebäude?
UGV: Hum. Na ja, ich meine, die sind doch schon da? Und später, wenn ich zu sparen anfange, kann die Firma mit meinem Sparkapital ja auch neue Maschinen kaufen und Fabriken bauen!
K: Und wenn Sie erst einmal verheiratet sind, will Ihre Frau doch bestimmt ein paar schöne Kleider (è) haben, und die Kinder kosten auch viel Geld: glauben Sie wirklich, dass Sie von Ihrem Verdienst jemals Geld werden abzweigen können, um zu sparen und somit Investitionen zu finanzieren? Bei mir fallen die paar Dukaten, mit denen ich auf Capri einigen darbenden Jünglingen (è) Freude spende, nicht ins Gewicht: da bleibt noch genug übrig, um neue Fabriken zu bauen und Maschinen zu kaufen. Bei Ihnen wird das nie was mit dem Investieren, Sie haben so viele Ausgaben und so viele Wünsche, und Ihr Lohn, also, wie gesagt, ich zahlen Ihnen so viel wie ich kann, fragen Sie mal Ihre Kumpel vom Stahlwerk 'Flüssiges Puddel': die haben einen viel geringeren Stundenlohn! ... . Wenn Sie es recht bedenken, Brinkmann, sind wir doch aufeinander angewiesen. Warum schließen wir nicht einen Vertrag, wie schon vor über 2000 Jahren die Klassen im alten Rom: Sie für die Plebejer ...
UGV: Also hören Sie mal, wir Proletarier sind keine Plebejer!
K: Das war ja nur historisch gemeint; im alten Rom hießen die Proletarier nämlich Plebejer[43]. Also noch mal: wir vereinbaren, dass ich das Kapital stelle. Ihr nehmt es mir nicht weg, und ich sorge dafür, dass von meinem Geld immer genügend Arbeitsplätze entstehen. Außerdem zahle ich euch im Alter eine Rente, oder gebe jedenfalls was dazu. Darüber setzen wir einen notariellen Vertrag auf, und den unterschreiben Sie für die Arbeiter (è), und ich für die Fabrikanten, einverstanden?
25. Damit hatte der Kapitalist (è) Krupp meinem UGV den Schleier der ökonomischen Unwissenheit[44] vom Gesicht gezogen. Mein Urgroßvater hatte begriffen, dass der Kapitalist eine gesellschaftliche Rolle erfüllt, und dass er dafür zwar nicht zu knapp kassiert, aber durch irgend einen geheimnisvollen Mechanismus[45] am Ende doch auch für ihn und seine Klassengenossen etwas herausspringen könnte. Und deshalb durfte mein UGV, nachdem er solchermaßen vom Baum der volkswirtschaftlichen Erkenntnis genascht hatte, als Bevollmächtigter aller abhängig Beschäftigten einen Vertrag mit Krupp als Vertreter aller Realkapitalbesitzer schließen, welcher als "Sozialvertrag des Kapitalismus" in die Geschichte eingegangen ist.
26. Seit jenen Tagen gibt es bei uns die Sozialpartnerschaft (hatte man uns jedenfalls gesagt). Die Arbeiter nahmen den Kapitalisten ihr Betriebe nicht weg, und die Unternehmer zahlten, in Deutschland jedenfalls, die halbe Rente für die Alten.
27. 'Was wir damals vereinbart hatten", sagte mein UGV, "war ein (anteiliger) Nießbrauch der Arbeitnehmer am Realkapital der Kapitalisten. Wir ließen denen ihre Betriebe (oder ihre Bankguthaben) und lieferten weiterhin den 'Mehrwert' an sie ab. Lange Zeit sind wir bzw. seid ihr damit auch nicht schlecht gefahren. Jedenfalls lebten dort, wo man die Produktionsmittel enteignet hatte, die werktätigen Massen sogar deutlich schlechter als in vielen 'Ausbeuterstaaten'. Doch jetzt, habe ich gehört, wollen die Kapitalisten aus dem Vertrag aussteigen. Mir scheint, dass unser Vertrag damals einen Konstruktionsfehler hatte. Am Ende haben die Kapitalisten uns Proletarier doch über's Ohr gehauen. Kinder (è) zu zeugen, erschien uns damals als eine instinktive Regung, die nichts mit Ökonomie zu tun hatte[46]. Heute ist die Rationalisierung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in den Köpfen der Menschen fortgeschritten[47]. Dadurch wird auch die Reproduktionsproduktion (bzw. die Nicht-Reproduktion) bei vielen zu einer bewussten Entscheidung, welche auch unter dem Gesichtspunkt der (mikroökonomischen) Ratio überprüft wird. Diese Prüfung zeigt dann allerdings, dass die Reproduktionsproduktion nur gesellschaftliche, aber keine direkten, individuell zuzuordnenden Zinsen abwirft."
28. "Die Realkapitalbesitzer profitieren vom Nachwuchs (è) (auch) der anderen Leute. Sie zahlen ihnen zwar für ihre Arbeit einen Lohn. Aber an die Eltern, welche einen großen Teil der Kosten[48] für die Heranbildung des Humankapitals getragen haben, zahlen sie keinen angemessenen Ausgleich. Obwohl sie, wenn es keine Kinder gäbe, auch keine Zinsen kassieren könnten. Zinsen fallen nicht als Sterntaler vom Himmel, sondern sind ein Anspruch auf Produkte und Leistungen, die irgend jemand erarbeiten (und abgeben) muss. Ich muss mich deshalb wundern", fuhr mein Urahn fort, "dass eure Kathederkapitalisten[49] hier nicht von ökonomischen Fehlanreizen sprechen. Wenn es darum geht, die Löhne zu Gunsten der Profite zu beschneiden, kommen denen solche Begriffe immer sehr geschwind über die Lippen. Aber wenn es irgendwie brenzlig wird für die Kapitalinteressen, versiegt der Strom der ökonomischen Erkenntnis noch geschwinder."
29. "Doch wird diese Midas[50]- (è) Gefolgschaft eines Tages noch merken, dass sie mit ihrem vermeintlichen Gewinn einen Pyrrhussieg errungen hat. Wahrscheinlich hat sie es sogar schon gemerkt, und redet euch nun ein, der Humankapitalnachschub müsse ausschließlich von den abhängig Beschäftigten – als Rentenanwärtern – bezahlt werden[51]. Gewiss, auch die kinderlosen Rentner profitieren vom Umlageverfahren. Insoweit wäre es durchaus gerecht, wenn sie – im Beitragssystem oder über Steuern – mehr zahlen müssten, als die Eltern. Doch gibt es bei euch noch erhebliche Effizienzreserven bezüglich der gesellschaftlichen Ressourcenallokation."
30. Dieses alles sagte mir der Schatten meines UGV, doch des letzten Satzes Sinn war mir dunkel. "Lieber Urgroßvater, spricht doch mal Deutsch, damit auch eine einfach strukturierte Persönlichkeit wie ich dich verstehen kann" bat ich ihn deshalb höflich.
31. "Wie du weißt, Großenkel, belohnt euer Steuersystem – sowie auch das Gehaltssystem in eurem öffentlichen Dienst[52] – die Ehe sehr, die Familie (è) aber wenig. Das ist zwar historisch verständlich, weil 'Ehe' früher ganz selbstverständlich fast immer auch zur 'Familie' führte. Wenn deren Wege sich trennen, und Ehen nicht nur kinderlos sein können, sondern sogar Bindungen, die von vornherein kinderlos bleiben müssen[53], auch rechtlich schon mehr oder weniger als Ehen verstanden werden, müsste eigentlich die Ratio einer steuerlichen Förderung solcher Gemeinschaften hinterfragt werden. Ihr redet doch immer von notwendigen, und schmerzlichen, Reformen. Warum traut sich da keiner dran[54]? Weil zu viele davon profitieren. Eure Politiker und Professoren haben natürlich selbst 'ne Frau daheim sitzen, und wer will schon für die Schmälerung des eigenen Geldbeutels kämpfen? Obwohl es ja eigentlich unlogisch ist, dass ihr die (Ehe)frauen zur Arbeit antreibt[55], aber diejenigen steuerlich bevorzugt, die nicht arbeiten."[56]
32. Mein UGV muss es wissen, denn als nunmehr englisches Wesen (è) hat er jetzt den totalen ökonomischen Überblick. "Im Grunde wollen die Wirtschaftswissenschaftler euch Proletariern nicht nur die Kosten der Humankapitalproduktion allein aufhalsen, sondern außerdem noch die gesellschaftliche Rolle des Investors aufbürden und euren Konsum kappen. 'Kapitaldeckungsverfahren' soll diese Masche heißen und wird, wie man sich bei uns erzählt, als neue Methode der Rentenversicherung unter's Volk gebracht. Dabei verdient das Kapital doch klotzig, denn die Zinsen wachsen exponentiell[57], die Wirtschaft nicht."
33. Nun hatte ich was zum Nachdenken, aber zunächst wollte ich wissen, wo er denn den Sozialvertrag (è) des Kapitalismus aufbewahrt habe. Da donnerte er los: "In der Familienbibel natürlich, Urenkel, und wenn du nicht so ein gottverdammter Heide wärst, hättest du ihn dort schon längst gefunden!" Mit diesen Worten und einem letzten Zug aus der Meerschaumpfeife (è) löste sich seine Erscheinung langsam in Rauch (è) auf. Beschämt trat ich den Heimweg an und bewegte des Urahnen Worte in meinem Herzen.
34. Zuhause angekommen, ging ich sogleich auf den Dachboden (è). Die nicht allzu zahlreichen Bücher (è), welche ich von meinen Vorvätern ererbt hatte, waren dort liebevoll in einer Kiste aufbewahrt. Eins nach dem anderen nahm ich sie heraus: das Kochbuch von Davidis-Holle, einige Bände der 'Gartenlaube' Ga(è), 'Schwesterseele' von Ernst von Wildenbruch, sowie noch einige andere[58]. Und dort, am Boden der Kiste, lag sie: die Familienbibel (è). Behutsam öffnete ich den schweren Deckel und fand – ein Siegel, mit einem Stück Siegelfaden dran, und auch ein kleines Stückchen Papier klebte noch am Siegel. Sonst nur winzige, brüchige braune Papierschnippel, so etwa von der Größe, wie sie aus einem CrossCutShredder rauskommen. Da wusste ich, was geschehen war: die Kapitalisten hatten den Vertrag auf säurehaltigem Papier (è) drucken lassen, um die Proletarier (è) am Ende doch zu übervorteilen! Und somit haben jetzt die Kathederkapitalisten leichtes Spiel mit uns.
35. Auch jüngere Kritiker des Kapitaldeckungsverfahrens weisen häufig darauf hin, dass die Umstellung vom UV auf das KDV den Interessen der Kapitalbesitzer dient. Das dürfte zutreffend sein; gleichwohl ist es vielleicht lohnend, sich die erwarteten oder denkbaren Vorteile (bzw. ggf. auch Nachteile) eines Systemwechsels für die Kapitalanleger noch einmal vor Augen zu führen.
36. Zum einen geht es bei der Interessenfrage um die Verteilung des Sozialprodukts auf die Bereiche Konsum und Investition[59]. Insoweit haben Proletarier wie Kapitalisten, durchaus das gleiche Interesse: den Kuchen aufbewahren und aufessen zugleich! Da nun allerdings ohne Investition kein Konsum möglich ist (und das galt sogar schon zu Ötzis (è) Zeiten), müssen wir das Konsum- und das Investitionsinteresse auf irgendeine Weise austarieren. Insofern ist es durchaus eine geniale gesellschaftliche 'Erfindung', die Investitionsfunktion in der Klasse der Kapitalisten als soziale Rolle auszudifferenzieren und zu institutionalisieren (wie wir das im Kapitel 'kapitalistischer Sozialvertrag' modellhaft als fiktiven Willensakt dargestellt haben). Hinsichtlich dieser Klassen wird zwar behauptet, dass sich der Unterschied mehr und mehr verwischt. Dem steht allerdings die Tatsache entgegen, dass die Konzentration des Reichtums immer noch zunimmt.[60]
37. Die Aufteilung Konsum/Investition ist allerdings eine sehr abstrakte Ebene. In der politischen und sonstigen praktischen Interessenverfolgung geht es den verschiedenen Gruppen, (wie innerhalb der Gruppen natürlich auch den Individuen) darum, sich möglichst viel von der gesellschaftlichen Produktion anzueignen, sei es für Konsumzwecke oder zu Anlagezwecken.
38. Es stellt sich mithin die Frage, wem die Einführung des KDV nützt, nützen könnte, oder genauer - da der Kampf für das eigene Interesse voraussetzt, dass eine bestimmten politische Maßnahme als interessefördernd wahrgenommen wird – wer sich welchen Nutzen davon verspricht.
39. Wer welchen Anteil der Beiträge aufbringen muss, ist nicht zwingend mit der Frage des Finanzierungssystems verknüpft. Auch beim KDV könnte man die Beiträge hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzieren lassen. In diesem Falle hätte die Kapitalseite nichts gewonnen, sondern müsste – weil durch die (partielle) Umstellung vom UV auf das KDV die Beiträge für einen längeren Zeitraum höher sind – absolut sogar schon jetzt mehr bezahlen. In der Praxis gehen wohl alle Vorschläge für die Einführung des KDV davon aus, dass die Versicherten die erhöhten Beiträge selbst zu finanzieren haben (wobei Arbeitnehmer mit geringem Einkommen staatliche Hilfe erhalten sollen). Die Lohnnebenkosten, deren Höhe wesentlich von den Sozialversicherungsbeiträge bestimmt wird, werden (zu Recht oder nicht steht hier nicht zur Debatte, kann ich auch nicht beurteilen) schon jetzt oder doch zumindest im Falle einer weiteren Steigerung als zu hoch angesehen; dem entsprechend werden aktuell (Ende 2003) ja auch die Krankenversicherungskosten stärker auf die Arbeitnehmer verlagert. Der Nutzen für die Kapitalbesitzer ist offenkundig, u. U. allerdings kurzlebig. Denn wenn die Gewinne der Unternehmen allzu stark ansteigen, werden sich die Arbeitnehmer ihren Anteil schon holen.
40. Ein weiteres Element, welches für das KDV zwar gleichfalls nicht konstitutiv ist, in den konkreten Projekten aber genauso eng damit verbunden wird, wie beim Softwaremonopolisten Microsoft der Internetbrowser mit dem Betriebssystem, ist die privatwirtschaftliche Organisation der KDV. Die wird zwar recht teuer, weil die konkurrierenden Kapitalsammelstellen (Versicherungen) für die entsprechenden Produkte werben müssen, und weil die Versicherungsbranche für diese Werbung traditionell u. a. auch das Vertriebssystem mittels Vertretern einsetzt, das kaum weniger aufwändig sein dürfte als einst im Einzelhandel der 'Tante-Emma-Laden[61]' (è).
41. Trotzdem soll sie Vorteile haben, weil die Konkurrenz nicht nur eine(n) kostentreibende Werbung/Vertrieb nach sich zieht, sondern die Versicherungen auch zu besonders vorteilhaften Kapitalanlagen inspirieren soll. Das klingt einleuchtend, obwohl es natürlich auch zu Herdenverhalten und somit insgesamt zu einer Risikosteigerung führen kann, während ein Monopolist darauf achten müsste, möglichst branchen- und länderübergreifend zu investieren. Andererseits ist das Argument nachvollziehbar, dass "nur ein privatwirtschaftlich organisiertes Kapitaldeckungssystem ... Schutz vor solchen Eingriffen bietet" [d. h. vor einer politischen Umverteilung der eigentlich versicherungsmathematisch bestehenden individuellen Ansprüche] (Ziff. 53 Gutachten). Wie immer dem auch sein mag: private Firmen werden Gewinne aus dem Verkauf derartiger Versicherungen ziehen, und die Gewinne kommen natürlich wiederum deren Eignern, also der Kapitalseite, zu Gute. Wegen der Konkurrenz (und der hohen Vertriebskosten) werden die Gewinne allerdings nicht extrem hoch sein.
42. Sehr viel interessanter ist für den Kapitalmarkt der Umstand, dass die Versicherungsbeiträge dort nunmehr als Nachfrage auftauchen, also die Preise auch für schon getätigte Investition (Aktien von Firmen, Immobilien) in die Höhe treiben. Eigentlich sollte das nicht sein, denn der Humankapitalsubstitutionsideologie liegt ja die implizite Annahme zu Grunde, dass die so generierte gesellschaftliche Extra-Ersparnis direkt in zusätzliche Investitionen fließt, die sonst nicht getätigt worden wären. Am Kapitalmarkt sah man das freilich realistischer und rieb sich schon die Hände in der Hoffnung, dass der gigantische Zufluss an Riester-Renten-Kapital die Kurse treiben würde. Dadurch müssten allerdings die Renditen sinken und mithin letztlich auch die zu erwartenden Renten geringer sein, als erhofft. Auch für die bisherigen Kapitalbesitzer würden die Renditen prozentual sinken; das jedoch nicht, weil sie ihren Realkapitalbesitz teuer bezahlt hätten, sondern weil der Geldwert ihres Realkapitals ansteigen würde, d. h. weil sie ihr Eigentum nun teurer am Markt verkaufen könnten. Gegen diese Form der Renditesenkung werden die Kapitalisten sicherlich keine Einwände erheben.
43.
Nun gäbe es freilich für weitsichtige
Kapitalbesitzer[62]
noch andere Überlegungen anzustellen, etwa diejenige, wie denn die Massen alle
jene Produkte kaufen sollen, welche mit zunehmenden Investitionen zwangsläufig
produziert werden müssen. Was man den Leuten für das KDV – also für die
Investitionen – schon aus der Tasche gezogen hat, fehlt beim Konsumpotential[63].
Insoweit könnte sich das Kapitaldeckungsverfahren durchaus als ein
Kapitalvernichtungsverfahren erweisen, aber darüber machen wir uns weiter unten
noch einige Gedanken. An
dieser Stelle begnügen wir uns damit, einen trefflichen Satz zu expropriieren,
den wir bei Bradford DeLong, Professor of Economics at the University of
California at Berkeley, in seiner 'Review of David S. Landes, The Wealth and
Poverty of Nations: Why Are Some So Rich and Others So Poor?' (è) fanden: "There is no reason to think that what is in the
interest of today's elite -whether a political, religious, or economic elite-
is in the public interest, or even in the interest of the elite's grandchildren".
44. Ganz weitsichtigen Kapitalisten wird der folgende Gedankengang gefallen: eine Rentenzahlung, welche großenteils direkt aus den bilanziell ausgewiesenen (oder auch den in den Zinszahlungen versteckten) Gewinnen der Privatwirtschaft aufzubringen ist, zwingt letztlich den Staat (è), der Privatwirtschaft auch dann eine entsprechende Rendite zu ermöglichen, wenn der Markt diese nicht hergibt. Da wäre politisch manches vorstellbar, was jetzt noch undenkbar erscheint, nicht zuletzt die Aufhebung der Tarifautonomie. Man muss es den Rentnern nur verklickern, dass dies für sie gut (oder gar notwendig) ist, und schon hat man einen enormes Wählerstimmenpotential für derartige Maßnahmen erschlossen. Dass davon auch die anderen Kapitalbesitzer profitieren, tja, das iss halt mal so. Kluge Kapitalbesitzer denken langfristig und lassen sich vom Strom der Massen tragen. Munter wie Maos Mannen in den schützenden Schwärmen der Volksfische, schwärmen die Goldfische (è) des Geldes in den Kapital-Deckungs-Schwärmen der Rentenfische[64]. Diesen Sachverhalt wollen wir im Bewusstsein unserer Leser mit einem kleinen Reimlein mnemotechnisch verankern:
Für die Superreichen die Super-Wahl:
Die
Rentner als Geiseln der Rendite vom Kapital![65]
HUMKASPAR(ENA) / HUMCAPSI(DISCO)
45. Wie oben mein meta-physischer Urgroßvater, werfen auch die Gutachter die Frage nach den Ursachen für die stark verringerte Humankapitalbildung auf. Aus ihrer Sicht (Ziff. 45 des Gutachtens) reduziert sie sich auf ein Problem für die Rentenzahlungen, und da wiederum ausschließlich für das Umlageverfahren, das gleichzeitig als wesentlicher Mitverursacher dieser Situation bewertet wird:
(1) „Im Grunde entstehen die
Finanzierungsprobleme des Umlageverfahrens dadurch, dass Haushalte ohne Kinder
sich an den Arbeitseinkommen der Kinder anderer Leute beteiligen können, dass
also mit der Einführung dieses Verfahrens eine Sozialisierung der
Schaffenskraft der Kinder vorgenommen wurde.“
Da diese
„Sozialisierung
der Schaffenskraft der Kinder selbst zum Rückgang der Geburtenrate beigetragen
hat“
erörtern sie die Möglichkeit, die
„Höhe
der umlagefinanzierten Rente teilweise von der individuellen Kinderzahl abhängig
zu machen“
bzw.
(2) „alternativ ... den Familienlastenausgleich
über das staatliche Budget zu verstärken.“
Sie kommen jedoch zu dem Schluss, dass
(3) „im Falle eines
allgemeinen Übergangs in die Kapitaldeckung ... solche Maßnahmen entbehrlich
(sind)“.
Die denkbare Alternative, die Geburtenrate zu steigern, bestand nach Meinung der Gutachter im Zeitpunkt des Gutachtens, also 1998, schon nicht mehr. Nach Ziff. 44 Abs. 2 käme:
(4) "... eine Politik
der Geburtenförderung, selbst wenn sie denn politisch akzeptabel sein
sollte, zu spät".
46. Die typographischen Hervorhebungen und die Nummern dazu stammen von mir, und sind natürlich in kritischer Absicht erfolgt. Der Text klingt zunächst einleuchtend (bis auf die Aussage lfd. Nr. 3, die schon gewisse Zweifel in uns wecken könnte). Bei oberflächlicher Betrachtung sind die hervorgehobenen Textpassage Nr. 1 und der hervorgehobene Begriff Nr. 2 auch nicht falsch. Gleichwohl gilt auch hier, dass die Formulierungen der Gutachter erneut in die Irre gehen bzw. in die Irre führen.
47. „Sozialisierung der Schaffenskraft der Kinder“ – das hört sich präzise an, ist aber eher 'kernig' als präzise. Die Formulierung lässt nämlich offen, wem dasjenige gehört, zusteht oder zukommt, was hier sozialisiert wird: den Kindern, oder den Eltern? Zunächst natürlich den Kindern; von deren Lohn werden ja schließlich die Beiträge – hälftig – abgezogen. Aber letztlich doch wohl deren Eltern, denn wenn das Problem, wie die Autoren zutreffend schreiben, darin liegt, dass „Haushalte ohne Kinder sich an den Arbeitseinkommen der Kinder anderer Leute beteiligen können“ dann wird damit einerseits anerkannt, dass Haushalte mit Kindern, Eltern also, sich – als Rentner - ganz legitim an den Arbeitseinkommen ihrer Kinder beteiligen dürfen, wie das bei der familieninternen Altersversorgung, vor Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung, ja auch der Fall war. Andererseits weist der Satz darauf hin, dass die Eltern nicht den vollen Nutzen aus den Rentenbeiträgen ihrer Kinder ziehen, sondern dass in unserem System die Kinderlosen an diesen Investitionen partizipieren, indem sie ebenfalls Rente beziehen, also im Grunde ernten, ohne gesät zu haben. Die Eltern sind also zwar partiell Nutznießer ihrer Investitionen, gleichzeitig aber insoweit Geschädigte, als ihr Anspruch zum Großteil sozialisiert wird. Sozialisieren heißt enteignen, und die Enteignung erfolgt zu Gunsten der kinderlosen Rentner, aber – und das übersehen nicht nur die Gutachter - ebenso zu Gunsten der sorgenlosen Rentiers, deren Zinsen auch nicht 'aus der Steckdose' kommen, sondern von anderer Leute Kindern (ggf. vielleicht auch den eigenen) erarbeitet werden.
48. Es sind mithin nicht die Kinder, die enteignet werden durch das Umlageverfahren, sondern die Eltern.[66] Und darauf reagieren die (potentiellen) Eltern als rational handelnde Wirtschaftssubjekte mit einer Reduzierung der Kinderzahl. Die Rente ist ihnen jetzt so oder so sicher, während es früher ohne Kinder keine Altersversorgung gab bzw. allenfalls eine gesellschaftlich diskriminierte und materiell äußerst dürftige im Armenhaus.
49. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Gutachter die von mir aufgezeigten Zusammenhänge jedenfalls insoweit zugestehen würden, als es um die Enteignung der Eltern durch die kinderlosen Rentner geht. Wenn ich trotzdem meine Überlegungen so haarklein ausgewalzt habe, dann zum einen deshalb, weil die Wissenschaftler die ebenfalls stattfindende Enteignung zu Gunsten der Kapitalbesitzer nicht sehen (wollen). Zum anderen wundere ich mich, dass diese Herrschaften, die immer so genau wissen, mit welchen Anreizen man Kapitalinvestoren ködern sollte – nämlich mit hohen Renditen; also: Löhne runter! – den Eltern verweigern, was sie den Investoren – ökonomisch durchaus begründbar – zugestehen: einen Renditeanreiz für Investitionen. Logischerweise müssten sie doch fordern, dass nicht nur den Geldsparern (è) für ihre Kapitalinvestitionen[67] Zinsen gezahlt, sondern in gleicher Weise den Eltern für ihre Humankapitalinvestitionen Rendite gewährt wird? Dies ist indes der Punkt, wo die Darstellung der (partiellen) Ursache des demographischen Problems durch die Wissenschaftler die Realität haarscharf verfehlt; es ist, als hätte ein Magnet ihre Gedanken abgelenkt, damit der Ball der Erkenntnis nicht ins kapitale Tor geht. Transponieren wir Realkapitalsparer und Eltern unter dem Gesichtspunkt ihres jeweils notwendigen Beitrags zur Herstellung des Sozialprodukts auf eine einheitliche ökonomische Ebene, dann sind die Eltern „Humankapitalsparer“. Das sehen auch die Gutachter so, wenn sie sagen „Keine Generation kann im Alter eine Rente beziehen, wenn sie nicht entweder in Humankapital oder in Realkapital investiert (sic!) hat“ (Ziff. 84 Abs. 3). Die zwingende Folge wäre also, bei korrekter Anwendung der von den Wirtschaftswissenschaften erzielten Erkenntnisse und der von ihr entwickelten Terminologie, einen „Humankapitalsparrenditeanspruch“ zu postulieren.
50. Dass die Gutachter genau das nicht tun, sondern von einer Verstärkung des „Familienlastenausgleichs“ sprechen, hat Methode: auch hier entfaltet der Torablenkungsmagnet wieder seine (aus Sicht der Kapitalinteressen) segensreiche Wirkung. „Lasten“ lassen sich gedanklich gut in eine Schublade z. B. mit Krankheit einordnen: auch hier hilft uns die Gesellschaft, die Last der Krankheit zu tragen. Wenn aber Kinder eine der beiden unverzichtbaren ‚Spardosen’ der Gesellschaft sind, dann sollte ein Ökonom eben nicht von ‚Lastenausgleich’ (oder scheinwissenschaftlicher von "Transferleistungen") sprechen, sondern von ‚Renditeanspruch der Humankapitalsparer’. Will man aber den Eltern nicht erst im Alter eine Rendite zahlen, sondern (aus guten Gründen) schon das Aufziehen der Kinder von der Gesellschaft finanzieren lassen, wäre ‚Renditenachteilsausgleich für die Humankapitalsparer’ der sachangemessene Terminus.
51. Warum drücken sich die Wissenschaftler um die Anwendung des einschlägigen begrifflichen Instrumentariums zur präzisen Darstellung des Problems herum? Weil sie den Eltern nichts zahlen wollen. Denn wer die Forderung nach einer solchen Rendite aufwirft, hat aus der Sicht der Kapitalinteressen die Büchse der Pandora (è) geöffnet: wer soll das bezahlen? Wer zahlt Zinsen an die Realkapitalsparer? Derjenige, der von ihren Ersparnissen profitiert. Wer müsste analog die Zinsen an die Humankapitalsparer abführen? Ebenfalls derjenige, der von deren Investitionen (in das Aufziehen von Kindern) profitiert! Und wer ist das? Neben den kinderlosen Rentnern, die zweifellos von 'ALKK' ('anderer Leute Kinderkapital') leben[68], sind das eben ganz wesentlich auch die Realkapitalsparer! Ohne Humankapital verhungern (è) sie in der Midas-Falle (è). Da mögen sie dann zum Frühstück 'ne PC-Maus, zum Mittagessen 'ne Festplatte und abends 'nen Monitor verspeisen: wohl bekomm’s![69]
52. Die Männer der Wissenschaft[70] (è) haben aber nicht das geringste Interesse (weder im psychologischen noch im gesellschaftlichen Sinne des Wortes), einen Renditeanspruch der Humankapitalsparer als solchen auch nur zu erörtern, geschweige denn zu konzedieren. Sie halten bei einem Übergang zu einem Kapitaldeckungsverfahren eine Unterstützung der Familien durch die Gesellschaft für entbehrlich. Da haben die Herren vor lauter ökonometrischen Formeln die Grundrechenarten offenbar ganz aus dem Kopf verloren. Auch wenn die Rentenfinanzierung (partiell) auf das Kapitaldeckungsverfahrens umgestellt wird, sind - zumal ja zusätzlich noch die Beiträge für die gegenwärtigen Rentner weitergezahlt werden müssen - die Eltern mit Kindern im Vergleich zu den Kinderlosen „doppelt“ belastet. Anders als letztere zahlen sie nicht nur Beiträge bzw. Sparraten: sie haben außerdem nach wie vor einen Großteil der Kosten für die Kinder selbst zu tragen.
53. Wie schon bei der Hypothese eines angeblichen "Einführungsgewinns" der ersten Rentnergeneration zeigt sich auch hier - in einer anderen Form - wieder etwas, was ich als 'strukturelle Verlogenheit' bestimmter gesellschaftlicher Diskurse bezeichnen möchte. Im vorliegenden Zusammenhang wird zwar wahrgenommen, dass ein Problem besteht. Aber es wird isoliert wie ein Lepra-Kranker. Die Wissenschaftler verweigern ihm eine Würdigung mit den Erkenntnisinstrumenten, welche sich ihnen, wenn sie an einem tieferen Eindringen interessiert wären, aus dem begrifflichen Inventar ihrer Disziplin geradezu aufdrängen müssten[71]. Sogar als Laie kommt man dagegen schon geradezu spielerisch vom unfairen Dreier der Begriffe 'Realkapital – Zinsen (Kapitalrendite) // Humankapital' zu einem (durch seine Symmetrie bereits ästhetisch ansprechenderen) gemischten Doppel 'Realkapital – Realkapitalverzinsung // Humankapital – Humankapitalsparverzinsung'. Es sei hier ausdrücklich noch einmal klargestellt: 'Humankapitalsparverzinsung' ist der Anspruch der Eltern; 'Humankapitalverzinsung' der Anspruch der Kinder auf den Lohn für ihre Ausbildung (è). Hier geht es zunächst nicht um eine Lohn-'Verzinsung' von Geld und Mühe, die – von Eltern und/oder Kindern - in deren Ausbildung gesteckt wurden (dass sich das rentieren muss, ist auch für die Autoren selbstverständlich). Hier geht es darum, dass aufgrund der Struktur unseres finanz- bzw. realkapitalorientierten Denkens und Handelns diejenigen, die ihr Geld als solches 'sparen', d. h. es direkt oder indirekt in Immobilien oder Produktionsmittel investieren, ganz selbstverständlich eine Rendite – Zinsen – erwarten und dies von breiten Mehrheit der Gesellschaft (natürlich nicht von den Marxisten (è) und den Anhängern der Schwundgeldlehre Silvio Gesells) auch gedanklich und real zugestanden bekommen[72], während den Eltern als für die Wirtschaft mindestens ebenso notwendigen Humankapitalsparern ein solcher Anspruch für ihre dafür erbrachten Aufwendungen verweigert wird. In gewisser Hinsicht treibt also 'der Markt' mit den Eltern das gleiche Spiel wie mit der Natur: er nimmt deren Gaben 'für lau'[73] und wundert sich, wenn sie – genau aus diesem Grund – eines Tages nicht bzw. nicht mehr in genügender Menge vorhanden sind.
54. Nachdem ich mich hinreichend in Rage geredet habe, muss ich freilich meine ökonomischen Überlegungen aus ökologischen Gründen schon wieder relativieren: wollen wir überhaupt mehr Kinder? Sollen/können wir Deutschland noch mehr zubetonieren? Ich fürchte freilich, dass genau das selbst dann passieren wird, wenn der Nachwuchs nicht von uns kommt: das Humankapital wird man notfalls importieren; die Weichen dazu werden ja derzeit schon gestellt. Ein bisschen ethnische Durchmischung – rassische Aufsüdung oder so – kann sicher nicht schaden. Aber nur Humankapital (gratis) importieren[74], und die Altlasten exportieren (Kapitalanlage im Ausland zwecks Rentenversorgung!): wer sich darauf verlässt, wird eines Tages vermutlich ebenso verlassen sein wie die alten Römer, als sie ihr Schicksal in der letzten Phase ihrer ruhmreichen Reichsgeschichte allzu vertrauensvoll in die Hände der germanischen Kampfmaschinen legten.
55. Fassen wir also die Ergebnisse unserer vertiefenden Analyse der schon bei der Begegnung mit dem Geist meines Urgroßvaters erörterten Humankapitalproblematik zusammen. Von den Investitionen der Eltern profitieren kinderlose Rentner einerseits und Realkapitalsparer andererseits. Letztere Tatsache verdrängen die Gutachter (und die Wirtschaftswissenschaft überhaupt?) erfolgreich aus ihrem eigenen wie leider auch aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein.
56. Was von den Gutachtern geleugnet wird ist, in wirtschaftswissenschaftlicher Terminologie formuliert, der Anspruch auf eine Rendite für die Eltern als gesellschaftliche Vergütung für ihre Investitionen (an Kapital und Zeit) in Kinder, kurz also: eine Humankapitalsparrendite (human capital savings interest). Diese könnte allerdings – und das wäre im Hinblick auf die Stabilisierung der Population zweckmäßiger - durch einen direkt als Ausgabenersatz zu zahlenden Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich[75] ('HUMKASPARENA') ersetzt werden. (I wonder, whether "human-capital-savings-interest-disadvantage-compensation" – 'HUMCAPSIDISCO' ?- would be a correct translation?). Die Frage, ob es in ökologischer Hinsicht klug ist, Anreize für eine vermehrte Humankapitalproduktion zu schaffen, hatten wir bereits früher erörtert[76]. Wenn wir sie verneinen, müssen wir uns möglicherweise auch von der Vorstellung verabschieden, dass gerechte Politik (Ausgleichszahlungen) in jedem Falle notwendigerweise auch gute Politik ist, d. h. wünschenswerte Ergebnisse (Erreichen eines – wie auch immer definierten - Populationsoptimums) hervorbringt.
57. Das gleiche Problem – Gerechtigkeit vs. Effizienz - taucht auf bei der Frage, ob wir jetzt die Rente für die Ex-Humankapitalsparer erhöhen sollen (= Gerechtigkeit), oder ob wir das Geld nicht effizienter als Anreiz (incentive) für die aktuellen Humankapitalsparer verwenden (bzw. auch für die qualitative Aufwertung des Humankapitals: Ausbildung[77]!). Das Interesse der Politiker könnte hier den Interessen der Gesellschaft insoweit zuwider laufen, als die Politik versucht sein dürfte, das Geld wählerstimmenwirksamer an die Eltern erst in ihrer Eigenschaft als Alte, also etwa als Rentenzuschlag, auszuschütten[78]. In diesem Zusammenhang hat der verschiedentlich gemachte Vorschlag, Wählerstimmen für Kinder einzuführen (d. h. den Eltern je nach Kinderzahl zusätzliche Wählerstimmen einzuräumen) einen gewissen Charme, weil auf diese Weise (hoffentlich) Zukunftsinteressen der Gesellschaft ein größeres politisches Gewicht bekämen.
58. Am Rande sei angemerkt, dass ein Verständnis etwa der 'Sozialleistung' Kindergeld als Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich auch insoweit praktische Auswirkungen hätte, als diese Zahlungen auf jene zu beschränken wären, welche mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eines Tages zur Schaffung des hiesigen Sozialprodukts beitragen werden.
59. Letztendlich ist aber ohnehin kaum anzunehmen, dass meine hier dargestellte Meinung über bzw. Forderung nach einer Humankapitalsparrendite etwas bewirken oder auch nur in größerem Maße wahrgenommen wird. Es ist aber vorstellbar, dass das Thema in anderer Verpackung in nicht allzu ferner Zeit quasi 'von selbst' auf den Tisch kommt. Wenn es erst einmal gelungen ist, die Kinderproduktion technisch mehr und mehr von den Eltern, insbesondere der Mutter, zu trennen (Entwicklung des Embryos außerhalb des Uterus), wird irgendeine Gesellschaft beginnen, Kinder tatsächlich zu 'produzieren', sobald sie zu der Meinung kommt, dass die natürliche 'Produktion' den Bedarf nicht deckt[79]. Und dann muss die Gesellschaft die Kosten ohnehin tragen. Bei einer solchen Konstellation käme wohl kaum jemand auf die Idee, dass die Kinderaufzucht allein von den Rentenaspiranten finanziert werden müsse. Unabhängig davon, für wie realistisch man den Eintritt eines solchen Szenarios hält, zeigt es immerhin, dass die Finanzierung der Kosten für den Nachwuchs eine Angelegenheit der gesamten Gesellschaft ist, weil davon alle profitieren: Rentner im Umlageverfahren, Rentner (è) im Kapitaldeckungsverfahren und Rentiers für ihre Profite ebenso und somit auch für ihre Altersversorgung.
60. Mit der Anerkennung eines Humankapitalsparrenditeanspruchs der Eltern stürzt man übrigens die Kapitalbesitzer noch lange nicht ins Elend. Die werden (wenn auch nur höchst hilfsweise) argumentieren, dass ihre Zahlungspflicht mit den Arbeitsentgeltzahlungen an das Humankapital abgegolten sei. Darüber kann man durchaus streiten (è); trotzdem werden die Kapitaleigner unter dem Motto "wehret den Anfängen" alles tun, um die Idee eines HUMKASPARENA nach Möglichkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die gesellschaftliche Anerkennung eines derartigen Anspruches würde sie nämlich insoweit ideologisch in die Defensive drängen, als sie nicht mehr die einzigen wären, die eine Rendite verlangen könnten. Das birgt für sie immer das Risiko in sich, dass sie von der Gesellschaft gezwungen werden könnten, die Früchte ihres Kapitaleinsatzes mit den anderen, ebenfalls Anspruchsberechtigten, zu teilen. Und Teilen ist sicher das Letzte, was ein Kapitaleigner will: um das zu vermeiden, flüchten ja schließlich viele ihr Kapital und/oder sich selbst steuersparend in die Parasitenstaaten.[80]
61. In politisch-praktischer Hinsicht kommt den Kapitalinteressen leider die Tatsache entgegen, dass der Zustand der Zahlungspflicht der Eltern für ihre Kinder transitorischer Natur ist. Weil andererseits auch viele Eltern ein bisserl[81] Geld auf dem Konto oder dem Depot oder den Depots haben, wird sich ihr Interesse an einer Umverteilung sehr in Grenzen halten. Und da ja auch die politischen Sachwalter unserer ökologischen Interessendimension sich für das KDV entschieden haben, ist alles in Butter für das Kapital. Jedenfalls soweit sein interessenanalytischer Zeithorizont reicht. "Langfristig gesehen sind wir alle tot", wusste bereits John Maynard Keynes[82]. Das Kapital ist jetzt und auf absehbare Zeit tot oder allenfalls im mechanischen Sinne lebendig. Ich wäre der letzte, der sich gegen ein von den Menschen entwickeltes künstliches Leben (è) stellen würde, aber so lange es das noch nicht gibt und nicht realistisch absehbar ist, sollten wir nicht glauben, wir könnten unser zukünftiges Rentnerparadies schon mal vorheizen, indem wir unsere ungeborenen Kinder[83] in den heißen Rachen des Kapital-Baal (è) werfen (und was von unserer Umwelt noch übrig ist, gleich hinterher)[84]. Vorausgesetzt natürlich immer, wir entscheiden uns nicht aus ökologischen Gründen ganz bewusst gegen mehr Kinder. Aber dann bitte auch für weniger Profite[85] und, wenn es denn sein muss, auch weniger Rente.
Erst definieren – dann denken!
62. „Blöde Frage“ wird die spontane Reaktion vieler Leser sein: das bedeutet, die Renten sollen eben sicher bleiben, ohne dass der Arbeitende erheblich mehr belastet wird. Wirtschaftswissenschaftler z. B. erstellen prozentuale Berechnungen, wie die Rentenbeiträge bei einer Fortführung der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem derzeitigen Anspruchsniveau in Zukunft prozentual ansteigen würden, und machen Vorschläge, mit denen ein solcher Anstieg verhindert werden soll.
63. Die Eindeutigkeit und Klarheit des Begriffs ist freilich nur eine scheinbare, eher emotionale als rationale. Tatsächlich ist, wie die nachfolgende Überlegungen und Modelle zeigen werden, die Vorstellung davon, was „Rentensicherung“ leisten soll, durchaus verschwommen. Unpräzise Vorstellungen und Definitionen bringen jedoch die Gefahr mit sich, dass Vertreter von Partikularinteressen im trüben Nebel des Begriffsdunstes fischen. So kann man gesellschaftliche Interessenpositionen tarnen und gar als Gemeinwohl ausgeben (Gemeinnutz und Eigennutz müssen sich zwar nicht immer ausschließen, aber bei der Rente geht es häufig doch um einen Verteilungskampf).
64. Das nachfolgende, wenn auch recht grobe und unausgereifte, Modell soll veranschaulichen, welche Entwicklung das Konsumpotential der Arbeitenden einerseits und der Rentner andererseits im Hinblick auf die zu erwartende Verschlechterung der demographischen Relationen nehmen könnte bzw. welche Entwicklung die Gutachter sich von der Umstellung der Rentenfinanzierung vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren erhoffen. Ich unterstelle (nur) in diesem Modell, dass jede Investitionssteigerung zu einer direkt proportionalen Produktionssteigerung führen würde. Das ist eine günstigere Annahme, als sogar die Sachverständigen selbst zu Grunde legen. Die wissen durchaus, dass "die Ertragsrate des Kapitals ... umso niedriger [ist], je geringer die Zahl der Arbeitskräfte ist, die als Komplemente des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks für den Produktionsprozess zur Verfügung stehen" (Ziff. 17 Abs. 2, vgl. auch oben). Da ich jedoch hier lediglich in der Tendenz veranschaulichen will, welche Erwartungen die Gutachter hegen und welche Relationen eintreten würden, wenn sich die in das KDV gesetzten Hoffnungen tatsächlich realisieren ließen, können solche Einschränkungen unbeachtet bleiben.
65. Das Modell bezieht sich auf alle produzierten Güter und Dienstleistungen. Als Einheiten, hier der Anschaulichkeit halber als "Euro" bezeichnet, können also alle möglichen Produktionsindizes von Gütern und Dienstleistungen eingesetzt werden (Inflationsfreiheit wird unterstellt).
66. Die Tabelle bzw. die verschiedenen Varianten für das Jahr 2050 beruhen auf folgenden Annahmen (etwaige Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit wären dabei rein zufällig und, da wir ja lediglich Tendenzen darstellen wollen, auch unerheblich):
- Investitionen gleich bleibend 50% des Sozialprodukts (unsere Kapitalisten sind äußerst sozial eingestellt und reinvestieren deshalb ihren gesamten Gewinn)
- Die Rente soll gleich bleibend durchschnittlich 50% vom Verdienst eines Arbeitenden ausmachen.
Die Spaltentitel bedeuten:
- 2050(1) und (2) = Keine Umstellung auf KDV; dabei
- Variante 2050(1) = keine Produktivitätssteigerung (eine eher unrealistische Annahme; rentenpolitisch und überhaupt wirtschaftspolitisch zumindest von unserem derzeitigen Erwartungshorizont her betrachtet geradezu ein 'Horrorszenario')
- Variante 2050(2) = 'normale' Produktivitätssteigerungen mit einer entsprechenden Steigerung des Kapitaleinsatzes (so, wie wir das aus der Vergangenheit gewohnt sind)
- Variante 2050(3) = vollständige Umstellung auf KDV (also in der Logik der Gutachtens noch stärkere Steigerung des Kapitaleinsatzes als bei der bisherigen Entwicklung bzw. der von den Gutachtern vorgeschlagenen lediglich teilweisen Umstellung auf KDV; Steigerung der Produktivität wird gleichfalls vorausgesetzt).
|
I.
|
II.
|
III.
|
IV.
|
||||||
Nr. |
Jahr è |
2000 (Basisj.) (UV) |
2050 (1) (UV) |
2050 (2) (UV) |
2050 (3) (KDV) |
|||||
1.
|
Verhältnis
Aktive : Rentner |
2 |
durchgängig 1 : 1 |
|||||||
2.
|
Kapitaleinsatz (% von
Basisjahr.) |
100 % |
100 % |
200 % |
300 % |
|||||
3.
|
'Soz.prod.'
(SP) (TEURO pro ANer) |
30 |
30 |
60 |
90 |
|||||
4.
|
Kapitalrenditen
(TEURO) (dav.
Ant. Kapitalisten | Rentner) |
15 (=
50%) (15 | 0) |
15 (= 50%) (15 | 0) |
30 (= 50%) (30 | 0) |
45 (= 50%) K: 30 = 66,67% R: 15 = 33,33% |
|||||
5.
|
'Brutto'-Lohn
pro ANer vor Rentenbeitr. | (% v. SP) |
15 (=
50%) |
15 (= 50%) |
30 (= 50%) |
45 (= 50%) |
|||||
6.
|
dav. v. ANer an Rentn. abzugeb. (UV) |
3,0
(20%) |
5 (33%) |
10 (33%) |
- 0 - |
|||||
7.
|
davon v. ANer zu sparen (KDV) |
- 0 - |
- 0 - |
- 0 - |
15 (33%) |
|||||
8.
|
Rente
(TEURO) pro Rentner (bei UV = Z. 1 x Z. 6; bei KDV = Anteil "R" aus
Z. 4) |
6 |
5 |
10 |
15 |
|||||
9.
|
'Netto'-Lohn
pro ANer nach Rentenbeitr. (UV od. KDV) (Z. 5 ./. Z. 6 bzw. 7) |
12,0 |
10 |
20 |
30 |
|||||
10. |
a) 'Netto'-löhne (Z. 9) in % v. SP (Z. 3) b)
dito in % von Konsumpotential |
40% 80% |
33,3% 66,7% |
33,3% 66,7% |
33,3% 66,7% |
|||||
11. |
a)
Renten (Z. 8) in % von SP (Z. 3)* b)
Renten in % von Konsumpot.* (* jew. : 2, da –2- Aktive
je Rentn. – geä. 20.6.05) |
10% 20% |
16,67% 33,33% |
16,67% 33,33% |
16,67% 33,33% |
|||||
67. Wir gehen (fast) alle, automatisch und meist ohne das ausdrücklich zu erwähnen, bei unseren Erwartungen für die Zukunft davon aus, dass die Produktivität weiterhin steigen wird. Sicherlich ist nicht anzunehmen, dass man keine neuen, arbeitssparenden, Erfindungen mehr machen oder gar die alten vergessen wird. Es könnte aber immerhin sein, dass die Umweltkosten eines Tages so hoch werden, dass sämtliche technischen Fortschritte diese Kosten bzw. Kostensteigerungen nicht mehr kompensieren[86]. Hierbei denke ich an die Rohstoffbeschaffung (außer aufwändigerer Lagerstättenerschließung – Stichwort "Ölschiefer" – kommen auch höhere Kosten aufgrund von Monopolen oder Kartellen der Rohstoffproduzenten in Betracht – Stichwort "OPEC"), an eine ggf. lebensnotwendig erforderliche Beseitigung von Umweltschäden (z. B. Grundwasser, Sauerstoff, Ansteigen des Meeresspiegels), sowie an die wohl nicht ganz unrealistische Möglichkeit, dass sich unsere Lebensbedingungen durch irreversible Umweltschäden von globalen Ausmaßen dramatisch verteuern – Stichworte "künstliche Atmosphäre", "Änderung der Meeresströmungen". Es wäre nicht sonderlich weitsichtig, würde man die Möglichkeit einer negativen Entwicklung auf diesem Gebiet gänzlich aus den Augen verlieren. Denkbar ist insoweit nicht nur eine gleich bleibende Produktivität [Szenario 2050(1)], sondern sogar das noch schlimmere (hier nicht dargestellte) Szenario einer sinkenden Produktivität.
68. Sowohl bei sinkender als auch bei gleich bleibender Produktivität der Arbeitenden wäre die Entwicklung des Sozialprodukts von der Zahl der Arbeitenden abhängig. Die Verschlechterung der demographischen Situation würde also voll durchschlagen, d. h. die Jungen und/oder die Alten müssten ihren Konsum – u. U. drastisch – einschränken. Wir werden unten aufzeigen, dass der gut gemeinte Vorschlag einer Investitionssteigerung mittels KDV statt einer Steigerung durchaus eine Senkung der Produktivität – aufgrund höherer (Umwelt-)Kosten, die bisher mehr oder weniger als Externalitäten verstanden werden – zur Folge haben könnte. Es gibt eben nicht nur Mächte, die Böses wollend Gutes schaffen, sondern leider auch solche (wie uns auf dem Feld der Sozialpolitik ausgerechnet die Wirtschaftswissenschaftler des liberalen Mainstream immer wieder – und nicht immer zu Unrecht - vor Augen halten), die Böses schaffen, indem sie Gutes wollen[87]. Anders gesagt: Es könnte sein, dass das KDV (und zwar gerade dann, wenn es – zunächst – die vorgesehene Wirkung einer Wachstumsbeschleunigung entfaltet, sich im Endeffekt nicht als eine Gabe des Himmels, sondern als eine Einflüsterung von Mr. Mephisto (è) erweist[88].
69. Das Szenario 2050(1) zeigt anschaulich, wie sich das Konsumpotential für Arbeitnehmer und Rentner absolut (in diesem Beispiel von 12 auf 10 bzw. von 6 auf 5 Einheiten oder "TEURO", also um jeweils 16,67%) mindern würde, wenn die Produktivität nicht ansteigt. Für unseren persönlichen geschichtlichen Erfahrungshorizont erscheint schon das völlig inakzeptabel, vor allem auch unwahrscheinlich. Wir haben uns daran gewöhnt, dasjenige einfach auszublenden, was wir bisher mehr oder weniger kostenlos nutzen konnten: die Natur.
70. Bei einem 'normalen' Ablauf (d. h. bei einer Wirtschaftsentwicklung, wie wir sie aus der Nachkriegszeit und im Grunde seit Beginn der industriellen Revolution gewohnt sind) mildert die Produktivitätsentwicklung die Auswirkungen der Populationsüberalterung weitgehend ab. In dem entsprechenden Szenario 2050(2) sehen wir, dass die Arbeitenden trotz demographischer Krise 20 statt 12 "TEURO" (oder wie auch immer definierte Konsumeinheiten) zur Verfügung hätten, die Rentner entsprechend 10 statt 6. Beide Gruppen könnten also ihren Konsum um 66,67% steigern, ohne dass die jetzt Arbeitenden ihren Konsum einschränken und 'doppelte' Beiträge zahlen müssten. Natürlich würden die Rentenbeiträge von 20% auf 33% steigen, d. h. relativ müssten die Arbeitenden im Jahr 2050 mehr an die Rentner bezahlen als jetzt, aber absolut hätten trotzdem beide Gruppen mehr 'in der Tasche'.
71. Lassen wir nun die gegenwärtigen Beitragszahler "doppelt" bezahlen, also Beiträge für die derzeitigen Rentner im Umlageverfahren und für die eigene Rente im Kapitaldeckungsverfahren, kommen wir zum Szenario 2050(3). Wir konnten jetzt (auf dem Papier zumindest) die Produktion pro Kopf noch einmal deutlich steigern. Der Rentner hat 15 statt 10 TEURO, also noch einmal 50% mehr als bei 'normaler' Entwicklung (und 150% mehr als 'jetzt'). Der Aktive braucht nun von seinem Lohn nichts mehr an die Rentner abzugeben: wie schön. Allerdings muss er das, was die Rentner aus den Kapitalerträgen herausziehen, ersetzen, wenn der Anteil der Investitionen gleich bleiben soll. Das tut er über seine eigenen Beiträge, 15 TEURO in diesem Falle, entsprechend der Konsumentnahme des Rentners.
72. Wie
immer die Wirtschaft sich entwickelt: den prozentualen Anteil für
Rentner und Arbeitende (vgl. Zeilen 10 + 11) bestimmt ausschließlich das
Zahlenverhältnis Aktive/Rentner[89] – es
sei denn, man mindert die relative Rentenhöhe oder das relative
Investitionsvolumen. Das aber sind Maßnahmen, die nicht notwendig an die Art
der Rentenfinanzierung gekoppelt sind. Die organisatorische Änderung der
Rentnerversorgung kann also nichts an der proportionalen Mehrbelastung
der Jungen aufgrund der demographischen Krise ändern. Bei relativ gleichem
Versorgungsniveau der Rentner müssen die Jungen einen höheren Anteil an ihrer
Produktion abgeben, können also – immer relativ gesehen – nur weniger
konsumieren als unter günstigeren demographischen Verhältnissen. Gerhard
Mackenroth (è)
hat das 1952 in seiner (bei Teilnehmern an der Rentendebatte berühmten) „Mackenroth-These“ wie
folgt formuliert: „Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller
Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden
muss. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben,
aus der Sozialaufwand fließen könnte ...“. Unabhängig von der Höhe des
Sozialprodukts gilt also für uns der einfache und klare Satz: "Den relativen
Mackenroth / kriegt auch das KDV nicht tot". Das werden die Gutachter
sicherlich nicht leugnen; im Sinne einer objektiven und umfassenden
Politikberatung wäre es aber wünschenswert gewesen, wenn sie diese Tatsache
entsprechend herausgestellt hätten. Denn so doof sind die Jungen nun auch
wieder nicht, dass sie die relative Verschlechterung ihres Konsumpotentials
nicht wahrnehmen werden, nur weil ihr entsprechender Konsumverzicht im KDV als
Zins oder Dividende erscheint, statt als "Rentenbeitrag im Umlageverfahren".[90]
73. Unstreitig
ist es natürlich politisch weit einfacher, sich über die Verteilung großer
Zuwächse zu streiten, als über kleinere, oder gar eine geschrumpfte Produktion
aufzuteilen. Und große Zuwächse glauben ja die Gutachter durch die Einführung
des KDV erreichen zu können: in realwirtschaftlicher Hinsicht für die Zukunft
zu „sparen“, und zwar in dem Sinne, dass Junge und Alte insgesamt dann
jedenfalls absolut mehr konsumieren können. Ich persönlich glaube
freilich eher weniger an die wundersame Vermehrung der Brote (è)
oder die Verwandlung von Wasser in Wein (è)
– was unten näher zu begründen sein wird.
74. Als allgemeine Aussage aus der Tabelle können wir jedenfalls abstrahieren, dass das „Rentenproblem“ nicht eine, sondern zwei Dimensionen hat: eine absolute und eine relative[91]. Die Wirtschaftsleistung mag bis zum Jahr 2050 um 100% oder 1.000% ansteigen, in jedem Falle muss der Arbeitende in unserem Beispiel dann 33 1/3% statt 20% von seinen Konsummöglichkeiten für die Alten „opfern“[92]. Allgemeiner formuliert: bei einer verschlechterten Relation Alte/Junge steigt im Prinzip die prozentuale Belastung der Arbeitenden mit Renten-„beiträgen“ unabhängig von Finanzierungsverfahren.
75. Somit hat eine kapitalgenerierte Rente in einer wesentlichen Hinsicht die gleiche Wirkung wie eine umlagefinanzierte Rente. Der Rentner – und das unterscheidet ihn vom (idealtypischen) „Kapitalisten“ – verwendet die Zinsen seiner Kapitalanlage für Konsumzwecke. Der Kapitalist sicherlich auch – zu einem kleinen Teil. Den größten Teil wird er, seiner gesellschaftlichen Funktion und dem nicht unbegrenzten Konsumbedürfnis entsprechend, wieder anlegen. Was der Rentner entnimmt, muss der Aktive ersetzen. Unsicher ist, wie sich das KDV hinsichtlich der Legitimation der Konsumentnahmen zu Gunsten der Rentner in den Augen der Aktiven darstellen würden. Diese könnten durchaus der Meinung sein, dass die Gewinne der 'Kapitalisten' zu hoch sind, und versuchen, etwa durch entsprechend hohe Lohnforderungen ihren eigenen Anteil kräftig zu steigern[93]. Dann müsste der Staat – wie in unserer Analyse der Kapitalbesitzerinteressen schon ausgeführt - u. U. 'zur Sicherung der Renten' die Löhne zwangsweise niedrig halten, was die anderen Kapitalbesitzer ebenso erfreuen dürfte wie die Rentner. Mehr noch als bisher wäre also der Staat gezwungen, Partei für die Kapitalbesitzer zu ergreifen, was kaum im Interesse der Arbeitnehmer liegt.
76. Die
Möglichkeit, dass durch verstärkte Investitionen in der Gegenwart (und der näheren
Zukunft) die absolute Höhe der Wirtschaftsleistung stärker gesteigert werden
kann als ohne solche Zusatzinvestitionen, ist durch meine bisherigen
Ausführungen nicht widerlegt. Widerlegt sind aber zunächst einmal alle
Behauptungen (auch wenn sie im Schafspelz von Insinuationen auftreten), dass
die „Beiträge“ der Arbeitenden (wenn man Beiträge nämlich nicht
rechtlich-organisatorisch als Beitragsabführungen an eine UV- oder
KDV-basierte, staatliche oder private Versicherungsorganisation versteht, sondern
als Leistungen, die dem eigenen Konsum entzogen und für den Konsum anderer
Personen zur Verfügung gestellt werden müssen) durch eine andere Finanzierungsform
oder sogar durch ein Mehr an Sparen in der Gegenwart in der Zukunft prozentual
geringer gehalten werden können. In diesem Sinne – und das ist eine der beiden
Dimensionen des Verteilungsproblems zwischen Alt und Jung – werden die
'Beiträge' in jedem Falle steigen. In dieser Hinsicht sind alle
Vorspiegelungen über die Möglichkeit von "Beitrags-"senkungen der
Büchse des Sandmännchens entnommen und werden uns vielleicht auch mit der
bekannt guten Absicht dieses Männchens ins geistige Auge gestreut.
77.
„Eine
Rentenreform, die es schafft, die gesamtwirtschaftliche Ersparnis zu erhöhen
und den privaten Konsum zurückzudrängen, wird die Kapitalbildung verstärken.
Der schneller anwachsende Kapitalstock wird auf Dauer zu einem größeren
Sozialprodukt führen, aus dem dann der Sozialaufwand leichter finanziert werden
kann. Wenn die Ersparnis im Inland investiert wird, erhöht sie die
Produktivität der inländischen Arbeit und die verdienten Kapital- und
Lohneinkommen.“ (Ziff. 17 Abs. 1 des Gutachtens).
78. Niemand kann beweisen, dass die Idee der Gutachter, die wir idealtypisch bereits im Modell vorgestellt hatten, nicht funktionieren wird. Doch lassen sich eine ganze Reihe von Gründen aufzeigen, die ein Funktionieren der Humankapitalsubstitutionsmaschinerie sehr unwahrscheinlich machen. Ganz allgemein ist festzustellen, dass die Gutachter historische Erfahrungen aus der Zeit der Industrialisierung und des nachfolgenden starken Wachstums in die Zukunft projizieren. Überlegungen, ob es Umstände gibt, die ein weiteres wirtschaftliches Wachstum verhindern oder wesentlich erschweren könnten, stellen sie nicht an. Erst recht machen sie sich keine Gedanken darüber, ob die Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens nicht sogar kontraproduktiv sein könnte. Derartige Annahmen lassen sich aber durchaus substantiiert begründen, wie wir im Folgenden sehen werden.
Von China lernen, heißt verstehen lernen.
79. Der geduldige Leser wird sich schon nicht mehr wundern, wenn der Verfasser mit seiner proletarischen Abstraktionsphobie auch hier wieder ein Verständnismodell zurechtgebastelt hat[94]: aus seiner historischen Erfahrung, gewissermaßen. Zum archetypischen Fundus meiner Vorstellungen über die Funktionsweise von Wirtschaft gehören Arbeiter(innen) aus Mao Tse Tungs (è) kommunistischem China. Und zwar so, wie ich sie auf Illustriertenbildern vielleicht Ende der 50er Jahre beim Bau von Staudämmen abgebildet gesehen habe. Da schleppten die "blauen Ameisen" in Körben auf ihren Köpfen Erde zum Bau eines Staudammes herbei. Wir schauen mal 10.000 von ihnen, die auf diese Weise an einem Staudamm werkeln, so lange an, bis wir Mitleid bekommen und ihnen 100 Lkws verkaufen. Zum Einsatz der Lkws braucht es 100 Fahrer, die restlichen 9.900 blauen Ameisen sind also von der Dammbaufron befreit. Sie werden jedoch nicht arbeitslos, sondern, wie es ja auch für unsere eigene Wirtschaftsgeschichte zutrifft (wenn man von vorübergehenden Anpassungskrisen – Stichwort "Weberaufstand" - sowie von der jüngsten Entwicklung, deren Natur bisher wohl niemandem klar ist, einmal absieht), für andere Aufgaben eingesetzt: für die Errichtung weiterer Staudämme (è) z. B., sowie nicht zuletzt auch für die Produktion von Lkws, den Bau oder Ausbau von Straßen usw.
80. An diesem Modell lassen sich nun eine ganze Reihe von Faktoren veranschaulichen, welche für die Einschätzung der Möglichkeiten einer Steigerung des Sozialprodukts mittels Einführung des zwangsweisen Rentensparens von Bedeutung sein könnten.
a. Zunächst einmal natürlich der Nutzen, den alle aus der Rationalisierung ziehen: die Lkws kosten (postulieren wir) in Anschaffung und Betrieb den Gegenwert von 4.900 Arbeitslöhnen der Dammbau-Kopfarbeiter (d. h. die mit den Körben auf den Köpfen). Nur 100 müssen wir – jetzt als Lkw-Fahrer - noch beschäftigen und entlohnen, also haben wir die Kosten halbiert: wir zahlen jetzt Löhne quasi für 5.000 Arbeiter statt vorher 10.000. Der Rest fließt in neue Investitionen, die Taschen des Dammbauunternehmers, aber natürlich verlangen und bekommen auch unsere Lkw-Fahrer eine höhere Vergütung, da ihre Tätigkeit nunmehr qualifizierter ist als früher die Erdkörbeschlepperei.
b. Die Chinesen schaffen indes nicht nur wie die Teufel, sondern sparen auch so[95]. Um Zinsen/Rendite zu bekommen, müssen sie ihr Geld anlegen. Die Banken eliminiere ich hier in Gedanken[96]. Unsere Modellchinesen müssen also selbst ihr Sparkapital zum Dammbauunternehmen schleppen und es dort als Kredit oder Kapitalbeteiligung unterbringen. Wie aber verwendet der Dammbauboss die plötzlichen Kapitalschwemme? Eins jedenfalls wäre sinnlos: mehr Lkws zu kaufen. Sicher könnte er den Damm mit 200 Lkws doppelt so schnell fertig stellen, aber da er nur 100 Fahrer hat[97], ständen, wenn er weitere 100 Lkws anschafft, diese rostend im subtropischen Monsunregen herum. Wenn lediglich 100 Humankapitaleinheiten zur Verfügung stehen, sind 100 Lkws das Investitionsoptimum. Abstrahierend gesagt: die Menge des Humankapitals limitiert (je nach technologischem Stand in unterschiedlichem Verhältnis) den sinnvollen Kapitaleinsatz. Überschreitet der relative Kapitaleinsatz das Optimum, spricht man von "Überinvestition", und wie eine solche konkret funktioniert, hat ausgerechnet die so genannte "Asienkrise" der Welt vorgeführt. Mehr Kapital einzusetzen, bringt in diesem Fall kein Mehr an Rendite. Die Gutachter wissen das natürlich auch: "Die Ertragsrate des Kapitals ist umso niedriger, je geringer die Zahl der Arbeitskräfte ist, die als Komplemente des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks für den Produktionsprozess zur Verfügung stehen" stellen sie in Ziff. 17 Abs. 2 fest[98]. Trotzdem sind sie zuversichtlich, dass "die Verbesserung der Kapitalausstattung der deutschen Arbeitsplätze ... die Produktion pro Arbeitsplatz vergrößern" wird (a. a. O.).
c. Wir vertrauen auf die Klugheit des chinesischen Dammbaumeisters und glauben, dass er 200 Lkws anschaffen wird – wenn er irgendwo noch 100 weitere Fahrer auftreiben kann. Wenn freilich die Lkws langlebig sind, und die Fahrer nach und nach ausgehen, weil immer mehr Chinesinnen die Pille schlucken, rosten irgendwann (vielleicht nach seiner Pensionierung) am Ende doch 100 Lkws im Regen (è). Und knabbern (è) nicht nur durch ihre kapitalbindendes Vorhandensein an der Rendite, sondern auch deshalb, weil sie (bis dahin seien parallel zum Wirtschaftswachstum auch in China die ökologischen Standards gestiegen) umweltgerecht und also mit hohen Kosten entsorgt werden müssen.
d. Ersetzt man dagegen die ursprünglich verwendeten 20-Tonner durch 40-Tonner, braucht man nur noch 50 Fahrer. Es wäre also schlau, doppelt so große Lkws zu verwenden. Doch was nützt das, wenn in den Wasserlöchern der Reifenspuren neben der Straße die geschützte Krötenart Bufo Bufo (è) sinensis[99] haust[100], oder wenn die ganze Straße schon aus der Tang-Zeit stammt und denkmalgeschützt ist? Und selbst wenn weder die eine noch die andere Fallgestaltung vorliegt, wäre ein Ausbau der Straße vielleicht zu teuer, weil sie z. B. meilenweit durch ein Granitgebirge verläuft.[101]
e. Zwar könnte Chef Lee Ka Wee alternativ auf den Gedanken kommen, einen weiteren Dammbau anzufangen, doch setzt die Natur auch hier dem Menschen Grenzen: irgendwann ist das ganze Land ver-dammt, und spätestens dann sind die Bautransportfahrzeuge überflüssig.
81. Wir sehen also bereits an diesem einfachen Beispiel, dass der Produktivitätssteigerung vielfältige Grenzen gesetzt sind. Und je weiter eine Wirtschaft entwickelt ist, desto mehr Hindernisse – objektive, aber auch viele gewissermaßen "ideologische" – stellen sich einer weiteren Rationalisierung in den Weg. Die Zeiten, wo man durch Kapitalinvestitionen menschliche Arbeit in riesigem Umfang einsparen konnte, indem man etwa die transsibirische Eisenbahn (è) baute, oder die legendären Bahnen durch den legendären "Wilden Westen" der USA, die sind, jedenfalls bei uns und in den anderen entwickelten Ländern, vorüber. Überträgt man das Denkmodell "blaue Ameise" analog auf unsere Verhältnisse, dann stimmt manches darin skeptisch gegenüber dem Optimismus der Gutachter, dass man nur kräftig Kapital reinklotzen müsse, um kräftig Produktion rauszubekommen. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass man die Realkapitalinvestitionen in unserer Wirtschaft auch gegenwärtig noch quasi beliebig steigern und gleichzeitig eine angemessene Rendite erwarten kann.
Setzt man ein "oder" an die Stelle vom
"und",
läuft dadurch die Wirtschaft noch lange nicht rund!
82. Auf jeden Fall brauchen wir bei dem derzeitigen und dem derzeit realistisch absehbaren Stand der Technologie Human- und Realkapital, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Das wissen natürlich auch die Gutachter[102] (speziell Prof. Sinn hat an anderer Stelle später sogar eine Förderung der Geburtenrate gefordert – vgl. unten den Abschnitt "Denken, wie die Webervögel Nester bauen?"). Trotzdem sprechen sie durchgängig davon, dass wir "Humankapital oder Realkapital bilden" müssen, um eine ausreichende Rente zu haben (Ziff. 44 Abs. 4), und dass man Rente nur beziehen kann, wenn man "entweder in Humankapital oder in Realkapital investiert hat" (Ziff. 84 Abs. 3) [Hervorhebungen jeweils von mir]. Mit dieser Feststellung wird nun endlich auch der Titel meiner Untersuchung voll verständlich. Dass und in welchem Umfang sich Human- durch Realkapital ersetzen lässt – nicht allgemein, wie wir das bei den blauen Ameisen gesehen haben, sondern durch die Einführung des KDV über das 'normale' Maß hinaus – das müssten die Gutachter erst einmal beweisen. Statt dessen injizieren sie u. a. durch eine unzutreffende Konjunktion das zu Beweisende subkutan (oder genauer: subkranial) als Behauptung einer scheinbaren Selbstverständlichkeit. Anders gesagt: wenn wir dem Gaul, welchen uns die Wissenschaftler als intertemporales Sparkapitaltransportvehikel andrehen wollen, tief ins Maul schauen, entpuppt sich das Gebiss der Mähre als Realitätsersatz.
83. Nicht nur die Konjunktionssubstitution als semantischer Taschenspieler-Trick dient zu diesem Zweck; auch die Unterschiede zwischen beiden Systemen bzw. die ökonomische Funktionsweise (die nicht mit der organisatorischen zu verwechseln ist) des Kapitaldeckungssystems wird völlig falsch dargestellt, wie ich oben im Kapitel "Rentensicherung mit dem Grabstock?" bereits gezeigt habe.
84. In seiner Analyse der wissenschaftlichen Qualität der Argumente der KDV-Befürworter ("Why Funding is not a Solution to the 'Social Security Crisis'[103] " (è) ) wundert sich Prof. Friedrich Breyer (Uni Konstanz und DIW) darüber, dass Marktwirtschaftler die Altersvorsorge obligatorisch machen wollen: „In this context it is particularly surprising that many of the proponents of a government-mandated increase in retirement savings are otherwise staunch advocates of the free market“. Offenbar sieht er die beiden Positionen als widersprüchlich an. Insoweit gibt es jedoch einen nachvollziehbaren und überzeugenden Grund, die Rentensicherung nicht der Weitsicht und Konsumverzichtsbereitschaft der Arbeitenden zu überlassen: das Moral-Hazard-Problem nämlich, dass wir nach unserem Gesellschaftsverständnis niemanden verhungern lassen können. Auch diejenigen, welche nach biblischer Vorgabe wie die Vögel auf den Feldern gelebt und die Sorge um ihre Zukunft anderen überlassen haben, könnten mit einem staatlichen 'Bailout' rechnen (mit welchem auf anderer Ebene und in anderer Weise speziell die US- Politik bei Bedarf gelegentlich die freilich weniger schutzbedürftigen Finanzmarktakteure beglückt[104]). Insoweit ist jedenfalls die Begründung in Ziff. 54 II des Gutachtens, die Alterssicherung nicht der freiwilligen Entscheidung zu überlassen, sondern sie als Pflichtsparen auszugestalten, durchaus überzeugend.[105]
Chor der KDV Rumpelstilzchen (è):
"Ach wie gut, dass niemand weiß,
dass unsere Prämisse Marktversagen heißt"
85. Ein sehr viel eindeutigerer, gravierender und geradezu erschreckender Widerspruch ist es jedoch, wenn die Strategielehrer der Marktwirtschaft dieser einen „forced growth“ aufzwingen wollen. Sicher: schon Übervater Adam (è), Smith nämlich, hatte einen „intertemporal bias“ und war in dieser Hinsicht staatlichen Eingriffen nicht abgeneigt[106]. Trotzdem impliziert der Glaube an die Möglichkeit einer zwangsweisen Steigerung der Investitionsquote durch staatliche Maßnahmen[107] denknotwendig die Annahme eines eklatanten Marktversagens im Hinblick auf das (Nicht-)Erreichen des Investitionsoptimums. Und das wirft natürlich die Frage auf, ob man nur oben Kapital reinstecken muss und unten (mehr Güter) rausbekommt, oder ob der Versuch einer Kapital-Stopfmast (è) zu einer Art Erbsünde (è) wird, welche dann weitere sündhafte Eingriffe ins Marktgeschehen erforderlich macht. Anders gesagt: auf der einen Seite verstehen die Gutachter den Markt als einen intelligenten Futterverwerter, der, wenn man ihn nur ausreichend mit Geld (Kapital) füttert, zu gegebener Zeit (mehr oder weniger) automatisch genügend an Rente (Güter/Dienstleistungen) ausspuckt. Andererseits wird implizit unterstellt, dass er ein stummer Golem (è) ist und nicht einmal in der Lage, durch entsprechende Signale an die Marktakteure diese zu veranlassen, die Investitionen soweit hoch zu fahren, dass das gesamtwirtschaftliche Optimum erreicht wird. Tja, Freunde, wat denn nu? Müssen wir am Ende etwa 'ne Plankommission einführen, um die Renten zu retten? Oder, wenn das Wort „Plan“ allzu sehr verbrannt ist, 'un peu de Planification'? [108] Oder wie sonst soll es der scheinbar oder anscheinend magersüchtig (è) gewordene Investitionsmarkt schaffen, dass das, was man ihm in den (von außen) aufgerissenen Schlund zwängt, in der Leber Fett ansetzt, und nicht etwa zur Herzembolie führt – oder gar unverdaut aus irgend einer derivatwirtschaftlichen Öffnung des Marktkörpers wieder herauskommt?
86. Es bleibt jedenfalls festzuhalten, dass sich die Prediger des Marktes in diesem Zusammenhang als Ungläubige erweisen. Ich dagegen glaube an den Markt; nicht gerade an "The Market as God" (è) (Harvey Cox - è), aber doch an den Markt als eine gute Gabe vom lieben Gott, an welcher man nicht dilettantische Frevler herumfummeln lassen sollte – selbst wenn sich die Frevler als Priester präsentieren.
87. Vielleicht haben einige der Gutachter das Märchen von der Humankapitalsubstitution als solches durchschaut, das Gutachten aber gleichwohl in der Hoffnung unterschrieben, dass gesteigerte Investitionen das nötige Humankapital quasi "ansaugen" werden (Einwanderung - è). Eine Rettung der Rentenkassen durch Einwanderung ist jedoch illusorisch (vgl. wiederum Prof. Sinn in "Das demographische Defizit – die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen" (è), ifo Schnelldienst 5/2003, S. 30 ff.).
88. Der Verfasser vorliegender Zeilen beobachtet indes nicht gänzlich ohne Mitgefühl oder doch jedenfalls Interesse[110], wie sich die Gutachter in ihrer argumentativen Zwickmühle winden. Denn einerseits müssen sie die Bedeutung der Kapitalanlage hervorheben, um die Umstellung auf das KDV zu rechtfertigen. Andererseits müssen sie den Umfang der Kapitalanlage herunterspielen, um ihren Lesern die Probleme einer enormen Investitionssteigerung im Inland nicht mit voller Schärfe bewusst zu machen.
89. Das Argument, dass durch die Einführung des KDV mehr Kapital gebildet wird, als renditebringend investiert werden kann, ist den Gutachtern natürlich geläufig. Unter dem Titel "Warum nicht zuviel gespart wird" (Ziff. 81 ff.) befassen sie sich mit diesem Problem und räumen ein, dass eine vollständige Umstellung auf das KDV mit gleichzeitiger Anlage der Gelder allein in Deutschland zu einer starken Senkung der Kapitalerträge führen würde (sofern die sonstige private Ersparnis dadurch nicht verdrängt wird). Allerdings gehen sie auch bei diesem Szenario von einer Steigerung des Sozialprodukts aus (Ziff. 81 Abs. 1). Sie weisen aber darauf hin, dass sie zum einen keinen vollständigen Übergang in die Kapitaldeckung und zum anderen auch nicht die alleinige Anlage der Mittel im Inland (Ziff. 81 Abs. 2) empfehlen.
90. Selbst wenn wir mal die Möglichkeit außen vor lassen, dass auch andere Schrumpfvölker den schlauen Trick der Humankapitalsubstitution für ihre eigene Rentensicherung entdecken, und, zwecks Risikostreuung, (zum Beispiel) genau so viel Kapital bei uns anlegen, wie wir bei denen, kommt durch das KDV ein hübsches Sümmchen zusammen. Für das Jahr 1989 geben die Sachverständigen eine Sparquote von 9% an; diese würde nach ihren Berechnungen durch die teilweise Umstellung der Rentenfinanzierung auf das KDV mit teilweiser Kapitalanlage in Deutschland auf 12 – 13% steigen (Ziff. 83 Abs. 1). Nun sollte man sich freilich klar machen, dass eine Steigerung des Investitionsvolumens von 9% auf 12% eine Steigerung um 33,3% bedeutet, und diese Zahl sieht doch schon ganz anders aus als lumpige 3%. Es kommt halt immer auf die Basis an, und die Basis für Investitionssteigerungen ist die derzeitige Investitionsquote. Folgt man der Auffassung der Sachverständigen, dass der Kapitalmarkt die zusätzlich generierte Ersparnis renditebringend absorbieren könnte und investitionssteigernd einsetzen würde, hätten wir derzeit eine gigantische Unterdeckung gegenüber dem Investitionsoptimum[111].
91. Da müsste man sich ganz unabhängig von der Rentenfinanzierung fragen, warum die Wirtschaftswissenschaft diese gewaltige Lücke nicht schon längst gesehen, entsprechende Berechnungen vorgelegt und Abhilfe vorgeschlagen hat. Ob das geschehen ist, kann ich mangels Literaturkenntnis nicht sagen. Das Gutachten führt insoweit keine Literatur auf und stellt auch keine eigenen Berechnungen an außer einem historischen Vergleich. Bereits in den frühen sechziger Jahren, so wird argumentiert, gab es in Deutschland die nunmehr wieder angestrebte höhere Sparquote von 12 – 13%:
"Wenn damals der
Kapitalmarkt nicht überschwemmt wurde, so ist diese Gefahr auch nicht für den
Fall einer Teilkapitaldeckung zu erwarten. Nicht eine Überschwemmung des Kapitalmarktes,
sondern eine Erhöhung der privaten Sparquote in die Richtung eines Niveaus, das
Deutschland ein stürmisches wirtschaftliches Wachstum, Vollbeschäftigung und
sozialen Frieden gebracht hat, ist die Konsequenz der vom Beirat empfohlenen
Reform." (Ziff. 83 Abs. 1 und 2)
92. Das sind Worte, welche das Herz wärmen, aber den Verstand nicht sättigen. Und zwar schon deshalb nicht, weil wir hier wieder einmal einen merkwürdigen Kontrast zu einer früheren Feststellung der Gutachter diagnostizieren müssen. In Ziff. 82 Abs. 3 wird die Sparquote für das Jahr 1960 mit 15% angegeben und dabei erläutert, dass dieses Jahr als "typisch für die Phase des Wiederaufbaus gelten kann". Nun sind gewiss 12 – 13% weniger als 15%, und die "frühen sechziger Jahre" sind nicht identisch mit dem Jahr 1960. Trotzdem liegt doch immerhin der Gedanke nahe, dass nicht nur im Jahr 1960 selbst, sondern auch noch in den weiteren sechziger Jahren das eine oder andere aufzubauen war, was 30 Jahre vorher in Schutt und Asche (è) gefallen war. Wenn die Sparquote in späteren Jahren mehr oder weniger kontinuierlich gesunken ist, kann man also nicht von vornherein die Möglichkeit außer Betracht lassen, dass es ein "stürmisches wirtschaftliches Wachstum" nach der Aufbauphase nicht mehr geben konnte, weil ein solches Wachstum eben nur für Aufbauphasen charakteristisch ist. Auch haben sich vielleicht die Prioritäten geändert: 'Blauer Himmel über der Ruhr' mag zunehmend wichtiger geworden sein als ungehemmtes Wachstum; die Natur, die bei diesem Wachstum nicht in die Rechnung eingegangen war, mag nunmehr real und im Bewusstsein der Wirtschaftssubjekte mehr und mehr ihre Rechnungen präsentiert haben.
93. Und dass wir Vollbeschäftigung ganz einfach durch Investitionssteigerungen herstellen könnten, halte ich auch für eher zweifelhaft. Der Markt hat immerhin versucht, lukrative Investitionen zu identifizieren. Das war der Neue Markt, und heute spricht man verkatert von einem "Neuer-Markt-Hype" oder von einer ökonomischen Blase. Vielleicht ist also die Sparquote und entsprechend die Investitionsquote einfach deshalb gesunken, weil die Realwirtschaft den Wirtschaftssubjekten keine für angemessen erachteten Renditen mehr anbieten konnte? Denn dass trotz gesunkener Sparquote genügend Kapital vorhanden ist, haben die Aktienkurssteigerungen am Neuen Markt (hier wie bei den entsprechenden Marktsegmenten weltweit, und im übrigen auch bei den Kursen traditioneller Unternehmen) m. E. bewiesen[112].
94. Bei
einer historischen Argumentation vom Typ "damals hat es doch funktioniert,
warum soll es nicht auch heute gehen?", verknüpft mit dem Metzger-Spruch
"Darf's ein bisschen mehr sein?" müssten uns eigentlich dicke Tränen
über die Backen kullern. Denn wie gut könnte es uns schon heute gehen, wenn wir
(und unsere Vorfahren) in der Vergangenheit nur ein klein wenig mehr gespart,
die Investitionsquote ein bisschen höher gehalten hätten! Kultivierte Menschen
freilich weinen nicht; die erschließen sich singend die tiefe Weisheit des
Volkes, welches ja schon immer gewusst hat: "Hätten wir lieber das Geld
[in der Wirtschaft] vergraben, das wir im Leben ver[schwendet] haben ... .[113]
95. Nicht seit gestern klagen indes die Einzelhändler über die Konsummüdigkeit der Deutschen. Wo nichts konsumiert wird, wird nichts verkauft, wo der Fabrikbesitzer nichts verkauft, verdient er nichts, und wenn er keine Hoffnung auf Verdienst hat, wird er nicht investieren. In der Volkswirtschaft geht es halt zu wie im Tierreich: hier ohne zahlreiche Herbivoren (è) keine wohlgenährten Karnivoren (è); dort ohne kaufkräftige Konsumenten für die Kapitalisten keine Renditen/Renten. Ausgerechnet den Konsum wollen die Gutachter nun noch weiter einschränken: Es soll "mehr gespart und weniger konsumiert" werden. "Eine Rentenreform, die es schafft, die gesamtwirtschaftliche Ersparnis zu erhöhen und den privaten Konsum zurückzudrängen, wird die Kapitalbildung verstärken." (Beide Ziff. 17 Abs. 1). Die Arbeitnehmer müssen [noch mehr] "dem augenblicklichen Konsumverlangen im Hinblick auf Bedürfnisse ...widerstehen" lernen. (Ziff. 54 Abs. 4). Schrecklich wäre es, wenn
"... der
Konsum der Beitragspflichtigen auf die Mehrbelastung durch das Pflichtsparen
nicht [reagieren würde]. In gesamtwirtschaftlicher Sicht [ließe] sich dann eine
Vorwegnahme der zukünftigen Lasten der Sozialversicherung nicht realisieren,
weil insgesamt nicht mehr Kapital als bei Gültigkeit des Umlageverfahrens
gebildet wird. Wegen des Fehlens einer zusätzlichen Kapitalbildung ist das
Sozialprodukt dann in der Zukunft nicht höher, und es gibt auch kein
zusätzliches Kapital, das man direkt verbrauchen könnte." (Ziff. 77).
96. Doch ist zum Glück "die Befürchtung einer fehlenden Konsumreaktion bzw. einer im vollen Umfang kompensierenden Sparreaktion ... unbegründet" (Ziff. 78). Die Leute geben also (noch) weniger aus. Denn auch "der für Konsumentenkredite gesteckte Rahmen [ist] zu klein, um einen Rückgang der privaten Konsumquote durch Verschulden verhindern zu können" (Ziff. 78 Abs. 3)[114]. Wie man es dreht und wendet: es "verringert sich ... das mittelfristig realisierte Konsumniveau", so dass einer "Vermehrung der gesamtwirtschaftlichen Kapitalbildung" (beide Ziff. 79 Abs. 1) durch das KDV nichts mehr im Wege steht – außer der Frage, wie man mit dem Anlagekapital Geld verdienen kann, wenn man das Herbivorenpotential dezimiert. Natürlich können wir exportieren (wenn die anderen uns die Mehrproduktion ab- und einen dauernden Importüberschuss hinnehmen). Und wir bzw. genauer gesagt unsere Medien freuen sich ja auch immer wie die Schneekönigsmerkantilisten, wenn wir wieder einmal anderen Staaten mehr verkauft als ihnen abgekauft haben. Exportüberschüsse sind freilich realwirtschaftlich gesehen verliehenes Kapital, zinsfrei, solange der Importeur oder die EZB die Greenbacks im Tresor horten, verzinst, wenn die EZB sie in Auslandsanleihen anlegt. Wenn die Fremdwährung abgewertet wird, sind sie insoweit sogar verschenktes Geld. Im jedem Falle fehlt dieses Geld im Inland zur eigenen Kapitalbildung.
97. Wer – außer vielleicht dem Ausland - kauft also unsere Mehrproduktion, die ja ausdrücklich durch Absenkung des Konsums erzielt werden soll? Ich jedenfalls will dazu meinen bescheidenen Beitrag mit einer Idee[115] leisten: Man sollte etwa im Jahre 2010 am Eingang des gläsernen VW-Werkes in Dresden Transparente aufhängen mit der Mahnung: 'Erfüllt den Rentenplan, kauft mehr Phaeton-(è)Automobile'! Denn Wolfgang Reitzle ja schon gesagt, dass Luxus Wohlstand schafft[116]. (Dass dieses Prinzip sich für die Ackersleute zu Zeiten von Renaissance, Barock und Rokoko nicht materialisiert hat, war halt Pech für die Schollenwender!)
98. Wenn das Kapital nicht rentabel angelegt werden kann, verzinst es sich nicht. Das ist die realwirtschaftliche Seite. Auf der 'Lehrbuchseite' sinkt die Kapitalrendite, wenn mehr Kapital angeboten wird. Daher sagen auch die Gutachter selbst: "Im Kapitaldeckungssystem führt die individuelle Sparleistung zu einem Mehrangebot auf den Kapitalmärkten, das sich auf dem Wege über Zinssenkungen in eine zusätzliche Kapitalbildung und wirtschaftliches Wachstum überträgt." (§ 27 Abs. 1; Hervorhebung von mir) Das hält sie aber nicht davon ab, z. B. "für die Jahre ab 1998 ... ein[en] konstante[n]r Realzins von 4 % und ein konstantes Wachstum des Lohnsatzes von 2 %" zu unterstellen (Legende zu Abb. 2 auf S. 21). Interessant ist hier zunächst einmal, dass der Realzins prozentual konstant doppelt so hoch sein soll wie ihr Lohnzuwachs: bei einer Wirtschaftsform, die solches möglich macht, muss doch so richtig Freude aufkommen – allerdings nicht bei den Lohnbeziehern. Auch wenn es auf den ersten Blick mit den Renten scheinbar nichts zu tun hat, kann es den Arbeitenden und den Rentnern nicht gleichgültig sein, dass die Realkapitalbesitzer ihren Anspruch auf die von der Gesellschaft produzierten Güter und Dienstleistungen zunehmend und quasi naturgesetzlich mehr steigern als die Humankapitalbesitzer die ihren. Da scheint mir doch ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler im System vorzuliegen, und vielleicht erklären sich dadurch unsere derzeit lächerlichen Nominallohnsteigerungen und unsere sinkenden Reallöhne? Im übrigen ist natürlich die Annahme eines Realzinssatz von 4% im Hinblick auf das schon seit längerem fehlende bzw. geringe Wirtschaftswachstum einerseits und die von den Sachverständigen selbst prognostizierte zinssenkende Wirkung des KDV andererseits schlicht ein Witz[117].
99. Die Zusammenhänge zwischen Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren und der Kapitalrendite haben Prof. Axel Börsch-Supan und seine Mitarbeiter im Mai 2002 in ihrer Arbeit "Pension reform, capital markets, and the rate of return" (è) untersucht[118]. Als Faktoren, welche die Verzinsung des gesparten Kapitals beeinträchtigen könnten, führen sie dort auf: "Labor supply will be relatively scarce, whereas capital will be relatively abundant. This will drive up wages relative to the rate of return to capital". "In addition, some fraction of the capital stock may become obsolete due to the shrinking labor force"[119]. "These mechanisms should eventually result in a declining rate of return to capital." (Alles in Abs. 3 der "Introduction") Nicht berücksichtigt hat er – weil es gegenwärtig ja auch noch nicht so zu Buche schlägt – die Kosten für die (umweltgerechte) Beseitigung von überflüssigem Realkapital und die zu erwartenden steigenden Kosten für die Rohstoffbeschaffung und überhaupt die verstärkte Einbeziehung von Umweltkosten, die bisher in den volks- und betriebswirtschaftlichen Bilanzen nicht erscheinen, uns aber zweifellos schon bald in gewaltigem Umfang präsentiert werden. Ein weiterer Umstand, welcher die Renditen mindern wird, ist das Kapitalangebot, das durch die Auflösung der KDV-Ersparnisse entstehen wird: "An alternative[120] interpretation is that once the baby-boom generations retire around the year 2030, they start consuming out of their retirement savings; this will result in capital market outflows, and via declining prices for financial assets the rate of return will decrease". Unabhängig von der Frage, wie verlässlich überhaupt derartige Berechnungen sein können, kommt er zu dem Schluss, dass die Kapitalrendite um bis zu 0,9 Prozentpunkte sinken könnte (S. 20 a. a. O.). Wenn man also z. B. als Ausgangsbasis eine Rendite von 3% hat, könnte diese durch die Einführung des KDV auf gut 2% sinken – das sind schon keine Peanuts mehr. Addiert man dazu noch die von ihm (und den Gutachtern) nicht identifizierten (insbesondere: Umwelt-)risiken, wird die Möglichkeit einer Wohlstandsmehrung durch das KDV äußerst fragwürdig.
100. Wir lesen ständig, nicht zuletzt auch von Wirtschaftswissenschaftlern[121], dass Deutschland zu wenig Geld ausgibt für die Bildung. Woher soll das Geld auch kommen, wenn die Realkapitalbesitzer sich nach Kräften um ihre Steuerpflichten drücken und die Arbeitnehmer weitgehend die Gerupften sind? Da bleibt den Familien (è) nicht mehr genügend Geld für die (Aus-)Bildung ihrer Kinder, und der Staat hat es auch nicht. Besonders hat er es dann nicht mehr, wenn er den Rentenaspiranten helfen soll, Kapitalvorräte anzulegen wie die Eichhörnchen (è).
101. Allerdings muss man gerecht sein und zugeben, dass der Markt auch für dieses Problem, zumindest soweit es um die Ausbildung geht, bereits eine Lösung parat hat. Der Kapitalist lässt die lernwillige Jugend keineswegs im Regen stehen. Er gründet einen Investmentfonds, und der kreditiert den Studenten die Ausbildungskosten[122]. Hinterher kassiert er sie mit Zinsen zurück, schließlich will der Kapitalist ja nicht seinerseits im Regen stehen, ein warmer Regen natürlich ausgenommen. Das Kapital lässt die Leute für sich schaffen, und damit sie die für's produktive Schaffen notwendigen Qualifikationen erwerben können, macht es die Menschen schon vor der Schaffensphase tributpflichtig. Echt genial, das Kapital! Jetzt muss man nur noch den Eltern die Darlehensaufnahme zum Zwecke der Kinderaufzucht (è) schmackhaft machen – können sie ja später als Rentner mit Zinsen zurück zahlen -, dann haben wir endlich auch die Humankapitalproduktion in allen Phasen voll ins Marktsystem integriert! Gell du alter Adam (Smith), das hättest du dir nicht träumen lassen?
102. Was hört man sonst noch aus der Branche? Richtig: wir sollen auf Dienstleistungsgesellschaft machen. Weil Industrie ja mega-out ist. Rentendeckungskapital in Einkaufwagen investieren? Zugegeben gibt es auch Dienstleister, die ein wenig mehr an Kapital benötigen: Steuerberater z. B. brauchen Computer. Groß reinbuttern kann man aber auch da nicht; Anteile kaufen erst recht nicht. Und Friedrich Merz [(è) und (è)] räumt mit diesem Gewerbe ja sowieso auf. Welchen Dienstleistern sollen wir also unser Rentenkapital andienen? Doch mag es ja sein, dass das Sonnenbankgewerbe und die Leichentiefkühlkonservierungsindustrie[123] noch Wachstumspotential haben. Andererseits sind derartige energieverzehrende Dienste vielleicht nicht sonderlich zukunftsträchtig.
103. Würde mich allerdings nun doch interessieren, ob unter denjenigen, welche uns mehr Dienstleistungen als ökonomisches Arkanum (è) empfehlen, auch einige Gutachter sind. Sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung eventueller Kontradiktoren führen, bitte an den Verfasser vorliegender Zeilen.
104. Im übrigen könnte, um auf die tiefgefrorene Nicht-Bestattung zurück zu kommen, der Umstand, dass man Geld hinterlassen kann, um sich ganz cool durch die Jahrhunderte zu konservieren, kritische Fragen zu unserem Verständnis von Eigentum, oder zumindest zu bestimmten Konsequenzen daraus, aufwerfen. Rein theoretisch wäre immerhin eine Entwicklung dahingehend vorstellbar, dass am Ende alle Lebenden den Leichen dienen. Man fühlt sich, wenn man das gedanklich ausspinnt, irgendwie an die Vormoderne erinnert, wo in einigen Gegenden Europas ein großer Teil des Landes im Besitz der "Toten Hand" war. Das hatte zwar eine andere Bedeutung, war indes für die Lebenden auch nicht erfreulich. Und von den Nicht-mehr-Lebenden zu den Immer-noch-Lebenden Rentnern ist der Schritt dann nicht mehr so groß, dass man – bei entsprechender Interessenlage – nicht auch deren Legitimation auf eine Kapitalrentenanspruch anzweifeln könnte. Dies insbesondere in fremden, und jungen, Gesellschaften, welche ihre eigenen Interessen haben, und vielleicht auch nicht die besten historischen Erfahrungen mit uns gemacht, haben, deren Politiker nicht von uns gewählt werden und deren Interesse an einer Aufzucht des eigenen Nachwuchses deutlich größer sein dürfte als am Konsumniveau unserer Alten – Kapital hin, Eigentumsrecht her.
105. Und als Generalbass dudelt die ständige Steuer-Leier im Hintergrund: Steuern senken, Staatsausgaben senken, Sparen (Anlegerschutz jedoch auf Staatskosten ausbauen). Spitzensteuer senken insbesondere: von wegen Leistung muss lohnen. Nichts dagegen; komisch nur, dass ausgerechnet in unserer so genannten Wirtschaftskrise der Luxuswagenabsatz nicht gekriselt hat. Da kamen immer neue Kreationen auf den Markt, und auch wenn die Absatzzahlen des Phaeton sich weniger zur Sonne erheben, als vielmehr in die Gegenrichtung trudeln: das Marktsegment insgesamt brummt. Die Massenkaufkraft stützt die Spitzensteuersenkung nicht. Und wenn die treuen Staatsdiener, welche schon 1914 passim Gold für Eisen hingegeben haben, im Jahre 2004 dann ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die Spitzenverdiener opfern sollen, steigert das die Massenkaufkraft auch nicht.
106. Statt der Steuern könnte man natürlich auch die Staatsschulden senken. Da freilich sei das Renditeinteresse der Kapitalbesitzer vor: wo sonst kassiert man so risikolos solche schönen Zinsen? Wenn diese Weide vertrocknet, müsste man das Kapital am Ende gar in die Wirtschaft stecken? Das geht schon deshalb nicht, weil dann kein Wirtschaftswissenschaftler den Arbeitnehmern mehr erzählen könnte, wie sie doch Verzicht üben müssen, damit Geld da ist, für Investitionen: dann wäre es nämlich plötzlich da.
107. Immerhin verhalten sich Hund (è) und Katze nicht immer wie Hund und Katze. Den Gewerkschaften fällt bei ihren Lobby-Aktionen im politischen Bereich nichts Besseres ein, als einen Schluck aus der Kreditpulle zu fordern: wegen Wachstum und so. Freuen werden sich einsichtige Kapitalbesitzer, dass die Gewerkschaften (und die Links-Politiker) auf diesem Gebiet als objektive Verbündete wohl verstandener Kapitalinteressen agieren. Da ist im Ergebnis unser Spar-Eichelhörnchen weitaus sozialer. Aber das werden die roten Sozis und die schwarzen Herz-Jesu-Sozialisten bis zu ihrem (mehr oder weniger) seligen Ende nicht kapieren: dass eine hohe Staatsverschuldung (è) hochgradig unsozial ist[124]. Wie die kulleräugigen Kühe (è) fressen sie das Gras ab, während sich die Metzgermesser schon auf saftiges Fleisch freuen ... .
Die Kapitalstopfmastrente: ein patée de foie oder eine
pate du foi?
108. Die Zeitschrift "Wertpapier" Nr. 25/2002 vom 05.12.2002 enthält ein Interview mit Prof. Sinn. Darin äußert er sich zur "deflatorischen Nachfragelücke" in Japan und stellt in diesem Zusammenhang fest, dass auch in Deutschland "mehr gespart als investiert wird. In Deutschland liegt dieser Sparüberhang bei etwa 5 Prozent und in Japan bei 8 Prozent". Bei dieser Sachlage kann man sich nur wundern, wieso die Gutachter mit Prof. Sinn an der Spitze eine Senkung des Konsums und eine Steigerung der Sparquote fordern. Gewiss, das Gutachten datiert aus 1998, aber auch schon damals hat es offenbar einen Kapitalüberfluss gegeben. Jedenfalls äußerte sich der seinerzeitige Aufsichtsratsvorsitzende (und frühere Vorstandsvorsitzende) der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, in einem Gespräch mit dem Handelsblatt dahingehend, dass "das deutsche Kreditgewerbe .. zuviel Geld – genauer gesagt: zuviel Eigenkapital" habe (HB v. 14./15.3.98 u. d. T. "Kreditgeber werden zu Zwischenhändlern")[126].
109. Nicht überraschend ist die Tatsache, dass die deutschen Banken zeitweise im Kreditgeschäft nichts mehr verdient und ihre Gewinne nur noch aus "Handelsgeschäften", mehr oder weniger also aus Spekulationen, gezogen haben. Mag sein, dass derzeit auch die Zinsmarge sich wieder verbessert, aber aride Zonen, welche einer Bewässerung (è) mit Kapital bedürften, kann ich in der deutschen Wirtschaft wirklich nicht ausmachen. Wo (im Osten) und wenn (am Neuen Markt) kräftig gegossen wurde, ist nicht viel Bleibendes rausgekommen. Mehr Geld brauchen wir vielleicht für Forschung und Bildung, denn "Deutschland gibt viel zu wenig Geld für Forschung, Entwicklung und Zukunftstechnologien aus – im Gegensatz zu Japan und Amerika" hören wir von Roland Berger ("Stoppt den Exodus der Kreativen", Handelsblatt vom 11.07.2002) und ebenso von Lothar Späth ("Es fehlt jede Perspektive", Handelsblatt vom 26.03.03). Recht haben beide, aber die Staatsknete, welche jetzt aufgrund der "wissenschaftlichen" Politikberatung als Zuschuss in der "Riester-Rente" verfeuert wird, fehlt natürlich auch auf diesem Sektor. Zusätzlich sollen auch noch die Steuern gesenkt werden, meint Professor Sinn, "weil der Staat sonst nie lernt, vernünftig mit dem Geld umzugehen" ("Darum müssen die Steuern sinken", Bild-Zeitung vom 02.12.03). Recht hat er, wenn er meint, dass der Wohlfahrtsstaat [im bisherigen Umfang] nicht mehr finanzierbar ist. Allerdings sind auch andere Ausgaben des Staates reine Verschwendung: wertlose Konjunkturprognosen, z. B. Und schein-wissenschaftliche Politikberatung.
110. Was an der gegenwärtigen Wirtschafts'krise' etwas verwundert, ist die Parallelität zwischen dem Anstieg der Arbeitslosigkeit einerseits und der steigenden Nachfrage nach Luxusgütern (è) andererseits. Ich gönne jedem, der ihn durch Leistung verdient hat, seinen Rolls Royce. Merkwürdig ist es aber schon, dass die Maybachs, Bugattis usw. florieren, wenn 'die Wirtschaft' doch scheinbar am Boden liegt. Jedenfalls hat man nichts davon gehört, dass Ferdinand Piech schlaflose Nächte wegen der Finanzierung seines Sonnenwagens (è) gehabt hätte, oder dass Wendelin Wiedeking Bittgänge zu den Banken hätte machen müssen, um dem Automobilmarkt Pfeffer (è) zu geben. An Kapital hat's da nicht gemangelt (an Käufern fehlt es, jedenfalls bezogen auf das Segment insgesamt, offenbar auch nicht).
111. Nachtrag vom 09.04.06:
Unter der Überschrift "Das Dagobert-Syndrom der Unternehmen" berichtet Udo Rettberg im Handelsblatt vom 05.04.06 über Berechnungen von Jeff Currie, Leiter des Commodities Research bei Goldman Sachs. Danach "sitzen die internationalen Ölkonzerne auf Barreserven in Höhe von weit mehr als 500 Mrd. US-Dollar. Die wirkliche Dimension dieses Dagobert-Syndroms der Ölbranche wird erst dann so recht deutlich, wenn man weiß, dass diese Summe gut 20 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts entspricht." Rettberg (bzw. wohl auch Currie) wertet das als ein bedenkliches Zeichen für die künftige Energieversorgung, weil er davon ausgeht, dass die Unternehmen das Geld mangels förderungswürdiger Vorkommen nicht investieren. Das ist sicher richtig; darüber hinaus zeigt es aber auch ganz generell, dass wir keinen Kapitalmangel, sondern einen Kapitalüberfluss im System haben. Denn wenn es andere attraktive Investitionsmöglichkeiten gäbe, würden die Unternehmen ihr Kapital schließlich dort anlegen. Offenbar (das ist jetzt meine Vermutung, nicht eine Information aus dem Artikel) legen sie es aber auf dem Kapitalmarkt an, wo es zwar teilweise auch in Sachanlagen investiert werden mag, zu einem großen Teil sicherlich aber auch in den Spekulationsmarkt und in unproduktive Anleihen abdriftet.
112. Nachtrag 23.05.2008
Wo das Kapital (natürlich nicht nur, aber eben auch!) hinwandert, kann man derzeit angesichts der Nahrungsmittelkrise in den Entwicklungsländern überall lesen: in Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln nämlich. Vgl. dazu z. B. die Artikel „Das große Geld und der Hunger“ von Heide Buchter, „Die Zeit“ vom 01.05.08 oder „Spekulation. Tödliche Gier“ von Beat Balzli und Frank Hornig“, Spiegel vom 21.04.2008. Und natürlich wird auch fleißig Agrarland aufgekauft; vgl. beispielhaft die Berichte »Ein Boom im Kornfeld« von Christine Lagorio in der Financial Times Deutschland (hier auf einer fremden Webseite, da bei der FTD kostenpflichtig) vom 14.08.2007 und „Farmland prices rise faster than some Manhattan and London apartments“ von Jeff Wilson von der Nachrichtenagentur Bloomberg News vom 20.02.2007 (hier auf der Webseite der International Herald Tribune). Produktivitätssteigernde Investitionen sind das ganz gewiss nicht; für die Investoren vermutlich lukrativ, kurz- bis mittelfristig jedenfalls. Langfristig kann aber auch für die nicht gut sein, was für die Gesellschaft insgesamt wohl eher schlecht ist.
113. Das KDV schafft nicht ständig neues Kapital[127]. Allenfalls für die Dauer einer "Generation" könnte es zusätzliches Investitionskapital generieren – und das auch nur theoretisch. Wenn die ersten KDV-Sparer Rente beziehen, zahlen die Jungen zwar weiterhin für ihre Rente ein. Buchungstechnisch kann man auch sagen, dass dieses Geld weiterhin investiert wird. Gleichzeitig werden aber die Erträge aus den früheren Ersparnissen der jetzigen Rentner für deren Konsum verwendet. Lässt man einmal die unterschiedliche Zahl der Einzahler bzw. Rentner außer Betracht, stellt man fest, dass es ab demjenigen Zeitpunkt, wo die Einzahlungen nicht mehr größer sind als die Auszahlungen, jedenfalls auf der volkswirtschaftlichen Modellebene völlig gleichgültig ist, ob man von einem Umlageverfahren oder von einem Kapitaldeckungsverfahren spricht: so oder so gehen per Saldo die Beitragszahlungen der Jungen für den Konsum der Alten drauf; es gibt keinen Einzahlungsüberschuss mehr, der investiert werden könnte.
114. Wenn
aber Wirtschaftssysteme, die ihre Renten im Wege des Kapitaldeckungsverfahrens
finanzieren, tatsächlich vorübergehend eine höhere Investitionsquote haben als
Wirtschaftssysteme, bei denen die Renten im Umlageverfahren finanziert werden,
müsste sich durch einen Vergleich empirisch nachweisen lassen
1. dass die Investitionsquote höher
ist und
2. dass der Unterschied tatsächlich durch das KDV bedingt ist und nicht andere Ursachen hat.
Da die Gutachter hierzu nichts
sagen, gehe ich davon aus, dass ein entsprechender Nachweis nicht geführt
werden kann. Ebenso sehe ich keine Anhaltspunkte dafür, dass das UV der Grund
für eine evtl. vorhandene Investitionsschwäche in Deutschland wäre. Der Neue
Markt hat ja gezeigt, dass Geld genug da ist. Wenn es nicht in der Wirtschaft
investiert wird, dann einfach wegen unzureichender Renditeaussichten bzw., um
auch insoweit handlungsrelevant zu formulieren: weil die Renditeaussichten
anderswo (z. B. bei Staatsanleihen) besser sind. Es ist eben alles relativ, und
wenn man das in Rechnung stellt, könnte man die Renditeaussichten in der Wirtschaft
auch dadurch verbessern (und die Investitionen steigern), dass man andere
Kapitalschwämme trocken legt.
115. Ich
fürchte, dass die einäugigen (è)
Humankapitalsubstitutionsadepten (è)
die von ihnen angerichtete 'pate du foi' recht wenig nahrhaft finden werden,
wenn sie am Ende ihrer Tage davon zehren wollen! Sehr deutlich erinnert mich
die Vorstellung, man könne die Rentenbeitragspfennige quasi als investive Levée
en Masse in die Produktionsschlacht werfen, an das, was man als 'stalinistische
'Tonnageideologie' bezeichnet hat: möglichst viel Stahl (bzw. hier: Kapital) verbrauchen,
dann wird die Gesellschaft reich! Man kann deshalb das Kapitaldeckungsverfahren
(bzw. die jedenfalls im Gutachten dahinter stehenden Vorstellungen) durchaus
zutreffend als 'funktionelles Äquivalent der stalinistischen Tonnageideologie'
charakterisieren. Den 'Großen Sprung nach vorn' werden wir mit dem KDV wohl
eher nicht machen.
116. 'Wozu
brauchen wir Kraftwerke? Der Strom kommt aus der Steckdose!' lautete einmal ein
ironischer Slogan der Kraftwerksbetreiber. Auch Güter und Dienstleistungen
kommen nicht aus der Kapital(rein)steckdose, sondern werden – noch[128] -
von Menschen (unstreitig mit wesentlicher Hilfe von investiertem Kapital)
hergestellt. Mit ziemlicher Sicherheit wird sich deshalb die Idee, durch die
Einführung des KDV das Human- durch Realkapital zu ersetzen und auf diesem Wege
eine ökonomischen Akzeleration zu erzeugen, als ökonomische Elevation erweisen.
117. "L'amor è ciecco, ma vede da
lontano", sagt ein italienisches Sprichwort. Beim Kapital ist es
genau umgekehrt: es ist scharf-, aber kurzsichtig. Als konkretes Beispiel haben
wir die Neuen Bundesländer direkt vor unseren Augen. Dort hat man den
Realkapitalbesitzern öffentliche Gelder mit dem Füllhorn in den ... geschoben,
und was haben die damit gemacht? In (zu) vielen Fällen haben die Investoren
Einkaufszentren gebaut, weil sie sich davon einen kurzfristigen Return on
Investment, eine 'schnelle Mark' also, erhofften. Ein selbsttragender Aufschwung
kann auf diese Weise natürlich nicht begründet werden. Ich will hier nicht den
'Aufbau Ost' diskutieren. Lediglich davon, dass Investoren großenteils sehr
kurzfristig orientiert sind (und somit genügend Konsumnachfrage vorhanden sein
muss, um aus ihrer Sicht ein Investment lohnend erscheinen zu lassen) und dass
man nicht immer gute Butter herausbekommt, wenn man nur genügend Kapital
reinbuttert (è),
sollten uns die ökonomischen Probleme der Neuen Bundesländer Zeugnis ablegen.
118. Es ist ohnehin eine romantisch-naive Vorstellung, dass sämtliche Teile unserer Wirtschaft vom glühenden Eifer beseelt sind, ihre Kunden mit Neuerungen oder gar Verbesserungen zu beglücken. Nicht wenige Unternehmen leben sehr gut davon, dass sie ihren Kunden ein Krokodil auf's Hemd nähen oder 'nen Puma auf die Schuhe kleben[129]. In dieser Branche wäre es schon eine revolutionäre Innovation, wenn man – zum Beispiel – einen lesenden Hund auf die Hosenhintern sticken würde. So wird vieles, was die Firmen vom Renten-Spargeld in die Finger kriegen, nicht das Sozialprodukt mehren, sondern höchstens die Werbeetats aufblähen. Der Kampf um den Kunden wird dann u. a. auch deshalb härter, weil das KDV das Konsumpotential des Verbrauchers einschränkt. D. h. die Markenindustrie muss mehr Werbegelder für ihr Marketing ausgeben[130], um an die kleiner gewordene Schnittchen auf dem Büffet heranzukommen[131]. Auch dieser Zusammenhang verbessert nicht gerade die Aussichten für eine durchgängige Produktivitätssteigerung dank KDV.
Die Rente zahlen die anderen – vielleicht!
119. Eigentlich leben wir ja nicht schlecht dabei, wenn die anderen uns die Hemden für 'ne Hand voll Reis nähen. Das ist zwar nicht im moralischen Sinne "gut". Ich glaube auch nicht, dass dieses System dauerhaft Bestand haben kann, weil es vermutlich auf längere Sicht nicht einmal in unserem eigenen Interesse liegt. Wir werden nämlich angesichts der grenzenlosen Umweltprobleme die anderen als Partner benötigen, und das lässt sich wohl allenfalls dann realisieren, wenn diese anderen auch wirtschaftlich mit uns auf etwa gleicher Augenhöhe sind.
120. Jedenfalls ist mit den Billigimporten Schluss, wenn die entsprechenden Länder ihre eigenen fortgeschrittenen Industrien aufgebaut haben. Dann wollen die uns verkaufen, was wir auch bei denen abzusetzen versuchen: Autos z. B., oder gar Flugzeuge (è). Die Hemden können wir uns dann (wieder) selber nähen. Und als Konsumenten die unserem Lohnniveau entsprechenden Preise dafür bezahlen. Als Rentner hätten wir dann möglicher Weise am Ende gar nichts gewonnen, wenn wir mit den Gewinnen aus unseren Auslandsinvestitionen die Konsumgüter erheblich teurer bezahlen müssten als derzeit viele (z. B. Bekleidungs- und Textil-)Importe. Insofern könnte sich Entwicklungshilfe mit Rentengeldern als ein zur Rentensicherung durchaus untaugliches Mittel erweisen.
121. Moralisch könnte der Kapitalexport sogar im Hinblick auf die Verpflichtung gegenüber unseren eigenen Nachkommen fragwürdig sein. Dies nämlich dann, wenn die Anlage im Inland wirklich so prima produktivitätssteigernd funktioniert, wie die Gutachter glauben. Da würden wir ja unseren eigenen Kindern, einen Teil des möglichen Produktivitätsgewinns vorenthalten, indem wir unser Kapital ins Ausland schaffen?
122. Den
Kapitalexport zum Zwecke der Rentensicherung könnte man auch als 'Export
unserer Altenlasten' beschreiben. Zwar glaube ich nicht, dass dadurch die
Schwellen- und Entwicklungsländer, und insbesondere die dortigen
Humankapitalsparer, ausgebeutet würden. Das ist ja kein Nullsummenspiel, von
dem nur die eine Seite profitiert[133].
Selbst wenn man die Kapitalrenditen abzieht, deren Zahlung wir erwarten, dürfte
für die Steigerung des Lebensstandards der Empfängerländer noch genug übrig
bleiben. Auch für das Sparen in diesen Ländern, damit die dortige Bevölkerung
uns später unsere Investitionen abkaufen kann. Denn das Finanzierungskonzept
sieht ja ausdrücklich vor, dass die Renten später auch aus dem Verkauf des
angesparten Kapitals bezahlt werden sollen. Hoffen können wir nur, dass die
Empfängerländer unsere Sicht der Dinge teilen. Überalterte Länder sind
machtlose Länder; wir wollen ja von der bösen (Militär-)Macht ohnehin möglichst
wenig haben (und noch weniger dafür bezahlen). Ob man uns dann auf Dauer
freiwillig geben wird, was wir zwar rechtlich – nach unserem Verständnis
zumindest - beanspruchen, aber im Ernstfalle nicht mehr durchsetzen könnten,
das wird man zumindest bezweifeln dürfen.
123. In gewisser Hinsicht messen ja auch wir die Rechte von Kapitalgebern mit zweierlei Maßstab. Wenn es um Infrastrukturprojekte geht, die in so genannter "Public-Private-Partnership" errichtet werden, wollen wir die so errichteten Bauwerke keineswegs für alle Ewigkeit den Kapitalgebern überlassen. Die dürfen eine Zeit lang Maut kassieren, oder Leasinggebühren vom Staat, und irgendwann soll alles an den Staat fallen. Der Kanaltunnel hat nur eine befristete Lizenz; der Suez- und der Panamakanal sind an die jeweiligen Länder zurückgegeben (oder von diesen gegen den Willen der Eigentümer übernommen) worden. Und bei dem (aus Verkäufersicht) wohl genialsten Geschäft des Jahrhunderts hat Deutschland (wie entsprechend Großbritannien) den UMTS-Bietern auf 20 Jahre befristet ein wenig Lufthoheit verkauft. Gut möglich, dass die aufstrebenden Länder unsere Investitionen in gleicher Weise verstehen. Aus unserer Sicht wäre das zwar ein Missverständnis. Aber das haben die Indianer in den USA ja auch immer gedacht, wenn die Regierung die geschlossenen Verträge anders interpretiert hat als sie. Hat ihnen aber nix genützt: die Winchester war halt eine unschlagbare Interpretationshilfe bei der Auslegung von Vertragstexten. Und von diesen Interpretationshilfen hatten sie eben weniger als ihre Vertragspartner. Das wird auch im Jahre 2050 kaum sehr viel anderes sein (außer dass dann für die Durchsetzung dessen, was wir für Recht halten, ein paar Winchester-Büchsen nicht mehr ausreichen).
124. In
historischen Analogien betrachtet könnte man sich ohnehin bei der Vorstellung –
und derzeitigen Realität -, dass man einmal Kapital sparen muss und dass dann
Kinder und Kindeskinder (vermeintlich: 'davon') zehren dürfen, doch irgendwie
an die im vormodernen Europa häufige Praxis erinnert fühlen, dass fromme
Gläubige einem Kloster oder einer Kirche einmalig Geld oder – meist – Land
stifteten, unter der Bedingung und mit der Erwartung, dass die empfangende Institution
dafür in alle Ewigkeit Messen für ihr Seelenheil lesen könne und werde.
125. Wie misst man überhaupt den weltweiten Kapitalbedarf? Zunächst erscheint das einfach: man ermittelt die Kapitalausstattung der Welt einerseits und die Pro-Kopf-Realkapitalausstattung des insoweit führenden Landes andererseits. Dann multipliziert man die Bevölkerungszahl der Welt mit dem per-capita-Kapital des kapitalreichsten Landes und subtrahiert davon die tatsächliche Kapitalausstattung der Welt. Was dann herauskommt, kann man Kapitalbedarf nennen. In Wirklichkeit ist es jedoch nicht mehr und nicht weniger als das, was man berechnet hat: eben eine rein rechnerische Differenz. Diese sagt gar nichts darüber aus, wie viel Kapital ein Land "braucht" –wenn man für ein einzelnes Land denn tatsächlich einen Kapitalbedarf objektiv festlegen könnte. Zum einen verdienen die Länder ihr Geld auf unterschiedliche Weise: die einen zum großen Teil mit ihrer kapitalintensiven Automobilindustrie (Dtld. z. B.), die anderen (Großbritannien etwa) mehr mit Bankgeschäften. Am wenigsten Realkapital brauchen die Parasitenstaaten[134] und –territorien[135]. Die können sich auf die Verwaltung des Kapitals beschränken, welches aus den Wirtsstaaten durch ihre Tresore hindurch und wieder in die Arbeitsstaaten zurück fließt. Zum anderen nützt es nichts, Betriebe etwa in Ländern aufzubauen, wo die Arbeitnehmer die Maschinen nicht bedienen können (oder mögen).
126. Denn
was wir eigentlich wissen wollen (bzw. uns jedenfalls fragen müssten, bevor wir
die Idee einer – teilweisen - Rentenfinanzierung durch das Ausland
propagieren), ist nicht die Höhe eines abstrakten Kapitalbedarfs, sondern die
Höhe der tatsächlichen Kapitalaufnahmefähigkeit eines Landes, der Kapitalabsorptionsfähigkeit[136].
Der abstrakt definierte Kapitalbedarf in Zimbabwe ist sicherlich enorm: aber
das wir angemessene Zinsen bekommen würden, wenn wir unser Geld dort anlegen,
das glaubt wohl niemand. Insgesamt wird man bezweifeln dürfen, ob unter Berücksichtigung
der realistischen Investitionsmöglichkeiten tatsächlich ein weltweiter
Kapitalmangel besteht. Die Indizien (etwa die durch Überinvestitionen
verursachte Asienkrise sowie insbesondere die stetige Ausweitung des Devisen-
und Derivatehandels) (è)
sprechen m. E. für einen faktischen Kapitalüberfluss.
Ex Oriente Rente?
127. Auch
China[137]
hat einen riesigen Kapitalbedarf, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung mit
der unseren vergleicht: aber ebenso eine enorme Kapitalbildung, die für
diejenigen Investitionen, welche im Zeitablauf realisiert werden können, völlig
ausreichend sein dürfte. Ohnehin wollen die Chinesen weniger Kapital, als
vielmehr Technologie von uns. Darauf ist eindeutig die Politik gerichtet,
Ausländer möglichst nicht eigene Betriebe bauen zu lassen, sondern sie in Joint
Ventures einzubinden. Da hat schon so mancher Investor einen unfreiwilligen
Technologie-Transfer geleistet. "Abkupfern" können die Chinesen, hart
arbeiten auch. Am Ende können sie auch selber was erfinden – Japan hat den Weg
vorgemacht. Und wir werden nicht mehr gebraucht. Schon gar nicht zum
Renditekassieren. Auch bei uns ist man bezüglich ausländischer Investitionen ja
gelegentlich recht heikel. Sogar die stammesverwandten Österreicher haben
Gerhard Schröders Salz-Gitter erfolglos bestürmt. Dass die Langnasen in China
beliebter sind als die Österreicher in Deutschland, ist eher unwahrscheinlich.
Da kann man schon verstehen, dass sie uns nicht die Kapital-Kontrolle über ihre
Wirtschaft überlassen wollen. Und selbst dass sie uns dasjenige auf Dauer
lassen, was wir bislang dort untergebracht haben, halte ich keineswegs für
ausgemacht.
128. Doch wird es nicht China sein, welches zuerst die Schotten gegen den Kapitalabfluss dicht macht. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass sich zuerst das US-Schuldenbermuda[138] - in nicht allzu langer Zukunft – als schwarzes Loch für das immigrierte Kapital erweisen und die Falle zuschnappen lassen wird[139]. Nur Traumtänzer in Elfenbeintürmen können glauben, dass die Amerikaner unsere Alten finanzieren werden – Eigentumsrechte hin oder her. Der Markt wird es richten (Dollarabwertung, Terms of Trade), und falls und insoweit wie dieser sich den US-Interessen versagt, wird der Gesetzgeber nachhelfen[140]. [141]
129. Gegenwärtig dämmert das amerikanische Humankapital noch halbwegs glücklich unter einem ökonomischen Veil of Ignorance dahin. Dies trotz anscheinend zahlreicher und brillanter Initiativen (Webseiten z. B.), welche den Interessenschleier ein wenig zu lupfen versuchen. Auch hier sind die USA ganz weit vorn, doch schlagen solche Funken erst im Zunder Feuer. Zunder wird die Umwelt geben; als erstes vermutlich die Verknappung der Treibstoffressourcen[142]. Wenn insoweit Schluss ist mit dem fröhlichen "Free Lunch", mit deren (wie auch unserem) (scheinbar) kostenlosen Déjeuner sur l'herbe (è) dann wird es dort richtig Feuer geben. Und unsere Rentenbeiträge, welche mit Sicherheit zu einem großen Teil von jener zauberhaften Blütenökonomie angelockt sein werden, werden im Schuldenbermuda geschwarzlöchert. Auch diesen Sachverhalt möchte ich mit einem kleinen Reimlein mnemotechnisch in der Erinnerung meiner Leser verankern, so im Stil von "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten ..." (die Melodie passt übrigens auch gut):
Die Blüten welche jetzt
saugen
Unser Geld über'n Großen
Teich[143],
Die sind wohl wenn wir sie
einst brauchen,
Weit weniger nektarreich.
130.
Im alternden Japan werden wir unser Geld
kaum dauerhaft mehren können, obwohl zu vermuten ist, dass die Rentenfonds ihr
Kapital auch dort investieren werden. Japan könnte uns lehren, welche Renditen
kinderarme Länder erbringen können: fast keine nämlich, wenn wir auf die
Zinssätze schauen. Aber das bei uns etwas ähnliches passieren könnte, wird man
erst dann glauben, wenn es passiert ist. Zwar hatten wir keine Immobilienblase
im gleichen Umfang wie in Japan, aber was nicht war, kann ja noch werden: wenn
das KDV-Kapital verzweifelt Anlagemöglichkeiten sucht und, bei uns jedenfalls,
nichts Geeignetes findet. Die Japaner sparen außerdem genug, um die anderen mit
Kapital zu versorgen; was sollten die mit unserem Geld anfangen? Paul S. Hewitt fürchtet sogar, dass
"
131. Südostasien müsste man wohl differenziert betrachten, aber jedenfalls sollte uns die "Asienkrise" gelehrt haben, dass es dort an eigenem Kapital für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung nicht mangelt.
132. Indien könnte ein Goldesel für Investitionen sein – wenn die das ausländische Kapital überhaupt haben wollten – und mancherlei Investitionshindernisse abschaffen würden.
133. Die arabischen Länder sind äußerst nachwuchsfreudig, aber kaum ein Investitionsparadies – auch abgesehen von möglicher terroristischer Bedrohung.[145]
134. Südamerika konnte immer schon Geld gebrauchen. Dies auch deshalb, weil die dortigen Eliten ihr Geld weggeschafft haben. Oft wurden Anleihen zurück gezahlt, manchmal aber auch nicht. Die große Goldgrube für Kapitalinvestitionen ist dieser Kontinent wohl nicht. Es sei denn, wir wollten die Renten aus dem Drogenhandel finanzieren.
135. Von Osteuropa und darüber hinaus auch
den anderen ehemaligen Ostblockländern schwärmen die Gutachter begeistert:
"Die Kapitalarmut und das niedrige Lohnniveau in den ehemaligen
Ostblockländern versprechen noch für Jahrzehnte exzellente
Verwertungsbedingungen für deutsches Investitionskapital, die die These von der
Übersättigung der Welt mit Kapital ad absurdum führen." (Ziff. 18). Für
Russland sieht die dortige Mafia, das wohl vorsichtiger und hat sicherheitshalber
schon mal 'ne Menge Kapital außer Landes geschafft (etwa auch zu uns?). Auch
wenn es dort momentan bergauf geht, dürften die rechtlichen uns insbesondere
die praktischen Rahmenbedingungen in vieler Hinsicht noch immer unbefriedigend
sein. Dass man dort unser Kapital gern nehmen würden, ist nicht zu bezweifeln.
Ob es aber in die Hände von Renditebringern kommt, oder durch die Finger von
Kapitalvernichtern geht, das können wir von hier aus nicht immer so genau
bestimmen. Und wohin die politische Reise (è) in Russland überhaupt führt, bleibt erst noch abzuwarten. Bulgarien mag
uns mit Rosen- (è) und noch ganz anderen Blüten (è) beglücken, seine flachen Sandstrände Kinder
(und vielleicht auch Rentner) entzücken, doch wird es uns kaum in Kürze große
Renditen schicken. Polen, Tschechien, Ungarn sind vielleicht auf dem richtigen
marktwirtschaftlichen Weg, können aber unsere Renten allein kaum dauerhaft retten
und dies zumal dann nicht, wenn andere Überalterungsländer (è) ihr Kapital in der gleichen hoffnungsvollen
Erwartung dort hinschleppen. Ohnehin wird es auch ohne KDV nirgends an Investitionskapital
mangeln, wo die Investoren sich eine gute Rendite versprechen. Wo das nicht der
Fall ist, wird man Kapital gern nehmen – aber wer will das seine dorthin geben?
136. Über die Frage, ob wir in Afrika (è) in größerem Umfang sinnvoll Rentengelder investieren können, müssen wir uns derzeit wohl kaum Gedanken machen.
137. Nur der Vollständigkeit halber sei noch ergänzt, dass der Gedanke, unsere Rentner mit Auslandsrenditen durchzufüttern, in der wissenschaftlichen Literatur auch im Hinblick auf Zahlungsbilanzprobleme kritisiert worden ist[146].
138. Zurück schauend auf unseren imaginären "Sozialvertrag des Kapitalismus" drängt sich uns die Frage auf, ob die Kapitalisten nicht mehr investieren können. Sollte etwa die Heimatfront der Lohnpullenschlucker (è) der investiven Kampfkraft des Kapitals meuchlings den Dolch in den Rücken gestoßen (è) haben? Oder wollen die einfach nicht mehr in die Wirtschaft investieren, weil sie dort keine attraktiven Anlagemöglichkeiten sehen, bzw. anderswo bessere? Gewiss: Geld sammeln im Wege der Renditeoptimierung ist nicht nur ein privates Vergnügen, es ist geradezu die Pflicht der Kapitalbesitzer in einem marktwirtschaftlichen System.
139. Offenbar gibt es aber mehr Kapital als realwirtschaftliche Anlagemöglichkeiten[147]. Vergleicht man die Reallohnentwicklung mit der Entwicklung des Einkommens aus Kapitalbesitz, dann findet man dort eine Erklärung für die schwache Massenkaufkraft, aber gewiss keine Daten, die auf Kapitalmangel hindeuten. Weil davon mehr als genug da ist, hat der Markt einen Ausweg gefunden. Die Schatten-Wirtschaft des Devisen- und Derivatehandel absorbiert das Kapital in ihrem ökonomischen Cyberspace. Eine List des Marktes, seit kurzem auch bei uns in erweitertem Umfang zulässig (Hede-Funds). Die Natur wird es begrüßen, bleiben ihr doch so weitere realwirtschaftliche Zugriffe erspart. Für die Arbeitslosen ist es weniger erfreulich; auch für die Arbeitnehmer nicht, denen man wieder und wieder Lohnverzicht abverlangt, weil anders neue Investitionen angeblich nicht finanziert werden können. Es scheint so, als würden sich Derivate- und Devisenhandel sich mehr und mehr zu einer Art Virtualwirtschaft entwickeln, in die das Kapital abwandert. Man kann deshalb Sparkapital nicht einfach mit Realkapital gleichsetzen[148]. Sofern die Wirtschaftswissenschaft eine begriffliche Trennung noch nicht vorgenommen hat, könnte man das Sparkapital z. B. als "Potenzialkapital" bezeichnen und nur das produktiv investierte Kapital als "Realkapital". Für denjenigen Teil des Potenzialkapitals, der in die Virtualwirtschaft 'investiert' wurde, scheint mir der Begriff "Jetonkapital" (è) angemessen[149], auch wenn die Wirtschaftswissenschaft den wertfreieren Begriff Finanzkapital verwendet.
140. Eine solche Entwicklung kann man durchaus unterschiedlich betrachten und bewerten:
- Aus der ökonomischen Perspektive muss sie als schädlich erscheinen. "Marsch, an die Arbeit, Kapital!" möchte man befehlen. Es gäbe vielleicht auch Mittel und Wege, um das Kapital gewissermaßen ' an die Arbeit zu prügeln': das mag hinter der Idee der so genannten "Tobin-Steuer" stecken[150], die, wenn sie jemals erhoben würde, um andere Spekulationssteuern ergänzt werden könnte. Markteingriffe mit unseren klobigen Fingern sind immer eine riskante Sache, je größer, desto ungewisser ist der Ausgang. Niemand weiß wirklich vorher auch nur halbwegs genau, was hinterher dabei rauskommt. Außerdem haben einige dieser Transaktionen einen durchaus realwirtschaftlichen Hintergrund, indem sie jedenfalls für einen der Geschäftspartner Versicherungscharakter haben (z. B. wenn die Firma Porsche den Wechselkurs ihrer erwarteten US-Dollar-Einnahmen für einige Jahre im voraus absichert).
- Wollte ich mich mit dieser Sicht der Dinge zufrieden geben, würde ich freilich denselben Fehler einer Beschränkung auf die nur ökonomische Dimension machen, den ich bei der Gegenseite kritisiere. Deshalb möchte ich die ökologische Dimension nicht außer acht lassen, und insoweit mag ja eine marktautonome Einschränkung der Güterproduktion durchaus positiv zu bewerten sein.
141. Nachdem wir nunmehr zwei alternative Verwendungsbereiche für das Potenzialkapital identifiziert haben – nämlich die Real- und die Virtualwirtschaft -, erweisen sich die Überlegungen der Gutachter zur Frage, ob das "staatliche verordnete Pflichtsparen" (Ziff. 77) zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis führt oder nicht (d. h. ob die Leute das, was sie mit dem KDV zwangsweise sparen müssen, von ggf. sonst freiwillig erbrachten Sparleistungen absetzen), als nicht umfassend genug. Die Frage ist eben nicht nur, ob Zwangssparen freiwilliges Sparen verdrängt. Ein anderes – vermutlich viel größeres – Risiko ist eine Abdrängung des bisher in der Realwirtschaft investierten Kapitals in die Virtualwirtschaft, also eine Umwandlung von bereits investiertem Realkapital (oder von Renditen, die sonst in Realkapital investiert würden) in Jetonkapital. Dann hätte sich zwar die Ersparnis des Formalkapitals erhöht, der 'Mehrwert' wäre jedoch dahin ausgebüchst, wo die Gutachter ihn gar nicht erwartet haben: auf den Kapitalspielplatz eben.
Lemminge (è) aller Länder, vereinigt euch!
(Im Run auf den totalen demographischen Absturz)
142. Merkwürdig: für die Eltern waren die Kinder in der vorindustriellen Zeit Investitionen zur Alterssicherung, für jede Gesellschaft stellen sie – lebensnotwendige - Investitionen in Humankapital[151] dar: und dennoch werden die Kosten unter der Rubrik "Konsum" eingeordnet?? Den Konsum will das Gutachten einschränken. Wo werden die (potentiellen) Eltern zuerst sparen (è)? Wo wird der Staat sparen, wenn er die mit der Umstellung auf das KDV verbundene Doppelbelastung der Beitragszahler teilweise subventioniert? Wäre es nicht besser, die Leistungen an die Eltern zu erhöhen, anstatt den Geringverdienern Zuschüsse zum Rentenkapitalsparen zu geben? Ansonsten könnte das KDV unser demographisches Problem noch verschärfen. Und dann? Sparen wir dann noch mehr Kapital?
143. ... mag es auch geben, doch könnten diese von ganz anderer Art sein, als sich die Gutachter mit ihrer doch recht mechanistischen Wirtschaftsbetrachtung erhoffen. In einem Kommentar des Wall Street Journal Europe, das ich hier nach der Wiedergabe im Handelsblatt von 28.09.00 zitiere (Rubrik "Außensicht") heißt es "zu Walter Riesters Rentenplänen": "In den USA, wo die Altersvorsorge durch Aktien und Pensionsfonds 1975 in einer damals wenig beachteten Gesetzesklausel gefördert wurde, besitzt heute mehr als die Hälfte der Bürger Aktien und Fonds. Dies hat das Denken der Amerikaner verändert. Unternehmenslenker gelten landläufig nicht mehr als Schurken, sondern werden zuweilen sogar als Helden gefeiert. Erwartet wird von Ihnen, dass Sie den Interessen der Aktionäre dienen. Und Arbeitnehmer, die ein mittleres Gehalt beziehen und Aktien oder Fonds besitzen, stehen Steuersenkungen und einer Senkung der Staatsausgaben positiver gegenüber als ihre Kollegen mit ähnlichem Einkommen ohne eigene Investitionen. Es bleibt abzuwarten, ob in Deutschland eine ähnlich weitgehende Veränderung der politischen Kultur bevorsteht." Es sind also die so genannten "weichen Faktoren", die sich – mit knallharten Auswirkungen - ändern könnten, wobei der Umstand, dass das Renditeinteresse auf eine breitere Basis gestellt wird, sich auch negativ auswirken kann. Zum einen begünstigt es die 'normalen' Kapitalbesitzer als schwergewichtige 'Trittbrettfahrer', zum anderen könnte es einschneidenden Umweltschutzmaßnahmen entgegen stehen (vgl. dazu auch unten meine Überlegungen zum Thema 'KDV und Grüne').
144. In
seiner (m. E. brillanten) Arbeit unter dem Titel "Die Zukunft der
Alterssicherung"[152] geht Jens Südekum (seinerzeit noch
Student, mittlerweile Juniorprofessor für Wirtschaftspolitik in Konstanz) in
überzeugender Weise auf diese weichen Faktoren ein:
"Ein weniger
exakter, eher psychologischer Vorteil eines KDV könnte sein, dass den einzelnen
Bürgern der Zusammenhang zwischen ihrer eigenen Beitragszahlung und der späteren
Rente klarer wird, und dass deswegen die subjektive Zufriedenheit mit dem
Rentensystem steigt. Im UV muss jeder das Gefühl haben, dass seine Beiträge von
irgend jemand anderem konsumiert werden. Man hat selbst nur die recht abstrakte
Zusage, dass später auch für einen gesorgt sein wird. Im KDV scheint jeder für
sich selber zu sorgen, zumindest scheint es so, weil die Zusammenhänge etwas
schwerer zu durchschauen sind. Dies könnte zu einer gesteigerten Motivation zur
Erwirtschaftung eines hohen Einkommens führen. Immerhin ist es ein Faktum, dass
die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dem momentanen UV gegenüber
misstrauisch ist und privat für die eigene Altersvorsorge spart. Insofern
sollte man auch in einer ökonomischen Abhandlung diese eher „weiche“ Argumentation
ernst nehmen, da in ihr vielleicht mehr Wahrheit stecken könnte als in
pseudo-objektiven Projektionen."
Die Möglichkeit, dass das KDV derartige
positive Effekte hat, will ich hier nicht unterschlagen.
Why not speed up
our economy? Buffalo[154] ist weit, noch 30 Minuten Zeit!
145. Nehmen wir einmal an, dass das Sozialprodukt und insbesondere auch die Industrieproduktion durch die Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens tatsächlich erheblich gesteigert würde. Auch für einen solchen (höchst unwahrscheinlichen) Fall haben wir – single-handedly und gänzlich ohne Think Tank – ein futurologisches Prognoseszenario entwickelt. Also Ring frei, Vorhang auf, für das
146. Der bereits erwähnte US-Amerikaner Paul S. Hewitt kommt in einem unbedingt lesenswerten Aufsatz[155] ohne Umschweife zum Kernproblem (nicht nur) der zu erwartenden Rentenkrise: "Like it or not, our economic and social organization depends on continued economic expansion" heißt es dort. Deskriptiv hat er sicherlich recht. Normativ kann das aber kaum der Weisheit letzter Schluss sein. Dürfen, können, sollen wir uns wirklich damit abfinden, dass das 'nun mal so ist', oder wollen, sollen, müssen wir nicht auch die Umweltdimension in unsere Rechnung einbeziehen, weil wir sonst die Wachstumsprognosen ohne den Wirt machen? Versuchen wir also, unsere Umweltzukunft in einem handfesten Prognosemodell dingfest zu machen.
147. "Toll" kann man das zwar auch finden, aber hier soll die Buchstabenfolge nur als Abkürzung für "Take-off and later landing" dienen. Ein solches Flügellähmungsszenario könnte sich schon bald z. B. wie folgt materialisieren:
2010 – Die Flughafen Frankfurt AG ist voll in privaten Händen. Der weitere Ausbau des Flughafens wird von den Aktionären, darunter nicht zuletzt KDV-Fonds, finanziert.
2015 – Da der Konsum wegen der Kaufkraftabschöpfung durch die KDV-Beitragsleistungen nach wie vor lahmt, erlässt die Regierung einen Aufruf an alle: 'Sichert die Renten – fliegt öfter in Urlaub!'
2020 – Das Flugreisen-Plansoll wurde um 200% übererfüllt. Leider ist nun die Atmosphäre dermaßen zerstört, dass militante Umweltgruppen von der Regierung ein Eingreifen verlangen.
Libellenstartbahn West – ein toller Fortschritt or the
toll of progress?
2025 – Flugreisen werden wegen Umweltgefährdung gänzlich untersagt. Da auf diese Weise aber auch Arbeitsplätze wegfallen und die Renten durch ausbleibende Profite aus den KDV-(Fehl-)Investitionen gefährdet sind, beschließt das Parlament die Einführung einer Konsumersatzsteuer. Aus der Flughafen AG wird die Firma 'FlugFreiFrohFiskalFinanz AG'[156]. Die Arbeitnehmer des Flughafens und der Luftfahrtgesellschaften werden in diese aus der Konsumersatzsteuer finanzierte Beschäftigungsförderungsgesellschaft übernommen. Größtenteils leisten sie dort Kurzarbeit Null. Der Rest bekommt eine historische Aufgabe: Umbau des Flughafengeländes zu einem Feuchtbiotop. Im verwaisten Empfangsgebäude hängt ein Transparent mit der zukunftsfrohen Botschaft: 'Wo einst der Kranich (è) sich erhob, singt bald die Libelle (è) ihr Gotteslob'. Eigentümer der Gesellschaft bleiben natürlich die Rentenfonds und private Kapitalanleger. Durch entsprechend hohe Zuwendungen aus der Konsumersatzsteuer sorgt der Staat für eine angemessene Rendite. Damit hat er die Renten gesichert, und, wie das Schicksal so spielt, gleichzeitig auch die Renditen der anderen Kapitaleigentümer. Vielleicht ist das ja die Historatio[157] hinter (u. a.) dem KDV?
148. Dieses Beispiel zeigt, dass die Gefahr von Fehlinvestitionen groß ist, wenn man 'rein ökonomisch denkt'. So würde man auf den ersten Blick wohl formulieren, was allerdings irreführend wäre. 'Ökonomisch denken' heißt ja bei genauerer Betrachtung, dass man sich Gedanken über die zweckmäßige Verwendung knapper Ressourcen macht. Dass die Umwelt zu Zeiten von Adam Smith (è) noch keinen besonderen Platz im Denken der damaligen Wirtschaftswissenschaft einnehmen konnte, ist historisch verständlich[158]. Wir Heutigen haben indes keinen Grund, einen derartigen Bewusstseins-Rückstand zu perpetuieren. Genau das würden wir aber tun, wollten wir akzeptieren, dass die Umweltfrage in einem 'rein ökonomischen Denken' ausgeklammert werden kann. Wollen wir das nicht hinnehmen – und wir wollen es nicht! – müssten wir feststellen, dass die Gefahr von Fehlinvestitionen groß ist, wenn man einfach ökonomische Tendenzen der Vergangenheit fortzuschreiben versucht. Nichts anderes als eine Fortschreibung bisheriger Entwicklungslinien betreiben indes die Tonnageideologen des Realkapitals, wenn sie eine Steigerung des Sozialprodukts durch das Kapitaldeckungsverfahren anstreben.
149. Mein Denkmodell "Toll" zeigt übrigens nur ein Stückchen aus der Problemtorte (è), welche wir auf uns mit der Idee eines fortwährenden Wirtschaftswachstums (mit oder ohne KDV) backen. Bei meiner 'Libellenstartbahn' ging es 'nur' um die Frage der Umweltverschmutzung. In gleicher Weise kontraproduktiv für die mit dem KDV angestrebte Sicherung bzw. Steigerung des Konsumniveaus im Alter wird der Umstand sein, dass ein gesteigerter Ressourcenverbrauch zu einer weltweiten Verknappung und zu entsprechend höheren Kosten für den Materialeinsatz führt, mithin im Ergebnis eine Stagnation oder sogar eine Reduktion des Konsumpotentials auslösen könnte. Die erste Ressource, die uns ausgeht, wird vielleicht das Erdöl sein. Das wird es den Ölförderländern vielleicht schon bald ermöglichen, ganz unabhängig von Kartellbildungen wie der OPEC Knappheitspreise zu verlangen. Und selbst wenn die USA diese Länder unter Einsatz entsprechender Mittel 'überzeugen', die Preise nicht künstlich hoch zu treiben, werden allein schon steigende Gewinnungskosten die Rohstoffe verteuern. Es wäre naiv zu glauben, dass unser technischer Fortschritt derartige Probleme auf Dauer neutralisieren kann. Die Rohölgewinnung aus Ölschiefer z. B., oder gar die Destillation aus Kohle, wird sicher auf Dauer sehr viel kostspieliger bleiben, als einfach die Lagerstätten im Wüstenboden leer zu pumpen (è). Allgemein gesprochen, gehe ich also davon aus, dass die Förderkosten durch die Notwendigkeit zur Erschließung von ungünstigeren Lagerstätten (z. B. geringerer Gehalt, Beimischung anderer Stoffe und schlechtere Erreichbarkeit – Stichwort 'Meeresboden' -) stark steigen werden, und dass Rationalisierungsgewinne durch technischen Fortschritt die Kostennachteile schlechterer Lagerstätten nicht mehr (voll) kompensieren werden. Je mehr wir die Wirtschaft beschleunigen, desto schneller erreichen wir dieses Stadium. Es könnte eine Situation eintreten, in welcher uns die Beschleunigung der Produktion zwecks Rentensicherung[159] aufgrund der relativ stärkeren Ressourcenerschöpfung ausgerechnet dann teuer zu stehen kommt, wenn wir die Rentenfrüchte von unseren Kapitalsparbäumen pflücken wollen. Verblüfft würden wir dann vielleicht feststellen müssen, dass das Wachstum unseres Wunderbaumes (è) die Bodenmineralien so erschöpft hat, dass er nur noch kleine Äpfelchen (è) produzieren kann. Quasi eine Variante zu den "diseconomies of scale"[160]. Nicht auszuschließen ist zwar die Möglichkeit technologischer Quantensprünge, welche (auch) die Kosten für die Rohstoffgewinnung verringern oder aber den Ressourceneinsatz drastisch senken könnten (Nanotechnologie?). Dass dies eintreten wird, ist sicherlich die unausgesprochene Erwartung hinter vielen Zukunftsentwürfen. Allerdings könnte diese Hoffnung ebenso blasenhaftig sein wie die Erwartung, dass die "New Economy" die bisher bekannten ökonomischen Gesetze aushebeln kann. Quasi eine "New Ecology"-(Gedanken-)Blase[161]. Beiläufig sei noch vermerkt, dass der gegenwärtige (März 2004) starke Anstieg der Rohstoffpreise von den Fachleuten auf das Wirtschaftswachstum in China zurück geführt wird.
150. Das Argument, mit dem die Tonnageideologen des Realkapitals gegenhalten und die ökologische Flanke ihrer Investitionssteigerungsphantasien absichern werden, liegt auf der Hand: selbstverständlich werden die Investitionen zukünftig weitaus umweltfreundlicher durchgeführt als bisher, und überhaupt müssen wir ja viel mehr investieren, um den Übergang in die Nachhaltigkeitswirtschaft zu schaffen. Der Markt wird schon dafür sorgen, dass wir zukünftig schonender als bisher mit der Natur umgehen. Ich habe auch gar keine Zweifel daran, dass die Entwicklung fortschreitet. 100 Millionen Chinesen in 3-Liter-Autos statt 10 Millionen in 10-Liter-Autos sind ein durchaus realistischer Fortschritt gegenüber hypothetischen 100 Millionen in 10-Liter-Autos, gelle[162]? Ich denke also, dass wir relativ gute Chancen haben, uns zu Tode produzieren (und das, noch ehe wir uns zu Tode amüsieren).
151. Wer die Benzinsteuer auf 5,- DM erhöhen will, den bestraft bei uns der Wähler, und von den Sprit-Saugern in Transteichanien wollen wir gar nicht erst reden[163]. "Nachhaltigkeit wird auf dem Markt erreicht oder gar nicht" schreibt zwar Prof. Friedrich Schmidt-Bleek in dem Text "Nachhaltigkeit keine Utopie" (è) [ein Text aus der Webseite der editionline]. Zugleich weist er – wie viele andere auch - aber darauf hin, dass der Markt so, wie er derzeit funktioniert, in mancher Hinsicht die Realität verzerrt, indem er z. B. den Verbrauch natürlicher Ressourcen nicht mit angemessenen Preisen belastet. Und es deutet nichts darauf hin, dass wir ein massives Umsteuern eingeleitet oder auch nur im Sinne haben. Das KDV als Investitionssteigerungsprogramm ist darauf angelegt, den Konsum (der Rentner) zu steigern. Aufwendungen für Umweltschutz wirken da nur störend und Rendite mindernd. Die Renten-Aktionäre werden es gar nicht goutieren, wenn der Staat "ihre" Firmen mit Mehraufwendungen für eine Umwelt belastet, die doch bisher noch alles ausgehalten hat.
152. Neben
den Problemen der Umweltverschmutzung und des Rohstoffverbrauchs haben wir bei
der tollen Idee der Konsumsteigerung durch Wirtschaftswachstum mittels
Kapitaldeckungsverfahren (wie natürlich auch ohne dieses) noch zu bedenken,
dass (wie in meinem Denkmodell schon anklingt) Realkapital auch
(kostenträchtig) entsorgt werden muss, wenn es – aus welchen Gründen auch immer
– nicht mehr produktiv verwendet wird. Die Blue-Ant-Substitution-Trucks werden
unsere chinesischen Freunde hoffentlich, wenn sie unbrauchbar geworden sind,
nicht irgendwo in der Landschaft deponieren, und die vielen Automobilfabriken
(z. B.), welche wir jetzt mit KDV-Geldern hochziehen (könnten) müssten wir
wieder umweltgerecht entsorgen, wenn uns später das Humankapital zum Betrieb
dieser Betriebe ausgeht.[164] , [165].
153. Ob man quantitatives überhaupt durch qualitatives Wachstum[166] ersetzen kann? Die Konzeption des KDV jedenfalls zielt nicht in diese Richtung, hier geht es ausschließlich um Masse. Die Idee eines qualitativen Wachstums ist nicht unproblematisch: was ist überhaupt qualitatives Wachstum? Gehört die Weltraumfahrt dazu? Die Teilchenforschung? Ich würde sagen 'ja', aber andere werden anderes im Sinn haben: Sozio- und Psycho-Sachen, vielleicht Abenteuerpädagogik für alle oder so. Denn schließlich soll unsere Gesellschaft ja humaner werden, auf dass sich erfülle des Herrn Goethes Wort, welches geschrieben steht in: Italienische Reise, Neapel, den 27. Mai 1787 (bzw. Brief an Charlotte von Stein aus Rom, 08. Juni 1787):
"Auf Herders
dritten Teil freu' ich mich sehr .... Er wird gewiss den schönen Traumwunsch
der Menschheit, dass es dereinst besser mit ihr werden solle, trefflich
ausgeführt haben. Auch, muss ich selbst sagen, halt' ich es für wahr, dass die
Humanität endlich siegen wird, nur fürcht' ich, dass zu gleicher Zeit die Welt
ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter sein
werde."
154. Weise gesprochen, Alter. Dass er schon damals die Gefahr einer
Hypertrophie der HumSo-Branche vorausgesehen hast, ist gewiss erstaunlich. Mag
sein, dass sein Aufenthalt im Kirchenstaat zu dieser Sicht der gesellschaftlichen
Entwicklung beigetragen hat. Andere zeitgenössische Beobachter, Seume (è)
z. B., sehen in der paternalistischen Wohltätigkeit z. B. großer Klöster (è) ausdrücklich einen der Gründe für die
ökonomische Rückständigkeit des damaligen Vatikanstaates. Insoweit bestehen
verblüffende Parallelen im ökonomischen Diskurs damals und heute[167].
155. Abgesehen von dem Problem einer 'objektiven' Bestimmung, was denn nun qualitatives oder wünschenswertes Wachstum überhaupt von quantitativem und unerwünschten Wachstum unterscheidet, geht (sofern man unter qualitativem Wachstum eine weitere Förderung der naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnis versteht) das Konzept natürlich auch an den intellektuellen Möglichkeiten vieler Menschen vorbei.[168]
156. Ohne einen fundamentalen Wandel in unserem ökonomischen Denken sieht es aus derzeitiger Perspektive jedenfalls ökologisch nicht sonderlich gut aus für die Zukunft der Menschheit. Einen Paradigmenwechsel hin zum Wirtschaftsmodell "Philemon und Baucis" (è) mag ich freilich nicht empfehlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit solch bescheidener Glückseligkeit zufrieden wären oder gar glücklich werden könnten. Unter anderem würde die Anordnung einer solche Wirtschaftsweise zu viele Ressourcen in der Produktion von Stacheldraht, Tretminen usw. binden: um die Schäfchen in Arkadien zu halten. Es wäre wohl auch verhängnisvoll, den Menschen eine Art "Trautes-Heim-Glück-Allein" (è)"-Lebensstil vorzuschreiben. Letztlich geht es immer um Leben, und da gilt im Großen und Ganzen: was nicht wächst, sich nicht 'nach vorn' entwickelt (è), geht zurück, 'geht (letztlich) ein'. Doch gibt es auch krankhaftes Wachstum, "Wuchern" genannt. Wachsen wir durch Wuchern oder wuchernd? Oder wuchern wir schon zu viel?
157. Wenn
man die Auswirkungen unserer Wirtschaftsweise auf die Natur kennzeichnen will,
ist "Räuberkapitalismus" (è)
gar kein schlechter Ausdruck. "Kapitalismus" ist dabei nicht ideologisch
zu verstehen; schließlich waren die verblichenen Zentralverwaltungswirtschaften
des Ostens auf dem Gebiet der Ressourcenverschwendung (è)
sogar noch leistungsfähiger als die Marktwirtschaften. Auch mathematisch
imposante wirtschaftswissenschaftliche Theoriegebäude haben, weil sie die
Umweltdimension ausklammern, zur Bestimmung unserer wirtschaftlichen
Entwicklung den gleichen heuristischen Wert wie die – in sich vermutlich
ebenfalls logischen – Denkkonstrukte der Alchimisten (è)
für die Erforschung der Natur. Oder wie sie die Kerbe im Bootsrand der Bürger
von Schilda (è)
für die Wiederauffindung des im See versenkten Kirchengeläutes hatte. Die
Irrtümer der Alchimisten freilich haben die Umwelt nicht gefährdet; die wirtschaftlichen
Expansionsfantasien der Alchömisten (è)
dagegen resultieren im Erfolgsfalle zwangsläufig in einer zweckwidrigen
Expropriation der Natur. Das kleine Boot (è),
in welchem wir durch die Welt rudern, ist halt ein eher suboptimaler Maßstab
zur Kalibrierung des Gewässers (è).
158. Was für Renten und Profite gut wäre, nämlich zahlreiche Nachkommen (è) zu zeugen, wäre für die Umwelt katastrophal. Das ist die Wirklichkeit, doch sind jene, welche mit ihren ökonometrischen Förmchen hingebungsvoll im Fachsandkasten[169] Kuchen für's Kapital zu backen[170], mit der Apperzeption der Zusammenhänge auf dem ganzen Spielplatz wohl überfordert. "There has developed in the contemporary natural sciences a recognition that there is a subset of problems, such as population, atomic war, and environmental corruption, for which there are no technical solutions." schrieb Beryl Crowe 1969[171]. Auch in der Rentenfrage sollten wir – UV hin, KDV her - uns der Einsicht nicht verschließen, dass unsere Nachkommen den Kuchen nicht mehr bekommen können, den wir bereits verspeist haben. Und natürlich sind auch für uns selbst im Alter diejenigen Externalitäten nicht mehr verfügbar, welche wir schon jetzt (und sei es auch vermeintlich vorsorgend) verfrühstücken.
159. In ökologischer Hinsicht ist deshalb auch mein eigener Vorschlag für (oder meine Forderung nach) einen/m "Humankapitalsparrenditenachteilsausgleichsanspruch" [HUMKASPAR(ENA)- /HUMCAPSI(DISCO)-Anspruch] fragwürdig[172]. Andererseits ist der Verzicht auf einen solchen, im Ergebnis reproduktionssteigernd wirkenden Lastenausgleich aber dann zwecklos, wenn wir die 'Lücken' ansonsten durch Humankapitalimporte auffüllen. Dass wir das tun (bzw. zumindest versuchen werden, ist schon absehbar. Bei der Frage der Einwanderung lassen sich das moralisch Gute und die Interessen der Realkapitalbesitzer trefflich verbinden. Wir tun ein gutes Werk, wenn wir den Armen der Welt bei uns Arbeit und Brot geben, und der Realkapitalbesitzer wird ohnehin gleichgültig sein, wer seinen Besitz für ihn mehrt. Dass er gemehrt wird, hängt allerdings davon ab, dass die Integrationskraft unserer Gesellschaft nicht überfordert wird. Und dass die Integrationskosten den wirtschaftlichen Nutzen der Einwanderung nicht übersteigen. Beides wird man für den Fall bezweifeln müssen, dass die Einwanderung in größerem Ausmaß erfolgt. Genau das aber wäre die Voraussetzung für eine spürbare Erhöhung des Angebots an Arbeitskräften im Inland.
160. Sicher ist eines: sämtliche Überlegungen zur Ausgestaltung bzw. Entwicklung der Ökonomie über einen längeren Zeitraum, welche nicht die ökologische Dimension ganz massiv einbeziehen, sind Talmi-Ökonomie. Aber das ist unsere Sechzehnzylinder-Handyoberschalen-Tierfriedhofs-Wirtschaft ja vielleicht ohnehin schon[173].
161. Zum Abschluss meiner Überlegungen zu den fragwürdigen ökologischen Konsequenzen einer Steigerung der Wirtschaftsleistung (durch das KDV, aber natürlich in gleicher Weise für 'normales' Wachstum ohne KDV gültig) möchte ich aus dem Aufsatz "Natural Capitalism" (è) von Paul Hawken, Ausgabe März/April des Magazins "Mother Jones" (è) einige Sätze zitieren, die man sich ruhig nachhaltig einprägen darf:[174]
"Commerce requires living systems for its welfare -- it is
emblematic of the times that this even needs to be said." [Lebende Systeme – darunter nicht
zuletzt auch aktive Zweibeinsysteme!]
"As our living systems deteriorate, traditional forecasting and business economics become the equivalent of house rules on a sinking cruise ship (è). [Richtig: und deshalb können wir auch den Prognosen über eine wundersame Rentemehrung durch das Kapitaldeckungsverfahren nicht trauen!]
"Our current industrial system is based on accounting principles that would bankrupt any company." [Und das Rentensystem dazu – wenn man die Kapitalgläubigen machen lässt!]
Coincidentia oppositorum?
162. Vielleicht kommt aber auch alles ganz anders, und das KDV wirkt - ungewollt - als Öko-Katalysator. Dann würde es zwar auch die Renten mindern statt steigern; aber wenigstens würde unter diesem Gesichtspunkt das ansonsten eher unverständliche Eintreten der Grünen für das KDV nachvollziehbar (zu diesem Komplex unten mehr). Ein solcher Effekt könnte dadurch eintreten, dass der Entzug von Konsumpotential und die (mehr oder weniger) zwangsweise Investitionssteigerung durch das KDV das Gleichgewicht des Marktes massiv stört. Die Arbeitslosigkeit könnte in diesem Falle noch mehr ansteigen. Gleichzeitig könnte der Fall eintreten, dass die Investitionen sinken, statt zu steigen. Das verfügbare Kapital könnte in die Cyberwirtschaft des Devisen- und Derivatehandels ausweichen. Den Werktätigen würde man dann erklären, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen, um diese Krise zu überwinden – was das Konsumpotential weiter begrenzen würde ... . Kommt Ihnen irgendwie bekannt vor, gelle?
163. Dann allerdings würde sich hinter dem Gedanken an ein Zurückfahren von Produktion und Konsum das Medusenhaupt (è) der Verteilungsfrage (è) in seiner ganzen potentiell petrifizierenden Hässlichkeit zeigen. Der Kapitalismus hat ja bislang seine Legitimation ganz wesentlich daraus gezogen, dass es einen verteilungsfähigen Zuwachs gab. Fällt der weg, schrumpft gar – auch pro Kopf der Bevölkerung – die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, kommt man um Überlegungen zu einer "gerechten" Verteilung kaum herum. Auf der Interessenebene werden die Kapitalbesitzer das zu verhindern suchen. In einer objektiv gesellschaftlichen Dimension stellt sich natürlich, wie schon jetzt (Stichwort 'soziale Hängematte' - è) die Frage nach der Motivationsfunktion der unterschiedlichen Verteilung, und danach, ob eine Entflechtung von Motivation und Verteilung überhaupt möglich ist. So oder so: die Zukunft wird spannend. Und voraussichtlich ungemütlich.
164. Wenn man bedenkt, dass die KDV-Befürworter uns eine im Vergleich zur stagnierenden oder sinkenden Population gesteigerte Wirtschaftsleistung verheißen, wundert man sich, dass ausgerechnet eine Partei, deren Hauptziel nach dem Verständnis ihrer Anhänger der Schutz der Umwelt gegenüber unseren (ökonomischen) Ein- und Zugriffen ist, den Einstieg in das KDV und den (teilweisen) Ausstieg aus dem UV ermöglicht (hat) und (verglichen mit den Sozis) sogar eine treibende Kraft in dieser Entwicklung war.
165. 'Klientelistisch' macht das KDV für die Grünen allerdings Sinn. Deren Wähler sind eher jung; die Befürworter des KDV glauben, dass mit diesem System die Rentenlasten 'gerechter' verteilt werden, d. h. dass die Last für die Jungen später geringer wäre, also ohne KDV. Eine nur 'politische' Interpretation, d. h. eine Beurteilung der Entscheidung der Grünen für das KDV nur innerhalb der Interessendimension (wie sie sich für Politiker und Wähler darstellt), greift jedoch in meinen Augen zu kurz. Ohne dies definitiv behaupten zu wollen (dafür bedürfte es tiefgründigerer Analysen, als ich sie hier und überhaupt liefern kann), sehe ich das Eintreten der Grünen für das KDV als ein Indiz dafür an, dass die Dosenpfandfetischisten objektiv als Odysseusfraktion der Bourgeoisie, als Konventualen der Kapitalismuskritik, als Gattopardoflügel[175] der Besitzenden einzustufen sind. Das soll allerdings nicht heißen, dass ich die anderen Parteien nicht kritisch betrachte. Doch ist bei denen jegliche Kritik verschwendete Liebesmühe: vergleichbar dem Versuch, Quallen (è) in Form zu bringen. Haben Sie gelacht? Vergessen Sie nicht: Es sind unsere Repräsentanten. Und das nicht nur formal, sondern auch ganz real: unsere Politik reflektiert unsere eigenen (widersprüchlichen) Einstellungen und Wünsche. Es ist bequem, Unbehagen und Zorn auf "die da oben" abzuladen. Manchmal spielen die ja auch tatsächlich ihre eigenen Spielchen. Im Großen und Ganzen aber repräsentieren sie uns ganz gut – dies in einem objektiv-beschreibenden, nicht in einem positiv-wertenden Sinne gesagt.
166. Die politische Option für das KDV hat (wirtschafts- und umwelt-)politische Konsequenzen. Rentenfonds können ihre Mittel nicht in Tante-Emma-Läden investieren. Ganz allgemein muss die Politik, soweit sie eine Harmonisierung ihrer verschiedenen Handlungsfelder, und somit auch die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für eine größtmögliche Effizienz und Effektivität des KDV anstrebt, also zunächst einmal auf die Schaffung entsprechender Investitionsmöglichkeiten hinarbeiten. Das bedeutet, dass eigentümergeführte Unternehmen tendenziell weiter zurück gedrängt und Kapitalgesellschaften gefördert werden müssen.
167. Darüber hinaus müssen genügend große (d. h. nicht unbedingt riesige Kombinate, aber doch groß genug, um für Fondsinvestitionen in Betracht zu kommen) Unternehmen zur Verfügung stehen. Allerdings bietet sich – für die immer verschuldungsgeneigte Politik doppelt verlockend – auch eine andere Alternative an, um (auch) den Rentenfonds Anlagemöglichkeiten zu bieten: Staatsanleihen. Das wäre von der Intention der Gutachter her absolut kontraproduktiv, weil durch derartige "Investitionen" die Wirtschaftsleistung nicht gesteigert würde. Zwar sind zur Steigerung der Wirtschaftsleistung evtl. auch höhere Infrastrukturinvestitionen erforderlich, doch würde deren Finanzierung durch Kredite an Stelle von Steuern insgesamt keine Verlagerung von Mitteln weg von der konsumtiven und hin zur investiven Verwendung bedeuten, wie sie die Gutachter für wünschenswert halten. Gleichwohl ist zu erwarten, dass der Staat entsprechendem politischen Druck des ungleichen Paares (è) von Rentner- und Kapitalinteressen kaum widerstehen wird, falls sich andere renditeträchtige Investitionen nicht finden lassen. Da wird vielleicht eines Tages die Klasse der klugen Köpfe interessefördernd die Masse der Rentnerbäuche vorschieben.
168. Schluss ist dann natürlich auch mit dem Abschalten von AKWs (umweltpolitisch wird man das sogar gut begründen können: Reduktion der Emissionen der mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerke!), wenn erst mal Rentengelder drin stecken. Und auch sonst kann man nicht die Umweltauflagen bis zur Unrentabilität der Betriebe steigern: schließlich hat man den Rentnern ja mehr Konsumpotential versprochen, und nicht einen blauen Himmel. Wie man es auch dreht und wendet: das KDV ist umweltpolitisch kontraproduktiv. Es sei denn, der Markt sorgt für Ressourcenschonung durch Massenverelendung – s. o. Doch wollen wir mal nicht unterstellen, dass irgend jemand derartiges im Sinn hat. Was also haben die 'Ritter von 5 pro Liter' im Sinn, wenn sie von Umweltpolitik reden und eine Steigerung der Wirtschaftsleistung durch Einführung des KDV anstreben?
169. Man kann das Eintreten der Grünen für das KDV auch als Abschied von Illusionen werten, von der Illusion eines möglichen qualitativen statt quantitativen Wachstums etwa. Doch welche Funktion bleibt der Petersilien- (è) Partei dann noch, außer derjenigen als Fitamin des Kapitalismus? Oder ist der vordergründige Umweltaktivismus (Stichwort Dosenpfand), der angesichts der Größe unserer absehbaren realen Probleme geradezu lächerlich wirkt, etwa ein "con game" wie – jedenfalls nach Meinung von Michael Levine[176] - der amerikanische "war on drugs"? Allerdings muss man fairer Weise zugeben, dass in der Umweltpolitik eine einzelne Nation nicht allzu weit vorpreschen kann, ohne im internationalen Vergleich gravierende Wettbewerbsnachteile zu erleiden – was sich letztendlich wiederum negativ auf die Möglichkeiten der Umweltpolitik auswirken würde. Also machen wir weltweit weiter mit unserer nationalökonomischen Dynamitfischerei – und mit den Grünen voll dabei?
170. Nicht ausschließen kann ich allerdings die Möglichkeit, dass ich den Grünen bitteres Unrecht antue, wenn ich sie hier als Kryptoantienvironmentalisten verdächtige. Wäre es möglich, dass sie, ganz im Geheimen und Konspirativen, das Rentenfondsgenerierte Extra-Investitionskapital in die Produktion von Klingeltönen lenken wollen, um den Output dieser gleichermaßen umweltfreundlichen wie sozialproduktsteigernden Güter exponentiell zu mehren? "Und jetzt wird wieder das Handy gezuckt, wir steigern das ..."?
171. Auch ich fahre gern in die Grube (è) – eines Salzbergwerks (è), z. B.. Auch ich liebe die Schönheit und den Zauber historischer Stadtbilder[177] (è). Auch ich laufe lieber durch die labyrinthischen Gassen (è) eines italienischen Felsennestes (è), als durch die quadratisch-praktisch-guten Verkehrsadern von Städten wie Manhattan, Mannheim – oder Milet (è). Doch tausche ich die heimelige Anmutung verzierateter Gründerzeitensembles (è) auch gern gegen die mitreißende Ästhetik (und "Wahrheit") der Wolkenkratzerskyline (è) moderner Großstädte – Manhattan, Mainhattan (è) usw. - ein.
172. Mich beunruhigt es schon, in welch rasantem Ausmaß wir in den letzten Jahren nicht nur die baulichen Hinterlassenschaften vergangener Generationen, sondern sogar funktionslos gewordene (Industrie-)Anlagen aus unserer eigenen Zeit, musealisiert haben. Eisenbahnen und Stahlwerke, Kernkraftprojekte (è) und Bergwerke, architektonische Ensembles des Historismus und "qualitätvolle Zweckbauten" der 50er Jahre: nichts ist vor unserem mumifizierenden (è) Zugriff sicher. Dazu kommt noch unser Sammeleifer, welcher zur Errichtung zahlreicher Sammelobjektcontainer – auch "Museen" genannt – führte und zwang.
173. Life was fun for us – for a while. Sogar die Jungen kämpften für das Alte. Da gab es schon mal Krawall, wenn kranke Straßenbäume durch Neupflanzungen ersetzt werden sollten. Vielleicht ging es vielen Teilnehmern mehr um den Rabatz als um die Sache. Gleichwohl ist es ein beunruhigendes Symbol, wenn die Jungend (im Ergebnis) fordert, dass man ihr kranke alte intensivpflegebedürftige Bäume hinterlässt, statt junger gesunder.
174. Die Kosten für die Alten sind mittlerweile nicht nur in der Rentendebatte Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit. In seinem vielbeachteten (d. h. vielkritisierten) Diskussionsbeitrag vom August 2003 hatte Philipp Mißfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union[178], gefordert, den Ältesten der Alten (85 Jahre nannte er konkret als Grenze) keine Hüftoperationen auf Kosten der GKV mehr zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund betrachtet, ist es schon etwas verwunderlich, dass nicht auch die Kosten für das Alte in den Fokus geraten. Denn das Alte belastet nicht nur direkt, sondern auf verschiedene Art auch indirekt.
175. Wenn z. B. am Kölner Dom ständig eine Dombauhütte herumwerkeln muss, kostet das eine Menge Geld. Aber auch die Administration des Denkmalschutzes und der Museen gibt es nicht zum Nulltarif. Auf den verschiedensten Ebenen fallen dafür Verwaltungskosten an. Das ist aber nur die eine Seite, der obere Teil des Eisbergs, so zu sagen. Wenn ein Bürohochhaus nicht hier gebaut werden kann, weil es einen Kirchturm überragen würde, und dort nicht, weil ein neogotisches Wohnhaus weichen müsste, dann engt das natürlich die Entwicklungsmöglichkeiten unserer Städte ein. Durchaus denkbar auch, dass es unsere ökonomische Kreativität einengt, dass wir insoweit sogar schon 'die Schere im Kopf haben' (also quasi ökonomische Selbstzensur üben). Gut möglich auch, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den gesellschaftlichen Verkrustungen[179] und den realen unserer menschengeschaffenen Umwelt.
176. Nicht, dass ich den Kölner Dom der Abrissbirne preisgeben möchte; das würde ich (aus rein ökonomischen Gründen) nicht einmal Neu-Schwanstein (è) antun. Ich will auch nicht den Pergamon-Altar verscherbeln, um die Rentenkassen aufzubessern. Auch will ich nicht jeden alten Baum absägen: dass man die Geisenheimer Linde (è) mit einem ausgedehnten Gerüst (è) stützt, das kann ich schon unterstützen. Jedoch akkumulieren wir mit Sammeleifer und Musealisierungswut auch eine Kostenlast, welche auf einer geschrumpften Erwerbspopulation noch schwerer lasten wird als derzeit auf uns. Die zunehmende Verdenkmalung (die sich sogar auf unsere natürliche Umwelt erstreckt – Rhön, Lüneburger Heide) erscheint mir problematisch nicht nur wegen der realen Konsequenzen, sondern auch als Symbol unserer kulturellen Entwicklungsphase.
177. In der politische Diskussion werden die Kosten nie in der Form, ob wir z. B. einige Museen dicht machen sollen, um den Alten die Hüftoperationen zu bezahlen, konfrontiert werden[180]. Deshalb habe ich diesen Komplex zumindest hier eingeflochten. Ich denke, es ist besser, auch diese Problematik explizit zu formulieren, anstatt eines Tages als vermeintliches Opfer unverstandener 'Sachzwänge' planlos und ineffektiv zu re-agieren.
178. Doch was sind ein paar Museen gegen jene Zeitlospaläste (è), in welchen unsere Reichen dank 'cryopreservation' (è) sehr bald schon leichen[181]? So geben sie den Werktätigen selbst im Tod noch Brot. Was werden wohl die Arbeitenden den Kapitalbesitzern geben, wenn es diese erst einmal geschafft haben, die Uhr der Geschichte auf 1789 vor- oder zurück zu drehen?
179. Wer Probleme im Alten voraussagt, sollte sich auch selbst der Fragestellung stellen, ob das KDV oder das UV das fortschrittlichere, zukunftsträchtigere Verfahren der Rentenfinanzierung ist. Denjenigen Lesern, welche mir seit Anbeginn gefolgt sind, wird meine eher skeptische Einstellung zum KDV, bzw. genauer gesagt: zu einer Umstellung vom UV auf das KDV, nicht entgangen sein. Zwar möchte ich es vermeiden, voreilig und unkritisch die Wortstafettenfackel (è) vom "Sozialraub" (è) zu übernehmen und weiterzutragen. Dies, obwohl ich durchaus die Bourgeoisie für ein 'lächelndes Aas''[182] [183] (è) halte und den tatsächlich stattfindenden Sozialabbau nicht übersehe. Doch glaube ich nicht, dass der Katzenjammer (è) nach unserer Sozialstaatsparty (è) allein oder auch nur hauptsächlich auf die Machenschaften der (Finanz-)Kapitalisten[184] zurück zu führen ist.
180. Im Detail muss ich die Frage, welches Verfahren progressiv und welches nicht, noch analysieren. Dem UV kann man bei uns ideologisch-propagandistisch leicht den Muff des Alten ankleben, indem man seine Wurzeln in der Bismarck-/Kaiserzeit verortet (obwohl die RV damals als KDV konzipiert war). Bedenkt man aber, dass das KDV in ökologischer Hinsicht auf ein "weiter so", hinausläuft, also die Rechnung, wie unsere ganze bisherige Ökonomie, bei der Natur anschreiben lässt, wird man das KDV als das eigentlich konservative Verfahren (im gesellschaftlich-politischen Sinne, gewiss nicht in ökologischer Hinsicht!) identifizieren.
Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich diese Überlegungen
vertiefen.
181. Wer wirklich geglaubt hatte, dass man "die langfristig fehlenden Erwerbstätigen durch Realkapital ... ersetzen" kann (84 III), findet den Mit-Gutachter und Ideengeber Prof. Sinn bereits zu neuen Ufern enteilt. Nunmehr will er "aufrütteln, mahnen und mithelfen, einen Politikwechsel herbeizuführen", indem er "die wichtigsten Fakten zur demographischen Krise Deutschlands zusammen[trägt]"[185]. Dies tut er im ifo Schnelldienst 5/2003 unter dem Titel "Das demographische Defizit – die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen" (è). Plötzlich liegen "die wirklichen Lösungsansätze für Deutschlands demographische Krise" nicht nur bei der Kapitaldeckung sondern auch "bei Maßnahmen zur Anhebung der Geburtenraten" (S. 25).
182. Zunächst einmal muss Deutschland ihm allerdings wiederum dankbar sein für den deskriptiven Teil seiner Ausführungen. "Im Jahr 2035 werden die Deutschen vermutlich das älteste Volk auf der Erde sein" (S. 21). "Selbst in Japan, wo die Fertilität schon früh zurückging, steigt der Altersquotient nicht auf ähnlich hohe Werte wie in Deutschland. Deutschland vergreist wegen seiner Kinderarmut schneller und nachhaltiger als fast alle anderen Länder" (S. 23). Wäre unsere Gesellschaft nicht schon jetzt geistig vergreist, müssten diese Fakten eigentlich einen Aufschrei auslösen und eine intensive Debatte nach sich ziehen.
183. Mit Verwunderung (betrachtet vor dem Hintergrund des im Gutachten verbreiteten Humankapitalsubstitutionsoptimismus[186]) dagegen lesen wir, dass "die geistige und wirtschaftliche Dynamik Deutschlands ... erlahmen" wird, weil "Wissenschaftler ... im Alter von ca. 35 Jahren ein Maximum ihrer Leistungskraft" erreichen" und man "mit 50 ... keine Bäume mehr [ausreißt]". Nun erfahren wir auch staunend, dass "eine allzu primitive mechanische Sichtweise des Wirtschaftsgeschehens[187] übersieht, dass die Alterung nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber aus dem Arbeitsmarkt eliminiert", weil "das durchschnittliche Alter der Unternehmensgründer ... in Deutschland bei 34 bis 35 Jahren" liegt. Wer etwa der Argumentation des Gutachtens erlegen war, man müsse einfach nur Kapital reinbuttern, um die Rentnerstullen auch in Zukunft dick mit Butter bestreichen zu können, wird hier eines Schlechteren belehrt. "Die Alterung der deutschen Bevölkerung wird die Innovationskraft des Landes ... weiter verringern" (alles: S. 25).
184. Und wer geglaubt hatte, dass man (zusätzlich) gespartes Kapital "problemlos" bei uns investieren könne – weil doch um 1960 rum die Investitionsquoten schon mal höher waren als heute -, der wird hier darüber aufgeklärt, dass "die Investoren .. die demographischen Probleme vorweg [nehmen] ... und sich schon heute zurück [halten]. Auch die Aktienmärkte, die sehr stark von den langfristigen Gewinnerwartungen der Anleger geprägt sind, antizipieren die zu erwartende Entwicklung schon heute". Mit anderen Worten: die Anleger gehen davon aus, dass Realkapitalinvestitionen nicht geeignet sind, die durch Überalterung (è) sinkende Produktivität zu kompensieren. Und wovon, Herr Prof. Sinn, werden bzw. sollen dann nach Ihrer Auffassung die Anlage-Manager der Pensionsfonds bei ihren Anlageüberlegungen ausgehen, wenn doch im Inland "nur die Aktien von Altersheimen ... von dieser [negativen] Entwicklung ausgenommen sein [werden]" weil, wie Sie (völlig zu Recht!) anprangern, dass "in den Altersheimen ... die Zukunft des Landes [liegt]"? (Alles S. 25)
185. Nun soll plötzlich her, was Prof. Sinn und die anderen Gutachter im Jahre 1998 noch überhaupt für "entbehrlich" und im übrigen damals schon für verspätet hielten: Familienförderung. Jetzt stellt Prof. Sinn detaillierte (und sehr interessante) Vergleiche mit der Fertilitätsentwicklung im Saarland und in der DDR für die Zeit vor und nach dem Beitritt zum Bundesgebiet an, sowie mit Frankreich und kommt zu dem Schluss, dass der "Einkommensverzicht [der Frauen (è), wenn sie sich für Kinder (è) entscheiden] ... vermutlich den größten Teil der Kosten der Kindererziehung (è) dar[stellt]" und "die internationalen Unterschiede in den Fertilitätsraten vermutlich in hohem Umfang [erklärt]" (S. 28).
186. In einem mittelbaren und teilweisen Gegensatz zur Behauptung des Gutachtens, dass "die Finanzierungsprobleme des Umlageverfahrens" "im Grunde" dadurch entstehen, "dass Haushalte ohne Kinder sich an den Arbeitseinkommen anderer Kinder [bei der umlagefinanzierten Rente] beteiligen können" (Ziff. 45, Hervorhebung von mir), gelangt Prof. Sinn jetzt zu dem Schluss, dass "auch" die Rentenversicherung zu den Ursachen der demographischen Krise gehöre, das sie diese Folgen "mit" hervorgebracht habe (S. 29). Der hier behauptete Kausalzusammenhang ist jedoch im engeren Sinne schlicht falsch, in einem weiteren Sinne schief dargestellt. In einer Gesellschaft mit einem funktionierenden Kapitalmarkt kann der Einzelne[188] Investitionen in Kinder mit dem Motiv der Sicherung des eigenen Alterskonsums dadurch ersetzen, dass er Realkapital spart. Das erspart ihm das Risiko der "rotten kids", welches ja, wie Prof. Sinn sehr gut weiß[189], das entscheidende politische Motiv zur Einführung der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland war. Denn nachdem die gesellschaftliche Entwicklung traditionelle Selbstverständlichkeiten zerbrochen hatte, mussten sich die Alten und Erwerbsunfähigen auf "voluntary transfers from their children" verlassen, in der Tat eine "unpleasant situation" (S. 14 seines Aufsatzes "THE PAY-AS-YOU-GO-SYSTEM AS FERTILITY INSURANCE" (è).
187. Tatsächlich ist es ja auch z. B. in den USA nicht so, dass die Leute Kinder (è) (mehr als bei uns) in die Welt setzen, um ihre Altersversorgung zu sichern: für die Rente sparen sie extra (und viele sparen auch nicht), soweit sie nicht durch die "Social Security", das dortige ungefähre Äquivalent unserer gesetzlichen Rentenversicherung, mehr oder weniger[190] abgesichert sind. Mit oder ohne gesetzliche Rentenversicherung gibt es also heute keinen Grund mehr, sich Kinder zwecks Alterssicherung 'anzuschaffen'. Richtig ist zwar, dass "a system that imposes the obligation on children to make pension payments to their own parents" geeignet wäre "[to] reinstall the proper incentives for human capital investment" (S. 2/3 seines Aufsatzes über "... FERTILITY INSURANCE ..." (è). Ebenso richtig ist freilich, dass auch das Kapitaldeckungsverfahren nichts an "the existence of [a] moral hazard effect in terms of underinvesting in human capital" (S. 10 a. a. O.) ändert. Es ist deshalb falsch zu glauben, dass "the reduction in birth rates and/or education efforts may be the most important distortion the PAYGO system causes" (S. 11 a. a. O.), denn auch das Kapitaldeckungsverfahren honoriert nicht als solches das Kinderkriegen. Es ist deshalb gleichfalls blanker Unsinn, zu glauben, dass der Staat (durch das Umlageverfahren) "in die Familienplanung ein[greift], indem er die Beiträge der Kinder zur Rentenversicherung sozialisiert" oder zu behaupten "durch die staatliche Rentenversicherung wird der Kinderwunsch vertrieben". Nicht das Umlageverfahren als solches vertreibt "die natürlichen[191] ökonomischen Motive für den Kinderwunsch aus den Köpfen der Menschen vertreibt" (S. 33 a. a. O.). Das tun vielmehr die Kosten, welche den Eltern für die Aufzucht von Kindern entstehen. Die sind nämlich selbst dann enorm, wenn man die bei uns gewährten staatlichen Hilfe in Abzug bringt. Prof. Sinn veranschlagt diese Kosten mit ca. 35.000,- Euro pro Jahr, und hält selbst diesen Betrag für eine "äußerst vorsichtige Schätzung" (S. 30 a. a. O.). Deshalb kann, wie mittlerweile endlich auch Prof. Sinn erkannt hat[192], die Geburtenrate durch "aktive Maßnahmen" (S. 30 seines Aufsatzes über "Das demographische Defizit ..." - è), also letztlich durch eine Kompensation dieser Kosten, durchaus positiv beeinflusst werden. So würden z. B. Kinderhorte mit Ganztagsbetreuung und Ganztagesschulen es den Frauen (è) ermöglichen, einer Berufstätigkeit nachzugehen (S. 28/29 a. a. O.).
188. Dass das Kapitaldeckungsverfahren als solches nichts an der Lastenverzerrung ändert, sie sogar, wenn man es nach rein versicherungsmathematischen Grundsätzen einsetzt, den Renditenachteil[193] von Eltern nicht nur nicht beseitigt, sondern deren Benachteiligung noch verschärft, hat Prof. Sinn nun endlich doch noch eingesehen (oder sich von der heftigen öffentlichen Debatte über diesen Sachverhalt überzeugen lassen). "Die Riesterrente [also das Kapitaldeckungsverfahren] ist aber noch nicht zu Ende gedacht.[194]. Sie kuriert die Symptome der deutschen Krankheit, doch nicht ihre Ursachen[195]. Sie verringert die Fehlanreize für die Familienplanung nicht und führt zu kaum erträglichen Lasten bei denjenigen, die durch die Erziehung von Kindern bereits den vollen Beitrag zur Finanzierung der Umlagerenten geleistet haben." (S. 33 a. a. O.).
189. Die Überlegung, Einwanderung an die Stelle der eigenen Humankapitalproduktion[196] zu setzen, hält er aus verschiedenen (interessanten und einleuchtenden, aber hier nicht näher zu referierenden) Gründen für nicht praktikabel. (S. 30 ff. a. a. O.). Somit müssen Anreize für potentielle Eltern her, mehr Humankapital zu bilden, welches wir nun plötzlich doch brauchen. Unklar ist allerdings, welchen Grad von Wichtigkeit denn Prof. Sinn einer Förderung der Humankapitalbildung beimisst. Denn einerseits scheint er die Überalterung unserer Gesellschaft doch für einen Vorgang zu halten, der katastrophale wirtschaftliche Folgen haben könnte. Andererseits hat er sich allerdings in dem Gutachten und verschiedenen anderen Arbeiten (s. o.) darauf versteift, dass man fehlendes Humankapital durch verstärkte Realkapitalbildung ausgleichen könne. Geht er aus diesem Grunde in seiner Arbeit über das demographische Defizit in detaillierterer Weise lediglich auf die alternden Wissenschaftler und Unternehmer ein, blendet er deshalb – bewusst oder nicht – die Tatsache aus, dass zahlreiche von uns schon getätigte und noch zu tätigende Investitionen (nicht nur, aber besonders offensichtlich, Infrastrukturinvestitionen wie Straßen usw.) nutzlos werden, wenn die Population sinkt? Immerhin deutet er – wenn auch in seinem Kontext mit einer anderen argumentativen Funktion – ja an, dass der Bau von Fabriken usw. für Investoren eine fragwürdige Sache wird, wenn sie schon jetzt absehen können, dass eines Tages keine Arbeitnehmer mehr da sein werden, um (alle) diese Fabriken zu betreiben. Die Botschaft seiner Studie ist, was die Problemdimension angeht, also letztendlich widersprüchlich. Insgesamt ist das etwa so, als würde jemand durch die Straßen laufen und schreien
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'Die Stadt brennt, die ganze Stadt brennt' |
um dann fortzufahren: |
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'Kommt eilet, und laufet |
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Und löschet das Feuer: |
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Mit Wasser aus der Gießkanne – |
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Aus'm Schlauch wird zu teuer'. |
190. Was will der Mann mit seinen Ausführungen eigentlich erreichen? Verglichen mit der (zweifellos zutreffenden) sehr dramatischen Lageschilderung schlägt er nur eine relativ schwache Gegenmaßnahmen vor.. Da drängt sich schon die Frage auf, ob es ihm eigentlich wirklich um die Fertilitätsrate geht – oder nur darum, den Beitragszahlern mehr Geld für seine KDV-Hobbyrente 'aus dem Kreuz zu leiern'. Oder ist der Aufsatz gar – horribile dictu - als Alibi, für den (ziemlich sicher zu erwartenden) Fall gedacht, dass die KDV-Beiträge nicht zu einer Steigerung des Sozialprodukts führen[197]? Denn sein Lösungsvorschlag ist, wenn das Problem real und groß ist, erstens dünn und zweitens wenig weise.
191. "Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht dem kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden". Er schlägt eine je nach Kinderzahl gestaffelte Rentenkürzung vor und fährt dann fort: "Die Betroffenen müssen angehalten werden, in dem Maße eine Riester-Rente anzusparen, wie ihnen die umlagefinanzierte Rente gekürzt wird." Ganz abschaffen will er die umlagefinanzierte Rente nicht, weil "nicht unberücksichtigt [bleiben soll] ..., dass die Kinderlosen auf dem Wege des Familienlastenausgleichs einen gewissen, wenn auch geringen [sic!] Beitrag zur Mitfinanzierung der Kinder leisten". (Alles S. 33/34).
192. Unter reinen Gerechtigkeitsgesichtspunkten ist das gewiss ein abgewogener Vorschlag. Unter Wirkungsgesichtspunkten hat er freilich die Qualität eines braven Schulaufsatzes, bei dem der Schüler angehalten wird, ein bisschen Pro und ein wenig Kontra abzuwägen. Denn dass angesichts der von ihm selbst auf mindestens 35.000 € p. a. geschätzten Mehrbelastung für Eltern (s. o.) eine Mehrbelastung der Kinderlosen mit 6 – 8% ihres Bruttoeinkommens, also selbst bei einem Einkommen von 100.000,- € mit (relativ zur Elternmehrbelastung: 'nur') 8.000,- € in größerem Umfang eine Steigerung der Geburtenrate zur Folge haben soll, halte ich für reines Schreibtischdenken. Gerade in den unteren Einkommensklassen ergibt sich gar kein für die Menschen subjektiv relevanter Abstand mehr zwischen kinderlosen Mehr-Beitragszahlern und kinderhabenden Weniger-Beitragszahlern. Vor allem ist aber, wie hoffentlich schon meine Begriffe andeuten, der Zusammenhang für den Wahrnehmungshorizont potentieller Eltern viel zu kompliziert, um in größerem Umfang handlungsrelevant (also kinderwunschrelevant) zu sein. 100,- Euro Kindergeld sind für die Empfänger 'richtiges' Geld, welches sie 'wirklich' bekommen. 100,- Euro Rentenbeiträge weniger zahlen zu müssen, läuft zwar rechnerisch auf dasselbe hinaus. Rein rechnerisch wird das auch (fast) jeder begreifen. Trotzdem ist es, selbst wenn man davon absieht, dass der Beitragsvorteil ausgerechnet bei sinkendem Einkommen immer mehr sinkt, in der handlungsrelevanten Wahrnehmung der Menschen eben nicht dasselbe. "100,- € Kindergeld haben und 100,- € Rentenmehrabzug nicht haben sind 100,- € Unterschied" könnte man für den vorliegenden Wahrnehmungszusammenhang den volkstümlichen Spruch von "100,- haben und nicht haben ist 200,- Unterschied" paraphrasieren. Wirtschaft ist halt, wie Ludwig Erhard einst wusste, sehr wesentlich Psychologie. Seinen akademischen Nachfolgern hat man aber offenbar nur noch mathematische Formen eingebläut – ebenfalls ein Fall für 'ne "PISA"-Studie[198].
193. Die "Einführung einer von der Kinderzahl abhängigen Rente" ist also keineswegs geeignet "die Staatsintervention in die Familienplanung zurückzunehmen" (S. 34). Zunächst ist der Ausdruck unzutreffend, weil dadurch lediglich die Gewichte verlagert werden, die Intervention als solche[199] aber – wenn auch zu Gunsten der Eltern – beibehalten wird. Sodann kann sie auch nicht "die natürlichen Motive für den Kinderwunsch wieder stärker zur Geltung kommen lassen", weil, wie wir bereits dargelegt haben, die angeblich natürlichen Motive in Wirklichkeit nur die traditionellen Motive vorindustrieller Gesellschaften sind. Weiterhin ist der materielle Vorteil für Eltern zu gering und der Zusammenhang zu indirekt, sowie für das praktische Handeln zu intransparent, um eine Verhaltensänderung zu induzieren[200]. Und schließlich ist sie auch nicht wirklich "gerecht", denn sie folgt nicht in vollem Umfang "dem Verursacherprinzip und dem Leistungsfähigkeitsprinzip". (Alle Zitate aus S. 34 a. a. O.). Dies deshalb nicht, weil, wie ich an anderer Stelle schon dargelegt habe, nicht nur die kinderlosen Rentner, sondern in großem Umfang auch die Realkapitalbesitzer an den Humankapitalinvestitionen der Eltern parasitieren.
Ideologen sind immer die anderen.
194. Insoweit
ist zwar (leider) seine Einschätzung - zumindest gegenwärtig[201] -
sicherlich realistisch, dass "Versuche, neben den Lohneinkommen die
Kapitaleinkommen zur Finanzierung der Renten (Stichwort: Wertschöpfungsabgabe)
heranzuziehen" scheitern werden, "weil die internationale
Kapitalmobilität die wirksame Besteuerung des Kapitals verhindert"[202].
Das bedeutet natürlich, dass es in gleicher Weise schwierig wäre, die Zinsbezieher
für eine Mitfinanzierung der Humankapitalinvestitionen der Eltern an die
Hammelbeine zu packen. Doch müsste eine Wissenschaft, welche sich diese
Bezeichnung verdienen will, zwischen dem Richtigen und dem Möglichen trennen,
und zunächst einmal versuchen, das Richtige überhaupt ins Auge zu fassen. Da
hat er schon Recht, der Philosophie-Professor Klaus Michael Meyer-Abich, wenn
er in seinem Text "Leitbilder der Naturwissenschaft" (è)
feststellt, dass "nicht zu erwarten [ist], dass wissenschaftliche Fragen
wiederum wissenschaftlich zu rechtfertigen sind", weil "im
wissenschaftlichen Erkenntnishandeln ... immer schon vorausgesetzt wird, dass
das, was bei wissenschaftlicher Arbeit herauskommt, wichtig im Sinn von
'wissenswert' sei" und dass "diese Voraussetzung ... nicht wieder
ihrerseits mit den Mitteln der Wissenschaft beweisbar [ist]". Auch wenn
ich bezüglich seiner hehren Hoffnung, dass "die allgemeingesellschaftliche
Verantwortung für die Wissenschaft darin [liegt], einen politischen Willen zu
bilden, was das Ziel des menschlichen Lebens in der Natur sein soll" etwas
skeptisch bin[203]
(und auch wenn er selbst bei seinen Äußerungen wohl mehr die Naturwissenschaft
im Sinne hatte) schließe ich mich ohne Zögern seiner Auffassung an, dass es
"in Zeiten der öffentlich gewollten und finanzierten Wissenschaft ... eine
Verantwortung der Öffentlichkeit für diesen gesellschaftlichen Akt Wissenschaft",
nämlich für die Inhalte der wissenschaftlichen Fragestellungen, gibt. Und unter
diesem Gesichtspunkt finde ich es halt ziemlich enttäuschend, wenn die
herrschende Richtung der Wirtschaftswissenschaft partout nichts davon wissen
will, dass das Realkapital die Humankapitalinvestitionen der Eltern genauso als
"Externalitäten", also gratis, nutzt, wie – mehr oder weniger – noch
immer auch die natürlichen Ressourcen. Wahrscheinlich würde Prof. Sinn auch an
dieser Stelle (bezogen auf das Humankapital) als "natürlich" bezeichnen,
was in Wirklichkeit nur traditionell in vorindustriellen Gesellschaften so war,
was derzeit zwar noch immer so ist, wie es immer schon war, aber doch deshalb weder
gerecht, noch richtig (zweckmäßig) ist, noch auch für alle Zeiten so bleiben
muss?
195. Sollte es Leser geben, welche dem Gewimmel meiner Worte bis hierher geduldig gefolgt sind, haben s(S)ie sich an dieser Stelle eine Belohnung redlich verdient. Aufklärung nämlich darüber, in welcher Hinsicht die von mir im Zwischentitel vorgenommene Verknüpfung von Prof. Sinns Mahnungen in Sachen Demographie mit der Nestbautechnik der Webervögel einen Sinn ergeben soll.
196. Jegliches Denken knüpft irgendwo an vorgegebene Ideenstrukturen an. So ja auch ausdrücklich meine Vorstellung von einem "Humankapitalsparrenditeanspruch". Doch sollten wir jedenfalls dann, wenn es nicht um irgendwelche Alltagsprobleme geht, sondern wir mit dem Anspruch auftreten, Lösungen für schwerwiegende Probleme einer Gesellschaft (oder gar der Menschheit) anzubieten, unsere Gedankennester nicht einfach unbesehen dort dranklatschen, wo unsere aktuelle geistige Flugrichtung uns gerade vorbeiführt. Wer gewissermaßen "ex cathedra" argumentiert, sollte sich schon bemühen, soweit es in unseren schwachen Kräften steht, Architektur, Statik und die voraussichtliche bzw. mögliche Entwicklungsrichtung der Gesamtkonstruktion zu untersuchen und dann das eigene Ideennest an der Stelle und in der Form einflechten, wo und wie es sich sinnvoll in den Gesamtbau einfügt[204] (wofür man vielleicht auch mal alte Nester abreißen muss). Wenn man also feststellt 'ach, eigentlich brauchen wir ja doch ein paar Menschlein für unsere hochkapitalisierte Wirtschaftswelt', muss man nach den Gründen suchen, weshalb wir (vielleicht) nicht ausreichend Humankapital bilden. Wahrhaft Wissen suchende Wissenschaftler gehen eine solche Frage mit Neugier und ergebnisoffen an[205]. Gegebenenfalls würden sie es sich auch eingestehen, wenn sie sich mit einer Idee – z. B. der Humankapitalsubstitutionsidee – verrannt haben, und diese Idee revidieren. Schließlich müssen wir von den Wissen-Schaffenden auch die Bereitschaft erwarten, sich selbst zu fragen, ob sie nicht – und sei es auch nur unbewusst -, als Lobbyisten (hier z. B. der Kapitalinteressen) agieren, wenn sie Zusammenhänge in einer bestimmten Weise darstellen, sich zu fragen, ob man Probleme auch in der Interessendimension richtig eingeordnet und vollständig ausgelotet hat. Von der ökologischen Dimension, die man auch als Wirtschaftswissenschaftler heutzutage ebenfalls nicht mehr schlicht ausblenden darf, will ich an dieser Stelle nicht einmal reden.
197. Diese Tugenden vermisse ich im Gutachten ebenso wie in dem Lösungsvorschlag von Prof. Sinn zur Überwindung der demographischen Krise, nachdem er immerhin eingesehen hat, dass man das demographische Problem nicht einfach mit verstärkter Kapitalakkumulation lösen kann. Da wird einfach eine neue unausgegorene Idee an die alte, selbst schon schief gemauerte (è), Idee dranzementiert. So dass ich mir zum Abschluss dieses Kapitels die Anmerkung nicht verkneifen kann, dass die Trägerbäume manchmal unter der Last der Webervogelnester zusammenbrechen. Menschlichen Gesellschaften passiert wahrscheinlich das Gleiche, wenn sie auf die Lösung ihrer existentiellen Probleme nicht ein wenig mehr intellektuelle Penetration anwenden, als die Webervögel[206] verfügbar haben. Doch fürchte ich, dass sich die bourgeoise Midas-Jüngerschaft eher nach dem Vorbild der Skelette von Pompeji in ihre Preziosen verkrallen, als zum Diogenes è) in die Glücks-Tonne ziehen wird (was in der Tat eine unangenehme Alternative ist: wer da ein Drittes wüsste, der oder dem würden wir gern folgen!).
198. Dass übrigens mittlerweile sogar in den Entwicklungsländern die demographische Entwicklung abknickt, kann man in dem aufrüttelnden Artikel "Alternde Welt im Verteilungsstress"[207] von Prof. Herwig Birg, Bevölkerungswissenschaftler an der Universität Bielefeld, in der FAZ vom 2.4.04 nachlesen[208]. Schade ist, dass Birg bei seiner ansonsten außerordentlich luziden Analyse der zu erwartenden verschärften Verteilungskonflikte den Interessengegensatz von Kapitalbesitzern und Arbeitenden nicht einbezieht. Man muss schließlich kein Marxist sein, um die Realität eines solchen Gegensatzes zu erkennen. Freilich ist der Aufsatz ja in der FAZ erschienen, deren Redaktion und Leserschaft solche Fingerzeige vielleicht nicht recht goutiert hätten.
199. Wenn's bei Chrysler knirscht, kann Schrempp nicht einfach bei seinen Aktionären die Hand aufhalten. Dies auf das Rentenproblem übertragen, muss man feststellen, dass die Volkswirtschaftler gegenüber ihren betriebswirtschaftlichen Minderbrüdern lösungsgeistig zurück geblieben sind. Firmen restrukturieren ihre Organisation, verändern ihre Ziele bzw. ihre Produktpalette usw. Die Organisation unserer Gesellschaft lässt mit großer Sicherheit noch viel Raum für derartige Restrukturierungen mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung. Selbst dann, wenn die Volkswirte entsprechende Vorschläge machen[209], kommen sie nicht auf die Idee, in diesem Kontext eine kreative Lösung auch für das Rentenproblem zu suchen.
200. "M.D.S." könnte man (in Anspielung auf Parteienabkürzungen) diesen Ansatz vielleicht nennen: "Muss das sein?", "Macht das Sinn?" und vielleicht auch, als Antwort auf mancherlei Forderungen an den Staat: "Mach(t)'s doch selber!". (Diese Ideen hoffe ich bei Gelegenheit noch näher auszuführen.)
Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich diese Überlegungen
vertiefen.
Die Argumente für das KDV als Phlogiston-Theorie der
Nationalökonomie?
201. Wie unsere Analyse des Gutachtens gezeigt hat, sind die Argumente, die für eine (teilweise) Umstellung vom Umlage- auf das Kapitaldeckungsverfahren vorgetragen werden, ökonomisch in vielerlei Hinsicht fragwürdig und einige gedankliche Prämissen dieser Position gesellschaftspolitisch recht unerquicklich. Dennoch möchte ich klarstellen, dass ich den Nachweis zahlreicher Denkfehler im Gutachten nicht als einen Beweis dafür werte, dass das KDV nicht oder nicht sogar besser als das Umlageverfahren funktionieren könnte. Auch auf diese Diskussion passt vielleicht jener eindrucksvoller Satz, den Prof. Börsch-Supan (für einen ganz anderen Zusammenhang[210]) geprägt hat: "The issue has not been settled because prima facie arguments are so seemingly obvious and politically tempting while the countervailing arguments are substantially more subtle and complicated". Zwar erschließt sich in unserem Kontext das "obvious" eher dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream als der allgemeinen Öffentlichkeit, aber "politically tempting" ist das KDV allemal.
202. Ich persönlich gehe allerdings davon aus, dass das Projekt, auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zum Zwecke der Rentenfinanzierung das fehlende Humankapital zu ersetzen, Schwindel oder fauler Zauber ist und könnte mir gut vorstellen, den Begriff "Riester-Rente" zu substituieren durch 'Cagliostro- (è), Kaiserkleid- oder Harry-Potter-Rente'. Es könnte passieren, dass hier eine Rentenblase aufgebaut wird, die das Neuer-Markt-Debakel wie ein harmloses Marionettentheater aussehen lässt. Trotzdem hat das Gutachten seine Meriten. Es liefert eine besonders transparente und vorzüglich gegliederte Darstellung von Argumenten für das KDV. Selbst wenn es letztlich falsch wäre, könnte es zumindest den gleichen Wert haben den einst die Phlogiston-Theorie in der Chemie zur Erklärung des Verbrennungsvorgangs hatte. Zwar falsch, ermöglichte sie es doch, eben durch ihre Falsifizierung auf dem Weg der Erkenntnis fortzuschreiten und so den Sauerstoff zu entdecken. Wobei freilich eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge nicht unbedingt auch zu einer Problemlösung führen muss. "There is a subset of problems, ... for which there are no technical solutions" – der Leser möge es mir nachsehen, wenn ich diesen schon zitierten Satz hier wiederhole.
203. Aus weltpolitischer Perspektive könnte man die Vorschläge, das UV durch das KDV zu substituieren, durchaus als streamlining der Wirtschaftsinstitutionen der socii verstehen, als Bemühen, mit unserer Vormacht geistigen und institutionellen Gleichschritt zu halten. Wenn man diese Entwicklung für unausweichlich hält, kann man aber durchaus auch positiver werten: wir hätten dann in dem hier besprochenen Gutachten einen Blick in den Werkstattschuppen des Weltgeistes geworfen. Ausschließen will ich nicht, dass sich das 'kapitalistische Prinzip' zunächst voll entfalten muss, um dann entweder in etwas anderes umzuschlagen, oder zum spezifischen Byzantinismus unserer Kultur zu werden.
204. Grundsätzlich sollten wir uns nicht verhehlen, dass wir als Bundesgenossen der USA nicht schlecht leben. Machtscheue Elemente, die wir sind, wären wir schon längst die Erpressungsopfer der Öllieferländer geworden. Einer weisen Führung sollten wir uns willig unterordnen[211]. Wer allerdings nur in der Öko-Lümmelei führend ist[212], kann unser Vertrauen nicht beanspruchen (die Umwelt ruinieren, können wir schließlich auch alleine, wenngleich vielleicht ein klein wenig langsamer).
Let's give the
world a great big hug
205. Obwohl ich also durchaus die Vorteile sehe, die wir aus der amerikanischen Vormachtstellung ziehen, bleibt bei mir im Blick auf Zukunft ein Unbehagen an dem Interessenverständnis der derzeitigen US-Außenpolitik (wie letztlich auch unserer eigenen). Ich halte einen Paradigmenwechsel auch in den internationalen Beziehungen erforderlich: Außenpolitik und Entwicklungshilfe müssen als Weltinnenpolitik verstanden werden. Was wir brauchen, ist ein "Fair deal" – für die anderen, aber auch für uns selbst. Keine sentimentale Allweltliebe, sondern Härte + Güte, die nur zusammen den wirksamen "hug"[213] ausmachen können, welcher der (Um)Welt gut bekommen würde. Die Frage ist allerdings, ob ein Volk von 3-Lagen-Flauschis (è), wie wir (und vielleicht auch die anderen entwickelten Länder, außer den USA) es (geworden) sind, dazu in der Lage ist, nicht nur Güte, sondern ggf. auch Härte zu zeigen.[214]
206. In
diesem Zusammenhang könnte es erforderlich werden, das derzeitige Verständnis
von wirtschaftlicher Ratio in unserer Kultur zu hinterfragen. Die Forderung
nach einem Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich tut das, indem sie der
Logik des Kapitalismus folgt und diese lediglich auf ein Gebiet ausdehnt,
welches im allgemeinen Bewusstsein[215]
bisher noch nicht mit dieser Logik verknüpft wird. HUMKASPARENA kann also nicht
als sozialistisches Teufelszeug diffamiert werden. Gleichwohl dürfte die
Anerkennung eines solchen Anspruches das Selbstverständnis des Kapitalismus,
jedenfalls in seiner derzeitigen Ausprägung, unterminieren. Die Verankerung
eines solchen Anspruches im gesellschaftlichen Bewusstsein wäre gewissermaßen eine
ideologischen Genmanipulation im Innersten des (amerikanischen wie auch
unseren) kulturellen Betriebssystems[216].
Sie wäre vielleicht auch ein Weg, um Francis Fukuyama (è)
ein Schnippchen zu schlagen und die Richtungsgeschichte[217]
doch noch um eine weitere Spiraldrehung zu verlängern?
207. Auch bei uns könnten wir einen derartigen Anspruch nur umwegig dadurch institutionalisieren, dass wir eine Änderung in der Schaltzentrale (è) unseres kulturellen Betriebssystems, also in den Wertvorstellungen der US-Gesellschaft, herbeiführen. Eine solche Änderung ist nur in der Form allenfalls möglich, dass wir grundsätzlich die dort herrschenden Wertvorstellungen akzeptieren (private Marktwirtschaft). Insofern wäre die Konzeption eines HUMCAPSI geradezu subversiv: die Rendite als systemadäquate, sogar systemnotwendige Vorstellung, aber diesmal auf die Humankapitalsparer ausgeweitet. Ohne irgendeinen Rekurs auf christliche, moralphilosophische (è) oder gar sozialistische Wertvorstellungen wäre auf diesem Wege ein Anspruch der Humankapitalsparer gegen die Gesellschaft begründet, der nicht als "Transferleistung" diskreditiert werden könnte. Eine Operation an den Kultur-Genen, so zu sagen, oder im Quellcode des kulturellen Betriebssystems: das wär' doch hübsch, wenn wir Euro-Krustis zur Abwechslung auch mal ein wenig in "think big" machen würden? Darüber jedenfalls darf man sich keine Illusionen machen, dass wir (Deutsche, Europäer, und mehr oder weniger auch der Rest der Welt) heutzutage nur noch Magnetspäne der Weltgeschichte sind, die ihre Richtung nicht gegen die großen historischen Kraftlinien ändern können. Und die gehen nun einmal von der angelsächsischen Welt im allgemeinen und besonders von den USA aus. Nur wenn es uns gelingt, das eine oder andere Magnetfeld (è) ein wenig umzupolen, können wir Entwicklungen in den Dimensionen der Richtungsgeschichte mitgestalten – vielleicht. Wenn es uns gelänge, den Amerikaner ein solches ideologisches Car-Paket zu senden, müssten wir uns auch nicht mehr so beschämt fühlen, wenn US-Senatoren uns zwingen wollen, unseren Markt für die Religions-Substitutionen geschäftstüchtiger Bonnifaces zu öffnen. [218])
208. Man könnte die Forderung nach einer Humankapitalsparrendite, für die ich in diesem Aufsatz eintrete[219], übrigens auch "financial abolitionism" nennen[220]: Abschaffung der Sklavendienste, welche die Humankapitalsparer (in den USA in ganz besonderem Maße, weil dort bekanntlich die höhere Erziehung nicht kostenfrei ist und kein "Kindergeld" gezahlt wird für die Realkapitalsparer leisten.
209. Meine Überlegungen wollen kein Vorwand für eine Tunix-Position sein, sondern der Beginn einer Diskussion, welche nicht ausblendet
- dass neben den kinderlosen Rentnern auch die Kapitalbesitzer von anderer Leute Kindern (Humankapital) profitieren würden
- dass die Realkapitalbesitzer ihr Vermögen (im Wesentlichen) nicht mit eigener Hände Arbeit geschaffen haben, dass ihr formaler Eigentumsanspruch nicht quasi naturrechtlich begründet ist und die Gesellschaft deshalb nicht verpflichtet ist, ihnen das Privileg eines exklusiven Nießbrauchs "ihres" Kapitals einzuräumen und endlich
- dass wir Ökonomie nicht in alle Zukunft nach dem Motto betreiben sollten (und können) "Wir machen erst mal weiter, wie bisher, und wenn's dann knallt, wird uns schon was einfallen".
210. Letztlich wissen wir nicht, in welche Richtung sich Wirtschaft und Gesellschaft mittel- und längerfristig entwickeln. Das wird sehr wesentlich auch von Tempo und Umfang des wirtschaftlich-technischen Fortschritts bestimmt. Insofern wäre es wichtig, dass wir zumindest die zahlreichen mentalen Innovationsbremsen in unseren Köpfen und Institutionen entfernen.
211. Trotz aller Schwierigkeiten müssen wir jedoch versuchen, den Nebel unserer Zukunft gedanklich ein wenig zu durchdringen. David Landes schließt sein Werk "The Wealth and Poverty of Nations: Why Are Some So Rich and Others So Poor?" mit der Feststellung/Aufforderung: "The one lesson that emerges is the need to keep trying. No miracles. No perfection. ... We must cultivate a skeptical faith, avoid dogma, listen and watch well ..."[221].
212.
Auch wenn ich selbst mich in dieser
großen Diskussion mit einem Platz am Katzentisch der Wenig-Wisser begnügen muss[222],
möchte ich dazu mit diesem Werkchen meinen bescheidenen Beitrag geleistet
haben. Das Nachdenken (è)
über unsere historische Weiterentwicklung können wir leider nicht jenen
überlassen, welche die größeren Köpfe haben. Weder die Pferde, noch die 'pezzi
grossi' der Nationalökonomie werden unsere fundamentalen Probleme lösen. Die
einen tragen Scheuklappen (è),
die anderen sind als Theoriegefangene (è)
im Labyrinth (è)
der Wirklichkeit nicht hinreichend geländegängig. There is no free Lunch (è)
– und wenn man sich nicht vorher nach dem Menüpreis erkundigt, kann die
Mahlzeit verdammt teuer werden. NOI – DOVE
ANDIAMO?
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Nachbemerkung vom 09.03.05
Es ist nun schon einige Zeit her, dass ich "die Nase vom Schleifstein" gehoben habe ("taken my nose off the grindstone"). Und siehe: man sieht wieder was – manchmal. Erkenntnisse kommen gelegentlich aus einem eher unwahrscheinlichen Kontext; bei mir, in diesem Falle, von einem Aufsatz des Franzosen Jean-Marc Jancovici unter dem Titel "Reading notes: The Skeptical Environmentalist" (è). Diese Webseite behandelt das Kapitel "climate change" aus dem Buch "The Skeptical Environmentalist" des dänischen Umwelt"skeptikers" Björn Lomborg. Aber nicht die technischen Ausführungen zur Widerlegung Lomborgs sind für den vorliegenden Zusammenhang von Interesse.
Vielmehr waren es Jancovicis Bemerkungen zum Thema "Extrapolation", die für mich selbst erhellt haben, was ich, abstrahierend gesprochen, in den vorangegangenen Ausführungen getrieben habe. Eine Kritik der wirtschaftswissenschaftlichen Argumente für das Kapitaldeckungsverfahren bei der gesetzlichen Rentenversicherung, das ist klar. Aber meine Bedenken lassen sich, auch auf der abstrakten Ebene, noch etwas präziser fassen.
Was das Rentengutachten anbietet, ist eine Extrapolation: die wirtschaftliche Entwicklung in der Zukunft wird quasi "rebus sic stantibus" betrachtet, was bisher galt (oder, i. S. Investitionsquote, sogar – nur – das, was in den 60er Jahren Gültigkeit hatte!), wird einfach fortgeschrieben. Genau dazu sagt mir – oder, falls der/die geneigte Leser(in) ihm lauschen will, uns – Monsieur Jancovici:
"But
such reasonings [d. h. die Extrapolation als bloße Fortschreibung bisheriger
Entwicklungen] are not always valid. For example, my kids have
grown about 6 cm per year since they were born. Am I authorized to say that in
30 years they will be 3 meters tall? Or if an employee earns 2% extra every
year but is 2 years from retirement, can I say that he will earn 20% more in 10
years? ...[No, because:] after each extrapolation, it is necessary to verify
that the result is not absurd compared to other knowledge that we have".
Eben: der Glaube der Tonnageideologen des Kapitals, dass man lediglich Beiträge auf die hohe Kante legen müsste, von wo sie dann automatisch in reale Investitionen wandern würden, woselbst sie unabhängig von der Human-/Realkapital-Relation prächtige Renditen hecken könnten, und das Ganze noch im gewissermaßen "umweltleeren" Raum gedacht, ohne jedwede Ressourcen-Restriktionen: das ist 'absurd, wenn man es zu anderen verfügbaren Informationen in Beziehung setzt'. Merci, M. Jancovici dafür, dass Sie mir mit diesen Ihren abstrahierenden Bemerkungen aus einem ganz anderen Zusammenhang eine Räuberleiter zum Erklettern einer abstrakteren Erkenntnisebene meiner eigenen Argumentationsstruktur verschafft haben!
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NACHTRÄGE ...
... habe ich großenteils in den
Text eingebaut und werde das wohl auch in Zukunft tun. Was sich jedoch partout
dort nicht integrieren lässt (mir aber dennoch im Kontext wichtig erscheint),
werde ich nachfolgend präsentieren (05.07.2007 ff.).
Erg. 05.07.2007:
In meiner Heimatstadt Bielefeld gibt es an der Universität ein im Jahre
2000 gegründetes "Institut für Weltgesellschaft". Das ist, voll in
der Tradition der Bielefelder soziologischen Fakultät stehend, eine sehr
aktuelle Thematik und ein interessanter und wichtiger Forschungsansatz. Unter
den zahlreichen dort bearbeiteten Projekten (z. B. auch zum Thema Migration)
versucht eines, die aktuelle weltweite Debatte über die 'richtige' Form der
Rentenfinanzierung soziologisch zu verstehen. Das unter der Leitung von Prof. Lutz
Leisering PhD stehende Forschungsvorhaben u. d. T.
wird auf der Webseite des Instituts wie folgt beschrieben:
"Das Projekt geht von der
Beobachtung aus, dass aktuell in Deutschland – in der (Riesterschen)
„Rentenreform 2001” – und anderen Ländern die private Altersvorsorge nicht nur
an Bedeutung zunimmt, sondern ihre „Regulierung“ durch den Staat zu einer
neuen, wachsenden Aufgabe der Sozialpolitik wird. Das Projekt zielt darauf, diesen Wandel erstmals empirisch zu
untersuchen und in einen international vergleichenden, interdisziplinären
(Soziologie, Rechtswissenschaft) und wohlfahrtsstaatstheoretischen Kontext zu
stellen. Der Wandel der Alterssicherung zeigt, so die These, einen tiefgreifenden Wandel des Wohlfahrtsstaates
an: vom herkömmlichen „produzierenden“ Wohlfahrtsstaat, der Geld- und
Dienstleistungen selbst (oder durch staatsnahe Träger) bereitstellt, zu einem „regulierenden“ Wohlfahrtsstaat,
der Eigenaktivitäten nicht-staatlicher Anbieter steuert. Auf der Grundlage
von Experten-Interviews, Dokumentenanalyse, Analyse von Rechtsvorschriften und
einem quantitativen Fragebogen-Survey werden Deutschland, Großbritannien und
Schweden als heterogene Wohlfahrtsstaaten untersucht. Die neuen
Steuerungsinstrumente, Akteure und Konfliktfelder regulierender Politik werden
für jedes Land untersucht, für Deutschland auch aus verfassungsrechtlicher
Sicht. Der vergleichende Ansatz zielt auf eine Identifikation nationaler
„Regulierungsregime“ und den wachsenden Einfluss des Gemeinschaftsrechts (EU). Theoretisch soll zur Debatte zur Zukunft
des Wohlfahrtsstaats beigetragen werden. „Entstaatlichung“, „Privatisierung“
und „Deregulierung“, so die These, erzeugen neue Bedarfe staatlicher Rahmensteuerung
(hier: von Finanzmärkten). Weniger („produzierender“) Staat bedeutet also mehr
(regulierender) Staat." [Hervorhebungen von mir]
Die Thematik ist interessant und vielleicht bringt das Projekt auf der
rein empirische Ebene neue Erkenntnisse. Ich bezweifle allerdings, dass ein Herangehen
in der oben beschriebenen Weise ein Eindringen in die tieferen (den Akteuren
selbst wahrscheinlich unbewussten) Wirkschichten möglich machen wird.
Andererseits ist nicht zu verkennen, dass für wissenschaftliche
"Paradigmenwechsel" (die in meinen Augen nicht einfach
Perspektivenwechsel sind, sondern jeweils zu einem vertieften Verständnis der
behandelten Materie führen) zunächst das Ansammelns von Daten und das
Herantasten von verschiedenen Gesichtspunkten aus erforderlich ist, um durch
einen "Umschlag von Quantität in Qualität" zu einem neues
Verständnis-Paradigma vordringen zu können. Dazu immerhin wird vielleicht auch
diese Untersuchung einen Beitrag leisten.
Erg. 15.07.2007:
Jedenfalls beim flüchtigen Drüberlesen habe ich den Eindruck gewonnen, dass
die mit der Rentenfinanzierung zusammenhängenden Fragen in einer Reihe von Wikipedia-Artikeln im Großen und
Ganzen ebenso ausführlich wie differenziert erörtert werden.
Zumindest folgende Stichworte
sind (auf der abstrakten Ebene; daneben gibt es noch zahlreiche Einträge zu konkreten
Gestaltungsvorschlägen, geltenden Regelungen usw.) einschlägig:
Nachtrag 04.01.2009:
In den vorliegenden Zusammenhang gehört auch der Artikel „Die große Enteignung - Der Zerstörungsfeldzug
gegen die gesetzliche Rentenversicherung“ von Sahra Wagenknecht, erschienen
in der Tageszeitung "junge welt" am 31.01.08. (Hier
auf ihrer Homepage eingestellt.) Frau Wagenknecht ist dezidierte Marxistin
(welcher Spielart auch immer) und Abgeordnete für die Partei „Die Linke“ im Europaparlament.
Während sie die durchaus vorhandenen demographischen Probleme aus meiner Sicht
mit allzu leichter Hand beiseite wischt, identifiziert sie bei den Nutznießern
lediglich „drei große Profiteure:
die Bezieher höherer Einkommen zum ersten, die Unternehmen im allgemeinen zum
zweiten, und die Finanzkonzerne und Versicherer im besonderen zum dritten“.
„Die Besserverdienenden
profitieren, weil sie die Umlagerente schlicht nicht brauchen und ihnen deren
mögliche Umverteilungswirkung eher zum Nachteil gereicht.“
„Die Unternehmen
profitieren von der Zerstörung der umlagefinanzierten Rente, weil sie eben
diese einst paritätisch mitfinanzieren mußten. Die private Vorsorge dagegen hat
der Beschäftigte allein zu tragen.“
„Die dritte Lobby, die Riesters Porträt
eigentlich goldgerahmt in ihre Empfangsräume hängen müßte, ist die der Finanzkonzerne. Wie bereits erwähnt,
ist die Verwaltung und renditeträchtige Anlage der privatisierten Ruhestandsgelder
ein Riesengeschäft. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß der Anteil der
Verwaltungsausgaben an den Einnahmen bei den privaten Fonds erheblich höher ist
als im Fall der gesetzlichen Rentenversicherung.“
Diese Interessenanalyse ist zwar nicht falsch, stellt mir aber (und bei
einer Marxistin überraschend) zu ausschließlich auf die unmittelbaren
Nutznießer ab. Noch wesentlicher erscheint mir nämlich die Legitimationswirkung
einer privaten Altersvorsorge für ein Kapitaldeckungsverfahren zu sein. Die Leute
können sich dann gar nicht mehr vorstellen, dass es eine Alternative gibt und
dass ein KDV im Grunde ja doch recht primitiv ist. Die sozialpsychologische
Wirkung des KDV als Legitimierungsinstrument für Gewinninteressen hatte ich
oben (derzeit unter Nr. 44) so angesprochen:
„Für die Superreichen die
Super-Wahl: Die Rentner als Geiseln der Rendite vom Kapital!“
Insofern erstaunt es mich allerdings etwas, dass diese Thematik
anscheinend in der gegenwärtigen Finanzmarktkrise noch keine Rolle spielt. Aber
vielleicht wird ja bereits entsprechend argumentiert und ich habe es noch nicht
mitbekommen, oder derartige Argumentationen kommen noch, wenn die Finanzkrise
erst einmal richtig auf die Wirtschaft (Weltwirtschaftskrise) übergreift.
Im übrigen argumentiert Frau Wagenknecht von den Grundpositionen her
keineswegs widerspruchsfrei, wenn sie (in dem Kapitel „Demographische Rentenlüge“) ganz selbstverständlich davon ausgeht,
dass auch in Zukunft die Produktivität weiterhin steigen wird, in anderen
Zusammenhängen aber gegen die „Renditejagd“
der Unternehmen wettert. Diese „Renditejagd“
hat eben nicht nur (und keineswegs in erster Linie) etwas mit Lohndrückerei
usw. zu tun. Wenn Firmen von der ‚Last‘ der ‚Renditejagd‘ befreit werden,
müssen sich auch nicht mehr um Produktivitätssteigerungen bemühen (die DDR ist
kein Gegenbeweis, weil dort immer das –kapitalistische- ‚Weltniveau‘ der Maßstab
war). Hier wie in anderen Zusammenhängen verschweigen Kommunisten wie Frau
Wagenknecht ihrem Publikum, dass es ein Paradies ohne Schlangen nun einmal
nicht gibt (wohl aber viele schlangenverseuchte Gegenden, die keineswegs
paradiesisch sind). Aber auch sich selbst täuschen diese innerweltlichen
Chiliasten darüber hinweg.
Nachtrag 23.07.2009
In den USA tobt(e; ich vermute, dass die ‚Free Marketeers‘[223]
jetzt etwas zurückhaltender sind mit ihren Behauptungen, wonach die
Rentenaspiranten durch Geldanlagen am Wertpapiermarkt angeblich deutlich höhere
Renditen erzielen können als in der gesetzlichen Rentenversicherung) der Kampf
um die Privatisierung natürlich ebenso wie bei uns[224].
Darüber dürften eine ganze Reihe von Büchern, pro und kontra, erschienen sein.
Ich stieß jetzt zufällig auf das Buch „Social Security: The Phony Crisis“
von Dean Baker und Mark Weisbrot.
Die Autoren sind Co-Direktoren des Center for Economic and Policy Research (CEPR; ein US-amerikanischer Think Tank,
der in der Wikipedia
als “progressive” beschrieben wird
und nach meinem Eindruck der dortigen Demokratischen Partei sehr nahe steht).
Über Dean Baker berichtet der Wikipedia-Eintrag,
dass er als erster Wirtschaftswissenschaftler die Preisblase am
US-Immobilienmarkt identifiziert habe:
“Basing
himself on house-price data-sets produced by the US government and Yale
economist Robert Shiller, Baker was the earliest economist to
point out the bubble in the US housing market in
2002, and one of the few economists to correctly predict that the collapse of
this bubble would lead to recession.” Sein „Briefing Paper
“The Run-up in Home Prices: Is It Real or Is
It Another Bubble?” ist
beim CEPR online abrufbar. (Ärgerlich ist das Fehlen eines Datums in der
Kurzstudie selber. Auf dieser
Verlinkungsseite zum Text erfahren wir, dass es vom August 2002 datiert.)
In dem “Executive Summary” heißt es
u. a. (meine Hervorhebungen):
“In the
last seven years[225]
home purchase prices have risen nearly 30
percent more than the rate of inflation. This run-up in housing prices has increased housing wealth by more than $2.6 trillion
compared to a situation in which home prices had just kept place [recte wohl:
pace] with inflation. This is an
average of more than $35,000 of additional wealth for each of the nation’s 73.3
million homeowners. This paper examines whether the increase in home prices
can be grounded in fundamental economic factors, or whether it is simply a
bubble, similar to the stock market bubble. The paper notes:
1) There
has been no clear upward trend in housing costs relative to other items in the
post-war period. In general, housing prices move in step with the overall rate
of inflation. This means that the recent
spurt in housing prices is a departure from the prior history. …………
4)
Current demographics suggest that the housing share of consumer expenditures
should be falling for the foreseeable future, as the baby boom cohort
approaches retirement. Two thirds of the run-up in home prices is attributable
to a rise in the price of buying a home relative to the cost of renting a home,
as shown in Figure 1. This is what would be expected if there is a housing bubble, since it suggests that families are buying
homes in large part as an investment rather than primarily as a place to live.
A sharp slowdown in the rate of inflation in rental cost index in the last six
months, and a record high rental vacancy rate, suggests that demand for rental
housing is lagging, which could precipitate the collapse of the bubble[226].”
Aber zurück zur Rente bzw. zu der in den USA von den Konservativen geforderten
Privatisierung der staatlichen Rentenversicherung. Dean Baker und Mark Weisbrot
halten argumentativ dagegen. Das erste Kapitel des Buches[227],
dem Anschein nach zugleich eine Art zusammenfassender Übersicht, ist kostenfrei auf
der Webseite des Verlages „The
University of Chicago Press“ nachzulesen. Eine Lektüre kann ich dem
Interessierten nur empfehlen; geradezu prophetisch klingt der Satz (meine Hervorhebung):
“A number of … dubious arguments … in favor of privatization … have been
put forward with increasing urgency as the privatizers struggle to achieve
their goals before the public discovers
that stock prices can go down as well as up.
Ebenfalls lesenswert ist der Gastkommentar („op-ed“) von Baker und
Weisbrod in der Washington Post vom 23.01.2005 “What
Crisis? It[1]
Ain't Broke, So No Need To Fix It.”
Erg. 01.12.09: Kurz aber sehr stringent formuliert der Wiener Journalist
Robert Poth u. d. T. „pensionsreformdebatte“ einen Teil jener Bedenken gegen das Kapitaldeckungsverfahren, die auch
ich oben geäußert habe.
Nachtrag 09.12.2009
Textauszug aus der Studie „Konjunktur
und Rentenversicherung – gegenseitige Abhängigkeiten und mögliche Veränderungen
durch diskretionäre Maßnahmen“ (Autoren: Volker Meinhardt, Katja Rietzler und Rudolf Zwiener der
(gewerkschaftsnahen) Hans Böckler-Stiftung (Juli 2009; meine Hervorhebungen):
„5.2
Zum Einfluss einer Systemänderung auf Sparquote und Wachstum
Die
internationale Literatur beschäftigt sich seit den 70er Jahren des vorigen
Jahrhunderts ausführlich mit der Frage, inwieweit bei einer (teilweisen)
Umstellung von einem Umlageverfahren (pay-as-you-go-system) zu einem Kapitaldeckungsverfahren
(funded system) die individuelle Ersparnisbildung und die nationale
Ersparnishöhe positiv beeinflusst werden (Feldstein 1974, 1976, Munell 1974).
Damit es gelingt, in einer alternden Gesellschaft hohe Rentenniveaus durch das
Kapitaldeckungsverfahren zur Verfügung zu stellen, muss durch die angestrebte zusätzliche Ersparnisbildung das Wirtschaftswachstum
(deutlich) höher ausfallen als im Falle des Umlageverfahrens. Ansonsten wäre
es kaum zu rechtfertigen, dass in der (Teil-)Umstellungsphase die arbeitende
Bevölkerung doppelt belastet wird (Davis, Hu 2005).
Da in jedem Rentensystem die Bezüge der
älteren Bevölkerung aus der laufenden Produktion geleistet werden müssen (Mackenroth 1952, Barr 2000), besteht
die entscheidende Frage darin, ob eine kapitalgedeckte Altersvorsorge dem
Umlageverfahren hinsichtlich ihrer Wachstumswirkungen bei gleicher sozialer
Absicherung überlegen ist. Befürworter
einer Kapitaldeckung argumentieren unter anderem, dass die durch die Kapitaldeckung
induzierte höhere Ersparnis über einen sinkenden Realzins höhere Investitionen
und somit ein höheres Wachstum ermöglicht (z.B. Feldstein 1974, Deutsche Bundesbank
1999). Demnach wäre eine erste
Voraussetzung für höheres Wachstum, dass die Rentenreform eine höhere Ersparnis
generiert. Selbst bei einer privaten Pflichtversicherung ist dies nicht
automatisch gegeben, da freiwillige Ersparnisse entsprechend gesenkt werden
könnten. Außerdem kann ein Anstieg der individuellen Sparquote bzw. Sparquote
der privaten Haushalte grundsätzlich auf gesamtwirtschaftlicher Ebene durch die
Finanzpolitik u. a. aufgrund von Fördermaßnahmen bei der Umstellung
konterkariert werden (Holzmann 1997, Bosworth, Burtless 2004).
Dies
wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Summe aller
Finanzierungssalden gemäß der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung immer gleich
Null sein muss bzw. die folgende Identität gilt: SH + SST + SU = I + (X-M) Die
Summe der inländischen Ersparnis (also der privaten Haushalte, des Staates und
der Unternehmen) stimmt mit der Summe aus Investitionen und Außenbeitrag überein
(Brümmerhoff 2007). Selbst wenn die gesamtwirtschaftliche
Sparquote zunehmen sollte, dann ist insbesondere in einer offenen
Volkswirtschaft sehr fraglich, ob die Ersparnisse für Investitionen im Inland
genutzt werden. Anstelle von Investitionen kann die höhere Ersparnis auch einen
steigenden Außenbeitrag finanzieren.
Zudem
ist nicht unbedingt gewährleistet, dass
die Investitionen, selbst wenn sie im Inland getätigt werden, das Wachstum
steigern. Barr (2000) verweist zum Beispiel auf die hohen Auswirkungen …
auf Sparquote und Wachstum Investitionsquoten der Sowjetunion, die nicht zu
einem entsprechenden Wohlstand geführt haben. Die in den letzten Jahren zu beobachtenden Blasen an Vermögensmärkten
(Dotcom-Blase, Immobilienblase) sind weitere Beispiele für klare Fehlinvestitionen.
Geringe Wachstumswirkungen sind auch in Fällen zu erwarten, in denen die
Rentenreform hauptsächlich bewirkt, dass aus einer impliziten Verschuldung eine
explizite Verschuldung wird. Die Kasachische
Rentenreform der 90er Jahre ist ein gutes Beispiel dafür. Hier hat sich der Staat verschuldet, um die
Rentenverpflichtungen aus dem Umlageverfahren weiter zu erfüllen, während
gleichzeitig eine kapitalgedeckte Altersvorsorge aufgebaut wurde. Letztere hat
ihre Mittel dann primär in Staatspapiere investiert (vgl. Spiecker, Zwiener
2000).
Denkbar wäre auch, dass die erhöhte
Sparneigung über den entsprechend niedrigeren Konsum die Konjunktur schwächt.
Es käme zu dem sogenannten Sparparadoxon. Die erhöhte geplante
Ersparnis kann schließlich nicht realisiert werden, weil infolge der
Nachfrageschwäche das Einkommen geringer ausfällt. Die Sparquote mag dennoch
steigen, allerdings infolge eines geringeren Einkommens (vgl. Cesaratto 2006,
Keynes 1936). Die empirischen Ergebnisse zum Einfluss einer Umstellung des
Rentensystems auf die Sparquote sind allerdings gemischt. Während
Schmidt-Hebbel (1998) für Chile einen Anstieg der Sparquote feststellt, ist für
Samwick (1999) Chile allerdings auch das einzige Land, in dem sich dies zeigen
lässt. Zudem bleibt erst einmal offen, inwieweit für die panelökonometrischen
Studien die Sparquoten verschiedener Länder überhaupt miteinander vergleichbar
gemacht wurden (Harvey 2004).
Neben
dem möglichen Wirkungskanal auf das Wirtschaftswachstum über höhere Ersparnisse
sind auch Einflüsse durch die angestoßene weitergehende Finanzmarktentwicklung
(Beck, Levine 2004), durch verbesserte „corporate governance“ (Clark, Hebb
2003) und durch Ansprüche an höhere Unternehmensrenditen möglich (Coronado et
al 2003). Die meisten internationalen Studien untersuchen einen weiten Kreis
recht unterschiedlicher Länder. Das häufig genannte Argument, dass die Kapitaldeckung
zur Entwicklung von Kapitalmärkten beiträgt und so das Wachstum stärkt, mag im
Falle von Chile eine Rolle gespielt haben. Solche Ergebnisse sind aber nicht
auf entwickelte Volkswirtschaften wie Deutschland übertragbar. So erstaunt es
nicht, dass Davis und Hu (2005) für Entwicklungs- und Schwellenländer einen
stärkeren Zusammenhang zwischen dem Vermögen von Pensionsfonds und dem
Wirtschaftswachstum nachweisen als für OECD Länder. Wachstumswirkungen der
Kapitaldeckung werden auch infolge verbesserter Anreize auf dem Arbeitsmarkt
erwartet (World Bank, 1994; Corsetti, Schmidt-Hebbel 1995, Deutsche Bundesbank
1999), weil eine Verlagerung von Beschäftigung in den informellen Sektor
weniger lukrativ wird. Da der informelle Sektor generell weniger effizient
wirtschaftet als der formelle, wirkt sich dies effizienz- und somit
wachstumssteigernd aus.
Die gleichen Autoren (Meinhardt, Rietzler und Zwiener), ergänzt um
Camille Logeay, haben den (deutlich kürzeren) Aufsatz „Gesamtwirtschaftliche
Folgen des kapitalgedeckten Rentensystems. Zwischen Illusion und Wirklichkeit“ vom
November 2009 verfasst. Hier werden, in einem zwar fachlichen, aber für
(interessierte) Laien durchaus verständlichen Text eine Reihe von Kritikpunkten
am KDV aufgelistet, die meine Leser – in anderer Formulierung – bereits kennen.
Die Autoren tun das in erfreulich sachlicher Weise; der Aufsatz ist auch
abgesehen von seinem hochverdichteten Informationsgehalt sehr angenehm zu
lesen. Unter anderem machen die Autoren auf einen Sachverhalt aufmerksam, über
den man als Laie (wahrscheinlich aber, wenn man nicht gerade darauf fokussiert,
auch als Fachmann) leicht hinwegsieht, nämlich die Verteilungsrealitäten, die
hinter den staunenswerten Renditeannahmen stehen, mit denen uns die
Kapitaldecker köder wollen:
„Ein unterstellter Lohnanstieg
(pro Kopf) von nominal 2,9 % bei einer langfristigen Produktivitätssteigerung
(pro Kopf) von 1,8 % (Rürup-Kommission 2003) impliziert keine langfristige
Verteilungsneutralität. Die gleichzeitig angenommene durchschnittliche
Verzinsung von 4 % geht dann von einer langfristigen Umverteilung zu Gunsten
der Kapitaleinkommen aus. Selbst wenn auf den Kapitalmärkten in der
Vergangenheit in einer bestimmten Phase eine Rendite von 4 % beobachtet wurde,
ist dies so langfristig nicht durchhaltbar. Schließlich war sie mit einer
deutlichen Umverteilung von Arbeit zu Kapital verbunden, die so nicht auf Dauer
fortgeschrieben werden darf.“
Nachtrag 18.12.09
In dem ZEIT-Blog „Herdentrieb“ berichtete Fabian Lindner am 08.12.2009 unter dem selbsterklärenden Titel „Gebühren essen Rendite auf“. Parallel erschien in der ZEIT selbst der Artikel „Rentenversicherung. Die Riester-Lotterie“ von Heike Jahberg: „Verbraucherschützer kritisieren die Riester-Rente: Die Kosten der Produkte sind ihnen zu hoch und intransparent, das Geld kommt bei den Sparern nicht an“.
Nachtrag 19.12.2009
Selbst nicht gelesen habe ich die beiden folgenden, in dem o. a. Aufsatz
„Gesamtwirtschaftliche Folgen des kapitalgedeckten Rentensystems …“ zitierten
Forschungsarbeiten, die online verfügbar und vermutlich ebenfalls KDV-kritisch
sind:
“IS THERE A LINK BETWEEN PENSION-FUND ASSETS AND ECONOMIC GROWTH? - A
CROSS-COUNTRY STUDY” von E Philip Davis and Yu-Wei Hu, Brunel
University and NIESR London (2005), sowie insbesondere das
Arbeitspapier “Reforming pensions, myths, truths, and
policy choices” des Weltwährungsfonds von Nicholas Barr aus dem Jahr
2000.
Nachtrag 30.01.2010
Wieder einmal kann ich einen Praktiker – einen der großen Akteure der
Finanzmärkte – als Beleg für den Kapitalüberschuss über die
Investitionsmöglichkeiten (und ebenso über die Konsumfähigkeit oder
Konsumbereitschaft) zitieren. (Und beiläufig auch für die tieferen Ursachen der
aktuellen Finanzkrise – vgl. dazu auch meinen Begriff eines "monetären
Vampirismus" in meinem Blott „Die
Ökonomie der Artos-Phagen: Warum eine eigentumsbasierte Geldwirtschaft (im
Basismodell) nicht dauerhaft funktionieren kann“).
Der ehemalige Investmentbanker und heutige Leiter eines
Beteiligungsfonds Leonhard Fischer sagte in dem Zeit-Interview "Der Markt versagt ständig“ vom 29.01.10 (meine Hervorhebungen):
„ZEIT: Die Investmentbanker nehmen
sich seit Jahren immer größere Stücke vom wirtschaftlichen Kuchen. Die Gewinne
sind exorbitant.
Fischer: Das stimmt wohl, und es spricht
vieles dafür, dass das Investmentbanking zu stark und zu schnell gewachsen ist.
Die zentrale Frage aber ist, warum das Wachstum so explodierte.
ZEIT: Das würden wir gern von Ihnen wissen.
Fischer: Das Weltwirtschaftssystem weist einen unverändert vorhandenen Webfehler
auf. Es gibt zu viel vagabundierendes Kapital, für das sich keine
Investitionsmöglichkeiten finden und das immer neue Spekulationswellen
erzeugt. Ein Grund liegt darin, dass die
wohlhabenden Gesellschaften des Westens, die zum Teil absehbare
demografische Probleme haben, bei der
Altersvorsorge auf kapitalgedeckte Systeme setzen. Damit das funktioniert,
brauchen sie auf der anderen Seite Länder, die noch nicht so hoch entwickelt
sind und noch stärker wachsen können und in denen dieses Kapital investiert
werden kann.
ZEIT: Solche Länder gibt es mehr als genug.
Fischer: Ja. Nur weisen Volkswirtschaften
wie China gigantische Überschüsse in der Leistungsbilanz auf, während viele
wichtige westliche Länder wie die USA ein Defizit haben, weil sie mehr konsumieren,
als sie erarbeiten. [Wie
ich oben bereits sagte: wir haben es mit einer fehlenden Kapitalabsorptionsfähigkeit zu tun!] In Amerika wird in den nächsten zehn Jahren die Babyboomer-Generation
in Rente gehen. Diese Menschen müssen dann ihre Altersvorsorge zu Geld machen.
Das wird schwerer werden als gedacht, denn die
amerikanische Gesellschaft als Ganze hat in den vergangenen Jahren nicht etwa
Ansprüche auf Rentenzahlungen aus dem Rest der Welt erworben, sondern der Rest
der Welt, allen voran die asiatischen Länder und die des Mittleren Ostens, hat
Ansprüche auf die zukünftige Arbeit amerikanischer Kinder erworben. Das ist
paradox. Ein solches systemisches Ungleichgewicht führt uns von einer Krise
zur nächsten. Und alle paar Jahre geht dann wieder eine dieser Blasen hoch. Das
ist keine Verschwörung von Investmentbankern.“
Oberflächliche Leser könnten zu dem Schluss kommen, dass Fischer das
Kapitaldeckungsverfahren zur Rentensicherung für das Problem hält. Tatsächlich
hält er es für ein Problem, aber eben nur EINES von mehreren. Man darf wohl
annehmen, dass (wie bei mir) auch aus seiner Sicht die Reichen, vielleicht aber
auch die sparwütigen Chinesen und die Ölländer, als Problemverursacher hinzukommen.
Bei weiteren Recherchen stelle ich fest, dass diese Erkenntnis eines
Kapitalüberhangs sogar auf eine noch sehr viel höhere Ebene durchgedrungen ist
(möglich, dass Fischer von daher zu seiner Aussage kam): Ben Bernanke, Präsident
des Federal Reserve Boards der USA
(Notenbankchef), soll den Begriff
einer „Global Saving Glut“ (auch: Global Savings Glut) geprägt haben, der
in der deutschsprachigen Wikipedia vorzüglich mit dem Begriff „Sparschwemme“ übersetzt wird. Während die internationalen
Ungleichgewichte natürlich nicht zu leugnen sind frage ich mich dennoch, ob die
Fokussierung auf ‚Die Anderen‘ nicht auch dazu geeignet ist, interne
„Spar“schwemmen, d. h. die Kapitalakkumulation (ohne gleichzeitigen adäquaten
Konsum oder Reinvestition in die Realwirtschaft) zu kaschieren.
Nachtrag 27.04.2010
Eine ultimative Linkseite zu Texten über die Rentenversicherung –
Informationen, Meinungen, Forderungen – hat ein gewisser Oskar Fuhlrott aus
Hamburg unter dem Titel „Quellen zur
Rentenpolitik“ ins Netz
gestellt. Leider waren jetzt bei meiner Stichprobe mehr Links tot als lebendig;
u. a. auch der zu meiner vorliegenden Webseite „Rentenreich“ (während der Link
zu meiner Eingangsseite funktioniert). Das Problem toter Links werden auch
meine Leser haben; es mangelt einfach an der Zeit, solche auszusondern (zum
Aufspüren gibt es wohl eine Software, aber schon mich damit zu beschäftigen
reicht meine Zeit nicht hin). Wenn man allerdings auf der Webseite von Fuhlrott
den Hinweis liest „Zusammengestellt von
Oskar Fuhlrott, © 22.04.2010“, denkt man natürlich zwangsläufig, dass es
sich um aktuell erstellte oder überprüfte Links handelt. Das ist aber leider
nicht der Fall.
Immerhin kann, wer ein vertieftes Interesse an der Problematik bzw. an
der Debatte darüber hat, nach den angegebenen Texten googeln.
Erg. 11.05.10: Zu den toten Links teilt mir Herr Fuhlrott jetzt mit:
„Was Sie … als ‚tote Links‘
bezeichnen, sind in den meisten Fällen nur ursprünglich interne Links auf
meiner Festplatte, die beim Kopieren auf die Website natürlich nicht ihr Ziel
finden. Nur die grafisch mit dem Symbol ‚Bildschirm+Blitz‘ (für Web-Link)
gekennzeichneten Quellen sollten durch Anklicken der zugehörigen Links direkt erreichbar
sein. Die anderen (intern vorhandenen) Dokumente darf ich aus
Urheberrechtsgründen nicht auf die Website stellen.“
Weiterhin macht mich Herr Fuhlrott auf sein „rentenpolitisches Kompendium“
aufmerksam. Nach flüchtiger Durchsicht handelt es sich um eine beeindruckende
Informationssammlung von großer Dichte (zahlreiche Tabellen). Einschlägig
Suchende werden hier schnell eine Fülle von „hard facts“ der Rentendebatte
finden.
Burkhardt Brinkmann Textstand 01.08.2010 á
... und hier, liebe Netznestnutzer,
Gelegenheiten satt zum Seitensprung:
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ECONOMIC
ROOSTER OR ECONOMY-BOOSTER?
The present discussion paper analyzes the expert opinion given by 33
leading German economists (members of the „Wissenschaftlicher Beirat beim
Bundesministerium für Wirtschaft“ – Scientific Advisory Board at the German
State Ministry of Economic Affairs, among them Prof. Hans-Werner Sinn) in 1998
under the title „Grundlegende Reform der gesetzlichen Rentenversicherung“ (fundamental
reform of [the German] old age insurance). The economists favour a partial
substitution of the present German PayGo-System by a funded system. [For more
information on this subject in English see, for instance, "Pension Reform and Demographic
Crisis: Why a Funded System is Needed and Why it is not Needed" by Prof.
Hans-Werner Sinn, CESifo Working Paper no. 195 of September 1999, paper
presented at the 55th IIPF Congress in Moscow, 23-26 August 1999]. This
operation is supposed to increase investment and thereby economic growth.
Analysing the transition from the family-based maintenance of the aged to
the present state-organised social security system with the help of a somewhat
anecdotal model, the author refutes the statement of the experts (and many
other economists) that the first generation of retirement pensioners has collected
"introductory gains". In
reality, such gains do not exist. In the times prior to the introduction of
social security, the children supported their aged parents directly (through
payments or in kind). With the introduction of the PayGo-System, the parents
had a claim against the insurance and the insurance held a claim against the
(adult) children. The pensioners of the ‚first generation’ lost the direct
claims against their working children for support, and gained claims against
the insurance. So all that happened was, at least on an abstract model-type
level, a redirection of funds, which now were paid to the old generation only
after a ‚detour’ to the insurance. Had the first generation introduced a funded
instead of a pay-as-you-go-system, that generation would have had to pay twice:
directly to their parents, and to the funded insurance for their own old age
support.
A central assumption of the experts, heavily criticized in the this text,
is that a pay-as-you-go-system is based exclusively on the formation of human
capital and, on the other hand, a funded system exclusively on real capital.
Obviously, both the PayGo- and the funded system rely on human and real capital to
operate. In a modern economy, nothing can be produced without both of these factors,
and therefore any claims, that a PayGo-System is based exclusively on the formation
of human capital, express a mistaken concept of how the economy works (or are
brought forward with the intention to deny the liabilities of the
capital-owners to society in general and to the unpropertied members of society
in particular).
If one considers the 'human capital' strictly under the aspect of
'capital', the question of how to reward those who supply this production
factor will have to be faced. Not only the learning/working 'children' have
paid for this type of capital. The parents, too, have invested a lot of money
(and time) in their children. Therefore, in the eyes of the author the logic of
capitalism would demand that parents should be given a direct claim against
society for some kind of interest/dividend (or, preferably, given adequate
financial support by the state while they are raising the children). The
parents have, after all, (in so far as they have incurred expenses for their
children or missed chances to make money) renounced the possibility to
accumulate cash and instead have accumulated human capital: for the benefit of
society in general and for the benefit of real capital owners in particular.
Even a funded pension system clearly cannot operate without human capital, but
whereas capital owners claim and obtain interest as a matter of course, those
who have invested in (or ‚saved’) human capital are not generally entitled to
any direct material reward either individually from their children or from
society as a whole. (Parents may have direct claims for support against their
children when they are in need, but that is, today, rather an exception). Or,
to put it differently: when parents want to use capital, they have to pay interest.
When capital owners want to use the human capital that the parents have saved,
they pay no compensation to the
parents.
This imbalance probably makes itself felt much more in the
Comparing the two old age insurance systems the author concludes that
there is no evidence to prove that a (complete or partial) transition to a
funded system would solve (or substantially mitigate) the effect of the
forthcoming demographic problems (in
One of those doubts is ecological: If a funded system was successfully
introduced, i. e. if it would actually work and lead to an increase in
investments and production above the 'normal' output-level, that would most likely
entail a faster increase in the consumption of natural resources as well. A
shortage or higher production cost of/for those natural resources would in turn
lead to higher prices (be they cost-generated and/or market-generated). And
such a development would obviously devour any calculated economic benefits to
be drawn – hypothetically – from a funded pension system. In the end, we might
be worse off than with our good old PayGo system. Because the experts omit this
central aspect of our (future) reality, the impressive mathematical
calculations of (not only) the German economists might well be named a 'reduced
instruction set computing'. And that type of 'RISC' could easily turn out to
increase the risk for the future of mankind. The author of this discussion
paper is, of course, not the first one to notice that mankind will be facing an
increasing deterioration of our natural environment and depletion of natural
resources. But even though this message is not new, it will most likely come
true. And, of course: the faster we go ahead, the sooner the resources will be
gone.
[228] D. h. die US Social Security
[1] Es gehört (wahrscheinlich) nicht direkt zum Thema, sei aber hier (aus Gründen der Frustration) gleichwohl angemerkt, dass es in den USA eine ASF (Acceleration Studies Foundation) gibt. Sollte es sich ereignen, dass in meinem Aschevolk irgend jemand mal auf die Idee kommt, eine "Stiftung zum Studium der Akzeleration" zu gründen, erst dann wohl wären wir nicht mehr was wir sind: PISAnien! – 20.11.05
[2] Net-Essay
[3] Etwa gar die/der welterste Biblia pauperum/Orbis pictus des Weltnetzzeitalters?
[4] Die Übernahme der Rentner aus der Ex-DDR wäre an sich wohl ein geringeres Problem, wenn die gleichzeitig übernommene wirtschaftliche Basis für deren Versorgung angemessen gewesen wäre. Das war bekanntlich nicht der Fall.
[5] "Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft hat sich in mehreren
Sitzungen, zuletzt am 20. und 21. Februar 1998, mit dem Thema befasst", heißt es einleitend. Genau gleichzeitig befasste sich ein gewisser Jay Hanson in Amerika mit unserer Umwelt und schrieb oder veröffentlichte fast auf den Tag gleichzeitig, nämlich am 20.02.1998, ein "Requiem" über dieses Thema (http://dieoff.org/page181.htm). Was sagt Ihnen das? Vermutlich nichts – und genau darin liegt das Problem! Es dürfte sich dabei um jenes "Problem of Denial" handeln, dem William R. Catton jr. eine Studie gewidmet hat (http://www.greatchange.org/ov-catton,denial.html).
[6] Davon geht auch Prof. Sinn aus: vgl. seinen Aufsatz "Das demographische Defizit – die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen", ifo Schnelldienst 5/2003, S. 32.
[7] Nachtrag v. 20.12.06: Der Leipziger Soziologe Christian Marschallek hat sich im Jahre 2003 in einer Arbeit u. d. T. "Die 'schlichte Notwendigkeit' privater Altersvorsorge. Zur Wissenssoziologie der deutschen Rentenpolitik" Gedanken darüber gemacht, auf welche Weise (oder auf welchen Pfaden) die Politik zu Änderungen – und zwar in ganz bestimmten Richtungen – in der Rentenpolitik gekommen ist. Sonderlich erhellend finde ich seine Ausführungen (die ich allerdings nur flüchtig quergelesen habe) zwar nicht. Welche handlungsrelevante Erkenntnis gewinnen wir denn dadurch, dass wir z. B. den Begriff "Schließung des Wissensmarktes" ins Spiel bringen? Jede Entscheidung schließt schließlich den "Wissensmarkt" zunächst ab, d. h. sie schließt den Prozess der Entscheidungsfindung ab. Bis zur nächsten Entscheidungsfindungs- und Entscheidungsrunde. Immerhin ist die Perspektive seiner (relativ kurzen) Arbeit interessant, weil sie sich zum einen nicht auf die Probleme richtet, sondern auf den Entscheidungsprozess. Außerdem stellt er, wenn ich es richtig verstehe, die Frage nach eventuellen Unterschieden zwischen der wahrgenommenen und der tatsächlichen Problemdimension in den Raum.
[8] Die Quellenangabe "Ziff. ..." bezieht sich, soweit nicht anders erwähnt, immer auf das Gutachten.
[9] Deshalb in meiner Überschrift der Begriff "ökonomische Akzeleration".
[10] Zitat aus S. 26: "This philosophy was
shared by the Council of Advisors of the German Ministry of Economics who used
it to postulate a partial transition to a funded system".
Die Urheberschaft am tragenden Argument des Gutachtens rechtfertigt auch (unabhängig davon, ob – wie zu vermuten ist – das Gutachten weitgehend von ihm verfasst wurde oder nicht) die 'journalistische' Zuspitzung auf die Person von Prof. Sinn in meiner Überschrift. Was es mit der 'Konjunktionssubstitution' auf sich hat, werde ich weiter unten erläutern.
[11] Die Umsetzung ist insoweit bislang unvollständig, als die ergänzende private Altersversicherung noch nicht - wie von den Gutachtern gefordert - obligatorisch ist. Doch darf man angesichts der diesbezüglichen politischen Diskussion eine entsprechende Änderung wohl schon bald erwarten.
[12] Was allerdings auch nicht nutzlos sein muss: nicht umsonst haben schließlich große Feldherrn die Taktiken ihrer geschichtlichen Vorgänger studiert.
[13] Inhaltlich gibt es, wie wir noch zeigen werden, freilich eine Reihe von Punkten, wo das Gutachten Wissen nicht schafft, sondern eine Interpretation der Fakten mit dem methodologischen und terminologischen Rüstzeug der Wirtschaftswissenschaft eher vermeidet.
[14] Eine ausführlichere und vorzügliche, auch allgemeinverständliche, Kritik der von den Befürwortern des KDV vorgetragenen Argumente hat Christian Christen unter dem Titel "Privatisierung der Alterssicherung. Gefährliche Illusion über den Reichtum für alle" publiziert. Seine Argumente decken sich teilweise mit meinen; gleichwohl erschien es mir nicht unnütz, die Kritik zum einen ganz präzise an den konkreten Argumente des Gutachtens festzumachen, zum anderen sie auch mit Denkmodellen noch stärker zu veranschaulichen. Im übrigen ist allerdings der weltanschauliche Hintergrund bei mir doch ein wenig anders, als man ihn bei Christen vermuten muss. Zwar sehe natürlich auch ich, dass bei der Frage der Einführung des KDV ganz konkrete (Kapitalverwertungs-) Interessen am Wirken sind (und ärgere mich, wie hoffentlich deutlich wird, als Proletarier auch gehörig über die Unverfrorenheiten des Kapitals). Trotzdem halte ich die Klassenfrage nicht für den letztlich entscheidenden Antrieb des geschichtlichen Werdens.
[15] In diesen Kontext gehört auch die Frage, ob die Argumentation für die Einführung des KDV im Verhältnis zur sonstigen wissenschaftlichen Position der Autoren als ausgewiesene Marktwirtschaftler stimmig ist.
[16] Mit der Verwendung des Begriffs "ideologisch" lege ich mich zweifellos ins Lotterbett der Vorstellung von einer Ideologie, die hinter unserem Gesellschaftssystem steht ('kapitalistische Ideologie'). Ganz sicher steht hinter unserem Gesellschafts- auch ein Denksystem. Gleichwohl würde ich es im Hinblick auf die Erkenntnisfunktion von Begriffen für besser halten, den Begriff "Ideologie" auf 'konstruierte' Ideologien zu beschränken, also im wesentlichen auf den Marxismus. Schon beim Nationalsozialismus ist der Nutzen eines solchen Begriffes fraglich (wegen der dürftigen gedanklichen Fundierung und der Beschränkung nur auf bestimmte Aspekte der Gesellschaft); beim 'Kapitalismus' sehe ich eher ein 'gewachsenes' Denksystem als eine 'gemachte' Ideologie. Den Kapitalismus als Ideologie zu 'denunzieren', hat aus meiner Sicht die Funktion, eine Vergleichbarkeit von Nicht-Vergleichbarem vorzutäuschen, d. h. im Grunde die 'Ideologie' im Sinne meines (engen) Begriffsverständnisses aufzuwerten. Da mir jedoch für den vorliegenden Zusammenhang kein besseres Wort einfällt, muss ich es mir hier durchgehen lassen.
[17] Für mich persönlich hat die Einführung der 'Riester-Rente' keine unmittelbaren Auswirkungen.
[18] Dieser Ausdruck will lediglich die Wirkung bestimmter Passagen des Gutachtens auf mich beschreiben. Er bedeutet nicht, dass ich den Kapitalbesitzer oder den Gutachtern als Personen Arroganz unterstelle.
[19] S. 28 seines Aufsatzes "Pension Reform and Demographic
Crisis: Why
a Funded System is Needed and Why it is not Needed".
[20] Bei genauerem Hinsehen kann man –2- Arten von "Einführungsgewinnen" unterscheiden, nämlich einerseits denjenigen, welchen die erste Rentnergeneration dadurch erhalten haben soll, dass ihr ein Rentenanspruch ohne vorherige Beitragszahlung gewährt wird. Diese Vorstellung ist Gegenstand meiner Kritik. Eine andere Art von Einführungsgewinnen wird durch Ausdehnung des Rentenanspruches (ohne bzw. aufgrund versicherungsmathematisch zu geringer Beitragsleistung) auf andere Gruppen, z. B. die Selbständigen erzielt (vgl. im Gutachten unter Ziff. 33: "Besonders große, aber weniger gut begründete Gewinne wurden den Selbständigen gewährt, die Anfang der siebziger Jahre rückwirkend einzahlen durften und auf diese Weise vergleichsweise hohe Ansprüche erwarben". Dieser Sachverhalt mag in der Tat negativ zu bewerten sein und ist jedenfalls nicht Gegenstand meiner Kritik an dem Begriff "Einführungsgewinn".
[21] Spätestens seit dem Aufsatz "Eine konstitutionelle Reform der Altersvorsorge" von Michael Voigtländer und Barbara Henman (Otto-Wolff-Institut Discussion Paper 2/2003 vom Juli 2003) ist es damit allerdings vorbei. Auf S. 7/8 wird sachlich-nüchtern (und im Ergebnis mit den gleichen Argumenten wie bei mir) die Vorstellung von einem Einführungsgewinn widerlegt. Wem also die leicht ironische Färbung in meiner Darstellung missfällt, oder wer grundsätzlich Positionen zu ökonomischen Fragen für unmaßgeblich hält, welche nicht von Mitgliedern der 'Zunft' entdeckt oder bestätigt werden, möge dort Einkehr halten. Ich freilich fürchte, dass jene, welche ganze Gedankengebäude auf dem Luftkissen des "Einführungsgewinns" hochgezogen haben, sich nur ungern eines Besseren belehren lassen wollen. Deshalb scheint es mir nicht unangemessen, die absolute Unhaltbarkeit einer derartigen Meinung nicht nur mit aller Deutlichkeit, sondern vor allem auch "molto con brio" herauszuarbeiten.
Im übrigen ist der Aufsatz von Voigtländer/Henman aber auch ein Beleg dafür, wie tief sich die von den Gutachtern vertretene (wenn auch vermutlich nicht erstmalig aufgestellte) Vorstellung in der Wirtschaftswissenschaft festgesetzt hat, dass das Funktionieren des Umlageverfahrens ausschließlich von der Zahl der Kinder abhängt. Eine solche Auffassung steht nämlich implizit im Hintergrund des Vorschlages von Voigtländer/Henman, die Kinderlosen müssten ihre Rentenvorsorge im KDV allein finanzieren. Zwar räumen sie dabei ein, dass auch die Kinderlosen z. B. die Ausbildung des Humankapitals mitfinanzieren. Was jedoch auch hier gänzlich fehlt ist die Einsicht, dass die Renten nur aus dem Zusammenwirken von Human- und Realkapital erwirtschaftet werden können, und dass die volkswirtschaftliche Kapitalbildung aufgrund der Struktur unseres Wirtschaftssystems auch (und zwar auch nach ihrer aktiven Zeit) denjenigen zu Gute kommen muss, welche als Erwerbstätige an ihrer Schaffung mitgewirkt haben, ohne rechtlich Kapitaleigentum zu besitzen (womit ich indes keinesfalls leugnen will, dass die Benachteiligung der Eltern mit der Einführung eines solchen Zusammenhangs noch nicht aufgehoben ist). Dies muss natürlich ganz besonders dann gelten, wenn man die Eigentumsstruktur als rationales Konstrukt versteht, welche die Gesellschaft in gleicher Weise zweifellos auch ohne Kenntnis der konkreten eigenen Interessenposition entwickelt haben würde. (Genau das will mein weiter unten entwickeltes Denkmodell über den "Sozialvertrag des Kapitalismus" besagen, das im übrigen auch gar nicht neu ist, sondern uns von den Kapitalisten schon lange vor-gesagt wurde. Ich drehe nur die Spitze mal um 180 Grad in die Gegenrichtung.)
Scherzhaft könnte man also sagen: Bevor wir hinter einem "veil of ignorance" ein Modell für die Rentenfinanzierung konstruieren, müssen wir zunächst den Schleier des Unwissens darüber lüften, welche Ratio denn hinter der Eigentumsverteilung im Kapitalismus steckt, und welche Konsequenzen eine folgerichtige Anwendung des kapitalistischen Wirtschaftsmodells für das Humankapital (hier: als Rentner) und für die Humankapitalsparer (Eltern) haben muss.
[22] Wenn Sie das Buch nicht kennen, kann ich Ihnen leider auch nicht helfen. Insbesondere nicht mit bibliographischen Details. Wie damals nicht selten, wurde das Buch auf stark säurehaltigem Papier gedruckt und mit Klammerheftung (Drahtheftung) gebunden. Bei meinem Exemplar sind die Klammern durchgerostet und die meisten Seiten, darunter leider auch das Impressum, verschwunden. Der Rest des Textes ist durch Säurefraß korrumpiert. Nur die hier zitierte Passage ist – wie durch ein Wunder – vollständig erhalten geblieben.
[23] Tatsächlich hatten die Kaisers 7 Kinder: so, wie es zu Kaisers Zeiten halt üblich war. Davon waren aber drei schon verheiratet und hatten ihrerseits bereits eigene Kinder. Vater und Mutter Kaiser wollten diese drei nicht doppelt belasten und verzichteten auf Leistungen von den Verheirateten, weil die Zahlungen der vier noch im Hause lebenden Kinder für ihren bescheidenen Unterhalt völlig ausreichten.
[24] Niederdeutsch für "Schrank"
[25] Keine selbst erfundene Geste, sondern eindeutig bei Peter Falk (alias Colombo) abgeguckt!
[26] Das Verstehen abstrakter Texte ist bei mir als Proletarier nicht so mein Ding; deshalb hatte ich beim Lesen dieses Satzes die insoweit vorhandene Widersprüchlichkeit des Gutachtens nicht sogleich entdeckt.
[27] Da es hier um die
Frage geht, ob die 1. Rentnergeneration Ansprüche ohne eigene Leistungen
erhalten hat, ist es unerheblich, dass die Rentenversicherung seinerzeit massiv
Kapital angesammelt hat. Es tut hier also auch nichts zur Sache, dass die
Rentenfinanzierung erst 1969 vollständig auf das Umlageverfahren umgestellt
wurde (dieses Datum entnehme ich der Anm. Ziff. 1 der Arbeit von Börsch-Supan et al. "Pension reform, capital markets, and
the rate of return").
Wenn man in Ziff. 33 des Gutachtens liest, dass die gesetzliche Rentenversicherung in den ersten zehn Jahren bereits ein Vermögen in Höhe des Siebzehnfachen (!) der jährlichen Renten akkumuliert hatte, kommt man bei konsequenter Anwendung unseres Denkmodells sogar zu dem Schluss, dass die Alten damals geradezu betrogen wurden. Hätte es nämlich keine gesetzliche Rentenversicherung gegeben, hätten die Jungen (theoretisch zumindest) ihren Rentner-Eltern sehr viel mehr zahlen können, als diese von der Rentenversicherung erhielten.
[28] Das ist natürlich immer nur modellhaft zu verstehen; im Einzelfall mag das ganz anders gewesen sein.
[29] Der kulturelle Aufschaum Deutschlands hat nichts gegen die Ökonomie – so lange sie liefert. Wenn nicht, geht das Gewetter los: "Unseliger Ökonomismus" poltert Philosoph Peter Sloterdijk in dem Interview u. d. T. "Deutsche wollen müssen“ (WamS 12.12.04). Und wenn er sich dann gleichzeitig über den "Hass auf die Eliten" beklagt, Reiche einfach mit solchen gleichsetzt, die den Reichtum durch eigene Arbeit erworben haben und jammert, dass heutzutage selbst die Ärmsten sich für berechtigt halten, die Natur auszubeuten, dann versteht man, dass er die gleiche Botschaft verkündet, welche die Modernisierer den Armen predigen. Nur möchte er natürlich nicht, dass auch die Kulturschaffenden arm gemacht werden, das wäre, pfui, "unseliger Ökonomismus" (während alles andere staatlich verordnetes Fitness-Training und weitgehend selbst verschuldete Armut ist). Zum Lohn für ihren Schulterschluss mit den Arbeitern der Faust hätten die Arbeiter des Kopfes doch gern eine Belohnung. (Wobei freilich die Arbeiterbündnishände nicht jene rissigen von Trümmerfrauen sind, sondern eher solche vom Typ Räuber Winfried, dessen glückliches Händchen "zärtlich eine wohlgefüllte Börse hält".)
Und so verdächtige ich denn auch den Bannstrahl gegen das Wort Humankapital, nicht interessenneutral zu sein. Begründet wird die Verunwortung des Humankapitals damit, dass die Verwendung dieses Begriffes die primär ökonomische Bewertung aller Lebensbezüge fördere. Indes ist das Ökonomische nun einmal unsere Existenzgrundlage; wer Kinder hat, und wenig Geld, spürt das schmerzlicher als jene, die – mit oder ohne Kinder – viel Geld haben. Die Verwendung des Begriffs "Humankapital" ist riskant – für jene, die das Realkapital halten. Weil der Begriff Renditeansprüche der Kapitalsparer evoziert – dazu unten mehr. – Erg. 20.01.05
[30] Dazu später mehr beim Thema "Sozialvertrag des Kapitalismus".
[31] Für Freunde niederdeutscher Dialekte dazu eine literarische Illustration: "... Weei säiden met sierben Kinner beei Disk un äiden wie däi Piar | Ouse läiwen Ellern däi quirlen sick ... | Oß ick nau sonn lütken Bengel war, do läip ick in'n Sommer barsk | In'n Winter hadde ick Holsken an, for Schouh war dat Jeld to knapp. | Van sou vierlen Minsken äiner vordäint, do jinkt jo auk nich jout; | Owwer Braut lag ümmer in'n Schappe rinn, weei möchten olle jraut." [Entnommen aus dem "Schilsker Lied"; Text und Melodie von Rudi Brinkmann (Vater des Verfassers).]
[32] Das gleiche dürfte für die Konjunkturprognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute zutreffen, bei denen lediglich fehlerhafte Annahmen über die künftige Wirtschaftsentwicklung zu den in der Regel falschen Prognosezahlen führen.
[33] Prof. Sinn ist allerdings kein grundsätzlicher Gegner des Umlageverfahrens. In seinem Aufsatz THE PAY-AS-YOU-GO PENSION SYSTEM AS A FERTILITY INSURANCE AND ENFORCEMENT DEVICE (CES Working Paper Nr. 154 v. Jan. 1998) kommt er zu dem Schluss, dass "a moderately sized PAYGO system will always increase welfare". Die Ergebnisse seiner in dem Papier entwickelten mathematis