Italienreich:

 

Bibliothek

LE CHIEN QUI LIT

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"Das Land der Sehnsucht mit der Lesebrille suchen"

 

 

I.                                        Werke aus der Zeit bis 1914
II.                                      Einige Werke aus der Zeit nach 1914
III.                                    Und noch etwas als finalen Spaß

 

 

 

I. Werke aus der Zeit bis 1914:

 

De Brosse, Charles: Des Präsidenten Charles de Brosses vertrauliche Briefe aus Italien an seine Freunde in Dijon 1739-1740. 2 Bände. München 1918/1922. XXII,518;555 S. mit insgesamt 79 Tafeln, OHldr.

Peinlich, peinlich: dass ich gleich am Anfang ein Buch aufführe, welches ich nicht einmal gesehen, geschweige denn gelesen habe. Es ist jedoch dermaßen berühmt, dass ich es gern kennenlernen würde. Dem steht freilich der antiquarische Preis der einzigen deutschen Auflage entgegen. Und der französischen Auswahlausgabe mit den schönen Kupfertiefdruckfotografien ist mein rostiges Schulfranzösisch nicht gewachsen.

 

Goethe, Johann Wolfgang von: Briefe aus Italien. 1768 – 1788.

Nee, nee, nich die "Italienische Reise", die natürlich schon wegen ihrer Wirkungsgeschichte hochinteressant ist. Aber zum Lesen ziehe ich die Briefe vor, sowie die Tagebücher der Italienischen Reise (bzw. was Goethe beim Zerschnippeln der Tagebücher und beim Zusammenpappen der "Reise" von den Tagebüchern noch übrig gelassen hat). Die mir vorliegende Zusammenstellung der "Briefe" ist übrigens in der DDR erschienen, 1982 im Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig. Dass es einen Leineneinband hat und mit umfangreichen Anmerkungen versehen ist, versteht sich für ein DDR-Buch schon beinahe von selbst. Einige Briefe Goethes aus Italien (besonders jene an Frau von Stein) sind zwar gelegentlich auch anderswo zusammen mit dem "Tagebuch" im Druck erschienen, aber eine derart reichhaltige Zusammenstellung von Goethes Italienbriefen wie in diesem Band habe ich sonst noch nicht gefunden.

 

       Ein gelehrtes und doch vorzüglich lesbares Buch über Goethes Aufenthalt in Rom hat Julius Vogel verfasst. 1905 ist es unter dem Titel "Aus Goethes römischen Tagen" erschienen. Während Vogel am Anfang des 20. Jh. sozusagen die geistige Begegnung Goethes mit Rom schildert, zieht am Ende des Säkulums (1999) Roberto Zapperi mit kriminalistischem Scharfsinn endlich jenen diaphanen Schleier weg, welchen der Genius über seine körperlichen Kontakte mit der Römerin gebreitet hatte: "Das Inkognito. Goethes ganz andere Existenz in Rom". [Andere Zeiten – andere Interessen!]

 

Wie sagte doch JWG? "Geh den Weibern zart entgegen / Du gewinnst sie, auf mein Wort / Und wer rasch ist und verwegen / Kommt vielleicht noch besser fort." Goethe war eben in jeder Hinsicht ein Olympier; Zeus sei mein Zeuge! Giovanni Mosca (s. u. bei Ziff. III) hätte sich gefragt, woher Goethe seine Illusionen über die Initiativrechte im Geschlechterverhältnis bezog - 100 Jahre bevor Heinrich Mann den Latin Lover auf der Jagd "Zwischen den Rassen" nach dem munteren deutschen Rehlein verfolgte. (Gänzlich unbeleckt war unser Rehlein wohl nicht; zumindest scheint sie zungenfertig gewesen zu sein.) Wer mehr über die zwischenmenschlichen Beziehungen im Rom der Spätgoethezeit lesen will, wende sich vertrauensvoll an Wilhelm Müller (s. u.).

 

Gregorovius, Ferdinand: Wanderjahre in Italien.

       Für mich das schlechthinnige Italienbuch an sich, mit starker Betonung der Geschichte (Gregorovius war Historiker und hat u. a. eine voluminöse "Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter" geschrieben, die allerdings weit über eine Stadtgeschichte hinausgeht). In den "Wanderjahren" versteht es Gregorovius (der eine Zeitlang daran gedacht hatte, Dichter statt Historiker zu werden) jedoch, Geschichte, Zeitgeschichte und persönliche Reiseerlebnisse zu wundervollen Texten zu verweben. Unter den zahlreichen Ausgaben besonders handlich ist eine im Verlag Jess, Dresden, zumindest 1925 und 1928 erschienene Dünndruck-Version, die zwar in Leinen gewandet, jedoch vom Format her ein "Taschenbuch" im wahrsten Sinne des Wortes ist. Doch ist das Werk – als Ausnahme unter der nicht-goethischen älteren deutschen Italienliteratur - ein Dauerbrenner und deshalb auch aktuell in einer schönen und preiswerten Ausgabe im Beck-Verlag zu haben (ja, ja, das ist derjenige Verlag, welcher auch dafür sorgt, dass Oswald Spengler nicht untergeht: dafür doppelt Dank!).

       Möchten Sie die Wanderjahre mal anlesen (für eine Rundlektüre indes geht doch nichts über ein reales Buch mit handschmeichlerischem Rundrücken!), können Sie das im Gutenberg Projekt tun. Und falls für ihn, sie oder es deutsche Sprach schwäre Sprach ist, finden sie es bei Roberto Piperno teilweise auf Englisch paraphrasiert. Danke, Signore Piperno, dass Sie der angelsächsischen Welt das Werk von Gregorovius nahe zu bringen versuchen!

 

Ebenfalls von Gregorovius sind posthum erschienen: Römische Tagebücher. Auch diese molto piacevole da leggere [hoffe nur, meine gelegentlichen Ausflüge in die dolce lingua sind nicht allzu sehr verunglückt].

 

Hase, Karl August von: Erinnerungen an Italien in Briefen an die künftige Geliebte.

Sein Name war Hase, "von Hase", doch wusste er eine Menge zu erzählen, und das in elegantem Plauderton. Überhaupt hat sich die ganze von mir favorisierte Autorenkorona – Gregorovius, von Hase, Haeckel, Hehn – stark an Goethe orientiert, aber die Sprache dieser Autoren ist – anders als die Sprache Goethes, die mir persönlich den Zugang zu seinem Werk, auch zu seiner "italienischen Reise", doch ziemlich erschwert – bei dieser Generation bereits "modern".

Zwischen diesem Buch und dem von Haeckel (vgl. unten) gibt es eine Fülle verblüffender Parallelen: in beiden Fällen handelt es sich um Briefe an die Braut, beide haben ihre jeweils beschriebene Italienreise zwischen zwei Lebensabschnitten – nach Abschluss des Studiums und vor Antritt der Professur (von Hase war Theologieprofessor) unternommen, beide wurden dann Professoren in Jena, in beiden Fällen wurden die Briefe erst posthum herausgegeben (v. Hase reiste 1829/1830, die erste Auflage der Briefe erschien 1890) und beide sind nicht (immer) allein gereist: v. Hase war zusammen Dr. Hermann Härtel unterwegs, dem Inhaber des Leipziger Musikverlages Breitkopf und Härtel. Haeckel wurde zeitweise von Hermann Allmers, Verfasser der seinerzeit sehr populären "Römische(n) Schlendertage", begleitet, durch dessen Einfluss sich seine relative Italophobie zu einer relativen Italophilie wandelte.

"Ganz wie der Leser sie aufnimmt, so haben die Büchlein ihr Schicksal" sagte, wenn ich dem "Büchmann" trauen darf, im alten Rom ein gewisser Terentianus Maurus (das Zitat wird meist verkürzt wiedergegeben mit "habent sua fata libelli"). Hases Briefe erlebten 1890, 1891 und 1896 gleich drei Auflagen, um dann völlig in Vergessenheit zu fallen. Erst die Deutsch-Italienische Vereinigung in Frankfurt (DIV – vgl. Linkliste Italien) gab 1992 eine Neuauflage heraus, im Verlag "v. Hase & Koehler". Bearbeitet und mit umfangreichen Anmerkungen sowie einem ausführlichen Nachwort versehen wurde diese Ausgabe von Maria Aurora v. Hase-Salto. Leider entspricht die äußere Gestalt des Buches in keiner Weise dem inneren Gehalt oder der editorischen Mühe. In der ersten Anmutung hat es für mich so ungefähr den Charme eines Handbuchs für den Zusammenbau von Computerteilen, und da wundert es einen nicht, wenn man im Impressum liest "Gesamtherstellung: ... Communikations-Service ...". Genau so sieht es auch aus; insoweit sind die verlegenden Nachfahren nicht gerade liebevoll mit dem Vermächtnis ihres Ahnen umgegangen. Doch mag es nicht nur an der wenig attraktiven Ausstattung gelegen haben, nicht einmal am Desinteresse der (potentiellen) Leser, dass diese Auflage (soweit mir bekannt) kein Erfolg wurde. Es ist vermutlich schwierig, einen heute im breiten Publikum völlig unbekannten Autor überhaupt in die 'Rezensionsmaschinerie' einzuschleusen, die ihm erst eine breitere Resonanz verschaffen könnte.

 

Insoweit hatte die DIV ein ausgesprochen glückliches Händchen mit der Herausgabe der "Reise durch Italien im Jahre 1740" von Johann Caspar Goethe, dem Vater von Johann Wolfgang Goethe. Zum einen verkauft sich natürlich schon der Name Goethe beinahe von selbst, und wohl nicht nur bei den Lesern, sondern auch bei den Literaturvermittlern. Zum anderen war das Timing der Veröffentlichung zum 200-jährigen Jubiläum der berühmten Italienreise von J. W. G. perfekt. Und schließlich war die Publikation insofern ein regelrechter "Coup", als die geballte Goetheforschung in den über 100 Jahren ihrer organisierten Existenz es nicht geschafft oder nicht für nötig befunden hat, das Buch dem Publikum zugänglich zu machen. Der alte Goethe hatte es (mit der Hilfe eines italienischen Sprachlehrers) auf italienisch (!) geschrieben. Die erste Publikation (auf italienisch) erfolgte 1932 in Rom durch den germanophilen italienischen Wissenschaftler (tja, Faschist war er allerdings auch ...) Arturo Farinelli in 2 Bänden 1932 und 1933. Die deutsche Übersetzung wurde 1986 herausgebracht; zunächst als Taschenbuch bei dtv, später auch als Hardcover bei Beck. Mit der Edition feierte die DIV ihr 20-jähriges Bestehen, und das fiel glücklich mit '200 Jahre Italienische Reise' zusammen. Inhaltlich ist es eine ziemlich zähe Lesekost, doch ist das Buch für viele, welche die Reisebeschreibung von Goethe Junior gelesen haben, zweifellos ein "Muss", das man sich schon wegen des Vergleiches beider Sicht- und Darstellungsweisen einfach mal antun muss.

 

Haeckel, Ernst: Italienfahrt. Briefe an die Braut 1859/1860.

(vgl. dazu auch meine Bemerkungen oben bei "von Hase"!)

Die Briefe sind "echt", in dem Sinne, dass sie nicht für die Nachwelt geschrieben wurden, sondern ganz privat für die Verlobte Haeckels. Erst 1921 wurden sie posthum veröffentlicht (und haben leider wohl auch keine weiteren Auflagen erlebt). Trotzdem liegt der Lesegenuss nicht in voyeuristischen Einblicken in private Bereiche, sondern in der hohen stilistischen Qualität der Briefe. Haeckel war Zoologe und wurde später als Philosoph des "Monismus" ("Die Welträtsel") zeitweise recht populär (Monistenbund).

Anders als Goethe hat Haeckel keineswegs von vornherein über Italien geschwärmt, vielmehr sich erst nach und nach mit den Mängeln des (damaligen) Italien ausgesöhnt. Gleichwohl hat auch er von seiner Reise enorm profitiert. Das Mikroskop für seine Forschungen dort unten hat er bei einem Professor in Florenz gekauft (das war bevor Zeiss und Abbé in Jena ihre optischen Werkstätten errichtet hatten), und die Meerestierchen, zu deren Erforschung er diese Reise unternommen hatte und über die er habilitiert hat, aus italienischen Gewässern (Messina) gefischt bzw. fischen lassen. Man könnte also sagen, dass er wie Goethe (wenn auch in anderer Weise) Italien eine Menge verdankt. Den Italienern kam er "tedeschissimo" vor. Kein Wunder: er konnte nicht nur kräftig marschieren, sondern hat auch gelegentlich in der freien Natur  "Urschreie" ausgestoßen – mamma mia, mag das zum Fürchten gewesen sein: in jenen Zeiten ante Psychodingsbums und Arthur Janov!

Erg. 28.10.03: Soeben zufällig eine online-Publikation dieses Buches gefunden: http://www.zum.de/stueber/haeckel/italienfahrt/index.html!

 

Hehn, Victor. Italien, Ansichten und Streiflichter.

Mit "Niederlande" überschreibt Hehn ein Kapitel über die Wasserbauten in der Poebene: eine gigantische Kultivierungsarbeit , die sonst zumindest in Reisebüchern kaum jemals ausführlich gewürdigt wird. Feine Ironie ist das durchgängige Stilmittel des Schlussteiles unter dem Titel "Einige Rathschläge, die nicht im Bädeker stehen". Dazwischen gibt es, was der Titel erwarten lässt: kein systematisches Italienwerk, wo alles abgehandelt wird und beim Leser am Ende nichts haften bleibt, sondern eben "Ansichten" und "Streiflichter", die einige Themen brillant vertiefen.

Hehn hat Italien geliebt, gewiss, doch ist er keineswegs ein kritikloser Fan der seinerzeitigen politischen und sozialen Zustände Italiens gewesen. Das wird nicht nur an vielen Stellen der "Ansichten und Streiflichter" deutlich, sondern z. B. auch im Vorwort zu seinem weiteren (und gleichfalls noch heute lesenswerten) Werk "Reisebilder aus Italien du Frankreich". Dort kritisiert er das Buch "Rom, Römer und Römerinnen" so: "Ihr Hauptorgan [d. h. der romantischen Reiseliteratur] ... wurde Wilhelm Müller mit seinem vielverbreiteten Buche Rom, Römer und Römerinnen. Diese Schrift kann man als vollständigen Kodex aller von den Romantikern gehegten und gehassten Grundsätze ansehen, und zwar praktisch auf einen besonderen Gegenstand angewandt. Unter den Städten Italiens schien ihm nicht etwa die Bevölkerung von Mailand oder Florenz als die edelste und den übrigen voranstehende (diese ist schon zu fleißig, zu aufgeklärt, zu wohlhabend) sondern die von Rom und seiner Umgegend, wo alle Handwerke in der Kindheit sind, wo die dichteste Finsternis herrscht, wo Verbrechen und Elend, Krüppel an jeder Straßenecke, Bettler auf jedem Schritte das hässliche Bild vergangener Jahrhunderte gewähren. Wilhelm Müller flieht die höheren Stände, denn diesen hat der Gedanke der modernen Zeit schon seine Gestalt gegeben; im Gegenteil, er gefällt sich in der Osteria und merkt nichts vom Schmutz und Gestank, der darin herrscht ..." und so weiter. Tja, auf dem Hintergrund einer solchen Philippika macht die Lektüre von Müllers Buch (vgl. unten) doch glatt doppelt so viel Spaß!

 

Howells, William Dean: Leben in Venedig.

Als Venice noch bei Öst'reich war, Anfang der 1860er Jahr', residierte dort (also in Venedig) drei Jahre lang der amerikanische Schriftsteller William Dean Howells als Konsul seines Landes. Damals muss so ein Job, zumindest auf diesem Posten, noch eine relativ gemütliche Angelegenheit gewesen sein; jedenfalls hatte Howells offenbar genügend Zeit, um das Alltagsleben sorgfältig und liebevoll zu beobachten und zu schildern. Ebenso wie Gregorovius' Wanderjahre sind auch die Texte von Howells' "Venetian Life" zuerst als Zeitungsaufsätze erschienen, was vielleicht dazu beiträgt, dass sie auch heute noch ein erfrischendes Lesevergnügen sind.

Ein weiteres Italienbuch von H. habe ich flüchtig durchgesehen: die "Tuscan Cities". Verglichen mit dem "Venetian Life" ist es ziemlich tot. "Nirgends in seinen Italienschilderungen ist Howells ... so intensiv, so wirklichkeitsverbunden und genau wie in 'Leben in Venedig' " schreibt denn auch der Herausgeber Wolfgang Barthel in seinem ausführlichen Nachwort.

Für Deutschland entdeckt wurde das Buch erst 1987, und ausgerechnet hinter Mauer und Stacheldraht: beim Verlag Rütten und Loening in der DDR nämlich. Die handliche Form und der Leineneinband machen das Buch auch optisch und haptisch erfreulich. Dass Begriffe, die beim heutigen Durchschnittsleser als unbekannt vorauszusetzen sind, in einem Anhang erläutert werden, ist für DDR-Bücher schon beinahe eine (erfreuliche) Selbstverständlichkeit. Im Antiquariatsbuchhandel (ZVAB) sind noch eine Reihe von Exemplaren greifbar.

 

Montaigne, Michel de: Tagebuch einer Badereise.

Es ist schon lange her, dass ich jenes Buch gelesen habe (aber nicht so lange, wie die Reise von Montaigne: das war 1581). Was mir im einzelnen so gut daran gefallen hat, weiß ich nicht mehr, doch habe ich seither (und später neu angefacht durch die Lektüre von Heinrich Heines Reisebuch "Die Bäder von Lucca") den Wunsch, irgendwann einmal den Ort Bagni di Lucca zu besuchen. Nicht unbedingt das Weltdorf in der Villa Demidoff (URL http://www.globalvillage-it.com/index-en.htm) [auch wenn es mich natürlich außerordentlich beruhigt, dass hier die Mittel des Europäischen Regionalentwicklungsfonds für eine "Crescita Umana e Cultura Planetaria" abfließen, welche unfehlbar zu einer "planetary culture", basierend auf "planetary consciousness", führen und schließlich mit "global health" enden wird. Klar, dass das "Global village" auch eine "City of Peace" ist. Tja, das müde alte Europa wiegt sich sanft in seiner Friedenseuphorie: Bella gerant alii, tu, Opa Europa, träum weiter – bis jemand dich unsanft weckt. Doch bis dahin lässt du dir die Kohlen / von anderen aus dem Wüstenfeuer holen.]

Ich bin natürlich auch für den Frieden (freilich kein "Friedensfreund"), doch in den Bädern von Lucca würde ich mich lieber gesundheitsfördernd im Thermalbad tummeln, welches sich unter http://galileo.imss.firenze.it/multi/luoghi/lucca/paesurba/iterluc.html vorstellt. Eine (italienische) Beschreibung des Ortes lässt sich hier erklicken: http://borgo.cln.it/medtur/bagni.html. Wenn ich allerdings die Notizen zur Ortsgeschichte lese (http://www.radicedidue.com/Toscana/toscana.cgi?rdd1=04&rdd2=0502) frage ich mich, ob ich mich als Deutscher dort überhaupt sehen lassen kann? Die Gegend war vor Zeiten etwas unfriedlich, und unsere Handlungsreisenden in Sachen Welteroberung waren peinlich gründlich bei ihren Pazifizierungsbemühungen.

Eine offizielle Website der Gemeindeverwaltung gibt es bislang (Februar 2003) wohl noch nicht.

 

Aber zurück zu Montaigne: auch seine Reiseerinnerungen sind erst posthum (1774) erschienen. Montaigne hat übrigens die Hälfte des Textes in Italienisch geschrieben – so wie Vater Goethe (vgl. oben unter "v. Hase") sein gesamtes Reisejournal.

 

Müller, Wilhelm: Rom, Römer und Römerinnen.

Ein weiteres handliches Reisebuch (vgl. dazu auch unter "Howells") aus dem Rütten und Loening-Verlag in Berlin (Ost). (Mir liegt die 2. Auflage von 1983 vor, die dortige erste Auflage ist 1978 erschienen. Zumindest 1956 ist im Schünemann-Verlag, Bremen, das Buch bereits in Westdeutschland herausgekommen.) Wie immer bei DDR-Büchern freuen wir uns auch hier über ein ausführliches Nachwort und umfangreiche Begriffserläuterungen im Anhang. Erstmalig kam das Buch  1820 heraus. Müller war ein Romantiker; seine Verklärung des einfachen Volkes ist auch kritisiert worden (vgl. oben bei "Hehn"). Aus heutiger Perspektive klingen Müllers Worte manchmal wie ein "Märchen aus der guten alten Zeit" zu uns herüber, aber wenn man z. B. das Kapital "Achtzehnter Brief" über die Galanterie in Italien und besonders im Rom liest, hat man nicht den Eindruck, dass Müller ein weltferner Träumer gewesen wäre.

 

Nicolai, Gustav: Italien, wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden, als Warnungsstimme für alle, welche sich dahin sehnen. (Leipzig 1834, ob es noch weitere Auflagen gibt, weiß ich nicht). (Titel und bibliographische Informationen nach: Lucia Tresoldi, Viaggiatori Tedeschi in Italia. 1452- 1870. Saggio bibliografico. Roma 1977: Bulzoni Editore. Bd. 2, S. 50.)

Hier (wie oben bei "De Brosse") "mogele" ich insofern, als ich dieses Buch weder gelesen noch gesehen habe. Sein Ruf indes ist ungeheuer: so ungeheuer, dass es seinerzeit gleich von mehreren Gegen-Publikationen niedergemacht und seither auch nicht wieder veröffentlich wurde. Schade eigentlich: bei all den zahlreichen Lobeshymnen über das Land wäre es einfach aus Gründen des Kontrastes recht erfrischend, mal das genaue Gegenteil zu lesen. Daher meine herzliche Bitte an irgendeinen Reprint-Verlag oder einen Dt.-ital. Verein, diesem Buch eine – sei es auch unverdiente – Auferstehung zu Teil werden zu lassen. Gern auch zusammen mit der Arbeit von J. Wieder " 'Italien, wie es wirklich ist'. Eine stürmische Polemik aus der Geschichte der dt. Italien-Literatur", die lt. Tresoldi 1972 in einer Festschrift für Luitpold Dussler erschienen und solchermaßen versteckt für den durchschnittlichen Leser natürlich so gut wie unzugänglich ist).

Es ist einfach langweilig, immer wieder lesen zu müssen, wie ungebildet und voller Vorurteile dieser Nicolai war und wie er Italien ja gar nicht "richtig" kennengelernt habe. Statt dessen würde man gern mal selbst "ad fontes" aus der trüben Quelle trinken. Bei so viel Schmutz- und Schundliteratur auf dem Markt, brauchen wir zu diesem Thema wahrhaftig keine "benevolent dictatorship" unserer Publikationsmechanismen, damit sie uns von diesem Mach-Werk fernhalte! Wer so etwas heute gern lesen würde, weiß wohl schon ein wenig mehr über Italien – das von gestern und das heutige.

Oder könnte jemand den Text ins Netz stellen? Da hätt' man auf Mausdruck geschwind einen Ausdruck!

 

Richter, Ludwig: Lebenserinnerungen eines deutschen Malers.

Im besten Sinne schlicht und "echt". Man kann ja heute diese Vokabel kaum noch in den Mund nehmen, aber der Ausdruck "volkstümlich" ist, wenn er nicht pejorativ verstanden wird, wohl immer noch eine treffende Charakteristik für diese Autobiographie. Eine ebenso interessante (Künstlerleben in Rom um 1825) wie entspannende Lektüre.

 

Schlözer, Kurd von: Römische Briefe.

Köstlich geschriebene Schilderungen aus den letzten Jahren des päpstlichen Rom. Das Buch ist nicht zu verwechseln mit den "Letzte(n) römische(n) Briefe(n)" die ich für reine Abzocke der Erben halte, welche von dem enormen Erfolg der "Briefe" offenbar den Hals nicht voll kriegen konnten und deshalb noch ein paar 'abgeschnittene Fingernägel' aus den letzten Dienstjahren Schlözers im diplomatischen Korps auf den Markt geworfen haben.

Schlözer war, wie Howells (s. o.) Diplomat, allerdings als preußischer Gesandter im damals gegenüber heute noch weitaus größeren Kirchenstaat schon auf einem recht wichtigen Posten (später, nach der Einigung Italiens, musste er noch mal 'ran: während des "Kulturkampfes" war zwar der Kirchenstaat kleiner geworden, nicht aber die Macht der Kirche über die Gemüter der Gläubigen. So musste der Streit zwischen Kirche und Staat diplomatisch beigelegt werden, viel Zeit fürs Private blieb da wohl nicht mehr). Bei seinem ersten "Romeinsatz" hat er aber noch die Zeit gefunden, in glänzend geschriebenen Briefen – nein: diesmal nicht an die Braut, sondern an die Mutter und an seinen älteren Bruder – das Leben in Rom und sein Leben in Rom darzustellen. Auch hier sind, wie bei v. Hase und Haeckel, die Briefe erst posthum veröffentlicht worden. Meine "Pi-mal-Daumen"-Recherche im ZVAB-"Katalog" weist Auflagen von 1913 (EA?) bis zur 15./16., die 1926 (als letzte?) erschien. Mittlerweile ist auch dieses einst so populäre Werk, ebenso wie der Verfasser, weitgehend in Vergessenheit geraten (die Internet-Suchmaschine gibt jedenfalls nicht viel Brauchbares über Schlözer her). Der Stil des 19. Jh. ist anscheinend in den 20er Jahren des 20. Jh. definitiv aus der Mode gekommen. Vielleicht haben aus diesem Grund auch Haeckels Briefe keine Neuauflage erlebt und lief ebenfalls zu dieser Zeit das großartige Unternehmen des Diederichs-Verlages, Quellentexte der italienischen Renaissance in ausführlich kommentierten und annotierten deutschen Übersetzungen zu publizieren, mangels Publikumsnachfrage aus. Schade (das dort publizierte Tagebuch des Florentiners Lucca Landucci aus der Zeit um 1500 z. B. ist ein richtig spannender Lesestoff).

 

 

 

II. ... und einige Werke aus der Zeit nach 1914:                                     ê     é

 

 

Engler, Günter: Treffpunkt Scala. Musikalischer Reiseführer durch Italien.

"Ein wundervoller 'Reiseführer', ein Buch wie Musik. Es hätte eine bessere Aufnahme (und Ausstattung) verdient" hatte ich nach der Lektüre in meinem Exemplar notiert. Das Buch ist wahrhaftig nicht von Pappe, wohl aber der Einband. Schade, denn es ist wirklich sehr informativ und liest sich zügig. Der Text wird durch zahlreiche Bilder unterstützt und belebt. Kurzbiographien der behandelten Musiker, eine Liste der Musikfestivals in Italien und ein Personenregister bringen Zusatznutzen für den Leser. Leider wirkt die äußere Anmutung doch etwas billig, obwohl das Buch ursprünglich so billig nicht war. Erschienen ist es 1993 bei Reclam und anscheinend über die 1. Auflage nicht hinausgekommen. Die Restauflage wurde in 2000 verramscht: Glück für mich, schade für das Buch und die Sache. Was sagt uns das über das Land der Dichter und Denker?

 

Und weil wir gerade bei einem Spezial-Reiseführer sind, wollen wir nicht versäumen, das Werk "Literarischer Reiseführer durch Italien", von Doris und Arnold E. Maurer, vorzustellen. Schwer schmiegt sich sein gerundeter Buchrücken in der Handfläche, jedenfalls bei der gebundenen Leinenausgabe von 1988 (später sind wohl auch Tb-Ausgaben erschienen). Ein Lesebuch für gemütliche Stunden 'con un bicchiere di vino e un panino' ist das nun nicht gerade, aber durch die immense Fülle von Informationen dürfte es für den Literaturinteressierten eine unversiegbare Wissensquelle sein. Die verwendete Drucktype, das Bleichweiß der Blätter und die historischen Photos sagen mir persönlich weniger zu, doch wollen wir auch hier Gehalt und Gestalt scheiden und nicht dem einen anlasten, was uns an dem anderen missbehagt. Dank der geographischen Anordnung nach Regionen können wir sofort zielstrebig auf Turin zusteuern und Gottfried Benns gereimte Zeilen über Nietzsches dortigen endgültigen nervlichen Zusammenbruch nachlesen:

"Indes Europas Edelfäule / an Pau, Bayreuth und Epsom sog / umarmte er zwei Droschkengäule / bis ihn der Wirt nach Hause zog."

Nietzsche liebte offenbar umweltverträgliche Transportmittel; das alte Europa indes, welches heute vielleicht mehr an Toskana-Weinen saugt als an Pau usw., überlässt die Erdöl-Eroberung vertrauensvoll der Neuen Welt.

Lardarello, per favore: mach der Toskana-Fraktion mal Dampf unterm Hintern!

[Wenn ich übrigens unsere schönen Buchrücken ansehe, wird mir allerdings auch klar, weshalb wir zweimal gegen das perfide Albion antreten mussten: Hie das Lichtreich der gerundeten Buchrücken, dort die Finsterlinge mit ihren geraden. Das musste ja mal ausgetragen werden! Seitdem sind freilich unsere Rücken noch runder geworden. Man soll sich halt nie zu viel auf den Rücken laden.]

 

Hielscher, Kurt: "Italien" (1925 und öfter) und "Unbekanntes Italien" (1939).

"Früher war alles besser" ist gewiss ein dummer Spruch. Und doch gab es damals Dinge, denen der/die eine oder andere heute mit guten Gründen nachtrauert. Der Kupfertiefdruck z. B., der dreidimensionale Objekte plastischer hervortreten lässt als die heute üblichen s/w-Drucktechniken, hat dem Druck der Marktgesetze nachgegeben und ist (fast) ganz verschwunden. Schade. Für viele Motive ist er doch schöner als selbst die farbgetreueste Wiedergabe in einem Druck bester japanischer Qualität aus unseren Tagen.

Beide Bücher haben ihre eigenen Meriten: "Italien" (das lt. Vorwort zum "Unbekannten Italien" bis 1939 in 60.000 Exemplaren erschienen war!) ist ein prachtvoller Großband, mit Kupfertiefdruckbildern in Sepiatönung, der sich insbesondere auf die bekannten Sehenswürdigkeiten konzentriert, denen freilich Hielschers Kunst immer neue Aspekte abzugewinnen vermag. Doch auch in stimmungsvollen Naturszenen lässt er den Betrachter schwelgen: Segelschiffe im Hafen von Desenzano (Gardasee), Comer See, Clitumnusquelle, Abend in den pontinischen Sümpfen u. v. a. m.: Balsam für die bildschirmgeflimmerten Pupillen.

Im "Unbekannten Italien" (kein Großband; zwar auch Kupfertiefdruck, aber nicht in Sepiatönung) eröffnet ein wunderbar nostalgischer Blick auf Portofino (mit Segelschiffen im Vordergrund) den Bilderreigen, der vor allem zahlreiche Fotos der "centri minori" Italiens enthält.

 

[Den Begriff "centri minori" habe ich, zugegeben, abgekupfert. Der TCI  (Touring Club Italiano) hat um 1980 in drei großen, herrlich mit Karten und Bildern ausgestatteten Bänden den Reiseführer "Città da scoprire. Guida ai centri minori" herausgegeben, welchen ich jedem wahren Italienfreund hier en passant wärmstens ans Herz legen möchte. Wer noch tiefer einsteigen will – und Italienisch perfekt versteht – findet dort sogar eine "Bibliografia essenziale". Vorbei die Zeiten, da ein Gsell-Fels seinen Rom-Reiseführer als Nonplusultra deutschen Schreibfleißes rühmen konnte: "Guide rosse" suchen wir für Deutschland vergebens. Lediglich ein dem "Handbuch der historischen Stätten Deutschlands" (Kröner-Verlag) für Italien vergleichbares Nachschlagewerk vermisst der Italien-(orts-)geschichtlich Interessierte sehr. Da entschädigt es uns auch nicht, wenn wir in einigen Reclam-Kunstführern für viele Gegenden des Landes die Namen sämtlicher Meister und Kleinmeister nachlesen können, welche an den Kunstwerken gebaut, gemeißelt und gemalt haben.]

 

Torniamo pero a Hielscher: Zwar hat er auch die eine oder andere schwächere Aufnahme, z. B. von Vernazza, (ausgerechnet von "meinem" Vernazza!) im "Unbekannten Italien" untergebracht. Aber dann finden wir romantische Winkel aus unbekannten kleinen Orten, eine strohgedeckte Wohnhütte am Rand der einstigen Pontinischen Sümpfe, und das, was für den großen Band wohl nicht repräsentabel genug erschien: die Menschen (aus dem armen und also pittoresken Mezzogiorno): Wäscherinnen in Ninfa (das Wort evoziert die wunderbare Schilderung bei Gregorovius), Wasserträgerinnen in Terracina und Pisticci. Malerische Bilder sind das für den Betrachter, weniger malerisch dürften die Abgebildeten selbst ihr Leben empfunden haben. Trachtenträger und Eselsreiter(innen): tempi passati. Euch allen geht es heute besser, uns bleiben ein paar schöne Bilder.

Als Schlussbild tritt die "Viktoria" aus Brescia auf: wenn das als Anspielung des Fotografen auf den bevorstehenden Krieg gemeint gewesen sein sollte, hat es letztlich nichts geholfen. Übrigens ist diese martialische Geste (wie auch die Dedikation des Buches - "Benito Mussolini in Ehrerbietung gewidmet") einigermaßen überraschend, denn auf der spanischen Website http://www.union-web.com/sorolla-hielscher            erfährt man, dass Hielscher es vorgezogen hat, in Spanien Fotoaufnahmen zu machen, anstatt im 1. Weltkrieg (für Deutschland) zu kämpfen. Sogar von seinem "antimilitarismo convencido" (ich vermute mal, dass das  "überzeugter Antimilitarismus" bedeutet) ist dort die Rede. (Das "unbekannte Spanien" von 1922 war übrigens Hielschers erster Bildband.)

Schließlich ist auch noch ein Rom-Band von Hielscher erschienen, ebenfalls großartig. Irgendwo habe ich auch mal einen nach dem 2. Weltkrieg zusammengehauenen Italien-Bildband mit Photos von Hielscher gesehen: miserable Druckqualität.

Von zahlreichen anderen Ländern (Dänemark, Jugoslawien, Norwegen, Österreich, Rumänien, Schweden und natürlich Deutschland) hat Hielscher gleichfalls Bildbände publiziert, welche man teilweise noch zahlreich in den Antiquariaten findet.

Sogar auf einer französischen Website findet man Informationen über Hielscher, wenn auch mehr bewertender als biographischer Art:

(http://www.callisto.si.usherb.ca:8080/dhsp3/cour/collegue9.htm).

"D'un autre côté, et plus important encore, la nouvelle photographie posséda des objectifs de critique sociale. C'est ainsi que des œuvres comme celle de Kurt Hielscher, qui reproduisit sa vision d'une Allemagne paisible alors que cette dernière se trouvait en pleine crise sociale, notamment par un retour au portrait de la nature (Ian Jeffrey, p. 120). Hielscher représenta ainsi par la nature sa vision d'une nation idéalisée, où les ravages des construction modernes et de l'industrialisation n'avait pas perverti l'esprit allemand. Bref, l'œuvre d'Hielscher nous rappelle que la photographie entrait dans une nouvelle phase dans l'ensemble de l'Europe: " […] that of the New Photography – and appeared to concern itself with society than with nature " (Ian Jeffrey, p. 110-111)."

In Deutschland (und ebenso in Italien) ist dieser Fotograf weitestgehend in Vergessenheit geraden (wenn man von der Präsenz seiner Werke im Antiquariatshandel absieht). Biographische Informationen auf Deutsch sucht mir die Suchmaschine jedenfalls vergebens. Merkwürdig: interessiert sich denn hierzulande kein Netzmeister für die Geschichte der Fotografie? Wir greifen – unglaublich, in der heutigen Zeit! – in unserer Datennot zu einem Druckwerk und erfahren im "Lexikon der Fotografen" von Jörg Krichbaum (Fischer Taschenbuch, 1981), dass Hielscher von 1881 – 1948 gelebt hat, Studienrat war und sich ab 1914 fünf Jahre in Spanien aufgehalten hat. Dort war er zunächst als Hausschullehrer, erst später als Fotograf tätig. "Mit mehreren tausend Aufnahmen kehrte er bei Kriegsende nach Deutschland zurück." Wo mögen diese Negative geblieben sein? Und vor allem auch die 13.000 Aufnahmen, die er lt. Vorwort zum "Unbekannten Italien" dort aufgenommen hat?

Wenn wer weiteres weiß über Hielscher, möge er mir's interessehalber sagen. Oder besser noch: zum Nutzen aller ins Netz stellen. Grazie!

 

Ein anderer Fotograf, aus späterer Zeit, soll hier nicht unerwähnt bleiben: Für den Bildband über Italien von Roloff Beny (z. B. in der italienischen Ausgabe von 1979) als Begleiter auf die berühmte 'einsame Insel' würde ich vielleicht sogar den Hielscher daheim lassen. Obwohl ich mir bei Beny noch mehr von seinen herrlichen Aufnahmen wünschen würde und auf die Sentenzen berühmter Reisender durchaus verzichten könnte.

 

Kállay, Karol (Fotos) und Villain, Jean (Text): Venedig. Tage und Jahrtausende.

(Mein Exemplar von 1974, es sind zumindest 1975 und 1978 zwei weitere Auflagen erschienen.)

Auf dem Buch sind zwar die Namen in umgekehrter Reihenfolge angeordnet, also "Villain" am Anfang. Der Text von Jean Villain – ein Schweizer Reporter, der anscheinend in der DDR gelebt hat - ist vorzüglich, und originell die Parallelität zwischen Reisebericht und den Reisebuch-artigen "Notizen". Aber für mich sind doch die Bilder von Kállay (ein bedeutender slowakischer Fotograf, geb. 1926, der in der DDR gelebt und der auch Modeaufnahmen gemacht hat) das Schönste. Gebäude und Menschen, Pracht und Verfall, Natur und Arbeit. Nicht nur die Aufnahmen selbst beeindrucken, sondern auch die Breite der Themen. Deshalb reihe ich das Buch hier unter "Kallay" ein. Übrigens gibt es auch einen (in den 60er Jahren bei Artia in Prag veröffentlichten) Bildband "Italien heute". Den habe ich auch – jedoch aus Platzmangel so tief "vergraben", dass ich ihn nur mit stundenlanger Suche wieder zu Tage fördern könnte. Seinerzeit ist er mir nicht als besonders bemerkenswert aufgefallen; aber da kannte ich Kállay auch noch nicht als Fotografen des Venedig-Bildbandes.

 

Dr. Stefanie Neubert hat in der Italianistik-Zeitschrift "Italienisch" (vgl. auch im "Beziehungsreich/Italien" unter "DIV") einen interessanten Aufsatz unter dem Titel "Italien – wie es die DDR-Presse sah" publiziert. Darin weist sie überzeugend nach, dass die DDR-Presse bemüht war, Italien nicht in einem allzu rosigen Licht darzustellen. Das ist aus DDR-Führungsperspektive gesehen verständlich, wenn man bedenkt, dass die dortigen Bürger, von Ausnahmen abgesehen, nicht nach Italien reisen konnten.

Trotzdem scheint mir ihr Untertitel - "Vom Versuch, der Italophilie der Ostdeutschen beizukommen" – nicht ganz treffend. Er suggeriert eine konsequent durchgehaltene Informationspolitik gewissermaßen "gegen" das Reiseland Italien. Die aber vermag ich, wenn ich mir anschaue, was das Antiquariat so aus der DDR-Hinterlassenschaft bei mir angelandet hat, nicht zu erkennen. Vielleicht wird man, wenn man genau nachzählt, bei Kállays in diesem Buch publizierten Photographien ein paar mehr bröckelige Fassaden finden, als in westlichen Bildbänden. Aber die Farbbilder am Schluss des Buches z. B., obwohl nicht von bester Farbqualität, sind ganz und gar ungeeignet, von Reisewünschen in das 'Zauberland Italien' (das ist natürlich ein älterer Begriff, aber er wirkt doch wohl noch kräftig in uns nach) abzuschrecken.

Möglich, dass mit der Zeit in der DDR wenigstens bei der Reiseliteratur die Zügel etwas lockerer gelassen wurde. Beinahe als Agitprop-Literatur erscheint mir beim Durchblättern Hugo Hupperts Buch "Münzen im Brunnen. Erlebtes Italien" zu sein (mir vorliegend in der 2. Aufl. von 1965). Zum Durchlesen habe ich mich noch nicht überwinden können. Ob das zeittypisch war – kurz nach dem Mauerbau – oder Huppert-typisch, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall gab es offenbar auch genügend Reiseliteratur mit positiver Tendenz. Es hätten wohl auch nicht viele Menschen solche Reisebücher gekauft bzw. gelesen, die ein Land nur oder hauptsächlich mies gemacht hätten – da sind den Möglichkeiten der Propaganda natürliche Schranken gesetzt. Vielleicht waren die Kommunisten als "Klassisches-Erbe-Pfleger" [s. a. oben unter "Howells" und "Müller"; auch die Reisebriefe von Herder u. d. T. "Bloß für dich geschrieben" gehören in diese Kategorie, obwohl sie dem Leser beinahe mehr über die Verhältnisse im klassischen Weimar als in Italien verraten] aber letztlich doch nicht unkultiviert genug, um eine konsequente Anti-Italien-Propaganda zu machen, vielleicht waren sie sogar selbst vom Südvirus infiziert? Die Nazis hätten sicherlich in einer vergleichbaren Situation Goethe einen guten Mann sein lassen und die Negativ-Propaganda brutal durchgezogen ... .

Noch hätte man die Gelegenheit, Forschungen zur Italien-Informationspolitik auf empirischer Basis durchzuführen, indem man nicht nur die erschienenen Publikationen auswertet, sondern auch die Informations-Befehlshaber und –empfänger befragt, welche Direktiven erteilt, befolgt (oder auch mal umgangen) wurden. Das wird wohl kaum alles schriftlich vorliegen ... .

Ebenfalls interessant wäre es, die DDR-Bürger zu befragen, was sie beim Betrachten von verlockenden Italienaufnahmen, beim Lesen von Reise- oder sonstiger Literatur aus oder über die für sie unerreichbaren Länder empfunden und gedacht haben. Wie haben sie es aufgefasst, wenn Hugo Huppert ihnen berichtete, dass "die Märkte Mittelitaliens schwarz von Germanentum" seien? Haben sie gesagt "wie schrecklich" (was sicherlich auch mancher begüterte Reisende aus dem Westen gedacht hat!), oder haben sie sich gefragt, ob es im Westen so viele Kapitalisten gibt? Wäre schon interessant, wenn z. B. eine Zeitung/Zeitschrift mal einen Leserwettbewerb ausschreiben würde "Was habe ich empfunden, als ich das Reisebuch ... las / den Reisebildband ... betrachtete?".

Also: wer forscht mal forsch in dieser Richtung?

 

Lolobridgida, Gina: Italia Mia (unter diesem Titel auch auf Deutsch erschienen).

Keine Vorurteile gegen "Kurvenstars", bitte. Die Schauspielerin hat hier als Fotografin einen herrlichen Bildband geschaffen, der nur selten die "Sights", dafür aber die Menschen Italiens in den unterschiedlichsten, ungestellten Alltagsszenen zeigt. Deshalb: erst ansehen, dann urteilen!

 

Maxwell, Gavin: Die zehn Todesqualen. Ein Bericht aus Sizilien.

(Engl. OT – 1959 -: The ten pains of death.) Es wäre falsch zu sagen, dass hier die bitterste Armut beschrieben wird: Beim Lesen dieses Buches erlebt man existenzielle Not beinahe körperlich am eigenen Leibe. Erschütternd, vielleicht noch mehr als die Bücher von Danilo Dolci aus derselben Zeit über dasselbe Thema (Umfrage in Palermo, Banditen in Partinico; Vergeudung).

Gut möglich übrigens, dass wir beim Lesen dieses Buches einen Blick nicht nur in die Vergangenheit werfen, sondern auch in unsere Zukunft – nicht unsere persönliche vielleicht, wohl aber die Zukunft unserer Gesellschaft. Es wird ja nicht mehr allzu lange dauern, bis die natürlichen Ressourcen weitgehend erschöpft bzw. die dann noch vorhandenen Reste nur mit enormen Kosten zu gewinnen sind. Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass dann einige prassen und viele vegetieren. Ähnlich – vielleicht nicht ganz so krass – wie in Sizilien noch bis in unsere Zeit, war das früher wohl auch bei uns. Recycling-Geschichte, so zu sagen.

 

Was übrigens die jammerische "Wir-waren-ja-immer-die-Unterdrückten"-Begründung für die Mafia in Sizilien angeht, halte ich das organisierte Verbrechen eher für einen Kulturfolger wie die Brennnessel. Die Sizilianer waren im frühen Mittelalter dem Rest Europas eben weit voraus: in der Kultur, und wahrscheinlich auch damals schon im organisierten Verbrechen. Se non e vero, wäre es doch jedenfalls mal ein anderer Denkansatz.

 

In ähnlich eindrucksvoller Weise wie Maxwell berichtet Norman Lewis in seinem Buch "Neapel 44. Ein Nachrichtenoffizier im italienischen Labyrinth" (Naples '44. An Intelligence Officer in the Italian Labyrinth) über die (auch im Wortsinne) nackte Not im Nachkriegs(süd)italien, hier in Neapel und Umgebung. Angesichts der Direktheit der Schilderungen von Lewis schwindet auch der letzte Rest von pittoresker Faszination und exotischer Verführung, wie er in dem gleichfalls lesenswerten Roman von John Horn Burns ("Die Galerie" bzw. spätere Ausgabe u. d. T. "Etappe Napoli"), vielleicht noch spürbar ist (OT: "The Gallery").

 

Sacerdote, Gustavo: Land und Leute in Italien (Reihe: Langenscheidts Handbücher für Auslandkunde).

(Die Buchlagen sind mit Klammern eingeheftet; "Drahtheftung" war um 1900 gar nicht so selten – es war halt damals so manches doch schlechter als heute!)

Erstmals ist das Werk anscheinend schon vor dem 1. Weltkrieg erschienen; die mir vorliegende 3. Auflage datiert von 1925. Hier fand der Reisende auf über 500 Seiten in alphabetischen Stichworten geordnet alles, was ihn jenseits der Sehenswürdigkeiten an oder in Italien interessieren könnte. Uns ermöglicht es eine faszinierende Zeitreise.

Antisemitismus: "Italien ist vielleicht das Land, wo am wenigsten von Antisemitismus zu merken ist". ..

Dazio comunale: "Der dazio comunale, die Akzise, bildet heute noch eine der Hauptquellen für die Gemeindekassen der italienischen Städte. ...Um diese Akzise zu erheben, unterhalten die größeren Städte Italiens an den Bahnhöfen und an den Stadttoren eine kleine Armee von Torwächtern und Zöllnern ...". (Kann man sich heute kaum noch vorstellen – und ist doch noch gar nicht so lange her!)

Faschismus: "Das Wort ist nunmehr in den Wortschatz aller modernen Sprachen aufgenommen worden, wir brauchen es also nicht zu übersetzen." ...

Faulheit: "Ein altes Vorurteil." ...

Camorra und Mafia, Verbrechen Mala vita und Vogelmord werden ebenso behandelt wie – in einem langen Artikel – die Marmorbrüche. Sport und Theater, Eisenbahn und Jettatura (der "Böse Blick"), Unterrichts- und Verkehrswesen, Oper und Ölbaum, Lazzaroni und Lebensmittel, Gerichtswesen, Gesundheitspflege und Gewerkschaften, Heerwesen und Soziale Gesetzgebung, Frauen (... "Gewiss, die Italienerin hat 'Glutaugen. Aber sie glühen mehr nach innen wie nach außen. Sie glühen nach dem heimatlichen Herde." ...) und Flugwesen: Wer immer sich heute auf die Schnelle über irgend einen Aspekt der italienischen Gesellschaft oder Politik, aber auch des Alltagslebens und der Küche (z. B. "Zuppa inglese") jener Zeit informieren möchte, wird hier kaum im Stich gelassen. Dass "Deutsche in Italien", "Deutsche Sprachinseln in Italien", "Deutsche Spuren in der italienischen Sprache" in langen Artikeln abgehandelt werden, überrascht nicht.

Der Begriff "Zwangsaufenthalt" beschließt den faszinierenden Stichwortreigen: ..."Und während wir diese Worte schreiben (März 1925) wird in den Reihen der jetzt am Ruder stehenden faschistischen Partei davon gesprochen, dass die Strafe der Deportierung nach dem 'domicilio coatto' auch über die Gegner des Faschismus, und zwar selbst über die konstitutionellen Gegner, verhängt werden soll." Tja, damals sprach man nur erst davon ... .

 

 

 

III. Und noch etwas als finalen Spaß:                                                   ê       é

 

 

Mosca, Giovanni: La storia d'Italia in 200 vignette. (Mailand 1975 und öfter).

Mosca war ein Humorist, und wer mehr über ihn wissen will, kann z. B. unter http://www.leadershipmedica.com/culturale/culott02/culturaleing/8lunarioe/8luning.htm seine Biographie finden. [Doch Vorsicht: Chi vuol seguire la mosca nella rete, landet leicht in Forte dei Marmi, im dortigen Satiremuseum nämlich (http://www.museosatira.it/img/slice/mnslice.htm). (Wer sich nicht mehr sicher ist, ob Thomas Manns Erzählung "Mario und der Zauberer" in diesem Ort oder anderswo spielte, schaue einfach bei den Maurers nach - vgl. dazu oben unter "Engler").

Nachfolgend einige Kostpröbchen des unverkrampften Umgangs Moscas mit der (italienischen) Geschichte (meine Übersetzungen ohne Gewähr für die Wörtlichkeit; den Sinn habe ich hoffentlich erfasst):

Trauerfreier für Remus. Romulus (in der Uniform eines römischen Soldaten) mit einem Trompeter; im Hintergrund auf einem Altar der von Romulus ermordete Remus (das Schwert steckt noch im Bauch). Trompeter: "Welche Hymne sollen wir spielen?" Romulus: "Fratelli d'Italia" (Brüder Italiens). So hatte sich der Textdichter Goffredo Mameli das 1847 allerdings nicht vorgestellt. (Willst du das Liedchen lesen und hören, lass dich vom folgenden Link betören: http://www.liberliber.it/biblioteca/m/mameli/fratelli_d_italia/html/fratelli.htm.)

Kreuzritter, einen knienden Moslem köpfend: "Für unseren Herrn, den Gott der Barmherzigkeit, nimm das!" Die Augen im abgetrennten Kopf vernehmen solche Worte mit Verwunderung ... .

Die Plünderung Roms (Sacco di Roma, 1527): Ruft einer energisch den Geldsäcke-weg­schleppenden Soldaten zu: "Jetzt reicht's aber! Lasst für die Parteien auch noch was übrig!"

Zwei Männer im Gespräch, einer hält verärgert drei Kärtchen hoch: "Früher brauchte man nur die Mitgliedskarte der Faschisten, um leben zu können. Heute braucht man drei: Democristiana, comunista e socialista."

Zwei Männer vor einem Soldatenfriedhof: "Was ist das?" "Einer der zahlreichen Friedhöfe von Amerikanern und Engländern, die sich eingebildet haben, sie hätten der Resistenza bei der Befreiung Italiens von den Deutschen geholfen."

[Beatus Vir (Mosca meine ich, nicht Casanova, oder Vivaldi): Damals hatten die US-Gerichte ihre territoriale Zuständigkeit noch nicht auf den Rest der Welt ausgedehnt, da konnte man noch 'ne Lippe riskieren!]

Zwei Männer betrachten den Vesuv: "Bis 1944 war er aktiv, danach, mit Einführung der Cassa del Mezzogiorno, ist auch er inaktiv geworden."

Ein Freund der Linken war Mosca anscheinend nicht. Bei einer Wahl am 15.6.1975 wirft ein fröhlicher Student seine Stimmkarte für die PCI, also die Kommunisten, in die Wahlurne. Untertitel: "Dem Jan Palach ins Gesicht" (Zur Erinnerung: Der Prager Student Palach verbrannte sich selbst am 16.01.1969 aus Protest gegen die militärische Intervention der Russen in der Tschechoslowakei).

Political correctness war ebenso wenig Moscas Ding. Zwei Zeitgenossen über den vorbeigehenden Casanova: "Er ist das letzte Überbleibsel eines untergehenden Italiens: er geht ausschließlich mit Frauen ins Bett."

 

Die letzte Zeichnung zeigt einen Angeklagten mit seinen beiden Anwälten. "Ich bin rechtschaffen." Frei übersetzte Antwort des Anwalts: "Keine Sorge, auch für Sie wird eine Amnestie kommen."

 

 

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